VwGH 2003/11/0044

VwGH2003/11/004423.5.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, in der Beschwerdesache des A in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 30. September 2002, Zl. MA 65-1064/2002, betreffend Erteilung einer Lenkberechtigung, den Beschluss gefasst:

Normen

FSG 1997 §7 Abs1 idF 2002/I/081;
FSG 1997 §7 Abs3 idF 2002/I/081;
FSG 1997 §7 Abs3 Z11 idF 2002/I/081;
FSG 1997 §7 Abs4 idF 2002/I/081;
FSG 1997 §7 Abs4 Z4;
FSG 1997 §7 Abs5;
StGB §131;
StGB §43 Abs1;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §58 Abs2 idF 1997/I/088;
FSG 1997 §7 Abs1 idF 2002/I/081;
FSG 1997 §7 Abs3 idF 2002/I/081;
FSG 1997 §7 Abs3 Z11 idF 2002/I/081;
FSG 1997 §7 Abs4 idF 2002/I/081;
FSG 1997 §7 Abs4 Z4;
FSG 1997 §7 Abs5;
StGB §131;
StGB §43 Abs1;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §58 Abs2 idF 1997/I/088;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Der Beschwerdeführer beantragte am 6. Dezember 2001 die Verlängerung seiner für die Klasse B erteilten Lenkberechtigung. Dieser Antrag wurde von der Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 5. Juli 2002 gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 des Führerscheingesetzes (FSG) abgewiesen.

Die dagegen erhobene Berufung wies der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 30. September 2002 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung führte der Landeshauptmann von Wien nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtslage aus, nach der Aktenlage sei über den Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 8. April 2002 wegen des Verbrechens gemäß §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4 und 130 dritter Fall StGB "eine bedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von 8 Monaten, Probezeit 3 Jahre" verhängt worden. Der Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer für schuldig erkannt worden sei, am 12. Juli und am 23. Juli 2001 das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls begangen zu haben. Auf Grund der rechtskräftigen Verurteilung sei jedenfalls davon auszugehen gewesen, dass der Beschwerdeführer die dem Strafurteil zu Grunde liegenden Tathandlungen auch tatsächlich im vorgeworfenen Ausmaß begangen habe. Auch dann, wenn bestimmte Tatbestände nicht in der demonstrativen Aufzählung des § 7 (gemeint Abs. 3) FSG enthalten seien, könnten diese doch als bestimmte Tatsache herangezogen werden, wenn sie den im § 7 FSG angeführten an Bedeutung und Gewicht gleich kämen. Die Begehung der der bereits zitierten Verurteilung zu Grunde liegenden strafbaren Handlung, nämlich von gewerbsmäßigen Diebstählen und Einbruchsdiebstählen in größerem Umfang, sei den im § 7 FSG aufgezählten Beispielsfällen hinsichtlich Unrechtsgehalt und Verwerflichkeit gleichzuhalten, werde dadurch doch intensiv in die Rechtssphäre Dritter eingegriffen und insbesondere das Recht auf Eigentum in beträchtlichem Maß verletzt. Das vom Beschwerdeführer gezeigte Verhalten lasse jedenfalls auf eine zu solcher Missachtung der Rechte Dritter, insbesondere deren Vermögensrechte, neigende Einstellung schließen, damit auf eine Sinnesart, die im Sinn des § 7 Abs. 1 FSG besorgen lasse, der Beschwerdeführer werde sich strafbarer Handlungen schuldig machen. Auch lägen durch die besondere Eignung eines Kraftfahrzeuges als Transportmittel beim Verbringen größerer Warenmengen sowie auch als Fluchtmittel erleichternde Umstände vor, wäre der Beschwerdeführer im Besitz einer Lenkberechtigung. Unter Bedachtnahme auf die seit der Begehung der Taten verstrichene Zeit von ca. einem Jahr, dem seither gesetzten Wohlverhalten, mag diesem auch wegen der Anhängigkeit des gerichtlichen Strafverfahrens nur geringer Stellenwert beizumessen sein, sei im Hinblick auf die besondere Begehungsweise als Diebstahl zum Schaden des Arbeitgebers und der Verabredung mit anderen Tätern das Verhalten als besonders verwerflich zu werten gewesen. Auch der Umstand, dass über den Beschwerdeführer im gerichtlichen Strafverfahren lediglich eine bedingte Freiheitsstrafe verhängt worden sei, habe nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden können, weil die Straffestsetzung und damit auch der Ausspruch über bedingte Strafen unter Festlegung von Probezeiten anderen Kriterien unterliege als die Setzung von Maßnahmen im Verwaltungsverfahren.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte, allerdings unvollständig (die Akten des Berufungsverfahrens fehlen), die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

1.2. Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2003 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass ihm seitens der Bundespolizeidirektion Wien am 29. April 2003 eine Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge der Klasse B?mit Gültigkeit bis zum 29. April 2004 erteilt worden sei.

2. Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Beschwerde mit Beschluss nach Einvernahme des Beschwerdeführers als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass dieser klaglos gestellt ist.

§ 33 Abs. 1 VwGG ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt z.B. auch dann vor, wenn der Beschwerdeführer kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung hat (vgl. den hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom 9. April 1980, Slg. Nr. 10.892/A).

Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Beschwerdefall gegeben. Im Falle des Obsiegens hätte der Beschwerdeführer eine Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge der Klasse B nur mit Wirksamkeit ab dem Zeitpunkt ihrer Erteilung erhalten können. Da er nunmehr nach seinem eigenen Vorbringen eine solche Lenkberechtigung erhalten hat, hat der Beschwerdeführer auch kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Beschwerde war daher als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof wolle der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkennen.

3.1. Mangels einer formellen Klaglosstellung liegt die Voraussetzung für einen Kostenzuspruch gemäß § 56 VwGG nicht vor. Vielmehr kommt § 58 Abs. 2 VwGG zur Anwendung, wonach der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu berücksichtigen ist. Da im vorliegenden Fall die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand nicht erfordert, wären die Kosten jener Partei zuzusprechen, die bei aufrechtem Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegt hätte. Dies ist aus folgenden Gründen der Beschwerdeführer:

3.2.1. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (seine Zustellung erfolgte nach der Aktenlage am 21. Oktober 2002) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof das FSG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 81/2002 maßgeblich. Die einschlägigen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilten, werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

...

2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

....

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

11. eine strafbare Handlung gemäß den §§ 102 (erpresserische Entführung), 103 (räuberischer Diebstahl), 142 und 143 (Raub und schwerer Raub) StGB begangen hat;

....

(4) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend."

3.2.2. Von den Diebstahlstatbeständen des StGB ist zwar nur § 131 (räuberischer Diebstahl) in der Z. 11 der beispielsweisen Aufzählung von bestimmten Tatsachen im § 7 Abs. 3 FSG genannt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können aber auch (andere) Diebstähle bei Zusammentreffen mit anderen strafbaren Taten oder besonders gelagerte schwere Diebstähle (insbesondere Einbruchsdiebstähle) die Annahme der Gleichwertigkeit mit den im § 7 Abs. 3 FSG beispielsweise aufgezählten Straftaten rechtfertigen (siehe dazu u. a. die hg. Erkenntnisse vom 24. April 2001, Zl. 99/11/0132, vom 23. Oktober 2001, Zl. 2000/11/0038, sowie vom 23. April 2002, Zl. 2002/11/0019, jeweils mwN). Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das vom Beschwerdeführer begangene Verbrechen des Diebstahls qualifiziert ist und der Beschwerdeführer mehr als eine Tathandlung begangen hat, kann die Auffassung, das vom Beschwerdeführer begangene Verbrechen stelle eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 FSG dar, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Dies wird vom Beschwerdeführer im Übrigen auch nicht bekämpft.

Für die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit nach § 7 Abs. 3 FSG genügt aber nicht schon das Vorliegen einer bestimmten Tatsache, sondern es muss auf Grund der gemäß § 7 Abs. 4 FSG vorzunehmenden Wertung anzunehmen sein, der Betreffende werde sich wegen seiner Sinnesart weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden.

Die belangte Behörde hat unter dem Wertungskriterium der Verwerflichkeit der strafbaren Handlung mit Recht die wiederholte Begehung sowie den Umstand ins Treffen geführt, dass der Beschwerdeführer seinen Arbeitgeber bestohlen hat.

Die belangte Behörde hat in der Begründung für ihr Wertungsergebnis jedoch einerseits weder das Geständnis des Beschwerdeführers noch den Umstand teilweiser Schadensgutmachung durch ihn berücksichtigt, andererseits aber auch explizit die Auffassung vertreten, die vom Gericht ausgesprochene bedingte Strafnachsicht habe nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt werden können, weil die Straffestsetzung und damit auch der Ausspruch über bedingte Strafen unter Festlegung von Probezeiten anderen Kriterien unterliegen als die Festsetzung von Maßnahmen im Verwaltungsverfahren. Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings in seiner Rechtsprechung zum FSG bereits mehrfach betont, dass die bedingte Strafnachsicht zwar noch nicht zwingend dazu führe, dass der Betreffende bereits als verkehrszuverlässig anzusehen sei, und dies damit begründet, dass sich die bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit zu berücksichtigenden Gesichtspunkte nicht mit jenen zur Gänze decken, die für das Gericht bei der Entscheidung betreffend die bedingte Strafnachsicht gemäß § 43 Abs. 1 StGB von Bedeutung sind, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass nach dieser Gesetzesstelle die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen sind und es sich dabei im Einzelfall durchwegs um Umstände handeln könne, die für die im § 7 Abs. 4 FSG genannten Wertungskriterien von Bedeutung sein können (vgl. dazu u. a. die hg. Erkenntnisse vom 20. September 2001, Zl. 2000/11/0235, vom 23. April 2002, Zl. 2001/11/0406, sowie vom 23. April 2002, Zl. 2002/11/0019).

Der Jugendgerichtshof Wien hat in seinem Urteil vom 8. April 2002 in Abwägung der Strafzumessungsgründe (als mildernd wurden das Geständnis sowie die teilweise Schadensgutmachung, als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe und wiederholte Tatbegehung erwähnt) die Auffassung vertreten, beim Beschwerdeführer habe § 41 StGB (außerordentliche Strafmilderung bei Überwiegen der Milderungsgründe) zur Anwendung zu kommen und es genüge die bloße Androhung des Vollzuges der Freiheitsstrafe, um den Beschwerdeführer von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Die dieser Auffassung diametral entgegengesetzte Ansicht der belangten Behörde, es müsse im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides, somit fast 15 Monate nach Begehung der letzten strafbaren Handlung, angenommen werden, dass der Beschwerdeführer sich wegen seiner Sinnesart weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen werde, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden, ist auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes verfehlt. In diesem Zusammenhang ist, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrmals betont hat, darauf hinzuweisen, dass es für die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit nach § 7 Abs. 1 FSG nicht genügt, dass die Begehung weiterer schwerer strafbarer Handlungen bloß nicht ausgeschlossen werden kann. Es muss vielmehr die Annahme begründet sein, dass der Betreffende "sich weiterer schwerer strafbaren Handlungen schuldig machen wird" (vgl. auch hiezu z.B. das erwähnte hg. Erkenntnis vom 23. April 2002, Zl. 2002/11/0019).

3.2.3. Aus den dargelegten Erwägungen wäre der angefochtene Bescheid demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben gewesen.

Wien, am 23. Mai 2003

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