VwGH 2004/01/0457

VwGH2004/01/045724.5.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2A/12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Oktober 2001, Zl. 224.073/0-XI/38/01, betreffend § 6 Z 2 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §6;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.085,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides vom 17. Oktober 2001 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin, einer ihrem Vorbringen nach im Februar 2001 in das Bundesgebiet eingereisten Staatsangehörigen von Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. August 2001, mit dem ihr Asylantrag vom 27. Februar 2001 als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden war, gemäß § 6 Z 2 AsylG ab. In Spruchpunkt II erklärte die belangte Behörde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria für zulässig.

Dagegen richtet sich die vorliegende - mangels rechtsgültiger Zustellung des Beschlusses vom 24. April 2002, mit dem der rechtzeitig gestellte Verfahrenshilfeantrag der Beschwerdeführerin abgewiesen wurde, rechtzeitige - Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat auf Grund des von ihr als glaubwürdig eingestuften Vorbringens der Beschwerdeführerin festgestellt, diese habe Nigeria aus Furcht vor einer ihr drohenden Zwangsheirat verlassen. Der alte Mann, dem sie von ihrem Vater - gegen Bezahlung eines Geldbetrages - versprochen worden sei, habe auf Grund ihrer Weigerung, ihn zu heiraten, im Dezember 2000 Leute in das Heimatdorf der Beschwerdeführerin geschickt. Der Vater der Beschwerdeführerin sei von diesen Leuten attackiert worden und an den Folgen verstorben. Die Beschwerdeführerin sei daraufhin zu einer Freundin ihrer Mutter nach Lagos gezogen. Der Mann, der sie habe heiraten wollen, habe ihren Aufenthaltsort in Erfahrung gebracht und Leute nach Lagos geschickt, um die Beschwerdeführerin zu holen. Da sie sich geweigert habe, mitzukommen, sei sie ins Bein geschossen worden. Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria befürchte sie, von den Leuten dieses Mannes getötet zu werden.

Gemäß § 6 Z 2 AsylG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) ist ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat "die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist".

Ihre dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende Ansicht, dass dies auf den vorliegenden Fall zutreffe, hat die belangte Behörde - insoweit der Begründung des Bundesasylamtes folgend - in erster Linie darauf gestützt, dass die Beschwerdeführerin nicht versucht habe, staatlichen Schutz vor der geltend gemachten Privatverfolgung in Anspruch zu nehmen. Dieses Argument - das in keinem erkennbaren Zusammenhang zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründen steht - widerspricht als Begründung für die Annahme, ein Asylantrag sei im Sinne des § 6 AsylG "offensichtlich" unbegründet, schon seit den hg. Erkenntnissen vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/01/0197, und vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Nichts anderes gilt auch für das Zusatzargument der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin - die den getroffenen Feststellungen zufolge immerhin auch in Lagos aufgespürt und angeschossen worden war - - hätte in anderen Landesteilen, "ja sogar in Lagos - allerdings nicht unbedingt bei der Freundin ihrer Mutter oder sonst bei einer ihrem Bekanntenkreis zurechenbaren Person - sicher leben" können. Auf die Frage der Vertretbarkeit dieser in der Beschwerde bestrittenen Annahme und den Umstand, dass sie von der belangten Behörde - im Gegensatz zum Verweis schon des Bundesasylamtes auf staatlichen Schutz durch die "zuständigen Strafverfolgungsbehörden" Nigerias - ohne Berufungsverhandlung als neues Begründungselement eingeführt wurde, braucht schon deshalb nicht eingegangen zu werden.

Zu der unter dem Gesichtspunkt des § 6 Z 2 AsylG (in der hier anzuwendenden Fassung) maßgeblichen Frage des Zusammenhanges der geltend gemachten Verfolgung mit einem Konventionsgrund enthält der angefochtene Bescheid die Wendung, der "rein private Charakter" der behaupteten Verfolgung habe "seinen Hintergrund nicht (zu ergänzen: in) den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen". Dazu, dass dies im Fall drohender Zwangsheirat nicht mit der erforderlichen "Offensichtlichkeit" anzunehmen ist, kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die - der belangten Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch nicht vorliegenden - hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0071, und vom 17. September 2003, Zl. 2000/20/0152, verwiesen werden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abzusehen.

Im Hinblick auf das vorliegende Erkenntnis erübrigt sich eine gesonderte Erledigung des entgegen dem erteilten Mängelbehebungsauftrag nicht durch Anwaltsunterschrift verbesserten, sondern mit der Beschwerde - durch die darin enthaltenen, ausführlichen Bezugnahmen auf das ihm zu Grunde liegende Missverständnis - der Sache nach zurückgezogenen Wiedereinsetzungsantrages zur hg. Zl. 2004/01/0343.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Umfang des Begehrens gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. Mai 2005

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