VwGH 2005/01/0203

VwGH2005/01/020326.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stelzl, über die Beschwerde 1. des I C in S (Rumänien), 2. der S.C. A S.R.L. in S (Rumänien) und 3. der A I S.R.L. in P (Italien), alle vertreten durch Mag. Karl Peter Resch, Rechtsanwalt in 8720 Knittelfeld, Gaalerstraße 5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 12. April 2005, Zlen. E 047/02/2004.005/006 und E 047/02/2004.006/006, betreffend Zerstörung einer Konzessionsurkunde bei der Grenzkontrolle (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs2;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
SPG 1991 §88 Abs1;
SPG 1991 §88 Abs2;
SPG 1991 §88 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs2;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
SPG 1991 §88 Abs1;
SPG 1991 §88 Abs2;
SPG 1991 §88 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die an sie gerichteten und ausdrücklich auf § 88 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) gestützten Beschwerden der beschwerdeführenden Parteien vom 29. Oktober 2004 bzw. 2. November 2004 als unzulässig zurück.

Begründend führte sie aus, die beschwerdeführenden Parteien hätten sich in den weitgehend identischen Beschwerdeschriftsätzen gegen eine Maßnahme des Grenzkontrollorgans an der Grenzkontrollstelle 7561 Heiligenkreuz im Lafnitztal im Verantwortungsbereich der Bezirkshauptmannschaft Jennersdorf gewandt, wodurch sie sich in mehreren näher dargelegten Rechten verletzt gesehen hätten. Nach dem Beschwerdevorbringen habe sich der Erstbeschwerdeführer als Lenker eines im internationalen Kraftfahrlinienverkehr eingesetzten Reisebusses der Zweitbeschwerdeführerin am 28. September 2004 der Einreisekontrolle nach Österreich gestellt. Dabei sei vom Grenzkontrollorgan u.a. auch die Linienkonzession kontrolliert worden. Es sei dem Erstbeschwerdeführer vorgeworfen worden, dass die vorgezeigte italienische Konzessionsurkunde (betreffend die der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin erteilten Linienkonzession) gefälscht sei. Der kontrollierende Beamte habe das erste Blatt der Konzessionsurkunde abgerissen und durchgestrichen, wozu er nach Auffassung der beschwerdeführenden Parteien nicht berechtigt gewesen sei. Die Urkunde sei kopiert und dem Erstbeschwerdeführer mit dem Bemerken, dass er mit dieser Urkunde zum letzten Mal einreisen dürfe, zurückerstattet worden. Die so beschädigte Urkunde sei in ihrer Einheit zerstört worden und könne nicht mehr als Nachweis der internationalen Kraftfahrlinienverkehrsberechtigung benutzt werden; eine Neuausstellung müsse beantragt werden.

Die belangte Bezirkshauptmannschaft - so die belangte Behörde weiter - habe zu diesen Beschwerden keine Gegenschriften erstattet, sondern lediglich einen Bericht der Grenzkontrollstelle Heiligenkreuz vom 24. November 2004 vorgelegt, aus dem hervorgehe, dass der amtshandelnde Beamte nicht eruiert werden habe können bzw. sich keiner der in Frage kommenden Beamten an die behauptete Amtshandlung erinnern könne.

Im Folgenden legte die belangte Behörde ihren Erwägungen das Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien - ungeprüft - als wahr zugrunde. Auf der Basis dieses Sachverhalts seien die Beschwerden unzulässig. Die Zerstörung der Urkunde durch das Grenzkontrollorgan sei ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt gewesen, der in zulässiger Weise nur mit einer Beschwerde nach § 67a Abs. 1 Z 2 AVG bekämpft werden hätte können. Die beschwerdeführenden Parteien stützten ihre Beschwerden aber ausdrücklich nur auf § 88 Abs. 2 SPG. Diese Vorschrift beziehe sich gerade nicht auf solche Maßnahmen, sondern nur auf schlichtes Polizeihandeln, weshalb die Beschwerden unzulässig seien.

Es sei aber auch kein anderes Ergebnis zu erzielen, wenn das Handeln des Grenzkontrollorgans nicht als Akt unmittelbarer Zwangsgewalt eingestuft werde. Eine Beschwerde nach § 88 Abs. 2 SPG stehe nur für Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung offen. Im Anlassfall sei die Einhaltung von Vorschriften des Kraftfahrliniengesetzes überprüft worden. Damit sei die Kontrolle als (selbständige) "Angelegenheit des Kraftfahrlinienverkehrs", in deren Verlauf die italienische Konzessionsurkunde zerstört wurde, zu werten. Diese Angelegenheit zähle nicht zur Sicherheitsverwaltung. Deshalb durfte das Handeln des Grenzorgans auch nicht mit Beschwerde nach § 88 Abs. 2 SPG angefochten werden.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Die belangte Behörde wertet das Abreißen bzw. Durchstreichen einer Seite der Konzessionsurkunde durch das Grenzkontrollorgan als Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Diese setzt voraus, dass ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig (und ohne vorangegangenen Bescheid) einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und dieser Akt gegen individuell bestimmte Adressaten gerichtet ist (vgl. dazu etwa Hengstschläger/Leeb, AVG , § 67a Rz 34ff mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung). Im gegenständlichen Fall soll das Grenzkontrollorgan nach dem als wahr unterstellten Beschwerdevorbringen auf die Konzessionsurkunde nach Übergabe durch den Erstbeschwerdeführer so eingewirkt haben, dass sie in ihrer Einheit zerstört wurde, um die weitere Benutzung zu verhindern. Es wurde also unmittelbar (ohne vorangegangenen Bescheid) und gegen den Willen der Betroffenen ein behördlich gewollter Zustand (nämlich die Verhinderung der weiteren Benützung dieser Urkunde) durch die Anwendung von Zwang verwirklicht. Damit erweist sich die Qualifikation des Verwaltungsaktes als Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt als richtig.

2. Inwieweit dadurch in die Rechte der einzelnen beschwerdeführenden Parteien eingegriffen worden ist, braucht hier nicht überprüft zu werden, weil die belangte Behörde die Rechtsverletzung nicht in Zweifel zog. Sie gründete ihre Entscheidung vielmehr darauf, dass die beschwerdeführenden Parteien ihre Beschwerden ausdrücklich und nur auf § 88 Abs. 2 SPG gestützt hätten; eine Norm, die im gegenständlichen Fall - wie die belangte Behörde zutreffend erkannte - nicht zur Anwendung gelangen kann.

Trotzdem vermag der Verwaltungsgerichtshof den Schlussfolgerungen der belangten Behörde nicht beizutreten.

§ 88 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) in der maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 104/2002 lautet:

"Beschwerden wegen Verletzung subjektiver Rechte

§ 88. (1) Die unabhängigen Verwaltungssenate erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG).

(2) Außerdem erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.

(3) Beschwerden gemäß Abs. 1, die sich gegen einen auf dieses Bundesgesetz gestützten Entzug der persönlichen Freiheit richten, können während der Anhaltung bei der Sicherheitsbehörde eingebracht werden, die sie unverzüglich dem unabhängigen Verwaltungssenat zuzuleiten hat.

(4) Über Beschwerden gemäß Abs. 1 oder 2 entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat durch eines seiner Mitglieder. Im übrigen gelten die §§ 67c bis 67g und 79a AVG."

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die in § 88 Abs. 1 SPG geregelte Beschwerdemöglichkeit kein selbständiges Rechtsinstitut, sondern nur ein Fall der im Allgemeinen im B-VG und AVG vorgesehenen sogenannten Maßnahmenbeschwerde ist. In einer solchen ist die ausdrückliche Berufung auf bestimmte Rechtsgrundlagen, wie sich aus § 67c Abs. 2 AVG und § 88 Abs. 4 SPG ergibt, nicht erforderlich. Die ausdrückliche Berufung eines Beschwerdeführers auf § 88 SPG ändert somit am Rechtscharakter seiner Maßnahmenbeschwerde, auf welcher Rechtsgrundlage immer, nichts (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. Februar 1995, Zl. 94/02/0500, vom 23. September 1998, Zl. 97/01/1065, vom 16. Februar 2000, Zl. 99/01/0339, und vom 21. Dezember 2000, 96/01/0351).

Die belangte Behörde ist verpflichtet, den bei ihr angefochtenen Verwaltungsakt einer Prüfung zu unterziehen. Nur insofern gibt der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde das Prozessthema vor. Das Gesetz verlangt aber nicht, dass sich der Beschwerdeführer auf bestimmte verfahrensrechtliche Rechtsgrundlagen beruft. Es schadet daher auch nicht, wenn sich der Beschwerdeführer bei der Nennung der Rechtsgrundlagen vergreift (vgl. Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz3, Anm. A.21.4. und A 21.5. zu § 88 SPG).

Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings auch erkannt, dass eine Beschwerde nicht unter dem Blickwinkel des § 88 Abs. 2 SPG geprüft werden muss, wenn der - rechtsfreundlich vertretene - Beschwerdeführer eine bestimmte Verhaltensweise (nur) als "faktische Amtshandlung" in Beschwerde zieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1996, Zl. 96/02/0284).

Im gegenständlichen Fall liegt allerdings die umgekehrte Sachverhaltskonstellation vor: Die beschwerdeführenden Parteien stützten ihre Beschwerden in Verkennung der Rechtslage in Bezug auf die Qualifikation des von ihnen angefochtenen Verwaltungsaktes ausdrücklich auf § 88 Abs. 2 SPG. Ungeachtet dessen enthielten ihre Schriftsätze den für eine Prüfung als Maßnahmenbeschwerden erforderlichen Inhalt.

Mit § 88 Abs. 2 SPG sollte - wie die Gesetzesmaterialien zum SPG zeigen - für die rechtspolitisch unerwünschte Situation Abhilfe geschaffen werden, dass es auch nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unklar war, ob im Einzelfall eine polizeiliche Maßnahme als Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder (nur) als "schlichtes Polizeihandeln" zu qualifizieren ist (vgl. die RV 148 BlgNR 18. GP 53). Demnach kommt der Vorschrift des § 88 Abs. 2 SPG nur eine ergänzende Hilfsfunktion zu, was auch im Wortlaut dieser Regelung (arg.: "... auf andere Weise" als durch einen Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt) zum Ausdruck gebracht wurde. Ausgehend davon liefe ein strenger Formalismus bei der Prüfung einer Beschwerde, die den angefochtenen Verwaltungsakt klar bezeichnet, ihn aber rechtlich falsch qualifiziert, dem Gesetzeszweck zuwider und findet auch im Wortlaut des Gesetzes keine Deckung.

Die belangte Behörde durfte die ihr vorliegenden Beschwerden daher nicht wegen der bloßen Falschbezeichnung als unzulässig zurückweisen und es war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 26. Mai 2009

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