VwGH 2002/11/0261

VwGH2002/11/026119.12.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Pallitsch, Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des G in L, vertreten durch die Anwaltspartnerschaft Dr. Karl Krückl, Dr. Kurt Lichtl in 4020 Linz, Harrachstraße 14/I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 12. November 2002, Zl. SV(SanR)-420 969/4-2002-Hai, betreffend Feststellung des Grades der Behinderung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs3;
BEinstG §14 Abs2;
BEinstG §19 Abs1;
BEinstG §2 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs3;
BEinstG §14 Abs2;
BEinstG §19 Abs1;
BEinstG §2 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Antrag vom 15. Oktober 2001 begehrte der Beschwerdeführer die Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 und § 14 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG).

Gestützt auf ärztliche Sachverständigengutachten vom 26. April 2002 und vom 8. Mai 2002 stellte das Bundessozialamt Oberösterreich mit Bescheid vom 7. Juni 2002 gemäß § 2, § 3, § 14 und § 27 Abs. 1 BEinstG fest, dass der Beschwerdeführer ab 18. Februar 2002 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre. Der Grad der Behinderung betrage 60 v.H. In der Begründung wurde auf die wesentlichen Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung verwiesen. Nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens betrage der Grad der Behinderung 60 v.H.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung.

Der Landeshauptmann von Oberösterreich holte daraufhin ein

weiteres ärztliches Sachverständigengutachten ein.

Der Arzt für Allgemein- und Arbeitsmedizin Dr. P. kam in seinem Gutachten vom 17. Oktober 2002 zu folgender Beurteilung:

"

Lfd.Nr.

Bezeichnung der tatsächlich bestehenden Gesundheitsschädigungen die voraussichtlich länger als 6 Monaten andauern

ICD-

Code

Pos.Nr.

der RS

GdB

1

Höhergradige Wirbelsäulenveränderungen

 

191

50 %

2

Einschränkung im li. Kniegelenk

 

418

30 %

3

Offenes Foramen ovale, Herzrhythmusstörung

 

333sgm

20 %

     

GESAMTGRAD DER BEHINDERUNG

60 %

BEGRÜNDUNG

Begründung der Einzeleinschätzung bei Rahmensätzen und abgestuften Richtsätzen, der Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung unter Außerachtlassung jener Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. , sofern diese im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursachen.

Pos. 191:

Bei nachgewiesenen Bandscheibenvorfällen der HWS und LWS bestehen deutlich schmerzhafte Bewegungseinschränkungen, sensible und auch motorische Defizite, so dass entsprechend der Klinik mit 50 % eingeschätzt wird. (inkl. Spannungskopfschmerz)

Pos. 418:

Schmerzhafte mittelgradige Bewegungseinschränkung im li. Kniegelenk bei Zustand nach athroskopischer Operation und Zustand nach vorderer Kreuzbandruptur sowie Meniscusriss, weiterhin 30 %.

Pos. 333sgm:

Offenes Foramen ovale, bei Stressbelastung Auftreten von

Extrasystolen, 20 %.

Die führende Pos. 191 wird aufgrund der zusätzlichen schmerzhaften Bewegungseinschränkung durch die Pos. 418 um eine Stufe gesteigert. Da es nur unter stärkerer Stressbelastung zum Auftreten von Extrasystolen kommt und keine Cardiale Dauerschädigung vorliegt bewirkt die Pos. 333 keine weitere Steigerung.

Der GdB beträgt daher weiterhin 60 %."

Der Landeshauptmann von Oberösterreich brachte dem Beschwerdeführer das Gutachten Dris. P. vom 17. Oktober 2002 nicht zur Kenntnis.

Mit Bescheid vom 12. November 2002 gab der Landeshauptmann von Oberösterreich der Berufung keine Folge und sprach in Bestätigung des angefochtenen Bescheides aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 2, § 3, § 14 und § 27 Abs. 1 BEinstG ab 18. Februar 2002 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre und dass der Grad der Behinderung 60 v.H. betrage. In der Begründung wurde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der einschlägigen Rechtsvorschriften auf die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Ermittlungsverfahrens, insbesondere auf das Gutachten Dris. P. vom 17. Oktober 2002, verwiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des BEinstG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 60/2001) lauten (auszugsweise):

"§ 2. (1) Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH. ...

...

§ 3. Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder psychischen Zustand beruht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

...

§ 14. ...

(2) Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Behinderten das örtlich zuständige Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen und bei Zutreffen der in § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung (Abs. 3) festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim örtlich zuständigen Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, mit dem der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.

(3) Der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales (nunmehr: für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) ist ermächtigt, nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates gemäß § 8 BBG durch Verordnung nähere Bestimmungen für die Feststellung des Grades der Behinderung festzulegen. Diese Bestimmungen haben die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf das allgemeine Erwerbsleben zu berücksichtigen und auf den Stand der medizinischen Wissenschaft Bedacht zu nehmen.

..."

2. Der Beschwerdeführer bringt u.a. vor, bei der gutachterlichen Untersuchung durch den medizinischen Sachverständigen Dr. P. am 17. Oktober 2002 seien vom Sachverständigen massive Wirbelverschiebungen im Bereich der Brustwirbelsäule mit teils starker Schmerzausstrahlung über die Rippen zum Brustbein diagnostiziert worden. Dem Beschwerdeführer sei diese Diagnose anlässlich der Untersuchung durch den medizinischen Sachverständigen bekannt gegeben worden. Im schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. P. habe diese neue Diagnose jedoch keinen Niederschlag gefunden. Die belangte Behörde habe ihren Feststellungen das schriftliche Gutachten des Sachverständigen zugrunde gelegt, dies ohne dem Beschwerdeführer das Gutachten zur Kenntnis zu bringen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Die Beschwerde ist begründet.

Gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG finden auf das Verfahren, soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt, die Vorschriften des AVG Anwendung.

§ 45 Abs. 3 AVG ist mangels einer abweichenden Regelung im BEinstG auch im Verfahren nach § 14 Abs. 2 BEinstG anzuwenden. Die belangte Behörde hat das Gutachten Dris. P. vom 17. Oktober 2002, welches sie ihrer Entscheidung zugrunde legte, dem Beschwerdeführer nicht zur Kenntnis gebracht und ihm damit zu diesem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens kein Parteiengehör im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG eingeräumt. Der vom Beschwerdeführer aufgezeigte Verfahrensmangel ist auch wesentlich. Das oben wiedergegebene Vorbringen des Beschwerdeführers zielt auf eine Unvollständigkeit des Gutachtens Dris. P. ab. Die belangte Behörde bestreitet in der Gegenschrift das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausdrücklich, sondern weist lediglich darauf hin, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachten massiven Wirbelverschiebungen im Bereich der Brustwirbelsäule unter Punkt 1. des Gutachtens Dris. P. nach Position 191 mit 50 v.H. eingeschätzt worden seien und diese Einschätzung auch entsprechend begründet worden sei. Diesem Vorbringen der belangten Behörde ist jedoch entgegenzuhalten, dass im Gutachten Dris. P. die Einschätzung des Leidens höhergradige Wirbelsäulenveränderungen (I/f/191) mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. ausschließlich damit begründet wurde, dass bei nachgewiesenen Bandscheibenvorfällen der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule deutlich schmerzhafte Bewegungseinschränkungen, sensible und auch motorische Defizite bestünden; von massiven Wirbelverschiebungen im Bereich der Brustwirbelsäule mit teils starker Schmerzausstrahlung über die Rippen zum Brustbein ist im Gutachten Dris. P. keine Rede. Sollte die Behauptung des Beschwerdeführers zutreffend sein, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass das führende Leiden (höhergradige Wirbelsäulenveränderungen) mit einem Grad der Behinderung von mehr als 50 v.H. eingeschätzt werden müsste und dies auch einen höheren Gesamtgrad der Behinderung als 60 v.H. zur Folge hätte. Bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensmangels hätte die belangte Behörde daher gegebenenfalls zu einem höheren Gesamtgrad der Behinderung und damit auch zu einem anderen Bescheid kommen können.

Schon aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen eingegangen werden brauchte.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 19. Dezember 2003

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