VwGH 2003/09/0011

VwGH2003/09/00119.10.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des J in G, vertreten durch Dr. Peter Paul Wolf, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Esteplatz 7, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport vom 25. Oktober 2002, Zl. 52/7-DOK/02, betreffend Disziplinarstrafe der Geldbuße nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, zu Recht erkannt:

Normen

BDG 1979 §125a Abs3 Z5;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
BDG 1979 §125a Abs3 Z5;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines Schuld- und Strafausspruches sowie im Umfang der Bestätigung des Kostenanspruches der Behörde erster Instanz wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stand als Revierinspektor des Gendarmeriepostens G in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

Mit Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 16. April 2002 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt und bestraft. Er habe

"1. sich am 25. Februar 2001 zwischen 12.00 und 13.00 Uhr im Journaldienstraum des Gendarmeriepostens G absichtlich einige Sekunden so eng an Inspektor B gepresst, dass die Beamtin sein Geschlechtsteil spürte;

2. während seines gemäß Dienstvorschreibung Nr. 240/01 gemeinsam mit Inspektor B am 25. Februar 2001 zu verrichtenden Außendienstes mit dem Streifenwagen BG 3.184 zwischen 15.00 und 15.30 Uhr der Kollegin mit einer Hand vom Nacken her unter den Rollkragenpullover gegriffen und versucht sie zu massieren;

3. in den Vormittagsstunden des 26. Februar 2001 auf dem Gendarmerieposten G, und zwar in der Kanzlei des Postenkommandanten, der Kollegin Inspektor B gegen deren Willen mit einer Hand auf das Gesäß geschlagen.

Revierinspektor J hat dadurch seine Dienstpflichten nach § des 7 Bundes-Gleichbehandlungs-Gesetzes (B-GBG) iVm 43 Abs. 2 BDG 1979 hinsichtlich der Erhaltung des Vertrauens der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben sowie nach § 44 Abs. 1 BDG hinsichtlich der Befolgung von Weisungen iVm § 15 der Unterkunftsordnung für die österreichische Bundesgendarmerie im Sinne des § 91 BDG 1979 schuldhaft verletzt.

Über ihn wird als Disziplinarstrafe gemäß § 92 Abs. 1 Z 2 BDG 1979 eine Geldbuße in der Höhe von 500 EUR. verhängt.

Der Beschuldigte hat gemäß § 117 Abs. 2 BDG 1979 Verfahrenskosten in der Höhe von 100 EUR zu ersetzen."

Zur Begründung führte die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres im Wesentlichen aus, das Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer sei auf Grund einer Anzeige vom 24. April 2001 eingeleitet worden. Die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres (die Behörde erster Instanz) gründete ihre Feststellungen auf im Einzelnen wiedergegebene und gewürdigte Aussagen in der von ihr durchgeführten mündlichen Verhandlung befragter Zeugen und Auskunftspersonen und begründete das Ergebnis ihrer Beweiswürdigung hinsichtlich jedes einzelnen Anschuldigungsfaktums. Sie führte aus, dass die Fehlleistungen des Beschwerdeführers das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben der Verwaltung sowie deren Ansehen beeinträchtige und moralische Mängel des Beschwerdeführers aufzeige. Der Beschwerdeführer verrichte seit 20 Jahren Exekutivdienst, wohne im Postenrayon und sei in der Bevölkerung integriert. Er habe auch "die mehrfach formulierte und von ihm selbst zugegebene (saublöde) Angewohnheit, die Kollegen mit den Fingern anzustupsen oder ihnen damit über den Rücken zu fahren, um sie zu massieren". Derartige Kontakte, und zwar gegen den Willen der betroffenen Person, seien gegen die körperliche Integrität gerichtet und überschritten im Allgemeinen die Toleranzgrenze. Aus general- und spezialpräventiven Gründen bestehe die Notwendigkeit, die Disziplinarstrafe in Form einer Geldbuße in der Höhe von EUR 500,-- auszusprechen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in welcher er die Beweiswürdigung der belangten Behörde im Einzelnen bekämpfte und die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen in Abrede stellte.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 25. Oktober 2002 wurde der Berufung des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung in nicht öffentlicher Sitzung teilweise Folge gegeben und er von dem im Anschuldigungspunkt 2. des erstinstanzlichen Bescheides umschriebenen Vorwurf gemäß § 126 Abs. 2 i.V.m. § 118 Abs. 1 Z. 2 BDG 1979 in dubio freigesprochen.

Im Übrigen wurde die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen und das angefochtene Disziplinarerkenntnis gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 105 BDG 1979 mit der Maßgabe bestätigt, dass der Schuldspruch betreffend Spruchpunkt 3. des erstinstanzlichen Bescheides auf §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 1 BDG 1979 i.V.m. § 15 der Unterkunftsordnung für die österreichische Bundesgendarmerie, nicht aber auf § 7 B-GLBG gestützt werde. Über den Beschwerdeführer wurde die Disziplinarstrafe der Geldbuße gemäß § 92 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 in der Höhe von EUR 400,-- verhängt.

Der angefochtene Bescheid wurde nach ausführlicher Wiedergabe des Bescheides der Behörde erster Instanz und der Berufungsausführungen im Wesentlichen damit begründet, dass die in der mündlichen Verhandlung vor der Behörde erster Instanz von Revierinspektor F S gemachte Zeugenaussage auch der belangten Behörde - aus den im Bescheid der Behörde erster Instanz näher angeführten Gründen - wenig glaubwürdig erscheine. Die Disziplinarbehörde habe bei der Art von Delikten, wie dem hier abzuvotierenden, bei ihrer Beweiswürdigung sehr sorgfältig zu prüfen, den Angaben welcher der beteiligten Personen mehr Plausibilität und Glaubwürdigkeit zukomme. Die belangte Behörde stimme mit der Behörde erster Instanz überein, dass die widerspruchsfreien Angaben der Zeugin H plausibel und glaubwürdig erschienen. Auch die belangte Behörde vertrete die Auffassung, dass die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers als Schutzbehauptung anzusehen sei. Die belangte Behörde sei daher bei ihrer Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer, das zu Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses umschriebene Verhalten tatsächlich gesetzt habe und ihm dieses zu Recht vorzuwerfen sei.

Anderes gelte jedoch hinsichtlich des zu Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Bescheides dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verhaltens, hier seien die Aussagen der Zeugin H nicht widerspruchsfrei gewesen, weshalb die belangte Behörde hier nicht umhin könne, dem Berufungsvorbringen zuzustimmen und nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" vorzugehen, weshalb der Beschwerdeführer hinsichtlich des Spruchpunktes 2. freizusprechen gewesen sei.

Auch hinsichtlich des dem Beschwerdeführer zu Spruchpunkt 3. des erstinstanzlichen Bescheides vorgeworfenen Verhaltens würdigte die belangte Behörde im Einzelnen die Aussagen von Zeugen und des Beschwerdeführers bei der mündlichen Verhandlung vor der Behörde erster Instanz und kam zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer tatsächlich der Vorwurf im Sinne des Punktes 3. des Bescheides der Behörde erster Instanz zu machen sei, weil die vor der Behörde erster Instanz erfolgte Darstellung der Zeugin H insgesamt eher glaubwürdig und nachvollziehbar gewesen sei als die vor der Behörde erster Instanz erfolgte leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers.

Über die gegen diesen Bescheid im Umfang seines Schuld- und Strafausspruches erhobene Beschwerde, zu welcher die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vorlegte, aber keine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979), BGBl. Nr. 333 i.d.F. BGBl. I Nr. 123/1998, lauten:

"Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten und Absehen von der mündlichen Verhandlung

§ 125a. (1) ...

(3) Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der

Disziplinaroberkommission kann ungeachtet eines Parteienantrages

Abstand genommen werden, wenn

1. die Berufung zurückzuweisen ist,

2. die Angelegenheit an die erste Instanz zu verweisen

ist,

3. ausschließlich über eine Berufung gegen die

Auferlegung eines Kostenersatzes zu entscheiden ist,

4. sich die Berufung ausschließlich gegen die

Strafbemessung richtet oder

5. der Sachverhalt nach der Aktenlage in Verbindung

mit der Berufung geklärt erscheint.

...

Disziplinarerkenntnis

§ 126. (1) Wenn eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde, hat die Disziplinarkommission bei der Beschlussfassung über das Disziplinarerkenntnis nur auf das, was in der mündlichen Verhandlung vorgekommen ist, sowie auf eine allfällige Stellungnahme des Beschuldigten gemäß § 125a Abs. 4 Rücksicht zu nehmen. Dies gilt auch für die Disziplinaroberkommission, wenn eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden ist.

..."

Die belangte Behörde hat die im Beschwerdefall strittige Tatfrage - ob der Beschwerdeführer das ihm angelastete Verhalten begangen hat oder nicht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu lösen versucht. Sie hat dabei die Beweiswürdigung der Disziplinarkommission erster Instanz nachvollzogen und auch hinsichtlich der von der Unterinstanz unmittelbar aufgenommenen Beweise - durch Würdigung der aus dem Protokoll der Verhandlung vor der Behörde erster Instanz ersichtlichen Aussagen - eine eigenständige Beweiswürdigung vorgenommen. Die Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht begründet.

Die belangte Behörde durfte jedoch den Sachverhalt im Sinne dieser Gesetzesstelle dann nicht als nach der Aktenlage hinreichend geklärt ansehen (und demnach auch nicht von einer mündlichen Berufungsverhandlung absehen), wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substanziiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 3. September 2002, Zl. 99/09/0212, vom 16. Mai 2001, Zl. 99/09/0187, sowie das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2005, Zl. 2002/09/0019).

Die Voraussetzung der Z. 5 des § 125a Abs. 3 BDG 1979 eines "nach der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes" lag im Beschwerdefall nicht vor, weil die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substanziiert bekämpft worden war. Der Beschwerdeführer hatte in der Berufung im Einzelnen Ausführungen zur Glaubwürdigkeit bestimmter Zeugen und Zeugenaussagen erstattet. Die Stichhaltigkeit dieses Vorbringens durfte durch die belangte Behörde nicht durch die Würdigung dieser Aussagen allein aufgrund deren Wiedergabe im Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Behörde erster Instanz erfolgen, weil für die Würdigung und Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen und derer Aussagen der unmittelbare persönliche Eindruck von entscheidender Bedeutung ist. Daher erweist sich der angefochtene Bescheid mit einem Verfahrensmangel behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 9. Oktober 2006

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