VwGH 2002/11/0062

VwGH2002/11/006218.3.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des C in G, vertreten durch Mag. Herbert Klaschka, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Enge 31, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 20. November 2001, Zl. RU6-St-St-0111/0, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §25 Abs1 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §25 Abs3 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §3 Abs1 Z2;
FSG 1997 §7 Abs1 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs2 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs4 Z3 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §7 Abs4 Z5;
StGB §75;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FSG 1997 §24 Abs1 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §25 Abs1 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §25 Abs3 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §3 Abs1 Z2;
FSG 1997 §7 Abs1 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs2 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs4 Z3 idF 2001/I/112;
FSG 1997 §7 Abs4 Z5;
StGB §75;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der (im Jahr 1961 geborene) Beschwerdeführer tötete am 28. September 1997 seinen Schwiegervater durch mehrere Messerstiche. Er befand sich vom 28. September 1997 bis 24. November 1997 in Untersuchungshaft. Wegen dieser Tat wurde er zunächst im Jahr 1998 wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren (davon zwei Jahre bedingt nachgesehen) verurteilt. Vom 15. März 1999 bis 16. Dezember 1999 befand er sich in Haft. Nach Wiederaufnahme des Strafverfahrens wurde er wegen der Tat vom 28. September 1997 mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Ried im Innkreis vom 8. März 2001 des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Den Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 28. Mai 2001 nicht Folge gegeben. In der Folge trat der Beschwerdeführer (zu einem nach der Aktenlage nicht genau feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2001) die Strafe an.

Mit Schreiben vom 5. Juli 2001 teilte die Bezirkshauptmannschaft Amstetten dem Beschwerdeführer mit, dass sie auf Grund der genannten Verurteilung beabsichtige, ihm die Lenkberechtigung für die Klassen A und B zu entziehen. In seiner Stellungnahme vom 16. August 2001 wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass die Tat schon lange zurück liege und er - abgesehen von den Haftzeiten - Kraftfahrzeuge gelenkt habe und nicht auffällig geworden sei. Das im gerichtlichen Strafverfahren eingeholte psychiatrische Gutachten habe ergeben, dass er grundsätzlich ein sehr ängstlicher Mensch sei, der nicht zu Aggressionen neige. Die Wertung der bestimmten Tatsache führe zum Ergebnis, dass er nicht verkehrsunzuverlässig sei.

Mit Bescheid vom 3. September 2001 entzog die Bezirkshauptmannschaft Amstetten dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 und § 25 Abs. 1 und 3 FSG die Lenkberechtigung für die Dauer von fünf Jahren, wobei Haftzeiten in diese Entziehungszeit nicht einzurechnen seien. In der Begründung wurde ausgeführt, die Verurteilung wegen des Verbrechens des Mordes stelle eine bestimmte Tatsache dar, die die Verkehrszuverlässigkeit gemäß § 7 Abs. 2 FSG ausschließe. Dass die Tat nicht im Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges begangen worden sei, sei unbeachtlich. Das beim Beschwerdeführer offenbar vorliegende Aggressionspotential rechtfertige die Dauer der Entziehung.

In der dagegen erhobenen Berufung vertrat der Beschwerdeführer die Auffassung, dass die Wertung der bestimmten Tatsache nicht zur Annahme seiner Verkehrsunzuverlässigkeit führe.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und führte begründend aus, die in der Berufung enthaltene Formulierung, der Beschwerdeführer habe seinen Schwiegervater "mit dem Messer gestochen", gehe völlig an der Realität vorbei. Der Beschwerdeführer sei offenbar trotz der seit der Tat vergangenen Zeit noch immer nicht gewillt, "sich persönlich selbst zur Schwere dieser Tatbegehung zu bekennen". Diese Auffassung entspreche auch den im Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 28. Mai 2001 enthaltenen Ausführungen, der Beschwerdeführer habe bis zuletzt geleugnet, seinen Schwiegervater vorsätzlich getötet zu haben, und nur Notwehrüberschreitung eingeräumt. Der Beschwerdeführer habe eines der schwersten Delikte begangen, die im Strafgesetzbuch angeführt seien. Die ausgesprochene Entziehungsdauer sei zur Erreichung des Verwaltungszweckes gerade noch ausreichend.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des erstinstanzlichen Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG (in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der Kundmachung BGBl. I Nr. 112/2001) maßgebend:

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.

(2) Als nicht verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 4) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden.

...

(4) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 2 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand

...

3. eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben gemäß den §§ 75, 76, 84 bis 87 StGB oder wiederholt gemäß dem § 83 StGB begangen hat,

...

(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

...

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung.

..."

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG ist die Zuordnung der in dieser Gesetzesstelle genannten strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben zu jenen bestimmten Tatsachen, auf Grund welcher gemäß § 7 Abs. 2 leg. cit. auf eine Sinnesart des Betreffenden geschlossen werden kann, derentwegen er sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden, offensichtlich verfehlt. Die Begehung derartiger Delikte kann vielmehr auf eine zur Gewaltbereitschaft neigende Sinnesart hinweisen, auf Grund der anzunehmen ist, dass der Betreffende im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit (siehe dazu unter anderem die hg. Erkenntnisse vom 27. Mai 1999, Zl. 98/11/0136 und Zl. 98/11/0198, vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/11/0260, vom 28. Juni 2001, Zl. 2001/11/0114, und vom 23. April 2002, Zl. 2001/11/0346).

Den Ausführungen der belangten Behörde ist - anders als der Begründung der Erstbehörde, die sich ausdrücklich auf § 7 Abs. 2 FSG gestützt hat - nicht zu entnehmen, ob sie den Mangel der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers gemäß § 7 Abs. 1 oder 2 FSG angenommen hat. Sofern sie sich auf § 7 Abs. 2 FSG stützt, ist diese Auffassung aus dem zuvor genannten Grund verfehlt. Für die Annahme, der Beschwerdeführer werde auf Grund seiner Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden, sodass ihm die Verkehrzuverlässigkeit gemäß § 7 Abs. 1 FSG fehle, bestand jedenfalls bezogen auf den Zeitpunkt des Wirksamkeitsbeginnes der Entziehung durch Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides kein Grund. Der Beschwerdeführer war unbescholten. Die von ihm begangene strafbare Handlung vom 28. September 1997 ist vor dem Hintergrund ständiger Spannungen zwischen dem Schwiegervater des Beschwerdeführers einerseits und dem Beschwerdeführer und den anderen Familienmitgliedern andererseits zu sehen. Das Erstgericht hat dies im Rahmen der Strafzumessung als besonderen Milderungsgrund berücksichtigt und ausgeführt, der Schwiegervater des Beschwerdeführers habe durch unleidliches Verhalten das Verhältnis zu den anderen Familienmitgliedern zerrüttet. Das Berufungsgericht erblickte darin keinen besonderen Milderungsgrund, meinte aber, dass die ständigen Spannungen zwischen dem Opfer und den anderen Familienmitgliedern ohnehin bereits beim Gewicht der Schuld (§ 32 Abs. 1 StGB) zu berücksichtigen seien. Im Hinblick darauf, dass die Tat in einer familiären Ausnahmesituation begangen wurde, kann aus ihr der Schluss, der Beschwerdeführer - der nach der Aktenlage seit 1980 im Besitz der Lenkberechtigung war und bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides Kraftfahrzeuge gelenkt hat - werde beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden, nicht gezogen werden. Andere Tatsachen, die einen solchen Schluss rechtfertigen könnten, hat die belangte Behörde nicht festgestellt und liegen nach der Aktenlage auch nicht vor. Das vom Beschwerdeführer vorgelegte, im gerichtlichen Strafverfahren eingeholte psychiatrischneurologische Gutachten vom 3. März 2001 enthält keinen Hinweis auf eine erhöhte Aggressionsneigung des Beschwerdeführers.

Dass der Beschwerdeführer in Bezug auf den Tötungsvorsatz kein reumütiges Geständnis abgelegt hat und daher im Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 28. Mai 2001 (zum Unterschied vom erstgerichtlichen Urteil) das Vorliegen des besonderen Milderungsgrundes nach § 34 Z. 17 StGB verneint wurde, ändert nichts daran, dass aus der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat unter Berücksichtigung der Wertungskriterien des § 7 Abs. 5 FSG auf eine Sinnesart nach § 7 Abs. 1 FSG nicht geschlossen werden kann. Es kann daher auf sich beruhen, ob - wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid meint - aus der vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers formulierten Berufung geschlossen werden kann, der Beschwerdeführer sei offenbar "noch immer nicht gewillt, sich persönlich selbst zur Schwere dieser Tatbegehung zu bekennen".

Die Auffassung der Behörde, dem Beschwerdeführer müsse für die Zeit von fünf Jahren nach Verbüßung der Freiheitsstrafe, also allenfalls bis Ende 2017, die Lenkberechtigung entzogen werden, kann mit dem aus § 7 Abs. 1 FSG sich ergebenden Verwaltungszweck, die Gefährdung der Verkehrssicherheit durch verkehrsunzuverlässige Lenker von Kraftfahrzeugen zu verhindern, nicht vereinbart werden. Bei der Entziehung der Lenkberechtigung handelt es sich um eine Administrativmaßnahme zum Schutz der Öffentlichkeit vor verkehrsunzuverlässigen Personen (siehe dazu unter anderem das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0108, mwN), nicht aber um eine Nebenstrafe mit dem Zweck, vom Besitzer der Lenkberechtigung begangene Straftaten zu sühnen oder durch die abschreckende Wirkung der Entziehungsmaßnahme der Begehung strafbarer Handlungen durch Andere entgegen zu wirken.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 18. März 2003

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