VwGH 2003/06/0090

VwGH2003/06/009027.11.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde der P S in W, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Radetzkystraße 8/1, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 2. April 2003, GZ.: FA13A-

12.10 F 100 - 03/16, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. Marktgemeinde G, vertreten durch den Bürgermeister; 2. A S), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauG Stmk 1995 §13 Abs12;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z1;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z2;
BauRallg;
ROG Stmk 1974 §25;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §8;
BauG Stmk 1995 §13 Abs12;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z1;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z2;
BauRallg;
ROG Stmk 1974 §25;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Zweitmitbeteiligte (im Folgenden: Bauwerber) ist Eigentümer einer aus mehreren Grundstücken bestehenden Liegenschaft im Gebiet der mitbeteiligten Marktgemeinde, auf der sich ein landwirtschaftliches Anwesen befindet. Der Bauwerber beantragte mit Eingabe vom 4. September 2000 bei der Baubehörde die Erteilung einer Baubewilligung für den Neubau eines Schweinemaststalles. Die Parzelle, auf der sich nach den Einreichunterlagen das geplante Stallobjekt befinden soll, liegt nach dem gültigen Flächenwidmungsplan der mitbeteiligten Marktgemeinde im Freiland. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin (u.a.) eines benachbarten Grundstückes, auf dem sich ein Wohnhaus befindet.

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde beraumte mit Erledigung vom 6. September 2000 ("Kundmachung zur Bauverhandlung") die Bauverhandlung für den 21. September 2000 an.

In dieser Erledigung heißt es u.a.:

"Gemäß § 27 Abs. 1 Steiermärkisches Baugesetz 1995 behalten nur jene Nachbarn Parteistellung, die spätestens am Tage vor der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 26 Abs. 1 leg.cit. erhoben haben."

Mit Schreiben vom 11. September brachten mehrere Personen, darunter auch die nunmehrige Beschwerdeführerin, u.a. folgende Einwendungen vor:

"Die Errichtung des Schweinemaststalles und somit die Einstellung von Schweinen in der (vom Bauwerber) beabsichtigten Größenordnung stellt eine unzumutbare Belästigung der Anrainer und Nachbarn dar. Wir befürchten eine hohe Schadstoffbelastung in Bezug auf Gas- und Geruchsentwicklung. Von anderen Maststallungen ist bekannt, dass die permanente Geruchsbelästigung sich auf die körperliche und psychische Befindlichkeit auswirkt (Übelkeit, Brechreiz).

...

Der geplante Schweinemaststall stellt eine extreme

Lärmbelästigung dar: ...

...

Die Anrainer und Nachbarn sprechen sich entschieden gegen die Errichtung des Schweinemaststalles auf dem geplanten Standort aus.

..."

In der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2000 brachte die Beschwerdeführerin laut Niederschrift u.a. Folgendes vor:

"Wir verstehen nicht, dass (der Bauwerber) seinen Schweinemastbetrieb auf einen anderen Grund bauen will, da er auch woanders seinen Betrieb errichten könnte wo die Bewohner nicht betroffen wären. ..."

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2000 machte die Beschwerdeführerin u.a. auf folgende Mängel der Niederschrift aufmerksam:

"Ich möchte darauf hinweisen, dass ich zu Protokoll gegeben habe: 'Wir verstehen nicht, dass (der Bauwerber) seinen Schweinemaststall nicht auf einen anderen Grund bauen will...'

...

Mehrere Anrainer haben protestiert, dass sie nicht mit dem Hygienegutachten einverstanden sind, was die Geruchsemissionen betrifft, ..."

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde erteilte mit Bescheid vom 13. Mai 2002 dem Bauwerber die angestrebte Baubewilligung mit einer Reihe von Auflagen.

Die dagegen erhobene Berufung (u.a.) der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 20. September 2002 als unbegründet abgewiesen.

Die (nunmehr anwaltlich vertretene) Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Berufungsbescheid Vorstellung, die mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde. Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen im Wesentlichen aus, die Beschränkung der Immissionen von Betrieben könne stets nur im Zusammenhang mit der entsprechenden Widmung des zu bebauenden Grundstücks gesehen werden. Gemäß § 13 Abs. 12 Stmk. BauG. habe die Behörde größere Abstände vorzuschreiben, wenn der Verwendungszweck von baulichen Anlagen eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gesundheitsgefährdung der Nachbarschaft erwarten lasse. Dieser Immissionsschutz sei unabhängig von der Flächenwidmung. Die Beschwerdeführerin sei aber mit diesem Vorbringen präkludiert, weil sie in ihren Einwendungen niemals die Festsetzung größerer Abstände gefordert habe. Ein allgemeines Vorbringen in Richtung Geruchsbelästigung könne schon nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als Eventualbegehren auf Festsetzung größerer Abstände gedeutet werden. Infolge Präklusion könne daher die Frage, ob allenfalls größere Abstände einzuhalten wären, von der belangten Behörde nicht geprüft werden.

Hinsichtlich der Lärmbelästigung habe die Beschwerdeführerin zwar rechtzeitig Einwendungen erhoben, in ihrer Berufung dazu aber kein Vorbringen erstattet. Im Vorstellungsverfahren könne daher - die Vorstellungsbehörde habe bei ihrer Beurteilung immer jene Sach- und Rechtslage anzuwenden, die zum Zeitpunkt der Entscheidung durch den Gemeinderat maßgebend gewesen sei - die nunmehr wieder geltend gemachte Lärmbelästigung keiner näheren Prüfung unterzogen werden. "Der Vollständigkeit halber" sei jedoch festzuhalten, dass aus dem lärmtechnischen und dem medizinischen Gutachten eine Zulässigkeit des gegenständlichen Vorhabens hervorgehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie die erstmitbeteiligte Partei eine Gegenschrift erstattet, beide mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Baugesuch wurde am 4. September 2000 eingebracht, es ist daher im Beschwerdefall das Steiermärkische Baugesetz 1995, LGBl. 59, in der Stammfassung anzuwenden.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihren Rechten - zumindest im Ergebnis - u.a. dadurch verletzt, dass die belangte Behörde in rechtswidriger Anwendung des § 13 Abs. 12 Stmk. BauG ihre Einwendungen hinsichtlich der Geruchsimmissionen als präkludiert angesehen habe und auf die Bedenken in Bezug auf die Lärmimmission nicht eingegangen sei (im Übrigen werden diverse Verfahrensmängel geltend gemacht).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A). Dies gilt weiterhin auch für den Nachbarn, der i.S. des § 27 Stmk. BauG die Parteistellung behalten hat.

Gemäß § 26 Abs. 1 Stmk. BauG kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlich-rechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über

"1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan, einem Bebauungsplan und mit Bebauungsrichtlinien, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;

  1. 2. die Abstände (§ 13);
  2. 3. den Schallschutz (§ 43 Abs. 2 Z. 5);
  3. 4. die Brandwände an der Grundgrenze (§ 51 Abs. 1);
  4. 5. die Vermeidung einer Brandgefahr, einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung (§ 61 Abs. 1, § 63 Abs. 1 und § 65 Abs. 1) ..."

    Gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 Stmk. BauG hat der Nachbar keinen Anspruch darauf, dass das Vorhaben schlechthin mit dem Flächenwidmungsplan übereinstimmt, sondern nur, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist (siehe dazu beispielsweise die in Hauer/Trippl, Steiermärkisches Baurecht4, bei E 104 ff zu § 26 Stmk. BauG wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Die Widmungskategorie "Freiland" sieht gemäß § 25 Stmk. ROG keinen Immissionsschutz vor (siehe dazu die in Hauer/Trippl, aaO, in E 15 zu dieser Bestimmung genannte hg. Rechtsprechung), damit kommt dem Nachbarn hier kein Mitspracherecht zur Frage zu, ob das Vorhaben im Hinblick auf die zu erwartenden Immissionen oder sonst aus anderen Gründen (etwa mangels Notwendigkeit des Vorhabens) mit der gegebenen Widmungskategorie übereinstimmt oder nicht. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, kommt einem Nachbarn oder Anrainer aber gemäß § 13 Abs. 12 Stmk. BauG - jedenfalls im Ergebnis - ein gewisser Immissionsschutz zu, der unabhängig von der Flächenwidmung besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. März 2006, Zl. 2005/06/0295). Dies hat die belangte Behörde auch zutreffend dargelegt, jedoch in der Folge ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin insoweit einerseits bereits präkludiert sei (in Bezug auf die Geruchsbelästigung) und andererseits "da sie eine derartige Lärmbelästigung in ihrer Berufung nicht vorgebracht" habe, "im Vorstellungsverfahren die nunmehr ... geltend gemachte Lärmbelästigung keiner näheren Prüfung unterzogen werden" könne. Es ist demnach zu prüfen, ob diese Annahmen der belangten Behörde zutreffend waren.

    Mit der von der Beschwerdeführerin rechtzeitig erhobenen Einwendung der Lärmbelästigung hat sich die erstinstanzliche Behörde - gestützt auf das lärmtechnische Gutachten des Amtssachverständigen vom 14. September 2000, dem die Beschwerdeführerin nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist - auseinandergesetzt und die Ansicht vertreten, dass von dem geplanten Projekt keine unzumutbaren Belästigungen ausgehen.

    Die Beschwerdeführerin hat zwar in der Vorstellung neben dem breiten Raum einnehmenden Vorbringen zur Geruchsbelästigung auch wieder auf eine Lärmbelästigung hingewiesen, ohne dies allerdings näher auszuführen. Auch die Beschwerde enthält dazu kein konkretes Vorbringen. Für den Verwaltungsgerichtshof ist gleichfalls nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführerin einer unzumutbaren Lärmbelästigung ausgesetzt wäre.

    Zu der von der belangten Behörde angenommenen Präklusion ist auszuführen, dass ein Verlust der Parteistellung jedenfalls dann nicht eintreten kann, wenn in der Kundmachung über die Anberaumung der Verhandlung nicht auf die entsprechenden Rechtsfolgen verwiesen wird, wobei die bloße Anführung von Paragraphenbezeichnungen nicht ausreicht (vgl. auch hiezu das bereits angeführte Erkenntnis vom 28. März 2006). Die Erledigung der Baubehörde erster Instanz war nun insofern unzutreffend, als darin auf § 27 Stmk. BauG verwiesen wurde, welchem aber im Hinblick auf den Zeitpunkt der Einbringung des Baugesuchs durch

    § 82 Abs. 7 AVG derogiert worden war und daher richtigerweise auf

    § 42 Abs. 1 AVG hätte verwiesen werden müssen. Auf Grund der

    inhaltlichen Gleichheit der beiden Bestimmungen - auf die es wie zuvor ausgeführt ankommt - kommt diesem Umstand für die Frage der Präklusion keine Bedeutung zu. Der Inhalt der Kundmachung war daher ausreichend für eine allfällige, bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen eintretende Präklusion.

    Demnach ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin tatsächlich hinsichtlich der sich aus § 13 Abs. 12 Stmk. BauG ergebenden Aspekte, wie dies die belangte Behörde angenommen hat, präkludiert ist. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin sind nicht nur nach dem Wortlaut, sondern auch nach dem Sinn zu beurteilen (vgl. dazu wiederum das zitierte Erkenntnis vom 28. März 2006).

    Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem bereits mehrfach zitierten Erkenntnis ausgesprochen hat, ist eine Einwendung, wonach ein Vorhaben zu einer "nicht ortsüblichen Geruchsbelästigung" führen werde, schon nach ihrem Wortlaut unter § 13 Abs. 12 Stmk. BauG zu subsumieren. Im gegenständlichen Fall hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass sie (wie auch mehrere andere Anrainer) "nicht mit dem Hygienegutachten einverstanden" sei "was die Geruchsemissionen betrifft" (im Schreiben vom 15. Oktober 2000) und hat demnach im Ergebnis die Ortsüblichkeit des Vorhabens bestritten. Außerdem hat sie sowohl im Schreiben vom 11. September 2000 als auch in der mündlichen Verhandlung den Standort des Vorhabens gerügt und insofern auch größere Abstände des Vorhabens eingewandt. Meinte man aber, dies sei nicht ausreichend klar zum Ausdruck gekommen, wäre die Behörde verhalten gewesen, die Beschwerdeführerin zu einer Präzisierung ihres Vorbringens aufzufordern, zumal Parteienerklärungen im Zweifel nicht so auszulegen sind, dass die sie abgebende Partei um ihren Rechtsschutz gebracht wird (vgl. auch hierzu das Erkenntnis vom 28. März 2006). Zu einer solchen Klarstellung bestand für beide Gemeindebehörden offensichtlich kein Bedarf, weil sie den Einwand der Geruchsbelästigung der Beschwerdeführerin inhaltlich geprüft haben. Gerade deshalb wäre aber die belangte Behörde verhalten gewesen, der Beschwerdeführerin ihre - zuvor niemals thematisierte - Auffassung, sie sei insofern präkludiert, vorzuhalten, was sie aber unterließ. In der Beschwerde hat die Beschwerdeführerin nunmehr klargestellt, dass in ihren Hinweisen, wonach das Projekt in der vorliegenden Form ohnehin nicht bewilligungsfähig sei, jedenfalls auch ein solcher in Bezug auf die Verletzung der Abstandsvorschriften inkludiert gewesen sei.

    Dadurch, dass die belangte Behörde eine Prüfung gemäß § 13 Abs. 12 Stmk. BauG nicht vornahm bzw. für eine Klarstellung nicht sorgte, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

    Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

    Wien, am 27. November 2007

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