VwGH 2003/12/0204

VwGH2003/12/020425.11.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch sowie die Senatspräsidenten Dr. Germ und Dr. Höß und die Hofräte Dr. Bayjones und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerde der N in K, vertreten durch Dr. Gerhard Fink, Dr. Peter Bernhart und Mag. Dr. Bernhard Fink, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Bahnhofstraße 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst (nunmehr: Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur) vom 29. Oktober 1996, Zl. 56.043/16-I/D/7a/96, betreffend Studienbeihilfe nach dem Studienförderungsgesetz 1992, zu Recht erkannt:

Normen

11992E048 EGV Art48;
11997E039 EG Art39;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art7 Abs2;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art7 Abs3;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art7;
61981CJ0053 Levin VORAB;
61986CJ0039 Lair VORAB;
61989CJ0357 Raulin VORAB;
62001CJ0413 Ninni-Orasche VORAB;
EURallg;
11992E048 EGV Art48;
11997E039 EG Art39;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art7 Abs2;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art7 Abs3;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art7;
61981CJ0053 Levin VORAB;
61986CJ0039 Lair VORAB;
61989CJ0357 Raulin VORAB;
62001CJ0413 Ninni-Orasche VORAB;
EURallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist italienische Staatsbürgerin. Nach den Feststellungen des angefochtenen Bescheides ist sie seit 18. Jänner 1993 mit einem Österreicher verheiratet und seit 25. November 1993 in Österreich wohnhaft.

Vom 10. Juli bis zum 25. September 1995 war sie bei der Wörthersee-Schifffahrt-Gastronomie GmbH als Kellnerin bei Linien- und Sonderfahrten auf den Schiffen der Stadtwerke Klagenfurt tätig. Zwischen Oktober 1995 und März 1996 suchte sie eine Anstellung in Klagenfurt, wobei sie sich nachweislich unter anderem bei einem Hotel und bei einer Bank bewarb, ohne jedoch eine Stelle zu erhalten.

Zusätzlich zu diesen im angefochtenen Bescheid getroffenen Sachverhaltsfeststellungen ergibt sich aus den Verwaltungsakten noch Folgendes:

Am 10. März 1994 stellte die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt der Beschwerdeführerin einen "Lichtbildausweis für Fremde (EWR)" aus, in der ihr bescheinigt wurde, bis zum 10. März 1999 zum Aufenthalt in Österreich berechtigt zu sein. Außerdem enthält der Ausweis den Hinweis, dass der Inhaber unter denselben Bedingungen wie die österreichischen Arbeitnehmer das Recht auf Zugang zu Beschäftigungen im Lohn- oder Gehaltsverhältnis und auf deren Ausübung im österreichischen Hoheitsgebiet habe.

Die Beschwerdeführerin legte ferner am 16. Oktober 1995 (nach ihrem in der Vorstellung unwidersprochen gebliebenen Vorbringen in Form einer "Abendmatura", die ihre Anwesenheit bloß zu den Prüfungsterminen erfordert habe) am "istituto tecnico statale commerciale" in Reggio Emilia die Matura (maturita tecnica - diploma di ragioniere e perito commerciale) ab.

Im März 1996 begann sie das Studium der Romanistik mit den Studienzweigen Italienisch und Französisch an der Universität Klagenfurt.

Am 16. April 1996 beantragte sie bei der Studienbeihilfenbehörde/Stipendienstelle Klagenfurt die Gewährung einer Studienbeihilfe. Mit Bescheid vom 10. Mai 1996 wurde der Antrag abgewiesen, da die Beschwerdeführerin italienische Staatsbürgerin und nach dem Übereinkommen zur Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) hinsichtlich des Studienbeihilfenanspruchs österreichischen Staatsbürgern nicht gleichgestellt sei. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung. Diese wurde mit dem Bescheid des Senates der Studienbeihilfenbehörde vom 17. Juni 1996 abgewiesen; Arbeitnehmer aus EWR-Staaten seien betreffend den Anspruch auf Studienbeihilfe nur dann österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, wenn sie vor Aufnahme des Studiums eine längere Berufstätigkeit in Österreich nachzuweisen hätten (etwa zwei Jahre). Die Übersiedlung der Beschwerdeführerin nach Österreich sei nicht zum Zwecke der Aufnahme einer Berufstätigkeit erfolgt, da zum Zeitpunkt der Übersiedlung keine Arbeitsbewilligung und auch keine Möglichkeit der Berufsausübung vorgelegen seien. Die Voraussetzungen für eine Gleichstellung im Sinne des § 4 des Studienförderungsgesetzes 1992 (StudFG 1992) lägen nicht vor, da die Beschwerdeführerin vor Aufnahme des Studiums nicht als Wanderarbeitnehmerin in Österreich beschäftigt gewesen sei. Die "Arbeitsbewilligung" sei vier Monate nach Übersiedlung nach Österreich erteilt worden, eine Berufstätigkeit von etwas mehr als zwei Monaten sei über ein Jahr später, unmittelbar vor Aufnahme des Studiums, ausgeübt worden.

In ihrer Berufung führte die Beschwerdeführerin (in Verbindung mit ihrer Vorstellung, die sie zum Inhalt ihrer Berufung erhoben hatte) im Wesentlichen aus, dass ihre Übersiedlung nach Österreich keineswegs zu Studienzwecken erfolgt sei. Sie habe vielmehr ihren ehelichen Wohnsitz in Österreich begründet, weil ihr Ehegatte hier lebe und um eine Berufstätigkeit zu suchen und aufzunehmen. Zum Zeitpunkt ihrer Übersiedlung nach Österreich sei ihr bereits bekannt gewesen, dass Österreich mit 1. Jänner 1994 dem EWR beitreten und für sie als EU-Bürgerin die Möglichkeit bestehen werde, hier zu arbeiten. Bereits im Jänner 1994 sei ihr über ihre Anfrage von der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt mitgeteilt worden, dass die Ausstellung eines entsprechenden Ausweises aus organisatorischen Gründen erst in einigen Wochen möglich sein werde und außerdem seit der Gründung des Hauptwohnsitzes 3 Monate vergangen sein müssten. Erst nach einer Beschäftigungsaufnahme in Österreich habe sie sich zu ihrem Studium entschlossen. Sie sei davon überzeugt, dass ihr Romanistikstudium als weiterführende Ausbildung in Anbetracht ihrer früheren Tätigkeiten (als leitende Angestellte einer Transportfirma in Italien und in Österreich in der Tourismusbranche) klassifiziert werden könne. Von der Studienbeihilfenbehörde sei ihr im Übrigen mündlich versichert worden, dass für ein Stipendium keine Mindestdauer für die Berufstätigkeit in Österreich vor Aufnahme des Studiums obligatorisch sei und dass zwei Monate genügen könnten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. Oktober 1996 wurde die Berufung abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde nach der Darstellung der Rechtslage und des Sachverhaltes aus, dass der in § 4 Abs. 1 StudFG 1992 enthaltene Verweis auf das Übereinkommen zur Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes das Gebot der Nichtdiskriminierung (Art. 6 EG-Vertrag) sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 48 EG-Vertrag) und die darauf basierende Freizügigkeitsverordnung 1612/1968 betreffe. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei zwar die Ausbildungsförderung keineswegs Bestandteil des Gemeinschaftsrechtes, auf dem Umweg über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer seien aber einige Prinzipien entwickelt worden, welche die Ausdehnung des Rechtes auf Studienförderung unter bestimmten Umständen auch auf Angehörige von Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes vorsähen. Dies betreffe u.a. jene Fälle, in denen der Wanderarbeitnehmer selbst als Staatsbürger eines Mitgliedslandes des EWR ein Studium in einem anderen Mitgliedsland aufnehme. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei hiezu erforderlich, dass einerseits bereits eine längere Berufstätigkeit innerhalb des Landes, in dem das Studium aufgenommen werde, vorliege, andererseits, dass sich das Studium als eine Weiterbildungsmaßnahme innerhalb des derzeitigen Berufszweiges darstelle. Beide Voraussetzungen träfen auf die Beschwerdeführerin nicht zu, weil die lediglich auf die Urlaubszeit beschränkte und fast zwei Jahre nach der Einreise aufgenommene Tätigkeit als inkassoberechtigte Kellnerin, die zudem nicht fortgesetzt worden sei, zu dem Studium in keinem Zusammenhang stehe. Die Sprachkenntnisse, die in diesem Berufszweig erforderlich seien, habe die Beschwerdeführerin jedenfalls für Italienisch auch ohne die Absolvierung eines Philologiestudiums, das ja nicht primär auf den Spracherwerb, sondern auf die Sprach- und Literaturwissenschaft gerichtet sei, erworben. Somit lägen unter Berücksichtigung der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes die Voraussetzungen für die Gleichstellung mit einem österreichischen Staatsbürger im Fall der Beschwerdeführerin nicht vor. Zur Frage der vorgängigen Berufstätigkeit in Österreich sei festzuhalten, "dass sich diese aus dem Verbot des Missbrauchgrundsatzes in der Auslegung des Europäischen Gerichtshofes" ergebe. Eine zweimonatige Berufstätigkeit reiche jedenfalls nicht aus. Aus den genannten Gründen habe der Berufung keine Folge gegeben werden können.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 B-VG wegen Verletzung des Grundrechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Art. 7 B-VG und Art. 2 Staatsgrundgesetz sowie wegen Verstoßes gegen das EG-Gemeinschaftsrecht. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 4. Juni 1999, B 4943/96-7, ab. Über nachträglichen Antrag trat er gemäß § 87 Abs. 3 des Verfassungsgerichtshofgesetzes mit Beschluss vom 28. Juli 1999 die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

In der über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.

Die Beschwerdeführerin hat in zwei Eingaben weitere Unterlagen vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

I. Rechtslage

Gemäß § 2 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, (StudFG 1992) können österreichische Staatsbürger sowie gleichgestellte Ausländer und Staatenlose Förderungen nach diesem Gesetz erhalten.

Gemäß § 4 Abs. 1 StudFG 1992 sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens zur Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR-Vertrag) österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, soweit es sich aus diesem Übereinkommen ergibt.

Die Art. 28 ff. des EWR-Vertrags über die Freizügigkeit entsprechen den diesbezüglichen Bestimmungen des EG-Vertrages. Der Anhang V normiert u.a. die Geltung der Verordnung des Rates Nr. 1612/68 (Freizügigkeitsverordnung) für die Mitgliedstaaten des EWR.

Für Österreich und Italien als Mitglieder der Europäischen Union sind die Normen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden.

Gemäß Art. 6 EG-Vertrag in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Änderung durch den Vertrag von Amsterdam (jetzt Art. 12 EG) ist im Anwendungsbereich des Vertrags jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.

Art. 48 EG-Vertrag (jetzt Art. 39 EG) lautet:

"(1) Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

(3) Sie gibt - vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen - den Arbeitnehmern das Recht,

  1. a) sich um die tatsächlich angebotenen Stellen zu bewerben;
  2. b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;

    c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;

    d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission in Durchführungsverordnungen festlegt.

(4) ..."

Gemäß Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/1968 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2434/92 des Rates vom 27. Juli 1992 (im Folgenden kurz Freizügigkeitsverordnung) darf nach dessen Abs. 1 ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer; gemäß Abs. 2 der Bestimmung genießt er dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.

II. Bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH)

Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt eine Förderung, die Studenten für den Lebensunterhalt und die Ausbildung gewährt wird, grundsätzlich außerhalb des Anwendungsbereiches des EG-Vertrages. Sie fällt nämlich zum einen in den Bereich der Bildungspolitik, die als solche nicht der Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane unterstellt worden ist, und zum anderen in den der Sozialpolitik, die zur Zuständigkeit der Mitgliedstaaten gehört, soweit sie nicht Gegenstand besonderer Vorschriften des EG-Vertrages ist (so z. B. sein Urteil vom 21. Juni 1988, Rechtssache (Rs) 39/86 - Lair, Slg. 1988, Seite 3161).

Zu den sozialen Vergünstigungen im Sinne des Art. 7 der Freizügigkeitsverordnung gehören, wie der EuGH im genannten Urteil Rs. 39/86 (Lair) ausgesprochen hat, alle Vergünstigungen, die dem Wanderarbeitnehmer die Möglichkeit einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen garantieren und damit auch seinen sozialen Aufstieg erleichtern. Dazu ist nach dem EuGH eine Förderung, die für den Lebensunterhalt des Studenten und seine Ausbildung gewährt wird, besonders geeignet; zudem ist die Förderung wie auch die Rückzahlung der empfangenen Leistungen nach innerstaatlichem Recht an die den Geförderten zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel geknüpft und hängt somit von sozialen Kriterien ab. Folglich stellt eine solche Vergünstigung eine soziale Vergünstigung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Freizügigkeitsverordnung dar.

Dabei ist Arbeitnehmer jeder, der im Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich eine echte Berufstätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübt, auch wenn es sich dabei nur um eine Teilzeittätigkeit handelt und daraus nur ein unter dem in der betreffenden Branche garantierten Mindesteinkommen liegendes Einkommen erzielt wird; auch Saisonarbeitnehmer gelten als Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts. Außer Betracht zu bleiben haben nur Tätigkeiten, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Die Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit darf auch nicht davon abhängig gemacht werden, welche Ziele ein Angehöriger eines Mitgliedstaats mit seinem Wunsch, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen oder sich dort aufzuhalten, verfolgt, wenn er dort nur eine echte Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis tatsächlich ausübt oder ausüben will (so der EuGH im Urteil vom 23. März 1982, Rs. 53/81 - Levin, Slg. 1982, Seite 1035).

In seinem Urteil in der Rechtssache 39/86 (Lair) hat der EuGH weiters ausgesprochen, dass Personen, die im Aufnahmemitgliedstaat eine echte Berufstätigkeit ausgeübt haben, aber nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis stehen, gemäß bestimmten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts gleichwohl als Arbeitnehmer gelten. So garantiert z.B. Art. 7 Abs. 3 der Freizügigkeitsverordnung den Wanderarbeitnehmern, dass sie mit dem gleichen Recht und unter den gleichen Bedingungen wie die inländischen Arbeitnehmer Berufsschulen und Umschulungszentren in Anspruch nehmen können. Bestimmte mit der Arbeitnehmereigenschaft zusammenhängende Rechte sind den Wanderarbeitnehmern also auch dann garantiert, wenn diese nicht (mehr) in einem Arbeitsverhältnis stehen.

Im Bereich der Hochschulausbildungsförderung setzt ein solcher Zusammenhang zwischen der Arbeitnehmereigenschaft und einer Förderung, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt wird, jedoch eine Kontinuität zwischen der zuvor ausgeübten Berufstätigkeit und dem aufgenommenen Studium in dem Sinne voraus, dass zwischen dem Gegenstand des Studiums und der früheren Berufstätigkeit ein Zusammenhang bestehen muss. Eine solche Kontinuität kann allerdings nicht im Falle eines Wanderarbeitnehmers verlangt werden, der unfreiwillig arbeitslos geworden ist und den die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu einer beruflichen Umschulung in einem anderen Berufszweig zwingt (z.B. Urteil des EuGH vom 26. Februar 1992 in der Rechtssache C - 357/89 , Raulin, Slg. 1992,

I - 1027). Dabei dürfen die Mitgliedstaaten die Gewährung der in Art. 7 Abs. 2 der Freizügigkeitsverordnung vorgesehenen sozialen Vergünstigungen nicht einseitig von einem bestimmten Zeitraum der Berufstätigkeit abhängig machen. Hingegen sind Missbräuche, von denen die Rede sein könnte, wenn sich anhand objektiver Merkmale nachweisen ließe, dass sich ein Arbeitnehmer nur in der Absicht in einen Mitgliedstaat begibt, dort nach einer sehr kurzen Berufstätigkeit eine Förderung für Studenten in Anspruch zu nehmen, durch die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen nicht gedeckt.

III. Beschwerdeausführungen, Vorabentscheidung und Erwägungen

1. Die Beschwerdeführerin erachtet sich nach ihrem gesamten Vorbringen durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Studienbeihilfe verletzt.

Sie bringt im Wesentlichen vor, es möge zwar richtig sein, dass selbst nach Gemeinschaftsnormen eine unterschiedliche staatliche Ausbildungsförderung nicht ausgeschlossen sei, jedoch sei im Zusammenhang mit ihrem Arbeitnehmerstatus in Österreich das Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt Art. 39 EG) ebenso zu beachten wie Art. 7 Abs. 2 der Verordnung 1612/68 , welche auf soziale Vergünstigungen Bezug nehme und auch Angehörige in den Schutzbereich des Gleichbehandlungsgebotes mit einbeziehe. Da nach der Rechtsprechung des EuGH ihre Arbeitstätigkeit bereits genüge, um den Arbeitnehmerbegriff zu erfüllen habe sie jedenfalls Anspruch auf Studienbeihilfe im gesetzmäßigen Umfang. Die Begründung der belangten Behörde, ihre Arbeitstätigkeit in Österreich sei vernachlässigbar, sei mit der Rechtsprechung des EuGH keinesfalls in Einklang zu bringen. Gerade wenn man bedenke, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt es gebiete, eine berufliche Umschulung in Kauf zu nehmen bzw. es notwendig sei, eine weitere Ausbildung zu absolvieren, sei selbst nach Ansicht der belangten Behörde der Arbeitnehmerbegriff erfüllt. Die Beschwerdeführerin habe ihre unfreiwillige Arbeitslosigkeit mit zwei Stellenbewerbungen im Jänner und Februar 1996 dokumentiert. Sie sei gezwungen gewesen, im März 1996 ein Studium aufzunehmen, sodass die Argumentation der belangten Behörde, sie habe keinen Status als Wanderarbeitnehmerin, ins Leere gehe. Die Studienbeihilfe stelle eine soziale Vergünstigung nach Art. 7 der Verordnung 1612/68 dar, die der von der Verordnung erfassten Personengruppe, also Wanderarbeitnehmern und deren Angehörigen, diskriminierungsfrei gewährt werden müsse.

2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 13. September 2001, Zl. 99/12/0212-8 (EU 2001/01/16), dem EuGH folgende Fragen gemäß Art. 234 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1.1. Begründet eine kurzfristige (hier: zweieinhalb Monate) zeitlich von vornherein befristete Beschäftigung eines EU-Bürgers in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, seine Arbeitnehmereigenschaft nach Art. 48 EG-Vertrag (jetzt Art. 39 EG) ?

1.2. Kommt in diesem Fall bei Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft im obigen Sinn dem Umstand, dass der Betroffene

1.2.1. erst einige Jahre nach seiner Einreise in den Aufnahmestaat diese Beschäftigung aufgenommen hat,

1.2.2. erst kurz nach Beendigung seines kurzfristigen, befristeten Beschäftigungsverhältnisses durch einen Schulabschluss in seinem Heimatland die Befähigung für den Zugang zu einem Universitätsstudium im Aufnahmestaat erworben hat,

1.2.3. sich in zeitlichem Anschluss an das kurzfristige befristete Beschäftigungsverhältnis bis zur Aufnahme seines Studiums um eine neuerliche Beschäftigung bemüht hat,

Bedeutung zu?

2. Bei Bejahung der (Wander-)Arbeitnehmereigenschaft nach 1:

2.1. Erfolgt die Beendigung eines von vornherein zeitlich befristeten Beschäftigungsverhältnisses durch Zeitablauf freiwillig?

2.2. Wenn ja: Kommt in diesem Fall für die Beurteilung der Freiwilligkeit bzw. Unfreiwilligkeit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses dem Umstand für sich allein oder im Zusammenwirken mit dem jeweils anderen hier genannten Faktum Bedeutung zu, dass der Betroffene

2.2.1. erst kurz nach dessen Beendigung durch einen Schulabschluss in seinem Heimatland die Befähigung für den Zugang zu einem Universitätsstudium im Aufnahmestaat erworben hat und/oder

2.2.2. er sich in unmittelbarem Anschluss daran bis zum Beginn seines Studiums um eine weitere Beschäftigung bemüht hat?

Ist es dabei für die Beantwortung dieser Frage von Bedeutung, ob es sich bei der weiteren Beschäftigung, um die sich der Betroffene bemüht, inhaltlich um eine Art Fortsetzung der beendeten zeitlich befristeten Beschäftigung auf einem vergleichbaren (niedrigen) Niveau oder um eine solche handelt, die dem in der Zwischenzeit erworbenen höheren Bildungsabschluss entspricht?"

2.2. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 6. November 2003, Rechtssache C - 413/01 , zu Recht erkannt:

"1. Eine zeitlich befristete Beschäftigung von zweieinhalb Monaten, die ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ausübt, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, kann seine Arbeitnehmereigenschaft nach Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) begründen, sofern die ausgeübte unselbständige Tätigkeit nicht völlig untergeordnet und unwesentlich ist.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die erforderlichen tatsächlichen Prüfungen vorzunehmen, um zu beurteilen, ob dies in der bei ihm anhängig gemachten Rechtssache der Fall ist. Umstände aus der Zeit vor oder nach dem Beschäftigungszeitraum wie etwa, dass der Betreffende

3.1. Die belangte Behörde hat ihre abweisende Entscheidung vor allem auf zwei Argumente gestützt:

Erstens sei die Berufstätigkeit der Beschwerdeführerin mit zweieinhalb Monaten zu kurz gewesen, um die Wanderarbeitnehmereigenschaft zu begründen (siehe dazu näher 3.2.).

Zweitens stehe das Studium der Romanistik in keinem Zusammenhang mit der inländischen Berufstätigkeit als inkassoberechtigte Kellnerin (siehe dazu näher 3.3.).

3.2. Als Arbeitnehmer kann im Sinn des Art. 48 EG-Vertrag nur angesehen werden, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringfügigen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Dies ist an Hand objektiver Kriterien zu prüfen, wobei in einer Gesamtbetrachtung alle Umstände des Falles zu würdigen sind, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und die des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen. Das Problem des Rechtsmissbrauches hat keinen Einfluss auf die Beantwortung dieser Frage (vgl. dazu näher die in den Randnummern 23 ff enthaltene Begründung für die Beantwortung der ersten zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage im unter III.2.2. angeführten Urteil des EuGH).

Die bloß unter Hinweis auf die kurze Beschäftigungsdauer erfolgte Verneinung der Wanderarbeitnehmereigenschaft der Beschwerdeführerin geht vor dem Hintergrund dieser Rechtslage von einer nicht gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des Begriffes Arbeitnehmer im Sinn des Art. 48 EG-Vertrag aus. Dieses von der belangten Behörde allein herangezogene Kriterium kann die Arbeitnehmereigenschaft der Beschwerdeführerin nicht ausschließen. Weitere Feststellungen, die eine abschließende Beurteilung dieser Frage zuließen, wurden von der belangten Behörde auf Grund ihrer unzutreffenden Rechtsansicht nicht angestellt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die in der Beantwortung der ersten zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage genannten Umstände (siehe dazu näher oben unter III. 2.2.), die im Beschwerdefall gegeben sind, für die Beantwortung der Frage, ob die Beschwerdeführerin (Wander)Arbeitnehmerin im Sinn des Art. 48 EG-Vertrag (jetzt Art. 39 EG) ist, keine Rolle spielen.

3.3. Das zweite Argument der belangten Behörde setzt die (Wander)Arbeitnehmereigenschaft der Beschwerdeführerin (im Sinn des Art. 48 EG-Vertrag) voraus. Die Kontinuität zwischen der Berufsausbildung und der früheren Berufstätigkeit, auf die sich die belangte Behörde beruft, wird nach der oben unter II. wiedergegebenen Rechtsprechung des EuGH nur dann verlangt, wenn ein Wanderarbeitnehmer nicht unfreiwillig arbeitslos geworden ist.

Im Beschwerdefall endete das Arbeitsverhältnis (inkassoberechtigte Kellnerin bei Schifffahrten auf dem Wörthersee) durch Fristablauf. Aus dem alleinigen Umstand, dass ein Arbeitsvertrag von vornherein als befristeter Vertrag geschlossen wird, kann nicht zwingend geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer bei Vertragsablauf automatisch freiwillig arbeitslos ist, sind doch auch Fälle (insbesondere in bestimmten Berufszweigen) nicht selten, in denen der Arbeitnehmer keinen entscheidenden Einfluss auf die Dauer und die Art des mit einem Arbeitgeber zu schließenden Arbeitsvertrages hat (vgl. dazu näher die Ausführungen zur Begründung der zweiten zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage in der Randnr. 43 des unter III.2.2. genannten Urteils des EuGH, in denen darauf hingewiesen wird, dass in bestimmten Berufszweigen aus verschiedenen Gründen wie dem saisonalen Charakter der Arbeit, der Konjunkturempfindlichkeit des fraglichen Marktes oder der fehlenden Flexibilität des nationalen Arbeitsrechts viel mit befristeten Arbeitsverträgen gearbeitet werde). Bei der Prüfung, ob die Beschwerdeführerin freiwillig oder unfreiwillig arbeitslos war, sind - wie der EuGH in der Randnr. 44 seines unter III.2.2. angeführten Urteils ausgeführt hat - daher insbesondere Umstände wie die Gepflogenheit in dem Sektor der fraglichen Wirtschaftstätigkeit, die Möglichkeiten, in diesem Sektor eine nicht befristete Beschäftigung zu finden, ein bestehendes Interesse, nur ein befristetes Arbeitsverhältnis einzugehen oder die Existenz von Verlängerungsmöglichkeiten des Arbeitsvertrages zu berücksichtigen. Die Art der Tätigkeit der Beschwerdeführer deutet auf eine saisonale Beschäftigung im Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr hin, in der befristete Arbeitsverträge häufig vorkommen. Jedenfalls in einem derartigen Fall kann bei Endigung eines (von vornherein) befristeten Arbeitsvertrages durch Zeitablauf nicht ohne weiteres von einer freiwilligen Beendigung der Berufstätigkeit gesprochen werden, wovon aber die belangte Behörde ohne weitere Prüfung ausgegangen ist, setzt doch die (von der Rechtsprechung des EuGH geforderte) Kontinuität zwischen der Berufsausbildung und der früheren Berufstätigkeit eine freiwillige Arbeitslosigkeit voraus.

Die Mitgliedstaaten sind zwar befugt, die missbräuchliche Inanspruchnahme der Studienförderung zu unterbinden; das tatsächliche Vorliegen eines Missbrauchs hat die belangte Behörde im konkreten Fall aber nicht festgestellt. Ein solcher ergibt sich auch nicht hinreichend aus den von ihr getroffenen Sachverhaltsfeststellungen (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Erwägungen des EuGH in den Randnrn. 45 bis 47 des unter III.2.2. genannten Urteils).

4. Da die belangte Behörde somit die maßgebliche Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 und § 49 VwGG in Verbindung mit der gemäß ihrem § 3 Abs. 2 anzuwendenden Verwaltungsgerichtshof-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Die von der Beschwerdeführerin entrichtete Pauschalgebühr von S 2.500,-- war mit EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 25. November 2003

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte