VwGH 2002/12/0023

VwGH2002/12/002320.2.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über die Beschwerde der E in W, vertreten durch Dr. Werner Mäntler und Dr. Michael Mäntler, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Annagasse 8, gegen den Bundesminister für Inneres wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit des Aufenthaltsgesetzes, den Beschluss gefasst:

Normen

FrG 1997 §47;
FrGDV 1997/II/418 §4 Abs2 Z2;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §47;
VwGG §55 Abs1 Satz1;
VwGG §55 Abs2;
VwGG §56;
VwGG §58;
FrG 1997 §47;
FrGDV 1997/II/418 §4 Abs2 Z2;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §47;
VwGG §55 Abs1 Satz1;
VwGG §55 Abs2;
VwGG §56;
VwGG §58;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 910,18 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, die zuletzt über eine vom 17. Februar bis zum 17. August 1994 gültige Aufenthaltsbewilligung zum Zweck "B/Berufsausbildung" verfügte, stellte am 1. August 1994 beim Magistrat der Stadt Wien einen als "Verlängerungsantrag" bezeichneten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Als Aufenthaltszweck gab sie dabei "Schule, Studium oder Berufsausbildung" an der ICU (International Christian University) sowie "Studium" an.

Dieser Antrag wurde vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 22. August 1994 mangels rechtzeitiger Antragstellung gemäß § 6 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Berufung, wobei sie eine Wohnadresse im 2. Wiener Gemeindebezirk, L. Gasse 13, angab.

Mit am 8. Februar 1996 zur Post gegebenem Schriftsatz erhob die Beschwerdeführerin Säumnisbeschwerde gemäß Art. 132 B-VG gegen den Bundesminister für Inneres. Begründend brachte sie vor, sie habe gegen den erstinstanzlichen Bescheid bereits am 5. September 1994 Berufung erhoben, eine Berufungsentscheidung sei jedoch unterblieben. Es werde daher der Antrag gestellt, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst entscheiden.

Über diese Beschwerde wurde mit hg. Verfügung vom 26. Februar 1996 das Vorverfahren eingeleitet und die belangte Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG aufgefordert, binnen drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege, und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

Mit Note vom 26. August 1996 legte die belangte Behörde die Kopie einer Bescheidausfertigung vom 20. März 1995 sowie eine Kopie eines Rückscheines vor. Dieser Rückschein erwähnt eine Hinterlegung beim Postamt 1020 Wien, wobei der Beginn der Abholfrist mit 26. September 1995 angegeben ist. Unter einem teilte die belangte Behörde mit, das am 26. September 1995 begründete Vollmachtsverhältnis (Eingangsdatum 3. Oktober 1995) sei ihr bekannt gegeben worden, die Zustellung des Bescheides sei jedoch mit selbem Datum erfolgt.

Über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes nahm die Beschwerdeführerin zur Note der belangten Behörde Stellung und brachte vor, weder sie noch ihr ausgewiesener Vertreter hätten jemals den Bescheid vom 20. März 1995 zugestellt erhalten. Das Vollmachtsverhältnis im Verwaltungsverfahren sei am 26. September 1995 begründet worden. Das für den 2. Bezirk zuständige Postamt sende sämtliche an die Adresse 1020 Wien, L. Gasse 13/9, adressierte Post an die ICU in 1030 Wien weiter. Die Beschwerdeführerin erhalte sämtliche Post seit 1994 unter der Adresse der ICU. Sie habe sich im Zeitpunkt 26. September bis 10. Oktober 1995 weiterhin in 1020 Wien, L. Gasse 13/9, aufgehalten, weil dies seit September 1993 ihr einziger Wohn- und Aufenthaltsort gewesen sei.

Über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes legte die belangte Behörde mit Note vom 23. April 1997 die Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Mit Note vom 18. Dezember 2001 teilte die belangte Behörde mit, die Beschwerdeführerin, die nunmehr verheiratet sei, habe vom fremdenpolizeilichen Büro der Bundespolizeidirektion Wien eine Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft mit EWR-Bürger" (Gültigkeit: 19. April 1999 bis 15. Jänner 2004) erhalten. Ein diesbezüglicher Computerausdruck wurde unter einem vorgelegt.

Mit Schreiben vom 31. Jänner 2002 bestätigte die Beschwerdeführerin ihre Verehelichung und die Erteilung der erwähnten Niederlassungsbewilligung. Unter einem wurde mitgeteilt, dass der ursprünglich angestrebte Aufenthaltstitel "Student" nicht weiter verfolgt werde, zumal die Beschwerdeführerin bereits über einen anderen Aufenthaltstitel verfüge. Der beschwerdegegenständliche Antrag werde demgemäß auf Kostenersatz eingeschränkt. Eine Kopie der Vignette des Aufenthaltstitels war dem Schreiben beigelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof geht zunächst aus folgenden Gründen davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist:

Im vorgelegten Verwaltungsakt erliegt ein Bescheidkonzept eines Berufungsbescheides der belangten Behörde vom 20. März 1995, jedoch ohne Zustellverfügung (Aktenseite 48). Als Adresse wird im Bescheidkopf 1020 Wien, L. Gasse 13/9 angegeben. Im Verwaltungsakt erliegt weiters ein RSb-Kuvert samt Rückschein (Aktenseite 45), aus dem sich ergibt, dass der Berufungsbescheid der Beschwerdeführerin an der erwähnten Adresse zugestellt werden sollte. Auf der Rückseite des Kuverts findet sich der handschriftliche Vermerk "Empfänger unbekannt, daher retour!" sowie ein Poststempel des Postamtes 1020 vom 29. März 1995. Schließlich erliegt im Verwaltungsakt ein weiterer Rückschein (Aktenseite 47; dieser Rückschein wurde von der belangten Behörde nach Einleitung des Vorverfahrens in Kopie vorgelegt) sowie das dazugehörige RSb-Kuvert, aus dem hervorgeht, dass am 26. September 1995 eine Hinterlegung nach § 8 Abs. 2 des Zustellgesetzes ohne vorausgegangenem Zustellversuch beim Zustellpostamt 1020 Wien erfolgt ist. Eine entsprechende Zustellverfügung für eine Zustellung nach § 8 Abs. 2 des Zustellgesetzes ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.

Gemäß § 8 Abs. 1 des Zustellgesetzes hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit., soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf von § 8 Abs. 2 des Zustellgesetzes kein Gebrauch gemacht werden, ohne dass die Behörde, wenn auch durch einfache Hilfsmittel versucht hätte, die neue Abgabestelle auszuforschen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), E. 31 zu § 8 des Zustellgesetzes angegebene hg. Judikatur). Vor dem Hintergrund der dargestellten Aktenlage sind Ermittlungsschritte der belangten Behörde zur Ausforschung einer neuen Abgabestelle der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht erkennbar. Die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch erfolgte demnach entgegen § 8 Abs. 2 des Zustellgesetzes und führte nicht zu einer wirksamen Zustellung des Berufungsbescheides.

Die am 8. Februar 1996 zur Post gegebene Säumnisbeschwerde erweist sich demnach gemäß § 27 Abs. 1 VwGG als zulässig.

Angesichts des übereinstimmenden Vorbringens der belangten Behörde und der Beschwerdeführerin geht der Verwaltungsgerichtshof im Folgenden davon aus, dass der Beschwerdeführerin eine Niederlassungsbewilligung für den Zweck "Familiengemeinschaft mit EWR-Bürger", gültig bis zum 15. Jänner 2004, erteilt worden ist.

Da die Niederlassungsbewilligung nicht auf Grund des verfahrensgegenständlichen Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde, liegt keine Nachholung des versäumten Bescheides im Sinne von § 36 Abs. 2 VwGG vor.

Im Falle der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung an Angehörige von österreichischen Staatsbürgern ist keine Einschränkung des Berechtigungsumfanges vorgesehen. Daher ist davon auszugehen, dass eine solche Niederlassungsbewilligung, wie sie der Beschwerdeführerin erteilt wurde, dazu führt, dass der Beschwerdeführerin das, was sie mit ihrem seinerzeitigen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung erreichen wollte, nämlich die Berechtigung zum Aufenthalt in Österreich (im Umfang der Berechtigung zur Ausübung eines Studiums bzw. einer Berufsausbildung), durch die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gewährt wurde. Das vorliegende Verfahren war demnach in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat gemäß § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen.

§ 56 VwGG, nach welcher Bestimmung die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz bei Klaglosstellung des Beschwerdeführers so zu beurteilen ist, als ob der Beschwerdeführer obsiegt hätte, kommt nur bei einer formellen Klaglosstellung zur Anwendung. Bei einer Bescheidbeschwerde kann die formelle Klaglosstellung nur durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides, im Säumnisbeschwerdeverfahren nur durch Nachholung des versäumten Bescheides bewirkt werden, wobei für den Fall der Klaglosstellung im Säumnisbeschwerdeverfahren die Frage des Zuspruches von Aufwandersatz in § 55 Abs. 1 zweiter Satz VwGG gesondert geregelt ist (vgl. den hg. Beschluss vom 25. Juni 1999, Zl. 95/19/1468).

Da im vorliegenden Fall keine formelle Klaglosstellung durch Nachholung des versäumten Bescheides erfolgt ist, sondern dem Begehren der Beschwerdeführerin auf andere Weise voll entsprochen wurde, ist die Frage des Aufwandersatzes nicht nach § 56 VwGG, sondern nach § 58 VwGG zu beurteilen.

Die belangte Behörde hat unstrittig den versäumten Bescheid nicht fristgerecht erlassen, sie hat auch keinen Grund aufgezeigt, der sie an der rechtzeitigen Bescheiderlassung gehindert hätte (vgl. § 55 Abs. 2 VwGG). Sie war demnach gemäß § 58 Abs. 2 VwGG in Verbindung mit § 47 VwGG, insbesondere § 55 Abs 1 erster Satz VwGG, zum Ersatz für Schriftsatzaufwand zu verpflichten. Ersatz für S 30,-- Stempelgebühren war mit EUR 2,18 zuzusprechen. Das Mehrbegehren an Ersatz von Stempelgebühren war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Vorlage der Berufung in einfacher Ausfertigung ausreichend war.

Wien, am 20. Februar 2002

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