VwGH 2001/18/0029

VwGH2001/18/002913.3.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des L D in Wien, geboren am 23. Juni 1970, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 28. Dezember 2000, Zl. SD 564/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §36;
FrG 1997 §37;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 28. Dezember 2000 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 48 Abs. 1 iVm § 49 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit 29. Mai 1997 rechtmäßig im Bundesgebiet.

Am 9. März 2000 sei er wegen des Verbrechens der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach den §§ 15, 87 Abs. 1 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 11. Dezember 1999 einem Landsmann, den er verdächtigt habe, ein Verhältnis mit seiner Frau beginnen zu wollen, mit einem mitgebrachten Küchenmesser zwei Stiche in den Oberkörper versetzt habe. Nach der Feststellungen des Gerichtes sei es nur besonders glücklichen Umständen zu verdanken, dass es im Hinblick auf die Stichführung und die Klingenlänge von etwa 16.5 cm zu keiner lebensgefährlichen Verletzung des Opfers gekommen sei.

Da die Gattin des Beschwerdeführers mittlerweile österreichische Staatsangehörige sei, gelte der Beschwerdeführer als begünstigter Drittstaatsangehöriger. Die Verurteilung erfülle den als Orientierungsmaßstab heranzuziehenden Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG. Das dieser Verurteilung zugrundeliegende Fehlverhalten beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit in erheblichem Ausmaß, sodass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 48 Abs. 1 FrG gerechtfertigt sei.

Aus der Ehe des Beschwerdeführers entstammten zwei minderjährige Kinder. Dem Gerichtsurteil sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer im September 1999 im Zuge eines Scheidungsverfahrens aus der ehelichen Wohnung ausgezogen sei. Einem Erhebungsbericht vom 27. März 2000 zufolge hätten sich die Eheleute jedoch wieder versöhnt. Zweifelsfrei sei mit dem Aufenthaltsverbot daher ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Schutz der körperlichen Unversehrtheit Dritter, Verhinderung strafbarer Handlungen) dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Wer, wie der Beschwerdeführer, aus geradezu nichtigem Anlass und lediglich aus verletztem Stolz und Ehrgefühl auf einen anderen einsteche, um diesen zu verletzen und ihm "eine Strafe zu geben" (Urteil), lasse eine offenkundige Geringschätzung der durch strafrechtliche Vorschriften geschützten Grundwerte erkennen. Solcherart biete der Beschwerdeführer keinerlei Gewähr dafür, nicht in einer ähnlichen Situation zu vergleichbar brutalen Mitteln zwecks Ehrenrettung zu greifen. Der seit der Tatbegehung verstrichene Zeitraum sei zu kurz, um eine positive Verhaltensprognose zu erstellen.

Bei der gemäß § 37 Abs. 2 FrG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration Bedacht zu nehmen gewesen. Diese erweise sich jedoch als keinesfalls besonderes ausgeprägt und werde darüber hinaus in ihrer sozialen Komponente durch das strafbare Verhalten in ihrem Gewicht gemindert. Auch unter Berücksichtigung der engen familiären Bindungen seien die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet zwar keinesfalls gering, jedoch auch nicht besonders ausgeprägt. Der Umstand, dass er bis zuletzt einer aufrechten Beschäftigung nachgegangen sei, könne die privaten Interessen des Beschwerdeführers nicht maßgeblich verstärken. Diesen persönlichen Interessen stünden die hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen am Schutz der körperlichen Unversehrtheit Dritter und an der Verhinderung strafbarer Handlungen gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen nicht schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen. Den Kontakt zu seiner Familie könne der Beschwerdeführer - wenn auch eingeschränkt - dadurch aufrechterhalten, dass er von seinen Angehörigen im Ausland besucht werde. Seinen Sorgepflichten und finanziellen Verpflichtungen könne der Beschwerdeführer auch vom Ausland aus nachkommen.

Da sonst keine besonderen, zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben seien, habe von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens nicht abgesehen werden können. Überdies sei eine Ermessensübung zugunsten eines Beschwerdeführers, der zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, mit den Intentionen des Gesetzgebers nicht vereinbar.

Ein Sachverhalt, der die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 38 oder § 48 Abs. 1 FrG unzulässig machen würde, liege nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer ist unstrittig mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Für ihn gelten daher gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 47 Abs. 3 FrG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn ist gemäß § 48 Abs. 1 erster Satz nur zulässig, wenn auf Grund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind die Bestimmungen des § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 FrG bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, insofern von Bedeutung, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. Oktober 1999, Zl. 99/18/0155).

2. Der Beschwerdeführer bestreitet die Feststellungen über die von ihm begangene Straftat nicht. Danach hat er einem anderen mit einem Küchenmesser mit 16,5 cm langer Klinge zwei Stiche in den Oberkörper versetzt, welche nur aus besonders glücklichen Umständen zu keiner lebensgefährlichen Verletzung des Opfers geführt haben. Dabei hat er aus verletztem Stolz und Ehrgefühl auf seinen Kontrahenten eingestochen, um diesen zu verletzen und ihm "eine Strafe zu geben".

Im Rahmen der Beschwerdeausführungen zu § 37 FrG bringt der Beschwerdeführer vor, er sei "lediglich wegen schwerer Körperverletzung zu einer 2-jährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt" worden. Im Rahmen der Beschwerdeausführungen betreffend die Handhabung des Ermessens gemäß § 36 Abs. 1 FrG macht er geltend, dass "eine Verurteilung von 1½ Jahren" vorliege. Dieses - widersprüchliche - Vorbringen kann nicht als Infragestellung der nicht ausdrücklich als unrichtig bekämpften behördlichen Feststellung, der Beschwerdeführer sei wegen des Verbrechens der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden, angesehen werden.

Aufgrund dieser somit unstrittig feststehenden Verurteilung des Beschwerdeführers begegnet die Ansicht der belangten Behörde, der - als Orientierungsmaßstab heranzuziehende - Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei erfüllt, keinen Bedenken.

3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, bei seiner Straftat handle es sich um eine "einmalige Entgleisung, die dadurch erfolgt sei, dass ein Bekannter die Frau des Beschwerdeführers ständig belästigte". Er habe sich dabei in einer "allgemein begreiflichen Gemütsbewegung" befunden, welche in Zukunft schon deshalb nicht mehr vorkommen könne, "da diese Person nicht mehr im Gesichtsfeld des Beschwerdeführers als auch der Ehegattin aufscheint".

3.2. Der Beschwerdeführer ist absichtlich in der festgestellten massiven Weise, die nur aus besonders glücklichen Umständen zu keiner lebensgefährlichen Verletzung geführt hat, gegen einen anderen vorgegangen, weil dieser seine Frau "belästigt" hat. Selbst wenn die "Gemütsbewegung", in der sich der Beschwerdeführer auf Grund der "Belästigung" seiner Gattin befunden hat, "allgemein begreiflich" sein sollte, hat der Beschwerdeführer jedenfalls in völlig unangemessener Weise reagiert. Das zeigt, dass er sich nicht scheut, auf sein Gemüt "bewegende" Konfliktsituationen, die immer wieder auftreten können, durch den massiven Einsatz von Gewalt gegen Personen zu reagieren. Wie die belangte Behörde richtig erkannt hat, kann daher, ungeachtet des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bisher nur eine Straftat begangen hat, für das künftige Verhalten des Beschwerdeführers keine positive Prognose erstellt werden.

Mit seinem oben (3.1.) dargestellten Vorbringen hat der Beschwerdeführer daher auch die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensmängel, die belangte Behörde habe den Gerichtsakt nicht "genauestens eingesehen" und "schuldhaft unterlassen zu prüfen, dass eine solche Fallkonstellation sich in Zukunft kaum mehr ereignen werde", nicht dargetan.

Die Ansicht der belangten Behörde, die Vorraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 48 Abs. 1 FrG seien gegeben, kann nicht als rechtswidrig erkannt werden.

4. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde die insgesamt etwa dreieinhalbjährige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers sowie den inländischen Aufenthalt der Gattin und der beiden Kinder des Beschwerdeführers berücksichtigt. Weiters hat sie ihm zugute gehalten, dass er "bis zuletzt" (offensichtlich gemeint: bis zum Antritt der Freiheitsstrafe, die er nach dem Beschwerdevorbringen derzeit verbüßt) berufstätig gewesen sei. Den Umstand, dass die Gattin des Beschwerdeführers österreichische Staatsbürgerin ist, hat die Behörde berücksichtigt; der vorgebrachte Umstand, auch die Kinder seien österreichische Staatsbürger bewirkt keine relevante Verstärkung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers. Die aus der - noch nicht langen - Aufenthaltsdauer ableitbare Integration wird in ihrer sozialen Komponente durch die schwere Straftat des Beschwerdeführers erheblich gemindert.

Den insgesamt auf Grund der familiären Bindungen dennoch sehr beachtlichen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die Gefährdung öffentlicher Interessen durch die von ihm begangene Straftat gegenüber. Im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Gewaltkriminalität begegnet die Ansicht der belangte Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 FrG), keinen Bedenken.

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die österreichische Wirtschaft werde geschädigt, wenn ihm nicht die Möglichkeit gegeben werde, nach der Haftentlassung in Österreich seine Kreditschulden abzutragen, ist ihm zu entgegnen, dass nach ständiger hg. Judikatur bei der Interessenabwägung nach § 37 FrG zugunsten des Fremden nur den privaten und familiären Bereich betreffende Umstände zu berücksichtigen sind (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. März 2000, Zl. 99/18/0451).

5. Der Einwand, die Verhängung des Aufenthaltsverbotes verstoße gegen das Verbot der Doppelbestrafung, geht schon deshalb ins Leere, weil es sich bei einem Aufenthaltsverbot nicht um eine Strafe, sondern um eine administrativ-rechtliche Maßnahme handelt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 9. Februar 1999, Zlen. 99/18/0015, 0033).

6. Dem gegen die Ausführungen der belangten Behörde zur Frage des - der Behörde auch bei Verhängung eines auf § 48 Abs. 1 FrG gegründeten Aufenthaltsverbotes eingeräumten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 99/18/0326) - Ermessens erstatteten Beschwerdevorbringen kommt schon deshalb keine Berechtigung zu, weil eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes erfolgen würde, wenn der Fremde - wie vorliegend - wegen eines Verbrechens zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden ist (vgl. den hg. Beschluss vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490).

7. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

8. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 13. März 2001

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