VwGH 2001/13/0170

VwGH2001/13/017027.2.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des GS in S, vertreten durch Writzmann & Partner GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungskanzlei, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in 1120 Wien, Schönbrunnerstraße 188, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 8. Mai 2001, Zl. RV/457-16/17/2001, betreffend Haftung für Lohnsteuer sowie Zahlung von Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen für den Zeitraum der Jahre 1989 bis 1991, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs1;
EStG §22;
EStG §47 Abs2;
BAO §115 Abs1;
EStG §22;
EStG §47 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.089,68 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Im Ergebnis einer die Jahre 1989 bis 1991 erfassenden Lohnsteuerprüfung wurde der Beschwerdeführer mit Bescheid des Finanzamtes vom 18. November 1992 zur Haftung für Lohnsteuer und zur Zahlung des Dienstgeberbeitrages zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen hinsichtlich solcher Personen herangezogen, die er bei der Durchführung von Verkehrszählungen beschäftigt hatte. In den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten liegen ausgefüllte und vom Beschwerdeführer als "Auftraggeber" sowie von der beschäftigten Person als "Mitarbeiter" unterfertigte Urkunden ein, die als "Werkvertrag als freier Mitarbeiter" überschrieben sind und zunächst feststellen, dass der Werkvertrag sich auf die Durchführung einer Verkehrszählung als freier Mitarbeiter erstrecke, und sodann das vereinbarte Entgelt zuzüglich 20 % Umsatzsteuer und den Gesamtbetrag des Entgeltes bezeichnen. Im Anschluss daran findet sich folgender Vertragstext:

"Beide Vertragsteile stellen ausdrücklich fest, dass während der Dauer dieses Vertrages eine wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit des Mitarbeiters vom o.a. Auftraggeber weder erwünscht noch gegeben ist und dass daher die Tätigkeit, welche in Erfüllung des Auftrages erfolgt, nicht die Merkmale eines Dienstverhältnisses aufweist. Es finden daher weder das Angestelltengesetz noch ein Kollektivvertrag Anwendung, sodass vom Auftraggeber weder Versicherungsgebühren nach dem ASVG noch irgendwelche Lohnabgaben abgeführt werden. Die empfangenen Beträge sind vom Mitarbeiter selbst dem zuständigen Finanzamt einzubekennen. Der Mitarbeiter wird vom Auftraggeber gegen Unfall versichert.

Das vereinbarte Honorar wird nach Abschluss der Zählung, Übergabe der ausgefüllten Zählformulare und Zählutensilien ausbezahlt. Werden die Zählformulare ohne die Angabe triftiger Gründe nicht übergeben, gilt dieser Vertrag als nicht erfüllt und es besteht kein Anspruch auf das vereinbarte Honorar."

Unterhalb der Unterschrift der Vertragsparteien findet sich ein Rechnungsformular, mit welchem der Auftraggeber für die Durchführung der Verkehrszählung den bei der Festsetzung des Entgeltes aufscheinenden Betrag zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung stellt. In diesem Rechnungsformular ist auch eine Rubrik "Fahrtkosten" mit einem Kilometergeld von S 4,-- und eine Rubrik "Mitfahrer" mit einem Kilometergeld von S 0,47 enthalten. Die in den Verwaltungsakten einliegenden Urkunden weisen eine solche Verrechnung von Fahrtkosten durch die jeweiligen "Mitarbeiter" auch auf.

Des Weiteren liegt in den Verwaltungsakten noch eine an den Beschwerdeführer adressierte Aufstellung einer Versicherungsgesellschaft über die bei Verkehrszählungen im Jahre 1990 pro Verkehrszähler und Tag zu leistenden Prämien für Unfall- und Haftpflichtversicherung ein.

In seiner gegen den Haftungs- und Abgabenbescheid erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer darauf, dass die für die Durchführung der Verkehrszählung herangezogenen Personen - in der Mehrzahl Studenten - einen "einwandfreien Werkvertrag" unterschrieben und sich verpflichtet hätten, für einen gewissen Zeitraum die Verkehrszählung durchzuführen und sodann auf Grund der erfassten Zählblätter daheim oder in irgendeinem anderen Büroraum eine Auswertung der Zählblätter vorzunehmen. Die zeitliche Komponente der Auswertung der Zählblätter sei dem Werkvertragspartner dabei vollkommen frei überlassen worden; dieser sei nicht an eine gewisse Arbeits- oder Dienstzeit gebunden gewesen und habe diesbezüglich auch das Unternehmerrisiko getragen, weil es ihm möglich gewesen sei, bei entsprechender Tätigkeit Mehreinnahmen zu erzielen, während im Falle des Ausbleibens der Leistung naturgemäß auch kein Honorar bezahlt worden sei. Fahrt- oder Wegekostenvergütungen seien in keiner Hinsicht bezahlt worden, sodass auch die Wahl des Verkehrsmittels dem Verkehrszähler überlassen geblieben sei, welcher damit habe disponieren können, ob er zu Fuß gehe, öffentliche Verkehrsmittel benütze oder mit dem eigenen Auto fahre. Es habe der Verkehrszähler auch die Möglichkeit gehabt, sich jeweils von einer mit den Aufgaben vertrauten Person vertreten zu lassen, was auch in Einzelfällen vorgekommen sei, sodass der Verkehrszähler insoweit auch Subhonorare habe ausbezahlen müssen, ohne dass dies der Beschwerdeführer habe beeinflussen können. Insgesamt habe der Verkehrszähler damit Unternehmerrisiko getragen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab und begründete diese Entscheidung im Wesentlichen mit folgenden Ausführungen:

Das Bundesministerium für Finanzen habe in einer Anfragebeantwortung die Tätigkeit von Zählungsorganen bei der Volkszählung 2001 als Ausübung einer nichtselbständigen Tätigkeit angesehen, weil die Zählungsorgane weisungsgebunden seien und unter der besonderen Leitung der sie beauftragenden Personen stünden. Diese Qualifikation sei auch auf die Tätigkeit der für den Beschwerdeführer tätigen Verkehrszählungsorgane anwendbar. Der Bundesfinanzhof habe in einem näher genannten Erkenntnis ausgesprochen, dass bei untergeordneten Arbeiten eher eine Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers gegeben sei als bei gehobenen Tätigkeiten, weil bei einfachsten Tätigkeiten (Stromableser) schon organisatorische Dinge betreffende Weisungen den Beschäftigten in der Ausübung der Arbeit festlegten. Blieben die Verdienstmöglichkeiten in etwa konstant und fielen auch nennenswerte Aufwendungen nicht an, so fehle nach dem Erkenntnis des Bundesfinanzhofes auch das Unternehmerrisiko, wobei eine Delegierungsbefugnis zu vernachlässigen sei, wenn eine Vertretung schon aus wirtschaftlichen Gründen nur in Ausnahmefällen in Betracht komme. Mit der Sichtweise des genannten Erkenntnisses des Bundesfinanzhofes sei den Argumenten des Beschwerdeführers der Boden entzogen. Es müsse dem Beschwerdeführer weiters entgegengehalten werden, dass in der Verpflichtung des einzelnen Zählorgans, die Verkehrszählung für einen gewissen Zeitraum vorzunehmen, eine zeitliche und örtliche Bindung an die Verhältnisse des Arbeitgebers zum Ausdruck komme. Die zeitliche Ungebundenheit im Hinblick auf die Auswertung der Zählblätter stelle jedoch nicht mehr als den Rest einer selbständigen Verfügungsmöglichkeit dar, die der Beurteilung der Tätigkeit als nichtselbständig nicht entgegenstehe, wie auch der Verwaltungsgerichtshof in einem näher zitierten Erkenntnis, welches Holzakkordanten betraf, ausgeführt habe. Dass die Arbeitnehmer bei entsprechender Tätigkeit mehr Einnahmen hätten erzielen können, sei ein Argument, das deshalb nicht überzeuge, weil auch unselbständig Erwerbstätige durch Leistung von Überstunden einen höheren Verdienst erzielen könnten. Gegen das Vorliegen eines Unternehmerrisikos spreche aber vor allem der Umstand, dass dem jeweiligen Verkehrszählungsorgan Fahrtkosten ersetzt worden seien, was sich aus dem im Werkvertragsformular enthaltenen Abrechnungsteil ergebe, dass der Auftraggeber eine Unfallversicherung abgeschlossen habe und dass auch die erforderlichen Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt worden seien. Dies ergebe sich schon aus dem Werkvertragstext, in welchem vereinbart sei, dass das Honorar nach Abschluss der Zählung und Übergabe der ausgefüllten Zählformulare und Zählutensilien ausbezahlt werde. Die Auffassung des Beschwerdeführers, die Tätigkeit der Zählorgane sei im Zuge von Werkvertragsverhältnissen erfolgt, treffe damit nicht zu.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie einer Replik durch den Beschwerdeführer erwogen:

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 und 2 EStG 1988 liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet, was dann der Fall ist, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 1. März 2001, G 109/00, dargestellt hat, entspricht der von ihm erhobene Befund der verwaltungsgerichtlichen Judikatur zur Abgrenzung selbständiger von nichtselbständiger Arbeit einem - vom Verfassungsgerichtshof geteilten - Verständnis der Gesetzeslage, welches die Begriffe der Selbständigkeit/Unselbständigkeit und des Dienstverhältnisses sowie des Arbeitnehmers im steuerlichen Sinn nicht als durch § 47 EStG 1988 abschließend definiert ansieht, sondern als durch eine Mehrzahl von Merkmalen gekennzeichneten Typusbegriff deutet. Solchen Typusbegriffen sind die realen Erscheinungen nicht zu subsumieren, sondern an Hand einer Vielzahl von Merkmalen zuzuordnen, wobei nicht stets alle Merkmale in gleicher Intensität ausgebildet sein müssen und die Entscheidung letztlich nach dem Gesamtbild zu erfolgen hat, heißt es im genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes weiter.

Ein solches Verständnis der Gesetzeslage (siehe hiezu für viele etwa auch die hg. Erkenntnisse vom 26. November 1997, 93/13/0309, und vom 16. Februar 1994, 90/13/0251) erfordert präzise und detaillierte Sachverhaltsfeststellungen über die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit der beschäftigten Person, die Pflichten, die ihr obliegen, die Risken, die sie zu tragen hat, Inhalt und Umfang ihrer Weisungsgebundenheit und alle sonstigen, das zu untersuchende Leistungsverhältnis kennzeichnenden Umstände (siehe neben den soeben zitierten Erkenntnissen etwa auch schon das hg. Erkenntnis vom 4. Februar 1987, 85/13/0194, mit weiterem Hinweis). Die Bezeichnung des Leistungsverhältnisses in der das Verhältnis begründenden Vertragsurkunde ist dem gegenüber von untergeordneter Bedeutung (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom 9. November 1994, 93/13/0310), zumal die Erfahrung lehrt, dass Vertragsurkunden einen regelmäßig vom wirtschaftlich Stärkeren vorgegebenen Text zu enthalten pflegen, mit dem dieser versucht, alle arbeits-, sozial- und abgabenrechtliche Verantwortung aus dem eingegangenen Leistungsverhältnis von sich ab- und auf den wirtschaftlich Schwächeren zu überwälzen, wofür die in den Verwaltungsakten einliegenden Vertragsexemplare als Beispiel gelten können. Während die Bezeichnung des Leistungsverhältnisses demnach für die steuerrechtliche Beurteilung jedenfalls in den Hintergrund zu treten hat, kommt der tatsächlichen Abwicklung dieses Verhältnisses zwischen den Vertragsparteien im Umfang der konkreten einzelnen Rechte und Pflichten für die Beurteilung des Vorliegens selbständiger oder nichtselbständiger Tätigkeit jene entscheidende Bedeutung zu, welche entsprechende Sachverhaltsfeststellungen in einem über die rechtliche Beurteilung des Leistungsverhältnisses absprechenden Bescheid unerlässlich macht.

Dass der Beschwerdeführer mit der im Vordergrund seiner Beschwerdeausführungen stehenden Rüge unzulänglicher Sachverhaltsfeststellungen des angefochtenen Bescheides in dieser Hinsicht Recht hat, zeigt schon der Verlauf des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, in welchem von beiden Parteien Sachverhaltselemente ins Spiel gebracht wurden (stundenweise Entlohnung, Dispositionsmöglichkeiten des Verkehrszählers hinsichtlich des Zählortes, Unterschiedlichkeiten in der Gewährung von Fahrtkostenersatz), die sich in den Erwägungen des angefochtenen Bescheides nicht finden oder wie etwa die vom Beschwerdeführer nunmehr bestrittene behördliche Annahme vollständiger Fahrtkostenersatzleistungen ihm vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht vorgehalten worden waren. Da die Abgrenzungsfrage zwischen selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit sich jeweils nur auf der Basis des konkreten Sachverhaltes im Einzelfall beantworten lässt, ist dabei aus der Beurteilung vermeintlich ähnlicher Fallkonstellationen für die Falllösung wenig zu gewinnen, weil schon geringe Unterschiede in der Fallkonstellation den Ausschlag geben können, das Gesamtbild der Tätigkeit rechtlich anders als im vermeintlich ähnlichen Fall zu beurteilen.

Der angefochtene Bescheid ermöglicht es zufolge weit gehenden Fehlens entscheidungswesentlicher Sachverhaltsfeststellungen über die Beschaffenheit der konkreten Leistungsverhältnisse dem Verwaltungsgerichtshof nicht, die Frage zu beurteilen, ob die behördliche Subsumtion der betroffenen Leistungsverhältnisse unter die Vorschrift des § 47 Abs. 2 EStG 1988 rechtlich zu teilen wäre. Deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001; die Abweisung des Kostenmehrbegehrens betrifft die geltend gemachte Umsatzsteuer, die im Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.

Wien, am 27. Februar 2002

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