VwGH 2001/20/0402

VwGH2001/20/040226.7.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über den Antrag der P, geboren am 5. Dezember 1980, vertreten durch Dr. Herwig Wutscher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Wielandgasse 2/II, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sowie über die Beschwerde gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Februar 2001, Zl. 221.046/0-III/12/01, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 2001 wurde der Antragstellerin die Verfahrenshilfe zur Erhebung der Beschwerde gegen den obgenannten Bescheid durch Beigebung eines Rechtsanwaltes bewilligt. Dieser Beschluss wurde dem zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsvertreter am 29. März 2001 zugestellt, die sechswöchige Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof endete daher gemäß § 26 Abs. 3 VwGG am 10. Mai 2001.

Mit ihrem mit 20. Juni 2001 datierten (und am gleichen Tag zur Post gegebenen) Schriftsatz begehrt die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den zitierten Bescheid und begründet diesen Antrag mit einem Fehlverhalten einer namentlich genannten Kanzleimitarbeiterin ihres Rechtsvertreters. Diese habe bei der Vormerkung der Beschwerdefrist auf Grund eines Achtsamkeitsfehlers dem Fristende weitere vier Wochen hinzugerechnet. In der Kanzlei ihres Vertreters würden sämtliche Fristen in einem EDV-Programm eingetragen und "Ausdrucke der Fristen bzw. Termine täglich den einzelnen Anwälten von den Mitarbeitern der Kanzlei vorgelegt". Unerstreckbare Fristen würden zusätzlich händisch in einem Fristenbuch geführt, um diese auch bei Ausfall des EDV-Systems abrufen zu können. Dabei sei es aus Sicherheitsgründen üblich, nicht den Tag des Fristablaufes sondern den vorangehenden Tag vorzumerken.

Die betreffende Kanzleimitarbeiterin habe am 29. März 2001 die einlangende Post bearbeitet und sei, da sie "möglicherweise bei der Arbeit des Fristeintragens in irgend einer Form abgelenkt worden sei", im vorliegenden Fall zu einem Fristende am 6. Juni 2001 gelangt. Auf dem angefochtenen Bescheid habe sie ursprünglich sogar den 6. Mai 2001 als Fristende vermerkt, da es sich dabei jedoch um einen Sonntag gehandelt habe, habe sie den Termin sodann auf den 6. Juni 2001 korrigiert. Eine Eintragung im händischen Fristenbuch habe sie überhaupt unterlassen. Die betreffende Kanzleimitarbeiterin sei seit 13 Jahren in Rechtsanwaltskanzleien tätig und auf Grund ihrer besonderen Genauigkeit in der Kanzlei des Vertreters der Antragstellerin mit der Verwaltung der Fristen beauftragt. Bislang habe es keine einzige Beanstandung dieser Mitarbeiterin wegen einer falsch eingetragenen Frist gegeben, weshalb von einem Versehen minderen Grades bei der Fristversäumung auszugehen sei.

Der Vertreter der Antragstellerin habe den Akt "entsprechend der ihm vorgelegten Fristenliste erstmalig am Mittwoch, den 6. Juni 2001 vorgelegt erhalten" und "dabei" die Versäumung der Beschwerdefrist erkennen müssen.

Mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist holte die Antragstellerin die versäumte Handlung nach und erhob Beschwerde gegen den genannten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen, dass ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muss den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muss der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Wiedereinsetzung schadet ein solches Versagen dann nicht, wenn dem Rechtsanwalt nur ein minderer Grad des Versehens vorgeworfen werden kann. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter dürfen also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten oder für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen haben. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten ermöglichen jedenfalls dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwaltes bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen und eine durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bedingte entschuldbare Fehlleistung gewesen sind (vgl. zum Ganzen etwa den hg. Beschluss vom 28. März 2001, Zl. 2001/04/0005, sowie die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E. 186 ff. zu § 71 AVG referierte hg. Judikatur).

Im zitierten Beschluss hat der Verwaltungsgerichtshof weiters ausgesprochen, dass in einer Rechtsanwaltskanzlei für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall stets der Anwalt und nicht etwa jener Kanzleiangestellte allein verantwortlich ist, der den Termin weisungsgemäß in den Kalender einträgt. Der Anwalt selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen, sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht oder unterläuft ihm dabei ein Versehen, ohne dass er dartun kann, dass die Fristversäumnis auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten der Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden, welches sich gegen die von ihm vertretene Partei auswirkt.

Nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag war die Berechnung des Endes der Beschwerdefrist als auch ihre Eintragung im Fristenbuch und im kanzleieigenen EDV-System im vorliegenden Fall der in Rede stehenden Kanzleimitarbeiterin übertragen. Diese hat auch in ihrer als Bescheinigungsmittel vorgelegten eidesstättigen Erklärung bestätigt, infolge eines "Denkfehlers" dem Ende der Beschwerdefrist "weitere vier Wochen hinzugerechnet" und dadurch den 6. Juni 2001 als Endfrist vermerkt zu haben. Ob und inwieweit dabei aber der Vertreter der Antragstellerin seine Aufsichts- und Kontrollpflichten gegenüber der Kanzleiangestellten wahrgenommen hat, wird im Wiedereinsetzungsantrag nicht dargelegt. Aus dem Umstand, dass EDV-Ausdrucke von Fristen und Terminen täglich den in der Kanzlei des Vertreters tätigen Anwälten von den Kanzleimitarbeitern "vorgelegt" werden, lässt sich noch nicht ableiten, ob und wie der Vertreter der Antragstellerin die ausgedruckten Fristen und Termine, so im Besonderen die gegenständliche Beschwerdefrist, auch tatsächlich nachgeprüft hat. Die Antragstellerin verabsäumte daher, im Wiedereinsetzungsantrag die Art und Intensität der von ihrem Rechtsanwalt ausgeübten Kontrolle des Fristvormerkes darzulegen (vgl. dazu die in Walter/Thienel, aaO, unter E. 221 ff. zu § 71 AVG referierte hg. Judikatur), sodass es ihr schon aus diesem Grund nicht gelingt, glaubhaft zu machen, dass der unterlaufene Fehler auf ein ihrem Vertreter unterlaufenes Versehen bloß minderen Grades zurückzuführen sei.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist war daher nicht stattzugeben.

Da sich somit die am 20. Juni 2001 zur Post gegebene Beschwerde gegen den genannten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates als verspätet erweist, war diese gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 26. Juli 2001

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