VwGH 2002/13/0110

VwGH2002/13/01104.6.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ginthör, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. Peter Lessky, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Landesgerichtsstraße 7, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 16. Oktober 2001, GZ. RG/14-10/01, betreffend Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Rückstandsanzeige, zu Recht erkannt:

Normen

Rechtsschutz Rechtshilfe Abgabensachen BRD 1955 Art11 Abs1;
Rechtsschutz Rechtshilfe Abgabensachen BRD 1955 Art11 Abs2;
Rechtsschutz Rechtshilfe Abgabensachen BRD 1955 Art12;
Rechtsschutz Rechtshilfe Abgabensachen BRD 1955 Art11 Abs1;
Rechtsschutz Rechtshilfe Abgabensachen BRD 1955 Art11 Abs2;
Rechtsschutz Rechtshilfe Abgabensachen BRD 1955 Art12;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.089,68 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid erklärte die belangte Behörde die Rückstandsanzeige des Finanzamtes Passau vom 7. März 2001, Steuernummer 153/113/10160 SF 2, über Abgabenschuldigkeiten des Beschwerdeführers im Betrag von insgesamt 512.976,84 DM (3,609.060,78 S, 262.280,89 EUR) für vollstreckbar. Zur Begründung wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt:

"Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des deutschen Exekutionstitels gründet sich auf Artikel 11 Abs. 2 i.V.m.

Artikel 12 des Vertrages vom 4. Oktober 1954 zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen, BGBl. Nr. 249/1955."

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde mit dem Vorbringen, die belangte Behörde habe die Rückstandsanzeige des Finanzamtes Passau für vollstreckbar erklärt, wiewohl der Beschwerdeführer gegen die Festsetzung der ausständigen Abgaben rechtzeitig Berufung erhoben habe. Der angefochtene Bescheid verstoße damit gegen das zwingende Erfordernis, dass nur anfechtbare (gemeint wohl: unanfechtbare) und vollstreckbare Verfügungen deutscher Finanzbehörden für vollstreckbar erklärt werden können. Darüber hinaus sei der Bescheid in keiner Weise begründet. Im bekämpften Bescheid werde nicht einmal behauptet, dass ein formentsprechendes Ersuchen der deutschen Finanzbehörden im Sinne des Art. 11 Abs. 1 des genannten Rechtshilfeabkommens überhaupt gestellt worden sei, geschweige denn, dass die in Art. 11 Abs. 1 des Abkommens angeführte Urkunde über die Bestätigung der Unanfechtbarkeit seitens der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates vorgelegt worden sei. Ebenso wenig werde behauptet, dass die Rückstandsanzeige tatsächlich unanfechtbar und vollstreckbar sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Art. 11 und 12 des oben genannten Vertrages, BGBl. Nr. 249/1955 (im Folgenden: Vertrag), lauten:

"Artikel 11

(1) Dem Ersuchen um Vollstreckung von Verfügungen, die unanfechtbar und vollstreckbar sind, ist eine Erklärung der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates beizufügen, in der die Unanfechtbarkeit bestätigt wird. Vorbehaltlich des Art. 13 ist die Zuständigkeit dieser Behörde durch die jeweils zuständige Oberfinanzdirektion oder Finanzlandesdirektion des ersuchenden Staates zu bescheinigen. Als Grundlage der Vollstreckung können an die Stelle der im ersten Satz bezeichneten Verfügungen auch Rückstandsausweise treten.

(2) Verfügungen (Rückstandsausweise), die den Bestimmungen des Abs. 1 entsprechen, sind vorbehaltlich des Art. 13 von den jeweils zuständigen Oberfinanzdirektionen oder Finanzlandesdirektionen des ersuchten Staates anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Art. 6 bleibt unberührt.

(3) Die in Abs. 2 bezeichneten Verfügungen werden durch die Finanzämter oder Gerichte gemäß der Gesetzgebung des ersuchten Staates vollstreckt.

Artikel 12

Auf Grund von vollstreckbaren, jedoch noch nicht unanfechtbaren Verfügungen, einschließlich der Sicherstellungsanordnungen (Arrestanordnungen) kann nur um die Vornahme von Sicherungsmaßnahmen ersucht werden. Ihre Durchführung erfolgt in der Bundesrepublik Deutschland nach den Vorschriften über die Vollziehung des dinglichen Arrestes, in der Republik Österreich nach den Vorschriften über die Exekution zur Sicherstellung. Artikel 11 findet sinngemäß Anwendung."

In der Gegenschrift verweist die belangte Behörde - durch die Aktenlage gedeckt - auf ein Schreiben der Oberfinanzdirektion München vom 14. März 2001, mit dem ihr die Rückstandsanzeige des Finanzamtes Passau vom 7. März 2001 übermittelt worden sei. Eine Bestätigung der Unanfechtbarkeit im Sinne des Art. 11 Abs. 1 des Vertrages liege nicht vor; die Oberfinanzdirektion München habe (nur) um die Veranlassung von Sicherungsmaßnahmen gemäß Art. 12 des Vertrages ersucht. Im Sinne der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 30. März 1998, 97/16/0172, 0173, habe die Rückstandsanzeige daher nicht "anerkannt", wohl aber für vollstreckbar erklärt werden können, was mit dem angefochtenen Bescheid erfolgt sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis vom 30. März 1998 u.a. ausgeführt:

"Art. 12 nennt ausdrücklich vollstreckbare, jedoch nicht unanfechtbare Exekutionstitel, aufgrund derer um die Vornahme von Sicherungsmaßnahmen ersucht werden kann. Es konnte daher erklärt werden, dass die Rückstandsausweise 'vollstreckbar' sind. Andererseits sind nach § 11 Abs. 2 des Vertrages Exekutionstitel, die den Bestimmungen des Abs. 1 entsprechen, 'anzuerkennen'. Hier liegt ein Exekutionstitel, vor, der den Bestimmungen des Abs. 1 nicht entspricht, weil eine Bescheinigung, dass die Rückstandsausweise auch 'unanfechtbar' seien, nicht vorgelegt wurde; die Bescheinigungen beziehen sich ausdrücklich nur auf die Vollstreckbarkeit. Eine Anerkennung gemäß Art. 11 Abs. 2 des Vertrages ohne jeden Hinweis auf Art. 12 des Vertrages erweckt den Eindruck, dass ein Exekutionstitel im Sinne des Art. 11 Abs. 1 des Vertrages vorliegt. Im Fall des Art. 12 des Vertrages kann daher keine 'Anerkennung', sondern nur eine Erklärung der Vollstreckbarkeit erfolgen."

Auch im Beschwerdefall stand somit der Umstand, dass der belangten Behörde keine Bestätigung der Unanfechtbarkeit des Exekutionstitels vorlag (und nach den Beschwerdeausführungen auch nicht vorliegen konnte), der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht entgegen. Der belangten Behörde lag ein Sicherungsersuchen der zuständigen Oberfinanzdirektion vor, dem sie nach Art. 12 des Vertrages zu entsprechen hatte.

Nach § 93 Abs. 3 lit. a BAO hat ein Bescheid, wenn er (u.a.) von Amts wegen erlassen wird, eine Begründung zu enthalten. Die Begründung eines Bescheides soll Klarheit über die zum Bescheid führenden tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen schaffen und den Bescheidadressaten solcherart in die Lage versetzen, die Rechtmäßigkeit des an ihn ergangenen Bescheides beurteilen zu können.

Dass von der ersuchenden Behörde die Vornahme von Sicherungsmaßnahmen begehrt wurde, kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden. Aus der Beschränkung des Bescheidspruchs auf die Vollstreckbarerklärung könnte - die Kenntnis der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorausgesetzt - wohl gefolgert werden, eine "Anerkennung" der Rückstandsanzeige sei deshalb unterblieben, weil eine Bestätigung der Unanfechtbarkeit nicht vorhanden sei und folglich nur Sicherungsmaßnahmen erfolgen sollen. Doch steht eine solche Auslegung im Widerspruch zur Begründung des Bescheides, in der auch von der "Anerkennung" der Rückstandsanzeige die Rede ist. Auch der bloße Gesetzesverweis auf "Artikel 11 Abs. 2 i.V.m. Artikel 12" des näher bezeichneten Vertrages erlaubte dem Beschwerdeführer ohne Kenntnis des der belangten Behörde vorliegenden Sicherungsersuchens ein Bescheidverständnis in dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof hervorgekommenen Sinne und somit das Erkennen der Rechtmäßigkeit des behördlichen Vorgehens nicht.

Da die einem Bescheid fehlende Begründung in der Gegenschrift nicht nachgeholt werden kann, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Umrechnung der entrichteten Stempelgebühren gründet sich auf § 3 Abs. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.

Wien, am 4. Juni 2003

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