VwGH 2002/10/0237

VwGH2002/10/023714.9.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des W J in W, vertreten durch Dr. Günter Wappel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landskrongasse 8/1a, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 30. September 2002, Zl. MA 15-II-J 45/2002, betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

SHG OÖ 1998 §19;
SHG Wr 1973 §11 Abs1 Z5;
SHG Wr 1973 §12;
SHG Wr 1973 §13 Abs3;
SHG Wr 1973 §13 Abs4;
SHG Wr 1973 §18 Abs1;
SHG Wr 1973 §18;
SHV OÖ 1998 §3;
VwRallg;
SHG OÖ 1998 §19;
SHG Wr 1973 §11 Abs1 Z5;
SHG Wr 1973 §12;
SHG Wr 1973 §13 Abs3;
SHG Wr 1973 §13 Abs4;
SHG Wr 1973 §18 Abs1;
SHG Wr 1973 §18;
SHV OÖ 1998 §3;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien - Magistratsabteilung 12, Sozialreferat für den 11. Bezirk, vom 10. Mai 2002 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 26. März 2002 auf Gewährung bzw. Übernahme der Kosten für schulischen Bedarf ("1 Lupe für Bastel- und Werkunterricht, 1 Aufgabenheft, 2 Hefte, 1 Schreibset (Füller), 2 Pak. 10er Fasermaler, 1/12er Farbstifte, 4 Schulstifte fbg., 1 Spitzer, Bleistifte") für sein mj. Kind Wilhelm J. in Gesamthöhe von EUR 22,84 gemäß den §§ 12, 13 Abs. 3 und 13 Abs. 4 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 11/1973 (WSHG), sowie der §§ 1, 4 und 5 der Verordnung der Wiener Landesregierung vom 27. Februar 1973, LGBl. Nr. 13 (Richtsatzverordnung) abgewiesen.

Nach der Begründung seien die im Antrag des Beschwerdeführers aufgelisteten Ausgaben im Rahmen des Schulbesuches erfolgt. Sie stellten ebenso wie die Aufwendungen für den Schulbedarf einen allgemeinen Bedarf jedes Kindes dar, der bereits gemäß § 13 Abs. 3 WSHG im Richtsatz enthalten sei.

Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge gegeben. Nach der Begründung sei bei der Berechnung des Sozialhilfeanspruches des Beschwerdeführers der Richtsatz für einen Erwachsenen und drei Kinder in Höhe von EUR 788,93 zugrunde gelegt worden. Dieser Richtsatz sei gemäß § 13 Abs. 4 WSHG ein erhöhter Richtsatz, der bei Familien mit Kindern im Einzelfall herangezogen werden könne. Der erhöhte Richtsatz sei auf Grund der familiären Situation des Beschwerdeführers, insbesondere für seinen familiären Mehraufwand (Krankheit der Kinder) gewährt worden. Nach Auffassung der belangten Behörde decke der herangezogene Richtsatz den im Antrag geltend gemachten Schulbedarf, da gemäß § 13 Abs. 3 WSHG der Richtsatz so bemessen sei, dass er den monatlichen Bedarf an Nahrung, Beleuchtung, Kochfeuerung, Instandsetzung der Bekleidung, Körperpflege, Wäschereinigung sowie in angemessenem Ausmaß den Aufwand für die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben decke. Dieser Bedarf sei bereits bei der Richtsatzbemessung zu berücksichtigen und folglich nicht durch anlassbezogene Einzelleistungen zu decken. § 13 Abs. 6 WSHG, der den nicht durch den Richtsatz gedeckten Bedarf an Lebensunterhalt zum Inhalt habe, sei daher nicht anzuwenden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 1 Abs. 1 WSHG hat die Sozialhilfe jenen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen.

Die Sozialhilfe umfasst nach § 1 Abs. 2 WSHG die Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, die Hilfe in besonderen Lebenslagen und die sozialen Dienste.

Zum Lebensbedarf gehören nach § 11 Abs. 1 WSHG (unter anderem) der Lebensunterhalt (Z. 1) sowie Hilfe zur Erziehung und Erwerbsbefähigung (Z. 5).

Der Lebensunterhalt umfasst nach § 12 WSHG insbesondere Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Beheizung, Beleuchtung, Kochfeuerung und andere persönliche Bedürfnisse. Zu den persönlichen Bedürfnissen gehört auch die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben in angemessenem Ausmaß.

Gemäss § 13 Abs. 1 WSHG hat die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen. Die Richtsätze sind durch Verordnung der Landesregierung (Richtsatzverordnung) festzusetzen.

Nach § 13 Abs. 3 WSHG ist der Richtsatz so zu bemessen, dass er den monatlichen Bedarf an Nahrung, Beleuchtung, Kochfeuerung, Instandsetzung der Bekleidung, Körperpflege, Wäschereinigung sowie in angemessenem Ausmaß den Aufwand für die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben deckt. Der Richtsatz kann unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall überschritten (§ 13 Abs. 4) bzw. unterschritten (§ 13 Abs. 5) werden.

Der nicht durch den Richtsatz gedeckte Bedarf im Rahmen des Lebensunterhaltes, insbesondere die Unterkunft, Bekleidung, Hausrat und Beheizung ist gemäß § 13 Abs. 6 WSHG durch zusätzliche Geld- oder Sachleistungen zu decken, deren Ausmaß nach den Erfordernissen des einzelnen Falles zu bemessen ist.

Der mit "Erziehung und Erwerbsbefähigung" überschriebene § 18 WSHG lautet in seinem Abs. 1 auszugsweise:

"Die Hilfe zur Erziehung umfasst alle Maßnahmen, die notwendig sind, um einem Minderjährigen die nach seiner Persönlichkeit erforderliche Erziehung ... zu sichern."

Eine nähere Präzisierung des Begriffes "Hilfe zur Erziehung" enthält § 18 WSHG nicht. Nach dem allgemeinen Wortsinn wird darunter zum Beispiel die Übernahme der Kosten für Kindergarten, Lernmittel, Schulveranstaltungen udgl. zu verstehen sein. Dafür spricht etwa die in Ausführung des § 19 des Oö Sozialhilfegesetzes 1998, LGBl. Nr. 82, ergangene demonstrative Aufzählung in § 3 der Oö Sozialhilfeverordnung 1998, LGBl. Nr. 118. Danach kommen dabei insbesondere Beihilfen zur Beschaffung von erforderlichen Lern- und Arbeitsmitteln bis zur Höhe der tatsächlichen Kosten in Frage, wobei anstelle der Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen auch Gutscheine gegeben oder die erforderlichen Lern- und Arbeitsmittel beigestellt werden können (Z. 2); ferner Beihilfen für die Teilnahme an Schulveranstaltungen, wie Schullandwochen und Schikursen, ausgenommen Ausrüstung, bis zur tatsächlichen Höhe (Z. 3). An diesem demonstrativen Leistungskatalog des § 3 der Oberösterreichischen Sozialhilfeverordnung 1998 wird sich auch die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Wiener Sozialhilfegesetzes orientieren können (vgl. etwa Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht, Seite 469 f).

Dem angefochtenen Bescheid liegt nun die Auffassung zu Grunde, Schulbedarf sei durch richtsatzmäßige Leistungen gemäß § 13 Abs. 3 WSHG gedeckt. Dabei übersieht die belangte Behörde allerdings, dass Schulbedarf nicht zum Bereich des Lebensunterhaltes nach § 12 WSHG gezählt werden kann.

Mit der Gewährung von Geldleistungen in Höhe des Richtsatzes gemäß § 13 Abs. 3 und 4 WSHG wird somit ein Lebensbedarf aus dem Titel "Hilfe zur Erziehung" im Sinne der §§ 11 Abs. 1 Z. 5 und 18 Abs. 1 WSHG nicht abgedeckt. Im Hinblick auf ihre oben wiedergegebene Rechtsauffassung unterließ es die belangte Behörde, sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob der Ersatz der vom Beschwerdeführer geltend gemachen Aufwendungen unter dem Titel der "Hilfe zur Erziehung" gebührt. Dabei wird auch zu prüfen sein, inwieweit die im Laufe eines Schuljahres im Allgemeinen entstehenden Aufwendungen für schulischen Bedarf in der dem Beschwerdeführer gewährten Familienbeihilfe, die ausschließlich für den Unterhaltsberechtigten zu verwenden ist (vgl. dazu etwa die bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht, Rz 120 f , referierte Rechtsprechung), Deckung finden.

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Kostenersatzverordnung 2003.

Wien, am 14. September 2004

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