VwGH 2004/21/0117

VwGH2004/21/011718.5.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Ingrid Weisz, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Florianigasse 7/9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 18. November 2003, Zl. Fr 3280/03, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §19;
AsylG 1997 §21 Abs1;
AsylG 1997 §21 Abs2;
AsylG 1997 §21;
FrG 1997 §107 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §19;
AsylG 1997 §21 Abs1;
AsylG 1997 §21 Abs2;
AsylG 1997 §21;
FrG 1997 §107 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 18. November 2003 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehöriger, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Diese Maßnahme stützte die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 19. Dezember 2002 nach § 27 Abs. 1 und 2 Z 2 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt worden sei. Nach dem Inhalt des Schuldspruches habe der Beschwerdeführer - zusammengefasst - im Zeitraum Anfang November bis 26. November 2002 in einer Vielzahl von Angriffen eine nicht mehr feststellbare Menge Kokain, zum Teil im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit R.N. als Mittäter, an (weitgehend) unbekannt gebliebene Abnehmer gewerbsmäßig verkauft. Das Strafgericht habe in der Urteilsbegründung angemerkt, die rasche Wiederholung der Suchtgiftverkäufe und die einstudierte Vorgangsweise lasse auf ein "professionelles Handeln" schließen. Mit rechtskräftigem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 30. Juni 2003 sei der Beschwerdeführer neuerlich nach § 27 Abs. 1 und 2 Z 2 SMG schuldig erkannt und über ihn eine (unbedingte) Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verhängt worden. Dieser Verurteilung liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer in einem Zeitraum von zwei Wochen (bis 8. April 2003) in mehreren Angriffen ca. fünf Kugeln Kokain und Heroin an unbekannt gebliebene Suchtgiftkonsumenten gewerbsmäßig verkauft habe. Darüber hinaus habe er näher angeführte Mengen an Kokain und Heroin besessen. Bei der Strafbemessung habe das Gericht das Geständnis mildernd gewertet, erschwerend hingegen die einschlägige Vorstrafe und den raschen Rückfall.

Aus dem erwähnten, als außerordentlich gravierend bewerteten strafbaren Verhalten des Beschwerdeführers folgerte die belangte Behörde, unter Bedachtnahme auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und auf die insoweit bestehende große Wiederholungsgefahr liege eine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor. In Anbetracht des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung dieser Kriminalitätsform sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, insbesondere zum Schutz der Rechte und der Gesundheit Anderer dringend geboten. Private oder familiäre Bindungen des Beschwerdeführers zu in Österreich lebenden Personen seien der belangten Behörde nicht bekannt. Angesichts des erst kurzen Aufenthaltes (seinen Angaben zufolge seit Juli 2002) könne der Beschwerdeführer auch nicht als "integriert" angesehen werden. Es seien daher keine maßgeblichen Umstände erkennbar, die unter dem Gesichtspunkt der Abwägung nach § 37 FrG oder bei der Ermessensübung für den Beschwerdeführer "in positiver Weise zu berücksichtigen wären".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen hat:

Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 36 Abs. 1 FrG die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 36 Abs. 2 Z 1 FrG gilt als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Beschwerdeführer stellt die eingangs erwähnten strafgerichtlichen Verurteilungen ebenso wenig in Abrede wie die - in Verbindung mit dem Spruch erkennbar vertretene - Auffassung der belangten Behörde, es sei vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 (erster und letzter Fall) FrG erfüllt.

Die Beschwerde wendet sich allerdings der Sache nach gegen die Ansicht der belangten Behörde, es sei die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass sich die Verhältnisse "ab 1.5.2004" (gemeint: aufgrund der zu diesem Zeitpunkt in Kraft tretende Änderung des Bundesbetreuungsgesetzes durch die AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101) insofern ändern, als der Beschwerdeführer dann "grundversorgt" werde und nicht mehr "aus blanker Not heraus Suchtgift verkaufen muss, um einen Schlafplatz und einmal täglich ein warmes Essen zu erhalten."

Diese Umstände stellen für sich genommen jedenfalls noch keinen Anlass für eine günstige Zukunftsprognose dar. Zu Recht hat die belangte Behörde nämlich auf die mit der Suchtgiftkriminalität im Allgemeinen verbundene große Wiederholungsgefahr hingewiesen, von der auch im vorliegenden Fall angesichts des in der Vergangenheit gezeigten Fehlverhaltens - gewerbsmäßiger Heroin- und Kokainhandel während eines kurz nach der Einreise beginnenden Zeitraumes - ausgegangen werden durfte, zumal die kriminelle Neigung des Beschwerdeführers bereits durch den (trotz bedingter Nachsicht der ersten Freiheitsstrafe) erfolgten raschen Rückfall zum Ausdruck gebracht wurde. Auch wenn sich daher - wie in der Beschwerde ins Treffen geführt - die Versorgungssituation des Beschwerdeführers gebessert haben sollte, so rechtfertigt jedenfalls der Umstand, dass der Beschwerdeführer trotz Androhung des Vollzuges der bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe bereits nach kurzer Zeit wieder einschlägig rückfällig wurde, die von der belangten Behörde getroffene Annahme einer Gefährdung im Sinne des § 36 Abs. 1 FrG.

Im Mittelpunkt der Beschwerdeausführungen steht der Hinweis auf das noch nicht abgeschlossene Asylverfahren des Beschwerdeführers, das seiner Ansicht nach der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes entgegen stehe. Als Asylwerber habe er jedenfalls bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltsrecht in Österreich. Entgegen diesem Aufenthaltsrecht habe die Fremdenpolizeibehörde ein Aufenthaltsverbot erlassen. Der (asylrechtlich) zulässige Aufenthalt sei daher nunmehr (fremdenpolizeilich) unzulässig und mit einer (fremdenpolizeilichen) Geld- oder Freiheitsstrafe - offenbar gemeint: für den Fall der nicht rechtzeitigen Ausreise nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach § 107 Abs. 1 Z 1 FrG - bedroht. Mangels ausdrücklicher "Anordnung über die Sistierung der Durchsetzbarkeit" im Spruch des Aufenthaltsverbotes bleibe der Widerspruch zum asylrechtlichen Aufenthaltsrecht unaufgelöst, sodass der angefochtene Bescheid in dieses Recht in rechtswidriger Weise eingreife.

Bei diesen Ausführungen wird die Rechtslage verkannt. Nach der auf § 21 Abs. 1 AsylG (in der hier anzuwendenden Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) gegründeten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein - auf § 36 Abs. 2 Z 1 FrG gestütztes - Aufenthaltsverbot auch gegen einen Asylwerber mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung ergehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. November 1999, Zl. 99/21/0321). Das Gesetz verlangt in diesen Fällen nicht, dass die Fremdenpolizeibehörde mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens zuwartet. Der Asylwerber ist nach § 21 Abs. 2 erster Halbsatz AsylG (ohnehin) bis zur rechtskräftigen Beendigung des Asylverfahrens umfassend vor Zurück- oder Abschiebung geschützt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. November 2002, Zl. 2002/18/0079, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 20. Oktober 2000, Zl. 99/20/0406; aus der letzten Zeit auch das Erkenntnis vom 19. November 2003, Zl. 2002/21/0180, mit weiteren Nachweisen). Das bedeutet, dass der Beschwerdeführer (während des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens und im Fall der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung während eines Beschwerdeverfahrens vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes) nicht in Vollziehung eines gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes abgeschoben werden darf (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2003, Zl. 2002/18/0304, das zu einem ähnlichen Beschwerdeeinwand Stellung nimmt). Entgegen dem Beschwerdestandpunkt treten diese Wirkungen von Gesetzes wegen ein und es bedurfte daher auch keines gesonderten Ausspruches im angefochtenen Bescheid. Nicht zu teilen ist schließlich auch die Ansicht des Beschwerdeführers, das Bleiberecht während des Asylverfahrens könnte durch eine Bestrafung wegen Nichtbefolgung des Aufenthaltsverbotes nach § 107 Abs. 1 Z 1 FrG unterlaufen werden (vgl. dazu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2001/21/0067). Die in der Beschwerde vorgetragenen Einwände gegen die Erlassung des vorliegenden Aufenthaltsverbotes erweisen sich somit als nicht stichhältig.

Gegen die Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 37 FrG und in Bezug auf die Ermessensübung nach § 36 Abs. 1 FrG trägt die Beschwerde inhaltlich nichts vor. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier: vor allem zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit Anderer) als im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten angesehen hat. Angesichts des Fehlens einer maßgeblichen Integration des Beschwerdeführers in Österreich und des zutreffend als besonders hoch bewerteten öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität hegt der Verwaltungsgerichtshof auch unter dem Blickwinkel des § 37 Abs. 2 FrG keine Bedenken (vgl. zahlreiche zu Suchtgiftdelinquenten ergangene hg. Erkenntnisse, aus der letzten Zeit etwa die Erkenntnisse vom 27. Jänner 2004, Zl. 2003/21/0218, und Zl. 2003/21/0221, mit weiteren Nachweisen).

Ein hinsichtlich der Ermessensbeurteilung behaupteter Begründungsmangel wird in der Beschwerde nicht weiter konkretisiert. Anhaltspunkte für besondere Aspekte, welche die belangte Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens zu einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes hätten veranlassen müssen, bestehen jedenfalls nicht, sodass auch insoweit keine Fehlbeurteilung erkennbar ist.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 18. Mai 2004

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