VwGH 2001/11/0224

VwGH2001/11/022428.10.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der I in I, vertreten durch Mag. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 24, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 23. Mai 2001, Zl. Va-456-31.278/3-2001, betreffend Zurückweisung eines Antrags iA. Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §68 Abs1;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte am 21. August 2000 beim Stadtmagistrat Innsbruck-Sozialamt einen Antrag auf "Übernahme des Mietanteiles für den Monat August und der laufenden Miete in der Höhe von monatlich S 1.750,--". Sie lebe seit 15. Juli 2000 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten in einer Wohnung in I. Der monatliche Mietzins betrage inklusive Betriebskosten S 3.500,--, womit ihr Mietanteil monatlich S 1.750,-- betrage.

Mit Bescheid vom 27. September 2000 wies der Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck den Antrag der Beschwerdeführerin auf Übernahme der Kosten für die Unterkunft gemäß § 1 und § 4 des Tiroler Sozialhilfegesetzes (TSHG) in Verbindung mit § 1 lit. b der Verordnung der Landesregierung vom 19. November 1974 über Arten, Form und Ausmaß der Sozialhilfe (Sozialhilfeverordnung) ab. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass die Beschwerdeführerin nicht fähig sei, die vom Vermieter zum Gebrauch angebotene Unterkunft samt Inventar mit der notwendigen Sorgfalt zu nutzen. Aufgrund der Kenntnis des Sozialamtes über den bisherigen wiederholten missbräuchlichen Gebrauch der Beschwerdeführerin von Mietwohnungen sei der Zeitpunkt einer neuen Anmietung bzw. einer Kostentragung eines Mietanteiles einer angemieteten Wohnung verfrüht. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 8. November 2000 beantragte die Beschwerdeführerin beim Stadtmagistrat Innsbruck die Übernahme der "Hälfte der Miete für November 2000 und laufend in der Höhe von S 1.750,-- sowie meinen Mietanteil rückwirkend für Oktober 2000 - ebenfalls in der Höhe von S 1.750,--". Die Beschwerdeführerin verwies in diesem Antrag darauf, dass ihre Situation dem Amt weitgehend bekannt sei. Sie wohne seit Juli 2000 mit ihrem Lebensgefährten in einer Wohnung in Innsbruck. Vom Sozialamt erhalte sie zur Deckung des Lebensunterhaltes den Richtsatz für den Haushaltsvorstand. Ansonsten verfüge sie über kein weiteres Einkommen und sei arbeitsunfähig.

Mit Bescheid vom 25. Jänner 2001 wies der Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck den Antrag der Beschwerdeführerin vom 8. November 2000 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

Die dagegen erhobene Berufung wies die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 23. Mai 2001 gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab. In der Begründung wurde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der einschlägigen Rechtsvorschriften ausgeführt, für die Berufungsbehörde sei Sache im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG ausschließlich die Frage, ob die erstinstanzliche Behörde zu Recht den neuerlichen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen habe. Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages aufgrund des geänderten Sachverhaltes dürfe ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden seien. In der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid könnten derartige Gründe nicht neu vorgebracht werden. Den Berufungsausführungen, wonach mittlerweile eine Verlängerung des Mietvertrages in Aussicht gestellt worden sei und die Beschwerdeführerin seit sieben Monaten Wohnen ohne Sachbeschädigung übe, komme daher keine rechtliche Relevanz zu. Das Vorbringen im Beiblatt zum Sozialhilfeantrag vom 8. November 2000 unterscheide sich jedoch nur in einem unwesentlichen Nebenpunkt vom abgewiesenen Sozialhilfeantrag vom "28. Juli 2000" (richtig: 21. August 2000) . Während der Antrag vom "28. Juli 2000" (richtig: 21. August 2000) die Übernahme der halben Mietkosten ab August 2000 laufend zum Gegenstand habe, werde im Antrag vom 8. November 2000 die Übernahme der halben Mietkosten ab Oktober 2000 laufend begehrt. Entschiedene Sache liege nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lediglich dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben. Das um drei Monate "nach hinten" verschobene Zahlungsbegehren an sich rechtfertige daher noch keinesfalls eine neuerliche Sachentscheidung. Die Rechtskraftwirkung von Bescheiden würde sich allzu leicht untergraben lassen, würde man dem zeitlichen Moment von Anträgen schlechthin Wesentlichkeit in Bezug auf das Nichtvorliegen einer "res iudicata" zubilligen. Eine Änderung des wesentlichen Sachverhaltes sei zudem von der Beschwerdeführerin im Antrag vom 8. November 2000 nicht einmal behauptet worden. Vielmehr werde im neuerlichen Antrag sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Situation dem Amt weitgehend bekannt sei. Der Begriff "Identität der Sache" müsse in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden. Dies bedeute, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen müsse. Im Lichte der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erweise sich auch das restliche Vorbringen der nunmehrigen Beschwerdeführerin im oben angeführten Antrag als nicht geeignet, eine rechtlich relevante Änderung des Sachverhaltes darzutun. Vielmehr sei mit diesem Antrag offenbar der Zweck verfolgt worden, ein bereits rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren ohne Geltendmachung wesentlicher Gründe hiefür wieder aufzurollen. Zusammenfassend sei die Erstbehörde somit zu Recht von einer entschiedenen Sache ausgegangen. Der Beschwerdeführerin werde es in Zukunft jedoch unbenommen bleiben, einen neuerlichen Sozialhilfeantrag unter Darlegung jener Umstände, welche zu einer anderen Beurteilung der erstinstanzlichen Entscheidung führen könnten, zu stellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anträge von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet.

2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stehen dem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung eines Bescheides Ansuchen gleich, die eine erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage) bezwecken, weil § 68 Abs. 1 AVG in erster Linie das wiederholte Aufrollen einer bereits entschiedenen Sache verhindern soll. Identität der Sache liegt dann vor, wenn weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteienbegehrens maßgebenden tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich das neue Parteienbegehren im Wesentlichen (von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, abgesehen) mit dem früheren deckt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1991, Zl. 91/11/0107).

Für die Berufungsbehörde ist Sache im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG ausschließlich die Frage, ob die erstinstanzliche Behörde mit Recht den neuerlichen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat. Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages wegen geänderten Sachverhaltes darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 1997, Zl. 95/09/0189, und vom 6. März 1997, Zl. 94/09/0229). In der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid können derartige Gründe nicht neu vorgebracht werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 1991, Zl. 90/11/0229).

Der von der Rechtskraft erfasste Abspruch eines Bescheides besteht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur aus dem Spruch des Bescheides allein, sondern aus dem Spruch in Verbindung mit der Begründung, insoweit sich aus ihr der von der Behörde angenommene maßgebende Sachverhalt, das heißt der als Anknüpfungspunkt für die rechtliche Beurteilung dienende Sachverhalt ergibt. Bei einer behaupteten Änderung des Sachverhaltes kommt es also darauf an, ob diese Änderung jene Umstände betrifft, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben. Gegenstand der Prüfung der Behörde ist daher die Behauptung des Vorliegens neu entstandener Tatsachen gegenüber jenen, die für die frühere Entscheidung bestimmend waren. Dabei ist auch die Behörde - ebenso wie auch der Verwaltungsgerichtshof - an die in der tragenden Begründung des (rechtskräftig gewordenen) Bescheides klar zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht gebunden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1992, Zl. 91/08/0166, mwN).

Im Beschwerdefall war tragende Begründung des rechtskräftigen Bescheides vom 27. September 2000 - die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides hat im Folgenden dahinzustehen - der von der Behörde angenommene Umstand, dass die Beschwerdeführerin nicht fähig sei, eine Unterkunft samt Inventar mit der notwendigen Sorgfalt zu nutzen. Einzig aus diesem Grund lehnte es der Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck ab, die Kosten für die Unterkunft zu übernehmen.

Dass sich dieser entscheidungswesentliche Sachverhalt geändert hätte, behauptet die Beschwerdeführerin weder in ihrem neuerlichen Antrag, der im Wesentlichen ihrem Antrag vom 21. August 2000 entspricht (in beiden Anträgen wurde die Übernahme der laufenden Mietkosten begehrt), noch sonst im erstinstanzlichen Verfahren. Sie verwies vielmehr darauf, dass ihre Situation dem Amt weitgehend bekannt sei. Um eine neue Entscheidung in der Sache zu erreichen, wäre aber Sache der Beschwerdeführerin gewesen Umstände anzugeben, aus denen sich ergibt, dass sie nunmehr in der Lage sei, eine Unterkunft mit der notwendigen Sorgfalt zu nutzen. Auf die in der Berufung neu vorgebrachten Tatsachen ist die belangte Behörde vor dem Hintergrund der oben dargelegten Rechtslage zu Recht nicht eingegangen.

Es kann daher auch nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde durch die Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides den Antrag der Beschwerdeführerin mangels Änderung der entscheidungserheblichen Umstände wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat.

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 28. Oktober 2003

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