VwGH 2001/11/0335

VwGH2001/11/033525.2.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des W in J, vertreten durch Dr. Karl Baldauf, Rechtsanwalt in 7540 Güssing, Badstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 19. September 2001, Zl. 5-V-A4578/2-2001, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FSG 1997 §25 Abs1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs5;
StGB §43 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
FSG 1997 §25 Abs1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs5;
StGB §43 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 19. September 2001 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klassen A,B,C,E,F und G gemäß §§ 24 Abs. 1 Z. 1, 25 Abs. 1 und 3, 7 Abs. 2 und 4 Z. 2 FSG für die Zeit von 12 Monaten, gerechnet ab Zustellung des Mandatsbescheides vom 5. Juni 2001, ohne Einrechnung von eventuellen Haftzeiten, entzogen. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil vom 25. Juli 2001 vom Landesgericht für Strafsachen Graz wegen §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z. 1 teilweise 15 StGB, 83 Abs. 1, 201 Abs. 1 StGB zu 15 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden, wovon zehn Monate bedingt für eine Probezeit von drei Jahren nachgesehen worden seien, verurteilt worden. Grund für die Verurteilung sei gewesen, dass der Beschwerdeführer am 16. Mai 2000 seine ehemalige Lebensgefährtin B

I. durch Gewalt bzw. gefährliche Drohung mit dem Tod zu nachangeführten Handlungen genötigt bzw. zu nötigen versucht habe, und zwar

1. durch das Aufreißen der Fahrertür und das Zerren aus dem Pkw zum Verlassen des Pkws,

2. durch die Äußerung, sie solle mit ihm mitfahren, sie könne ihn jetzt nicht mehr "verarschen", er werde sie und ihre Familie umbringen und sich selbst töten, er werde ihre Familie ausrotten bzw. indem er zu ihr sagte: "Wennst jetzt nicht einsteigst, passiert was", wobei er ihr zahlreiche Schläge gegen den Kopf und Fußtritte versetzte, zum Mitfahren in seinem Pkw, sollte sie irgendjemanden etwas davon (gemeint von den Vorfällen) erzählen, werde er einen von ihren Leuten umbringen, zur Abstandnahme von einer Mitteilung an dritte Personen bzw. von einer Anzeige, wobei es in diesem Fall wegen der Anzeigeerstattung durch B. beim Versuch blieb,

II. durch die zu Punkt I.2. beschriebene Gewaltanwendung vorsätzlich am Körper verletzt habe (Prellung am Hinterkopf, an beiden Unterschenkeln, Rötungen und Druckschmerzen, Schwellungen mit Fingerkonturen an beiden Wangen und Erbrechen), und III. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme eines Oralverkehrs an ihm, sohin einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt habe.

Als erschwerend seien die verstärkte Tatbildmäßigkeit der durch den Einsatz von Gewalt und gefährlicher Drohung bewirkten schweren Nötigung sowie auch die wiederholten Nötigungshandlungen angesehen worden. Erschwerend sei auch angesehen worden, dass der den Tathandlungen immanente Gesinnungsunwert dadurch erhöht sei, dass die Tatausführung in einer die Interessen des Opfers gröblich missachtenden, rücksichtslosen Weise erfolgt sei.

Auf Grund des Tatherganges und der damit verbundenen Gewaltanwendung ergebe sich eine besondere Verwerflichkeit im Sinne des § 7 Abs. 5 FSG. Auch eine besondere Gefährlichkeit sei gegeben, weil die körperliche Integrität einer anderen Person verletzt worden sei. Es sei zu erwarten, dass sich diese Sinneshaltung auch negativ im Straßenverkehr für die anderen Verkehrsteilnehmer auswirken werde. Die strafbaren Handlungen seien im Auto erfolgt.

Dem Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit der Tatbegehung komme nur geringe Bedeutung zu, weil während dieser Zeit ein Strafverfahren anhängig war. Die Berufungsbehörde habe auf der Grundlage dieser Wertung eine Prognose anzustellen, wann die Verkehrszuverlässigkeit wieder hergestellt sein werde und sei zu der Ansicht gelangt, dass der Beschwerdeführer die Verkehrszuverlässigkeit erst nach Ablauf von zwölf Monaten ab Wirksamkeit der Entziehungsmaßnahme wieder erlangen werde. Die Zeit einer Inhaftierung sei nicht in die Entziehungsdauer einzurechnen, weil der Strafgefangene während der Strafzeit das Wiedererlangen seiner Verkehrszuverlässigkeit wegen der mangelnden Freizügigkeit nicht unter Beweis stellen könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die im Beschwerdefall einschlägigen Bestimmungen des Führerscheingesetzes-FSG lauten (auszugsweise):

"§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

§ 7.

...

(2) Als nicht verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 4) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden.

...

(4) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 2 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand

...

2. eine strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit gemäß den §§ 201 bis 207 oder 217 StGB begangen hat,

...

(5) Für die Wertung der im Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

...

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkerberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z. 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkerberechtigung zu entziehen ...

...

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Diese ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.

...

(3) Bei der Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. ..."

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Feststellungen der belangten Behörde zum Hergang der Taten und auch nicht, dass er derentwegen vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 25. Juli 2000, bestätigt durch das OLG Graz mit dessen Urteil vom 23. Mai 2001, zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, hievon 10 Monate bedingt auf 3 Jahre, verurteilt wurde. Er wendet jedoch ein, dass die belangte Behörde, wie schon die Erstbehörde, die Wertung seines Verhaltens nur ungenügend vorgenommen und insbesondere kein (verkehrs)psychologisches Gutachten für die Erstellung der Verhaltensprognose eingeholt habe. Der Beschwerdeführer vertritt ferner die Auffassung, auch bei Vornahme der nach § 7 FSG notwendigen Wertung könne nicht abgeleitet werden, aus welchen Gründen ihm gegenüber eine Entziehung der Lenkberechtigung auszusprechen sei.

Zu Recht ging die belangte Behörde davon aus, dass auf Grund der vom Beschwerdeführer begangenen Handlungen gegen die Sittlichkeit, im vorliegenden Fall gegen § 201 Abs. 2 StGB, eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 2 FSG vorliegt. Die belangte Behörde hat auch zu Recht nach den Umständen des von ihr geschilderten Tatherganges angenommen, dass, insbesondere wegen der damit verbundenen Gewaltanwendung und der Tatausführung in grob rücksichtsloser Weise, das zweifellos schwerwiegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers von besonderer Verwerflichkeit war.

Insoweit der Beschwerdeführer eine mangelnde Begründung zur Wertung im Bescheid der ersten Instanz rügt, ist ihm zu entgegnen, dass mit Erlassung des angefochtenen Bescheides dieser an seine Stelle tritt und daher ein Eingehen auf den erstinstanzlichen Bescheid entbehrlich ist.

Die belangte Behörde hat nach der Begründung ihres Bescheides auf Grund der nach § 7 Abs. 5 FSG vorzunehmenden Wertung, in die sie dem Gesetz entsprechend die Verwerflichkeit des Fehlverhaltens und die seit der Begehung der Tat verstrichene Zeit einbezogen hat, die Auffassung vertreten, es sei im Sinne des § 7 Abs. 2 FSG anzunehmen, dass der Beschwerdeführer sich wegen der in seinem bisherigen Fehlverhalten äußernden Sinnesart weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen werde, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden. Die diesbezügliche rechtliche Beurteilung der belangten Behörde kann im Hinblick auf die oben wiedergegebenen Umstände der Begehung der strafbaren Handlung - wobei zu berücksichtigen ist, dass sich der Beschwerdeführer zur Tatbegehung seines Kraftfahrzeuges bedient hat - sowie den Umstand, dass während der Dauer des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers sowohl das gerichtliche Strafverfahren als auch das Entziehungsverfahren durchgeführt worden waren, nicht als rechtswidrig erkannt werden, soweit sie sich auf die Beurteilung der Verkehrsunzuverlässigkeit im Zeitpunkt der Wirksamkeit der Entziehungsmaßnahme (Erlassung des Mandatsbescheides) und darüber hinaus für mindestens drei Monate bezieht. Dem Beschwerdeführer ist auch zu entgegnen, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Bestimmung der Entziehungsdauer keine Ermessensentscheidung darstellt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/11/0281).

Die Beschwerde ist jedoch begründet, insoweit mir ihr geltend gemacht wird, die festgesetzte Dauer der Entziehung sei zu lang.

Die belangte Behörde sprach aus, dass die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für die Dauer von 12 Monaten ab Zustellung des Mandatsbescheides vom 5. Juni 2001 (welche am 11. Juni 2001 erfolgte) entzogen werde, somit bis 11. Juni 2002. Dies entspricht, gerechnet ab den hier in Rede stehenden Taten vom 16. Mai 2000 einem Zeitraum von nahezu 25 Monaten. Die belangte Behörde berücksichtigte, dass der Beschwerdeführer zu 15 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, wobei 10 Monate hievon auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden, maß diesem Umstand aber offensichtlich keine Bedeutung zu.

Dem ist entgegen zu halten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung zum Führerscheingesetz bereits wiederholt ausgesprochen hat, dass die bedingte Strafnachsicht zwar für sich allein noch nicht zwingend dazu führt, dass der Betreffende bereits als verkehrszuverlässig anzusehen sei, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass nach § 43 Abs. 1 StGB im Rahmen der Entscheidung über die bedingte Strafnachsicht die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen seien und es sich dabei im Einzelfall durchwegs um Umstände handeln könne, die für die in § 7 Abs. 5 FSG genannten Wertungskriterien von Bedeutung sein können (siehe dazu unter anderem die hg. Erkenntnisse vom 23. April 2002, Zlen. 2001/11/0406 und 2002/11/0019, und vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0108, jeweils mwN).

Die belangte Behörde setzte sich im angefochtenen Bescheid mit den Argumenten des Strafgerichtes zur bedingten Strafnachsicht hinsichtlich eines Teiles von zwei Drittel der verhängten Freiheitsstrafe im Einzelnen nicht auseinander, weil sie offensichtlich in Verkennung der dargestellten Rechtslage der Auffassung war, dass dies nicht von Bedeutung wäre. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es für die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit nach § 7 Abs. 2 FSG nicht genügt, dass die Begehung weiterer schwerer strafbarer Handlungen bloß nicht ausgeschlossen werden kann. Es muss vielmehr die Annahme begründet sein, dass der Betreffende für die gesamte Dauer der Entziehungszeit "sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird" (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 23. April 2002, Zl. 2002/11/0019).

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 25. Februar 2003

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