VwGH 2002/09/0019

VwGH2002/09/001925.5.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. Jörg Baumgärtel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 14, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport vom 5. Dezember 2001, Zl. 81/7-DOK/01, betreffend Verhängung der Disziplinarstrafe des Verweises, zu Recht erkannt:

Normen

BDG 1979 §125a Abs3 Z5;
BDG 1979 §126 Abs1;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
BDG 1979 §125a Abs3 Z5;
BDG 1979 §126 Abs1;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission für Beamte und Lehrer beim Bundesministerium für Landesverteidigung vom 3. Mai 2001 wurde der Beschwerdeführer vom Vorwurf, er habe am 2. November 2000, um etwa 15.15 Uhr während einer Dienstreise im Hof des Hauses... P, Fsiedlung, Frau T, Lehrling, HBF/Ref Foto, überraschend und ohne deren Zustimmung auf den Mund geküsst, wobei es auch zu einem Zungenkontakt gekommen sei, freigesprochen.

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die genannte Disziplinarkommission nach Darstellung des Verfahrensverlaufes im Wesentlichen aus, Frau T habe in ihrer Aussage zwar glaubwürdig gewirkt, der Darstellung des Beschwerdeführers sei aber ebenfalls Glauben geschenkt worden. Da keiner der beiden Aussagen mehr oder weniger Glauben als der jeweiligen anderen Darstellung zu schenken sei, und kein direkter Beweis vorliege, sei die Disziplinarkommission nicht in der Lage, den Beschwerdeführer im Sinne des Verhandlungsbeschlusses zu verurteilen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Disziplinaranwalt(- Stellvertreter) Berufung wegen unrichtiger Beweiswürdigung und hilfsweise wegen materieller Rechtswidrigkeit und stellte in diesem Rechtsmittel an die belangte Behörde die Anträge, das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis aufzuheben, in der Sache selbst zu entscheiden, ein auf Schuldspruch lautendes Berufungserkenntnis zu erlassen und über den Beschwerdeführer die Disziplinarstrafe der Geldstrafe zu verhängen.

Die genannte Berufung wurde dem Beschwerdeführer (zu Handen seines rechtsfreundlichen Vertreters) mit Schreiben der belangten Behörde vom 2. Juli 2001 zur Kenntnis übermittelt; der Beschwerdeführer hat zu dieser Berufung keine Gegenausführungen erstattet.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 5. Dezember 2001 wurde in nichtöffentlicher Sitzung wie folgt entschieden.

"Der Berufung des Stellvertreters des Disziplinaranwaltes wird insofern Folge gegeben, als der Beschuldigte hinsichtlich des Vorwurfes, er habe am 2. November 2000 um etwa 15.15 Uhr während einer Dienstreise im Hof des Hauses P, Fsiedlung..., Frau T, Lehrling (HBF/Ref Foto) überraschend und ohne deren Zustimmung auf den Mund geküsst, wobei es auch zu Zungenkontakt gekommen sei, schuldig gesprochen wird. Der Beschuldigte hat durch sein Fehlverhalten fahrlässig eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 43 Abs. 2 BDG 1979 in Verbindung mit § 91 BDG 1979 begangen, und es wird über ihn die Disziplinarstrafe des Verweises gemäß § 92 Abs. 1 Z 1 BDG 1979 verhängt.

Dem Beschuldigten aufzuerlegende Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht erwachsen."

Zur Begründung ihres Schuldspruches führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, in der Berufung sei zutreffend ausgeführt worden, dass der Aussage der Zeugin T höheres Gewicht zukomme als der des Beschwerdeführers. Die Zeugin (T) habe in ihrer Aussage in der Verhandlung vom 15. März 2001 (vor der Disziplinarkommission erster Instanz) deutlich gemacht, dass es zu dem angelasteten Vorfall in einem von anderen Zeugen unbeobachteten Moment gekommen sei. Es sei nicht ersichtlich, welches Motiv sie (die Zeugin) hätte haben sollen, den Beschwerdeführer fälschlich zu belasten. Die Aussagen der Zeugen S und M seien ebenfalls geeignet, die Aussage der Zeugin T als glaubwürdig erscheinen zu lassen, weil es der Lebenserfahrung entspreche, dass die Zeugin sich wegen des (für sie unangenehmen) Vorfalls an ihren Kollegen (und Vorgesetzten) und nicht an den Vorgesetzten des Beschwerdeführers gewandt habe. Dass die Zeugin T über den Vorfall schockiert gewesen sei und erst später mit ihr vertrauten Personen darüber habe sprechen können, liege auf der Hand. Die Zeugin sei nach Belehrung über allfällige Folgen einer Falschaussage bei ihrer Darstellung geblieben. Der Beschwerdeführer sei zwar berechtigt gewesen, den wider ihn erhobenen Vorwurf zu widerlegen, seine Ausführungen seien aber in Ansehung der höheren Glaubwürdigkeit "der Zeugin M" als Schutzbehauptung zu werten. Der dem Beschwerdeführer angelastete Sachverhalt sei daher als erwiesen anzusehen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979) lauten:

"Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten und Absehen von

der

mündlichen Verhandlung

§ 125a. (1) Die mündliche Verhandlung vor dem Disziplinarsenat kann ungeachtet eines Parteienantrages in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführt werden, wenn der Beschuldigte trotz ordnungsgemäß zugestellter Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, sofern er nachweislich auf diese Säumnisfolge hingewiesen worden ist.

(2) Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinarsenat kann ungeachtet eines Parteienantrages Abstand genommen werden, wenn der Sachverhalt infolge Bindung an die dem Spruch eines rechtskräftigen Urteils eines Strafgerichtes oder eines Straferkenntnisses eines unabhängigen Verwaltungssenates zugrunde gelegte Tatsachenfeststellung hinreichend geklärt ist.

(3) Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Disziplinaroberkommission kann ungeachtet eines Parteienantrages Abstand genommen werden, wenn

  1. 1. die Berufung zurückzuweisen ist,
  2. 2. die Angelegenheit an die erste Instanz zu verweisen ist,
  3. 3. ausschließlich über eine Berufung gegen die Auferlegung eines Kostenersatzes zu entscheiden ist,

    4. sich die Berufung ausschließlich gegen die Strafbemessung richtet oder

    5. der Sachverhalt nach der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint.

(4) In den Fällen des Abs. 1 ist vor schriftlicher Erlassung des Disziplinarerkenntnisses dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Disziplinarerkenntnis

§ 126. (1) Wenn eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde, hat die Disziplinarkommission bei der Beschlussfassung über das Disziplinarerkenntnis nur auf das, was in der mündlichen Verhandlung vorgekommen ist, sowie auf eine allfällige Stellungnahme des Beschuldigten gemäß § 125a Abs. 4 Rücksicht zu nehmen. Dies gilt auch für die Disziplinaroberkommission, wenn eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden ist.

(2)...

(3)...

(4)..."

Die belangte Behörde hat die im Beschwerdefall strittige Tatfrage - ob der Beschwerdeführer das ihm angelastete Verhalten begangen hat oder nicht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu lösen versucht. Sie hat dabei die Beweiswürdigung der Disziplinarkommission erster Instanz als unrichtig angesehen und hinsichtlich der von der Unterinstanz unmittelbar aufgenommenen Beweise eine eigenständige (andere) Beweiswürdigung vorgenommen. Die Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung hat die belangte Behörde (im angefochtenen Bescheid) nicht begründet. Erstmals in ihrer Gegenschrift beruft sich die belangte Behörde in dieser Hinsicht auf die Bestimmung des § 125a Abs. 3 Z 5 BDG 1979.

Die belangte Behörde durfte jedoch den Sachverhalt im Sinne dieser Gesetzesstelle dann nicht als nach der Aktenlage hinreichend geklärt ansehen (und demnach auch nicht von einer mündlichen Berufungsverhandlung absehen), wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substanziiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. zu der im Rahmen der Auslegung heranzuziehenden inhaltlich entsprechenden Bestimmung des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533, und vom 9. November 2004, Zl. 2003/01/0452, sowie das hg. Erkenntnis vom 29. November 2000, Zl. 2000/09/0079).

Die Voraussetzung der Z 5 des § 125a Abs. 3 BDG 1979 eines "nach der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes" ist im Beschwerdefall somit nicht vorgelegen, weil die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substanziiert bekämpft wurde und der belangten Behörde diese Beweiswürdigung in entscheidenden Punkten als unrichtig erschienen ist.

Daher erweist sich die von der belangten Behörde ohne mündliche Verhandlung nach der Aktenlage vorgenommene Erledigung der Berufung des Disziplinaranwaltes gegen das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis als rechtswidrig. Ob der Beschwerdeführer das ihm angelastete Fehlverhalten begangen hat oder nicht, durfte die belangte Behörde zufolge § 126 Abs. 1 BDG 1979 und des darin verankerten Unmittelbarkeitsgrundsatzes nicht nach der Aktenlage, sondern ausschließlich auf Grund von Ergebnissen beurteilen, die in einer von ihr unmittelbar durchgeführten mündlichen Verhandlung vorgekommen sind. Mangels Durchführung einer mündlichen Verhandlung liegen solche Ergebnisse (im Berufungsverfahren) jedoch nicht vor (vgl. zur Verpflichtung der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung auch die hg. Erkenntnisse vom 21. Jänner 2005, Zl. 2003/09/0092, vom 15. September 2004, Zl. 2003/09/0017, vom 3. September 2002, Zl. 99/09/0212, und vom 16. Mai 2001, Zl. 99/09/0187).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 25. Mai 2005

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