VwGH 2004/20/0462

VwGH2004/20/046224.2.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des B in W, geboren 1970, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. November 2004, Zl. 252.446/0-VI/17/04, betreffend Zurückweisung einer Berufung als verspätet in einer Asylsache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;
AVG §38;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates (der belangten Behörde) vom 12. November 2004 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Dezember 2003, mit dem sein Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG ein Zulässigkeitsausspruch vorgenommen worden war, als verspätet zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Ukraine, seinen Angaben zufolge um den 26. Juli 2002 (von Deutschland kommend) nach Österreich eingereist war und nach einem fremdenpolizeilichen Aufgriff am 6. August 2002 einen Asylantrag stellte. Nach seiner Entlassung aus der Schubhaft am 20. August 2002 wurde das Asylverfahren infolge einer negativen Meldeauskunft mit Aktenvermerk vom 3. Oktober 2002 gemäß § 30 Abs. 1 AsylG eingestellt. Am 10. Februar 2003 langte beim Bundesasylamt eine "Bestätigung der Meldung aus dem Zentralen Melderegister" ein, wonach der Beschwerdeführer seit 29. November 2002 in 1020 Wien, Praterstraße 52/3/42, mit Hauptwohnsitz gemeldet sei. Diese Meldedaten wurden auch bei einer in der Folge vom Bundesasylamt durchgeführten "Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister" (ZMR-Anfrage) mitgeteilt. Daraufhin erging am 4. Juni 2003 an den Beschwerdeführer ein Ladungsbescheid, der ihm an der genannten Adresse (durch Hinterlegung beim zuständigen Postamt) zugestellt wurde.

Nach Vernehmung des Beschwerdeführers am 13. Juni 2003 und nach (negativ gebliebenen) Ermittlungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland erging der - eingangs erwähnte (antragsabweisende) - Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Dezember 2003. Es wurde versucht, diesen Bescheid dem Beschwerdeführer an der erwähnten Adresse in Wien 2, wo der Beschwerdeführer nach einer Meldeauskunft vom 4. Dezember 2003 weiterhin aufrecht gemeldet war, zuzustellen.

Die Sendung langte mit dem Vermerk (des Zustellers) "unbekannt" am 10. Dezember 2003 an das Bundesasylamt zurück, das in der Folge (am 15. Dezember 2003) eine neuerlich ZMR-Anfrage durchführte. Diese ergab, dass der Beschwerdeführer nach wie vor an der Adresse 1020 Wien, Praterstraße 52/3/42, mit Hauptwohnsitz gemeldet war. In einem Aktenvermerk vom 15. Dezember 2003 hielt das Bundesasylamt fest, der Beschwerdeführer sei "an der angegebenen Zustelladresse nicht mehr aufhältig". Eine "neuerliche Abgabestelle" habe nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden können. Der Bescheid vom 3. Dezember 2003 werde "daher mit Wirksamkeit vom heutigen Tag gemäß § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 23 Zustellgesetz 1982 ohne vorhergehenden Zustellversuch bei der Behörde hinterlegt." Am selben Tag ersuchte das Bundesasylamt den Magistrat der Stadt Wien um Erhebungen, ob der Beschwerdeführer noch immer an der Meldeadresse aufhältig sei. Ein entsprechender Bericht, um dessen Übermittlung vom Bundesasylamt ersucht wurde, ist nach der Aktenlage nicht eingelangt.

Am 21. April 2004 erschien der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt. Ihm wurde auf sein Ersuchen eine Kopie des Bescheides vom 3. Dezember 2003 ausgehändigt und er wurde dahingehend belehrt, dass dieser Bescheid "mit 30.12.2003" rechtskräftig geworden sei. Dazu habe der Beschwerdeführer - nach dem Inhalt des hierüber aufgenommenen Aktenvermerkes - angegeben, "dass er ständig an der angegebenen Adresse seinen Briefkasten kontrolliert hätte und keine Verständigung über die Hinterlegung vorgefunden hätte."

Am 29. April 2004 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf neuerliche Zustellung des Bescheides vom 3. Dezember 2003 ein, "vorsichtshalber" stellte er auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist und verband damit die Berufung. Zur Begründung dieser Anträge brachte der Beschwerdeführer vor, er sei zum Zeitpunkt des Zustellversuches an der Abgabestelle aufrecht gemeldet und wohnhaft gewesen. Er habe seinen Postkasten auch regelmäßig kontrolliert, aber vom Zustellversuch keine Kenntnis erlangen können, weil "die Post" keine Hinterlegungsanzeige hinterlassen habe. Der Beschwerdeführer kritisierte in diesem Zusammenhang, dass das Bundesasylamt den Bescheid nach Durchführung einer Meldeanfrage (offenbar gemeint: trotz deren positiven Ergebnis) ohne weiteren Zustellversuch und ohne Erhebungen durch die Polizei zu veranlassen oder abzuwarten im Akt hinterlegt habe.

Obwohl auch eine neuerliche ZMR-Anfrage vom 10. Mai 2005 ergeben hatte, dass der Beschwerdeführer an der Adresse in Wien 2 vom 29. November 2002 bis 30. Jänner 2004 (und danach an einer "Obdachlosenadresse") gemeldet war, wies das Bundesasylamt den Zustell- und Wiedereinsetzungsantrag mit Bescheid vom 26. Juli 2004 ab. Dieser Bescheid blieb vom Beschwerdeführer nach der Aktenlage unbekämpft.

Den vorliegend in Beschwerde gezogenen, die Berufung als verspätet zurückweisenden Bescheid vom 12. November 2004 stützte die belangte Behörde auf die Aktenlage, die allerdings in Bezug auf die entscheidende Frage der Wirksamkeit der vom Bundesasylamt am 15. Dezember 2003 vorgenommenen Hinterlegung (insbesondere betreffend die Meldeauskunft von diesem Tag und das Vorbringen des Beschwerdeführers) unvollständig wiedergegeben wurde. Eine konkrete Auseinandersetzung mit den für die Wirksamkeit der Zustellung maßgebenden Umständen und dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers ist dem Bescheid nicht zu entnehmen. Vielmehr beschränkt sich die (relevante) rechtliche Beurteilung auf die pauschalen Aussagen, "aufgrund der Aktenlage und den obigen Feststellungen ergibt sich, dass der angefochtene Bescheid durch Hinterlegung rechtswirksam zugestellt wurde" und (an anderer Stelle) "erwiesen ist", dass die Bescheide des Bundesasylamtes vom 3. Dezember 2003 und vom 26. Juli 2004 "zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen" seien und "somit steht fest, dass die gegenständliche Berufung verspätet eingebracht wurde."

Mit den Voraussetzungen für eine Hinterlegung nach § 8 Abs. 2 Zustellgesetz (ZustG) hat sich die belangte Behörde - wie erwähnt - nicht befasst. § 8 ZustG lautet:

"(1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."

Voraussetzung für die als Zustellung geltende Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch nach § 8 Abs. 2 ZustG ist somit die Änderung der bisherigen Abgabestelle, die Unterlassung der Mitteilung hievon und die Unmöglichkeit, eine (andere, neue) Abgabestelle ohne Schwierigkeiten festzustellen. Das Tatbestandsmerkmal der Änderung der bisherigen Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustG liegt erst dann vor, wenn die Partei die Abgabestelle nicht nur vorübergehend, sondern dauernd verlässt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. September 2002, Zl. 2002/20/0229, mit weiteren Nachweisen; siehe auch Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 8 ff zu § 8 ZustG). Abgabestelle im Sinne des § 4 ZustG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 10/2004) ist der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist - fallbezogen - die Wohnung oder sonstige Unterkunft des Empfängers.

Mit der Frage, ob es zu einer Aufgabe (Änderung) der bisherigen Abgabestelle des Beschwerdeführers gekommen ist oder ob der Beschwerdeführer - wie von ihm behauptet - dort im Zeitpunkt des Zustellversuches (noch) "wohnhaft" gewesen sei, hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aber nicht auseinander gesetzt. Sie hat dazu lediglich festgestellt, dass der Zustellversuch "erfolglos" geblieben sei und der Beschwerdeführer "an der angeführten Abgabestelle als 'unbekannt' galt". Das bezieht sich offenbar auf die Mitteilung des Zustellers auf der an das Bundesasylamt rückgemittelten Sendung. Unbeachtet ließ die belangte Behörde allerdings, dass der Beschwerdeführer nach den (auch im Zeitpunkt des Zustellversuches schon vorliegenden) Meldeauskünften an der Abgabestelle aufrecht gemeldet war, und sie ging vor allem nicht auf das in der Vorsprache am 21. April 2004 bereits angedeutete und in seinen Anträgen vom 29. April 2004 ausdrücklich erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers ein, er sei im Zeitpunkt des Zustellversuches an der Abgabestelle wohnhaft gewesen. Im Hinblick darauf hätte die belangte Behörde nicht ohne weitere Ermittlungen unterstellen dürfen, die für ein Vorgehen nach § 8 Abs. 2 ZustG vorausgesetzte Änderung bzw. Aufgabe der bisherigen Abgabestelle im Sinne des Abs. 1 dieser Gesetzesstelle sei gegeben gewesen. Das hat die belangte Behörde verkannt (vgl. zu einem Widerspruch zwischen dem Bericht des Zustellers und der Auskunft der Meldebehörde auch das schon erwähnte Erkenntnis vom 12. September 2002, Zl. 2002/20/0229).

Die Begründung des angefochtenen Bescheides lässt sich aber auch dahin deuten, im Hinblick auf die mit Bescheid vom 26. Juli 2004 vorgenommene rechtskräftige Abweisung des Antrages auf (neuerliche) Zustellung des Asylbescheides vom 3. Dezember 2003 stehe - bindend - die Wirksamkeit der Hinterlegung am 15. Dezember 2003 (und demzufolge die Verspätung der Berufung) fest. Eine derartige Bindungswirkung - sollte sie die belangte Behörde angenommen haben - besteht aber schon deshalb nicht, weil die Wirksamkeit der nach § 8 Abs. 2 ZustG vorgenommenen Hinterlegung bei der Erledigung des Zustellantrages nur eine Vorfrage bildete (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. Juni 2003, Zl. 2001/06/0161; vgl. auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 Rz 306 ff). Aber auch beweiswürdigende Schlüsse auf eine Verspätung der Berufung lassen sich weder aus der unterlassenen Bekämpfung des Bescheides vom 26. Juli 2004 noch aus dem "vorsichtshalber" eingebrachten Wiedereinsetzungsantrag ziehen. Beides machte - entgegen der erkennbaren Meinung der belangten Behörde - Ermittlungen zum entscheidungsrelevanten Umstand, ob der Beschwerdeführer (bereits) im Zeitpunkt des Zustellversuches Anfang Dezember 2003 seine bisherige Abgabestelle geändert (aufgegeben) hatte oder dort (noch) wohnhaft war, nicht entbehrlich.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, wobei (nur) der ausdrücklich nach der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001 verzeichnete Betrag für Schriftsatzaufwand zuzusprechen war.

Wien, am 24. Februar 2005

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