VwGH 2001/11/0220

VwGH2001/11/022026.2.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der R in S, vertreten durch Dr. Manfred Jokesch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Kaigasse 11, gegen die Bescheide der Salzburger Landesregierung vom 2. Jänner 2001, Zl. 3/01-23.364/5-2000 und Zl. 3/01-23.364/6-2001, jeweils betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
SHG Slbg 1975 §12 Abs4;
SHG Slbg 1975 §9 Abs1;
AVG §45 Abs2;
SHG Slbg 1975 §12 Abs4;
SHG Slbg 1975 §9 Abs1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Das Land Salzburg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 28. Juni 2000 gewährte der Bürgermeister der Stadt Salzburg der (im Jahr 1948 geborenen) Beschwerdeführerin auf Grund des Antrages vom 6. Juni 2000 für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis 31. August 2000 folgende monatliche Geldleistungen: S 1.716,-- (zu leisten an die Salzburger Stadtwerke; dabei handelt es sich nach dem im Akt befindlichen Sozialhilfe-Berechnungsbogen um die Kosten für Strom, Heizung und Boiler), S 3.437,28 (zu leisten an den Magistrat Salzburg; dabei handelt es sich nach dem Sozialhilfe-Berechnungsbogen um die Miete), S 1.263,34 als "Richtsatz 7/00" und S 609,59 als "Richtsatz 8/00". Krankenhilfe werde nur so weit und so lange gewährt, als nicht ein Leistungsanspruch gegenüber einem Krankenversicherungsträger bestehe. Der Bescheid wurde auf die §§ 6, 9, 11, 12 und 29 des Salzburger Sozialhilfegesetzes (SSHG) gestützt.

In der Begründung dieses Bescheides wird ausgeführt, der Richtsatz für die Beschwerdeführerin sei um 50 % gekürzt worden, weil sie den Termin 30. Mai 2000 zwecks Feststellung der Arbeitsfähigkeit bei der Amtsärztin Dr. W. nicht eingehalten habe bzw. bei Vergabe des Termins bereits mitgeteilt habe, diesen nicht wahrzunehmen. Die Untersuchung bei einem Nervenarzt zwecks Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit sei von der Beschwerdeführerin ebenfalls abgelehnt worden. Gemäß § 9 SSHG sei die Hilfe davon abhängig zu machen, dass der Hilfe Suchende bereit sei, seine Arbeitskraft in zumutbarer Weise zur Beschaffung des Lebensbedarfes einzusetzen. Da die Beschwerdeführerin die Untersuchung ablehne und daher gegen die Mitwirkungspflicht verstoße, werde gemäß § 12 Abs. 4 SSHG der Richtsatz gekürzt.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 9. Juli 2000 Berufung, in der sie erklärt, die Amtsärztin Dr. W. nicht aufsuchen zu wollen, weil diese sie für voll arbeitsfähig erklärt habe, ohne die vorgelegten Befunde zu berücksichtigen. Auf Grund der Befunde wäre sie nicht in der Lage gewesen, eine derartige Feststellung zur Arbeitsfähigkeit zu treffen. Die Beschwerdeführerin lasse sich auch nicht zu einem Nervenarzt schicken, weil sie geistig völlig gesund sei.

Mit Bescheid vom 22. August 2000 gewährte der Bürgermeister der Stadt Salzburg der Beschwerdeführerin auf Grund ihres Antrages vom 1. August 2000 für die Zeit vom 1. September 2000 bis 31. Jänner 2001 folgende monatliche Geldleistungen: S 1.289,84 (zu leisten an die Stadtwerke Salzburg) und S 3.437,28 (zu leisten an den Magistrat der Stadt Salzburg). In den Monaten März, Juni, September und Dezember jeden Jahres, erstmals im September, gebühre eine Sonderzahlung in der Höhe von jeweils S 3.362,50, die zur Deckung des Aufwandes für Heizung und Bekleidung zu verwenden sei. Krankenhilfe werde nur so weit und so lange gewährt, als nicht ein Leistungsanspruch gegenüber einem Krankenversicherungsträger bestehe. Als Rechtsgrundlage wurden in diesem Bescheid die §§ 6, 11, 12 und 29 SSHG genannt.

In der Begründung dieses Bescheides wird ausgeführt, der Richtsatz für die Beschwerdeführerin werde um 80 % gekürzt, weil sie noch immer die Untersuchung bei der Amtsärztin zwecks Feststellung der Arbeitsfähigkeit ablehne. Da sie gegen ihre Mitwirkungspflicht verstoße, werde gemäß § 12 Abs. 4 SSHG der Richtsatz gekürzt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. September 2000 Berufung, die sich inhaltlich im Wesentlichen mit der oben erwähnten Berufung vom 9. Juli 2000 deckt.

Mit den angefochtenen Bescheiden gab die belangte Behörde den Berufungen keine Folge und bestätigte die erstinstanzlichen Bescheide. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, aus einer Stellungnahme der Amtssachverständigen vom 30. Mai 2000 gehe hervor, dass die Beschwerdeführerin (möglicherweise) an einer psychischen Erkrankung leide. Dies sei bereits durch einen anderen Amtsarzt im Jahr 1998 festgestellt worden. Im Berufungsverfahren sei der Beschwerdeführerin mitgeteilt worden, die Untersuchung durch die ärztliche Amtssachverständige vom 30. Mai 2000 müsse überprüft werden, um den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu ermitteln. Die Beschwerdeführerin habe sich bereit erklärt, sich einer Untersuchung bei einer Ärztin des sozialmedizinischen Dienstes des Landes Salzburg zu unterziehen. Als Termin sei der 15. Dezember 2000 vereinbart worden. Diesen Termin habe die Beschwerdeführerin ohne Angabe einer Begründung nicht eingehalten.

Die Beschwerdeführerin verweigere sowohl die weitere Untersuchung beim Amtsarzt als auch die Untersuchung bei einem Nervenarzt, obwohl aus medizinischer Sicht bereits mehrmals auf eine psychische Erkrankung hingewiesen worden sei. Um die Möglichkeit des Einsatzes der Arbeitskraft festzustellen, sei der Hilfe Suchende im Rahmen der Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren angehalten, zum Ermittlungsverfahren beizutragen. Dies werde von der Beschwerdeführerin verweigert. Es sei daher gerechtfertigt, im Sinne des § 9 SSHG den Richtsatz um 50 % bzw. 80 % zu kürzen. Die im Ermessen der Behörde liegende Höhe der Richtsatzkürzung liege im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Die Steigerung der Kürzung von 50 % auf 80 % sei gerechtfertigt, weil der Beschwerdeführerin bereits im Bescheid vom 28. Juni 2000 der Richtsatz gekürzt worden sei und ihr dadurch die Problematik hätte bekannt sein müssen.

Gegen diese Bescheide erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 12. Juni 2001, B 74, 75/01-16, die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerde im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzt und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin behauptet, die belangte Behörde sei nicht die "ordnungsgemäße Berufungsinstanz". Es werde "vorsichtshalber angezweifelt, dass die belangte Behörde für die gegenständliche Berufung zuständig ist, vielmehr wäre eine Berufungsbehörde innerhalb des Magistrates Salzburg zuständig gewesen".

Diese Ausführungen der Beschwerdeführerin gehen an der Rechtslage vorbei. Gemäß § 29 Abs. 1 SSHG ist für die Vollziehung der in diesem Gesetz geregelten behördlichen Aufgaben die Bezirksverwaltungsbehörde sachlich zuständig, soweit nichts anderes bestimmt ist. Gemäß § 29 Abs. 2 leg. cit. ist außer den in diesem Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen die Landesregierung für die Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Bezirksverwaltungsbehörde zuständig.

Die Stadt Salzburg ist eine Stadt mit eigenem Statut. Sie ist Gemeinde und zugleich politischer Bezirk. Sie hat neben den Aufgaben der Gemeindeverwaltung auch die der Bezirksverwaltung zu besorgen (siehe dazu Art. 116 Abs. 3 B-VG im Zusammenhalt mit § 1 Abs. 2 des Salzburger Stadtrechtes 1966, LGBl. Nr. 47/1966). Nach § 39 Abs. 1 des Salzburger Stadtrechtes 1966 umfasst der übertragene Wirkungsbereich die Angelegenheiten, die die Stadt nach Maßgabe der Bundesgesetze oder der Landesgesetze im Auftrag und nach den Weisungen der zuständigen staatlichen Behörden zu besorgen hat. Hiezu gehören auch die Aufgaben der Bezirksverwaltung. Gemäß § 39 Abs. 2 des Salzburger Stadtrechtes 1966 werden die Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches vom Bürgermeister besorgt. Gemäß § 53 Abs. 3 des Salzburger Stadtrechtes 1966 geht im Bereiche des übertragenen Wirkungsbereiches der Instanzenzug in den Angelegenheiten der Landesvollziehung, soweit nicht gesetzlich anderes bestimmt ist, an die Landesregierung.

Auf Grund der dargestellten Rechtslage war der Bürgermeister der Stadt Salzburg in erster Instanz zuständig, die Landesregierung als Berufungsbehörde. Den - nicht näher konkretisierten - Ausführungen der Beschwerde liegt möglicherweise die irrige Vorstellung zugrunde, bei den mit den angefochtenen Bescheiden erledigten Angelegenheiten handle es sich um Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde.

Für die Erledigung der Beschwerde sind folgende Bestimmungen des SSHG von Bedeutung:

"Einsatz der eigenen Kräfte

§ 9

(1) Art und Ausmaß der Hilfe sind davon abhängig zu machen, dass der Hilfe Suchende bereit ist, seine Arbeitskraft in zumutbarer Weise zur Beschaffung seines Lebensbedarfes einzusetzen. Dabei ist auf die persönlichen Verhältnisse des Hilfe Suchenden, insbesondere den körperlichen und geistig-seelischen Zustand sowie den Grad seiner sozialen Anpassung, das Lebensalter und die berufliche Eignung und Vorbildung des Hilfe Suchenden sowie gegebenenfalls auch auf die geordnete Erziehung der unterhaltsberechtigten Kinder angemessen Bedacht zu nehmen. Über Anordnung des Sozialhilfeträgers hat sich der Hilfe Suchende zumutbaren Maßnahmen zu unterziehen, die zur Verbesserung seiner Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt dienen.

(2) Der Einsatz der eigenen Arbeitskraft darf keinesfalls verlangt werden:

  1. 1. von Personen, die Hilfe im Sinne des § 16 erhalten;
  2. 2. von Frauen ab dem vollendeten 60. und von Männern ab dem vollendeten 65. Lebensjahr.

    ...

    Richtsätze

    § 12

(1) Die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hat bezüglich der im Abs. 3 angeführten Teile unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen. Die Richtsätze sind durch Verordnung der Landesregierung festzusetzen.

...

(4) Der Richtsatz kann im Einzelfall unterschritten und auf das zum Lebensunterhalt unerlässliche Maß beschränkt werden, wenn der Hilfe Suchende trotz Belehrung und Ermahnung mit den ihm zur Verfügung gestellten Mitteln nicht sparsam umgeht. Der Lebensunterhalt unterhaltsberechtigter Angehöriger darf dadurch jedoch nicht beeinträchtigt werden; dies gilt auch bei völligem Entfall der Hilfeleistung bei Vorliegen der Voraussetzung gemäß § 9."

Aus § 9 Abs. 1 SSHG ergibt sich die Pflicht des Hilfe Suchenden, seine Arbeitskraft in zumutbarer Weise zur Beschaffung seines Lebensbedarfes einzusetzen. Bei der Beurteilung, inwieweit dies möglich ist, ist u.a. auf den körperlichen und geistigseelischen Zustand, das Lebensalter und die berufliche Eignung und Vorbildung des Hilfe Suchenden angemessen Bedacht zu nehmen. Die in dieser Gesetzesstelle vorgesehene Bedachtnahme auf den körperlichen und geistig-seelischen Zustand des Hilfe Suchenden kann es erforderlich machen, Ermittlungen darüber durchzuführen, inwieweit auf Grund des körperlichen und des geistig-seelischen Zustandes des Hilfe Suchenden dessen Arbeitsfähigkeit überhaupt gegeben ist, ob der Einsatz der Arbeitskraft zumutbar und in welchem Umfang der Hilfe Suchende durch den Einsatz seiner Arbeitskraft seinen Lebensbedarf decken könnte. Um Feststellungen über den körperlichen und den geistig-seelischen Zustand eines Hilfe Suchenden treffen zu können, kann die Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens notwendig sein. Ein solches Gutachten erfordert im Regelfall eine Untersuchung durch den begutachtenden Arzt, es sei denn, die Erstattung des Gutachtens wäre bereits auf Grund vorliegender ärztlicher Befunde möglich. Den Hilfe Suchenden trifft dabei im Ermittlungsverfahren eine erhöhte Mitwirkungspflicht, weil sich die Behörde die Kenntnis über seinen körperlichen und geistig-seelischen Zustand nicht allein von Amts wegen verschaffen kann und daher auf die Bereitschaft des Hilfe Suchenden angewiesen ist, Befunde beizubringen und sich im Bedarfsfall untersuchen zu lassen. Die Weigerung der Partei, in dem von Amts wegen zu führenden Ermittlungsverfahren in der beschriebenen Weise mitzuwirken, unterliegt der freien Beweiswürdigung durch die Behörde. Diese kann aus einer Verletzung der Mitwirkungspflicht im Rahmen der Beweiswürdigung für die Partei negative Schlüsse ziehen (siehe dazu u.a. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) unter E. Nr. 205 und 206 zu § 39 AVG zitierte hg. Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist die Behörde auf Grund der Weigerung der Beschwerdeführerin, sich untersuchen zu lassen, mit einer Kürzung des von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Anspruches vorgegangen, ohne darzulegen, von welchem Sachverhalt sie dabei ausgeht. Weder der von der Erstbehörde herangezogene

§ 12 Abs. 4 SSHG, noch der von der belangten Behörde herangezogene

§ 9 leg. cit. knüpfen an die Verletzung der beschriebenen

Mitwirkungspflicht im Ermittlungsverfahren unmittelbar die Folge der (im Ermessen der Behörde liegenden) Richtsatzkürzung. Die Verletzung der Mitwirkungspflicht kann - wie oben dargelegt wurde -

nur im Rahmen der freien Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Die belangte Behörde hat aber in Verkennung der Rechtslage keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen, die eine Beurteilung der Fähigkeit der Beschwerdeführerin, durch zumutbaren Einsatz ihrer Arbeitskraft ihren Lebensbedarf zu beschaffen, ermöglicht hätten. Sie hat demnach auch keine Würdigung der vorliegenden Beweise vorgenommen, in deren Rahmen sie die Verletzung der Mitwirkungspflicht hätte berücksichtigen können.

Aus den dargelegten Erwägungen waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Von der von der Beschwerdeführerin beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 26. Februar 2002

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