VwGH 2004/10/0223

VwGH2004/10/022329.3.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des beim Amt der Kärntner Landesregierung eingerichteten Naturschutzbeirates gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Spittal/Drau vom 8. Oktober 2004, Zl. SP3-NS-338/9-2004, betreffend naturschutzbehördliche Bewilligung (mitbeteiligte Partei: HE in S, vertreten durch Dr. Franz P. Oberlercher, Rechtsanwalt in 9800 Spittal/Drau, Bernhardtgasse 4), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art131 Abs2;
NatSchG Krnt 2002 §10 Abs3 litb;
NatSchG Krnt 2002 §10 Abs3;
NatSchG Krnt 2002 §10;
NatSchG Krnt 2002 §12 Abs1;
NatSchG Krnt 2002 §54 Abs1;
NatSchG Krnt 2002 §61 Abs3;
NatSchG Krnt 2002 §8 Abs1;
NatSchG Krnt 2002 §8;
NatSchG Krnt 2002 §9 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art131 Abs2;
NatSchG Krnt 2002 §10 Abs3 litb;
NatSchG Krnt 2002 §10 Abs3;
NatSchG Krnt 2002 §10;
NatSchG Krnt 2002 §12 Abs1;
NatSchG Krnt 2002 §54 Abs1;
NatSchG Krnt 2002 §61 Abs3;
NatSchG Krnt 2002 §8 Abs1;
NatSchG Krnt 2002 §8;
NatSchG Krnt 2002 §9 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Am 15. Dezember 2003 beantragte die mitbeteiligte Partei bei der Bezirkshauptmannschaft die naturschutzrechtliche Bewilligung einer Rodung auf ihrem Grundstück Nr. 1241/2 KG M. im Ausmaß von 1,4797 ha. Sie benötige die Fläche zur Weiterführung des (landwirtschaftlichen) Betriebes. Eine forstrechtliche Bewilligung sei bereits erteilt worden. Falls eine Ersatzfläche notwendig wäre, werde eine kleinere Ersatzfläche in Draunähe angeboten. In der näheren Umgebung gebe es keine Pachtflächen. Für die Brennholznutzung werde die Fläche nicht gebraucht.

Dem Antrag war eine Stellungnahme der Kammer für Land- und Forstwirtschaft in Kärnten zur betriebswirtschaftlichen Situation des landwirtschaftlichen Betriebes der mitbeteiligten Partei angeschlossen, in der die Rodung der in Rede stehenden, von landwirtschaftlichen Nutzflächen umschlossenen Grundstücke befürwortet wird; damit könne - aus näher dargelegten Gründen - "die Sicherung des Standortes des landwirtschaftlichen Betriebes wesentlich verbessert" werden.

In einer internen Stellungnahme der belangten Behörde wird dargelegt, es handle sich bei der Fläche um einen Auwald. Es wäre "im gegenständlichen Fall zumindest" eine nachhaltige Beeinträchtigung des Gefüges des Haushaltes der Natur gegeben. Sollte die Behörde aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Betriebes der Ansicht sein, dass das öffentliche Interesse an der beantragten Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles höher zu bewerten sei als das öffentliche Interesse an der Bewahrung des Feuchtgebietes vor störenden Eingriffen, und eine Bewilligung erteilen, sei die Bereitstellung einer Ersatzfläche vorzuschreiben.

Mit Schreiben vom 10. März 2004 teilte die Abteilung 8 des Amtes der Kärntner Landesregierung der Bezirkshauptmannschaft mit, dass gegen "den Bescheidentwurf" betreffend die mitbeteiligte Partei von einem Mitglied des beim Amt der Kärntner Landesregierung eingerichteten Naturschutzbeirates schriftlich ein Einspruch angemeldet worden sei. Die Erlassung eines Bescheides nach dem Naturschutzgesetz auf der Basis des Bescheidentwurfes sei daher bis zur Abklärung der Angelegenheit im Naturschutzbeirat unzulässig. Diesem Schreiben war ein an das Amt der Kärntner Landesregierung, Abteilung 8, gerichtetes Schreiben des Mag. Dr. W. vom 8. März 2004 angeschlossen, das mit "Einwände gegen die Bescheide" (unter anderem betreffend den Antrag der mitbeteiligten Partei) überschrieben ist. Darin wird dargelegt, dass eine Auwaldfläche betroffen sei. Im Bescheidentwurf sei weder die Größe der Ausgleichsfläche noch ihre Biotopzugehörigkeit angegeben. Aus Naturschutzgründen erscheine es nicht vertretbar, eine Auwaldfläche gegen eine x-beliebige Fläche einzutauschen. Es werde daher eine Besichtigung der Flächen während er Vegetationsperiode beantragt.

In den Akten des Verwaltungsverfahrens findet sich weiters ein an das Amt der Kärntner Landesregierung, Abteilung 8, gerichtetes Schreiben des Mitgliedes des Naturschutzbeirates Ing. B. vom 18. März 2004. Dieses Schreiben langte nach Ausweis der Eingangsstempel am 22. März 2004 beim Amt der Kärntner Landesregierung und am 30. März 2004 bei der Bezirkshauptmannschaft ein. Darin wird mit Beziehung auf den Antrag der Mitbeteiligten um Aufklärung gebeten, ob die Begründung des Bescheidentwurfes unschlüssig oder die Ersatzflächen unbrauchbar seien.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2004 erteilte die Bezirkshauptmannschaft die beantragte Bewilligung. Als Nebenbestimmung wurde "als Ersatzfläche das Grundstück Nr. 653/1 KG O. herangezogen, auf dem jegliche landwirtschaftliche Nutzung ausgeschlossen ist". Begründend wurde nach Hinweisen auf die Rechtslage dargelegt, der Mitbeteiligte führe mit seiner Familie einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb im Gesamtausmaß von 32 ha. Der betriebswirtschaftliche Schwerpunkt liege in der Milchproduktion. Es sei "aufgrund der Produktionslage eine entsprechende Nutzungsintensität vorhanden". Es sei auf Grund des hohen Pachtniveaus sehr schwierig bzw. unmöglich, den Betrieb zu erweitern. Die Zuführung der vorhandenen Auwaldfläche zur landwirtschaftlichen Produktion würde "die Sicherung des Standortes des landwirtschaftlichen Betriebes wesentlich verbessern, wodurch für die Naturschutzbehörde ein öffentliches Interesse an der beantragten Maßnahme begründet wird". Die Naturschutzbehörde gehe "bei der Betrachtung des öffentlichen Interesses an der Erhaltung des Auwaldes davon aus, dass durch die im Spruch angeführte Auflage gesichert ist, dass entsprechende Ersatzflächen zur Verfügung gestellt werden ". Es müsse "bei der Abwägung der öffentlichen Interessenlagen dem eingereichten Projekt im Hinblick auf die betriebliche Situation des Antragstellers der Vorzug gegenüber der Bewahrung des Auwaldes gegeben werden".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde des beim Amt der Kärntner Landesregierung eingerichteten Naturschutzbeirates.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 8 Abs. 1 des Kärntner Naturschutzgesetzes LGBl. Nr. 79/2002 (K-NSG 2002) ist in Moor- und Sumpfflächen, Schilf- und Röhrichtbeständen sowie in Au- und Bruchwäldern die Vornahme von Anschüttungen, Entwässerungen, Grabungen und sonstigen den Lebensraum von Tieren und Pflanzen in diesem Bereich nachhaltig gefährdenden Maßnahmen verboten.

Nach § 10 Abs. 3 leg. cit. dürfen Ausnahmen von den Verboten des § 8 bewilligt werden, wenn

a) durch das Vorhaben weder das Landschaftsbild nachteilig beeinflusst würde noch das Gefüge des Haushaltes der Natur im betroffenen Lebensraum oder der Charakter des betroffenen Landschaftsraumes nachhaltig beeinträchtigt würde oder

b) das öffentliche Interesse an der beantragten Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles höher zu bewerten ist als das öffentliche Interesse an der Bewahrung des Feuchtgebietes vor störenden Eingriffen.

Nach § 12 Abs. 1 K-NSG 2002 ist in Fällen, in denen eine Bewilligung unter Heranziehung des ... § 10 Abs. 3 lit. b erteilt wird, dem Antragsteller die Schaffung eines geeigneten Ersatzlebensraumes vorzuschreiben, wenn durch die bewilligte Maßnahme der Lebensraum seltener, gefährdeter oder geschützter Tier- oder Pflanzenarten wesentlich beeinträchtigt oder vernichtet wird.

Gemäß § 61 Abs. 3 K-NSG 2002 darf der Naturschutzbeirat gegen Bescheide, vor deren Erlassung seine Mitglieder nach § 54 Abs. 1 zu hören sind, Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof im Sinne des Art. 131 Abs. 2 B-VG erheben, insoweit diese im Rahmen der Anhörung Einwendungen vorgebracht haben, denen im Bescheid nicht Rechnung getragen wurde. Die Frist für die Erhebung der Beschwerde beginnt mit dem Tag zu laufen, an dem alle Mitglieder des Naturschutzbeirates Kenntnis vom Inhalt des Bescheides erlangt haben.

Nach § 54 Abs. 1 leg. cit. sind vor der Erlassung von Bescheiden mit denen (unter anderem) Ausnahmebewilligungen nach § 10 erteilt werden, die Mitglieder des Naturschutzbeirates zu hören.

Im angefochtenen Bescheid werden unter anderem die §§ 8 und 10 Abs. 3 K-NSG 2002 als Rechtsgrundlagen genannt. Es handelt sich somit um einen Bescheid, vor dessen Erlassung die Mitglieder des Naturschutzbeirates gemäß § 54 Abs. 1 leg. cit. zu hören waren. Im Umfang jener Gründe, die Gegenstand der im Rahmen der Anhörung vorgebrachten Einwendungen waren, und denen im Bescheid nicht Rechnung getragen wurde, ist der Naturschutzbeirat zur Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof berechtigt (vgl. hiezu das Erkenntnis vom 15. September 2003, Zl. 2003/10/0150, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Im vorliegenden Verwaltungsverfahren hatten Mitglieder des Naturschutzbeirates (sinngemäß) geltend gemacht, die Behörde habe sich weder mit der Bedeutung des zu rodenden Auwaldrestes im Gefüge des Haushaltes der Natur noch mit Beschaffenheit und Eignung des in Aussicht genommenen Ersatzlebensraumes im Einzelnen auseinandergesetzt. Die Beschwerde überschreitet daher den durch § 61 Abs. 3 iVm § 54 Abs. 1 K-NSG 2002 gezogenen Rahmen nicht, soweit sie geltend macht, es seien sowohl die Interessenabwägung als auch die Vorschreibung eines Ersatzlebensraumes fehlerhaft bzw. mangelhaft begründet.

Dem angefochtenen Bescheid kann im Hinblick auf das Zitat der §§ 8 und 10 Abs. 3 K-NSG 2002 und den Hinweis, dass "bei der Abwägung der öffentlichen Interessenlagen dem eingereichten Projekt im Hinblick auf die betriebliche Situation des Antragstellers der Vorzug gegenüber der Bewahrung des Auwaldes gegeben werden muss", entnommen werden, dass die belangte Behörde zum einen davon ausging, das Vorhaben der mitbeteiligten Partei sei eine den Lebensraum von Tieren und Pflanzen im fraglichen Bereich nachhaltig gefährdende Maßnahme (vgl. § 8 Abs. 1) bzw. eine den Lebensraum seltener, gefährdeter oder geschützter Tier- oder Pflanzenarten wesentlich beeinträchtigende oder vernichtende Maßnahme (vgl. § 12 Abs. 1); das öffentliche Interesse an der beantragten Maßnahme sei aber unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohles höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an der Bewahrung des Feuchtgebietes vor störenden Eingriffen (vgl. § 10 Abs. 3 lit. b).

Dem angefochtenen Bescheid ist jedoch keine dem Gesetz entsprechende Begründung zu entnehmen, die diese Annahmen tragen könnte.

Der Verwaltungsgerichtshof verweist auf seine Rechtsprechung zum Begriff der "wesentlichen Beeinträchtigung des Lebensraumes seltener, gefährdeter oder geschützter Tier- oder Pflanzenarten" und ähnlichen Begriffen, wonach ein auf einen solchen Versagungsgrund beruhender Bescheid nur dann ordnungsgemäß begründet ist, wenn er Feststellungen darüber enthält, welche seltenen, gefährdeten oder geschützten Tier- oder Pflanzenarten in dem vom Vorhaben betroffenen Lebensraum vorkommen, wobei eine nachvollziehbare, auf die Lebensbedingungen konkreter Tiere und Pflanzen Bezug nehmende, naturwissenschaftliche, auf die qualitativen und quantitativen Aspekte des konkreten Falles, insbesondere der Auswirkungen des Vorhabens, Bedacht nehmende Begründung erforderlich ist (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 22. Dezember 1997, Zl. 95/10/0087; vgl. weiters das Erkenntnis vom 25. Februar 2003, Zl. 2001/10/0109).

Von entsprechenden Feststellungen ausgehend hätte die belangte Behörde im Rahmen ihrer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 K-NSG 2002 und der Interessenabwägung gemäß § 10 Abs. 3 leg. cit. prüfen

müssen, welches Gewicht der Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes durch das Vorhaben zukommt. Dem hatte sie das Gewicht der durch das Vorhaben allenfalls verwirklichten anderen öffentlichen Interessen gegenüberzustellen. Den Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung entspricht ein aufgrund einer Interessenabwägung ergangener Bescheid nur dann, wenn er in qualitativer und quantitativer Hinsicht nachvollziehbare Feststellungen über jene Tatsachen enthält, von denen Art und Ausmaß der verletzten Interessen des Naturschutzes abhängt, über jene Auswirkungen des Vorhabens, in denen eine Verletzung dieser Interessen zu erblicken ist, und über jene Tatsachen, die das öffentliche Interesse ausmachen, dessen Verwirklichung die beantragte Maßnahme dienen soll (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 13. Oktober 2004, Zl. 2001/10/0252 mwN).

Im Hinblick darauf, dass die belangte Behörde in der Bescheidbegründung - wenngleich völlig unbestimmt - auf die "Sicherung des Standortes des landwirtschaftlichen Betriebes" Bezug genommen hat, ist der Hinweis geboten, dass in der Verbesserung der Agrarstruktur ein öffentliches Interesse im Sinne des § 10 Abs. 3 K-NSG 2002 gesehen werden kann, wenn die beantragte Bewilligung eine Maßnahme darstellt, deren nachhaltige Notwendigkeit für die Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes insbesondere unter dem Aspekt der Sicherung der Existenz des Betriebes oder dem gleichermaßen bedeutsamen Blickwinkel der Erfordernisse eines zeitgemäßen Wirtschaftsbetriebes zu bejahen ist (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 27. August 2002, Zl. 2000/10/0044 mwN). Hingegen liegt nicht jede der Ertragsverbesserung, Rationalisierung oder Arbeitserleichterung dienende Maßnahme bereits im öffentlichen Interesse der Agrarstrukturverbesserung. Vielmehr kommen nur solche Maßnahmen in Betracht, die einen entscheidenden Beitrag zur dauerhaften Existenzsicherung des Betriebes leisten oder in gleicher Weise notwendig sind, um einen zeitgemäßen Wirtschaftsbetrieb zu gewährleisten.

Der angefochtene Bescheid enthält keine konkreten, ins Einzelne gehende Tatsachenfeststellungen, auf deren Grundlage die dem Bescheid zu Grunde liegende Interessenabwägung auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft werden könnte. Auch im Zusammenhang mit der Frage der "Eignung" des Ersatzlebensraumes im Sinne des § 12 Abs. 1 K-NSG 2002 fehlen Feststellungen, die eine Überprüfung des Bescheides auf seine Rechtmäßigkeit ermöglichten.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Im Hinblick auf die Erledigung in der Hauptsache erübrigt sich eine gesonderte Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 29. März 2005

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