VwGH 2001/06/0011

VwGH2001/06/001111.7.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde 1. des GE, 2. der IE, 3. des RE, 4. der HEund 5. der DE, alle in I, alle vertreten durch Dr. Christine Mascher, Rechtsanwältin in 6060 Hall in Tirol, Stadtgraben 15/1, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 14. Dezember 2000, Zl. I- 8254/1998, betreffend Wiederaufnahme von Baubewilligungsverfahren (mitbeteiligte Partei: IT in I, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer und Dr. Roman Bacher, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Erlerstraße 13/IV), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1 Z2;
VermG 1968 §13 Abs1;
VermG 1968 §13 Abs3;
VermG 1968 §13;
VermG 1968 §39;
VermG 1968 §8 Z1;
AVG §69 Abs1 Z2;
VermG 1968 §13 Abs1;
VermG 1968 §13 Abs3;
VermG 1968 §13;
VermG 1968 §39;
VermG 1968 §8 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben jeweils zu gleichen Teilen der Landeshauptstadt Innsbruck insgesamt Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- und der mitbeteiligten Partei insgesamt Aufwendungen in der Höhe von EUR 934,16 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Das Grundstück des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin bzw. das Grundstück der übrigen Beschwerdeführer grenzen unmittelbar westlich an das verfahrensgegenständliche Baugrundstück Nr. 2951/6, KG H (siehe dazu auch das im Folgenden noch angeführte hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2000, Zl. 99/06/0018).

Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 1. April 1996 wurde der Mitbeteiligten die Baubewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage (terrassenförmig in den Hang eingebaut mit 9 Ebenen) auf dem genannten Baugrundstück bewilligt.

Die dagegen von den Beschwerdeführern erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Berufungskommission in Bausachen der Landeshauptstadt Innsbruck vom 13. Juni 1996 wegen Präklusion gemäß § 42 AVG als unbegründet abgewiesen.

Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 21. Juni 1998 wurden verschiedene Änderungen der Wohnhausanlage bewilligt.

Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 29. Juni 1998 wurden je ein Wintergarten in der Ebene 5 und 6 bewilligt.

Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 5. Oktober 1998 wurden weitere Änderungen, die sich u.a. im Bereich des Seitenabstandes zu den Grundstücken der Beschwerdeführer befinden, bewilligt.

Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. Dezember 1998 wurden die Berufungen der Beschwerdeführer gegen die beiden zuletzt genannten erstinstanzlichen Bescheide als unbegründet abgewiesen.

Die dagegen von den Beschwerdeführern erhobene Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof wurde mit dem hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2000, Zl. 99/06/0018, als unbegründet abgewiesen.

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2000 wurde von den Beschwerdeführern im Hinblick auf sämtliche angeführte Bauverfahren ein Wiederaufnahmeantrag gestellt, der auf § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG (Herbeiführung der Erteilung der Bewilligungen durch gerichtlich strafbare Handlungen bzw. Erschleichung) und § 69 Abs. 1 Z. 2, in eventu Z. 3 AVG (Vorliegen einer neuen Tatsache, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht habe geltend gemacht werden können, bzw. unrichtige Beurteilung des Grenzverlaufes und damit einer Vorfrage gemäß § 38 AVG, über die nachträglich von der hiefür zuständigen Behörde in wesentlichen Punkten "anders zu entscheiden sein wird") gestützt wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Wiederaufnahmeantrag der Beschwerdeführer betreffend die Bauverfahren, in denen mit erstinstanzlichen Bescheiden vom 29. Juni 1998 und vom 5. Oktober 1998 bestimmte Änderungen des Bauvorhabens bewilligt und die mit Berufungsbescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 21. Dezember 1998 rechtskräftig abgeschlossen wurden, als unzulässig zurückgewiesen.

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die belangte Behörde den Tatbestand des Erschleichens der Baubewilligung nicht erkennen könne, zumal, wie aktenkundig sei, der Bauwerber in durchaus zulässiger Form jeweils um die nachfolgenden Planänderungen bei der Behörde angesucht und diesbezüglich auch jeweils nach Durchführung der entsprechenden Ermittlungsverfahren eine bescheidgemäße, mittlerweile rechtskräftige Erledigung erhalten hätte. Letztendlich sei die dagegen beim Verwaltungsgerichtshof betreffend die verfahrensgegenständlichen Baubewilligungsverfahren erhobene Beschwerde mit dessen Erkenntnis vom 29. Juni 2000, Zl. 99/06/0018, als unbegründet abgewiesen worden.

Zu dem weiteren geltend gemachten Wiederaufnahmegrund gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2, in eventu Z. 3 AVG, nach dem die Behörde auf Grund einer unrichtig wiedergegebenen Planurkunde eines Vermessungssachverständigen den Grenzverlauf tatsachenwidrig angenommen habe, und diesbezüglich nach § 13 Vermessungsgesetz ein Berichtigungsverfahren vor dem Vermessungsamt Innsbruck behänge, sei anzumerken, dass es sich bei den in § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG bezeichneten "Tatsachen und Beweismittel" um neu hervorgekommene handeln müsse, die bereits zur Zeit des Verfahrens bestanden hätten, aber erst später nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens bekannt geworden seien. Dabei seien mit "Tatsachen" Geschehnisse im Seinsbereich, mit "Beweismitteln" Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint. Nach ständiger Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes könnten weder ein einem Sachverständigen in einem Gutachten unterlaufener Irrtum noch neue Schlussfolgerungen eines dem Verwaltungsverfahren nicht beigezogenen Sachverständigen einen Wiederaufnahmegrund darstellen (es wird auf die hg. Erkenntnisse vom 2. Juni 1982, Zl. 81/03/0151, und vom 19. April 1994, Zl. 90/07/0124, verwiesen). In Beachtung dieser Rechtsprechung sei daher auch das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht geeignet, die in Rede stehenden Verwaltungsverfahren wieder aufzunehmen, zumal insbesondere auf Grund des noch nicht abgeschlossenen Berichtigungsverfahrens vor dem Vermessungsamt Innsbruck eine neue "Tatsache" gar nicht geltend gemacht werden könne, weil der Ausgang dieses Verfahrens noch offen sei.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat - wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet. Sowohl die Beschwerdeführer als auch die Mitbeteiligte haben Repliken vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 69 Abs. 1 AVG i.d.F. der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998, ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

"1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde."

Zu dem Wiederaufnahmegrund des unrichtig angenommenen Grenzverlaufes (§ 69 Abs. 1 Z. 2, in eventu Z. 3 AVG) machen die Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde habe nicht beantwortet, ob es sich bei dem geltend gemachten Fehler des Vermessers um eine Tatsache oder ein Beweismittel handle. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte aber zunächst einmal festgestellt werden müssen, dass es sich bei dem Umstand, dass bereits im Jahr 1994 dem damals für den Flächentausch (nicht jedoch im Bauverfahren) beigezogenen Vermesser Dipl. Ing. P ein Fehler bei der vermessungstechnischen Grenzerfassung unterlaufen sei, sowohl um eine Tatsache als Geschehnis im Seinsbereich als auch um ein Beweismittel im weiteren Sinne, nämlich als Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen, handle. Faktum sei, dass 1994 eine Grenze falsch erfasst und katastermäßig eingetragen worden sei, die auch dem baubehördlichen Bewilligungsverfahren zu Grunde gelegt worden sei. Dieser Umstand sei erst durch die entsprechende Aussage des Vermessers selbst am 2. Oktober 2001 (richtig: 2. Oktober 2000) vor dem Vermessungsamt Innsbruck entsprechend sicher dokumentiert worden und hätte die Beschwerdeführer zur Stellung der Wiederaufnahmeanträge berechtigt. Bei dem Vermesser Dipl. Ing. P handle es sich um einen Sachverständigen im zivilrechtlichen Sinne. Die von der belangten Behörde herangezogene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Juni 1982, Zl. 81/03/0151, habe einen im verwaltungsbehördlichen Verfahren beigezogenen Sachverständigen vor Augen.

Es handle sich aber auch nicht - wie die belangte Behörde ins Treffen geführt habe - um neue Schlussfolgerungen eines dem Verwaltungsverfahren nicht beigezogenen Sachverständigen, sondern gerade um die eine Wiederaufnahme sehr wohl rechtfertigenden neuen Befundergebnisse eines Sachverständigen. Dazu werde neuerlich dargelegt, dass, um den Flächenabtausch vermessungstechnisch durchzuführen, dem Tauschvertrag zwischen den Liegenschaftsnachbarn ein Vermessungsplan zu Grunde gelegt worden sei, der - wie sich nunmehr herausgestellt habe - unrichtig gewesen sei. Dieser falsche Plan sei in den Kataster übernommen worden und auch im Grundbuch so festgehalten worden. In weiterer Folge hätten sich sämtliche mit dem Bauvorhaben auf dem verfahrensgegenständlichen Baugrundstück befassten Personen, an diesem Plan orientiert und er sei auch zur Grundlage der baubehördlichen Bewilligungen gemacht worden. Erst Ende des Jahres 2000 habe der Vermesser den Fehler eingestanden, weshalb die Beschwerdeführer fristgerecht der Behörde von diesem Umstand Mitteilung gemacht und die Wiederaufnahme der Bauverfahren beantragt hätten. Mittlerweile liege sogar ein entsprechender Bescheid gemäß § 13 Vermessungsgesetz vor, nach dem der Grenzverlauf nunmehr berichtigt werden solle. Hätte die belangte Behörde bereits früher die Aussage des angeführten Sachverständigen vorliegen gehabt, wonach diesem im Jahr 1994 ein Fehler bei der katastermäßigen Darstellung der Grenze unterlaufen sei, so hätte sie anders lautende Bescheide erlassen müssen. Die baubehördlichen Genehmigungen hätten in dieser Art und Weise nicht erlassen werden dürfen, da die Abstandsbestimmungen nicht eingehalten worden seien.

Aus dem Vermessungsakt ergibt sich, dass am 2. Oktober 2000 eine zeugenschaftliche Einvernahme des Sachverständigen Dipl. Ing. P stattgefunden hat. Aus dieser Einvernahme ging hervor (siehe dazu das Schreiben des Vermessungsamtes Innsbruck an den Sachverständigen Dipl. Ing. P. vom 6. Oktober 2000), dass der Sachverständige in seiner Vermessungsurkunde "GZ 113/91A (VHW 47/94)", die der Eintragung in den Grenzkataster für das verfahrensgegenständliche Baugrundstück zu Grunde gelegen ist, für die Koordinaten des Punktes 46 ME (amtlicher Punkt 71873) irrtümlich die Koordinaten des aus der Geländeaufnahme (GZ des SV 1/90) stammenden Punktes 46 OKT (Oberkante Terrasse) verwendet worden seien. Weiters sei hervorgekommen, dass für die Berechnung der neuen Teilungslinie 46 ME nach 51 ER irrtümlich nicht die Koordinaten des Mauereckes 31, sondern die Koordinaten des Punktes 34 (Spannvorrichtung für Zaun, Mauermitte - GZ des Sachverständigen 1/90) verwendet worden seien. In der Folge hätten sich falsche Koordinaten für die berechneten Schnittpunkte 50, 302 ER (amtlicher Punkt 71878) und 51 ER (amtlicher Punkt 71874) ergeben.

Den Beschwerdeführern wurde mit dem Schreiben des Vermessungsamtes Innsbruck vom 6. Oktober 2000 eine Kopie der Niederschrift dieser Einvernahme des Sachverständigen mit der Einladung, dazu Stellung zu nehmen, übermittelt. Weiters wurde den Beschwerdeführern eine Kopie eines Schreibens an Dipl. Ing. P vom selben Tag übermittelt, nach dem der Sachverständige bis spätestens 10. November 2000 eine berichtigte Vermessungsurkunde beim Vermessungsamt Innsbruck einzubringen hätte.

Da die verfahrensgegenständliche als fehlerhaft erkannte Vermessungsurkunde des Dipl. Ing. P Grundlage für die Eintragung im Grenzkataster gemäß dem Vermessungsgesetz war, ist zunächst auf die maßgeblichen Bestimmungen dieses Gesetzes zu verweisen:

Gemäß § 8 Vermessungsgesetz, BGBl. Nr. 306/1968, ist der nach Katastralgemeinden angelegte Grenzkataster bestimmt:

  1. 1. zum verbindlichen Nachweis der Grenzen der Grundstücke und
  2. 2. zur bloßen Ersichtlichmachung der Benützungsarten, Flächenausmaße und sonstiger Angaben zur leichteren Kenntlichmachung der Grundstücke.

    Gemäß § 11 Abs. 1 Z. 2 VermessungsG i.d.F. BGBl. Nr. 238/1975 sind die Eintragungen in den Grenzkataster u.a. Anmerkungen der Mitteilungen der Vermessungsämter an die Grundbuchsgerichte über Amtshandlungen der gemäß § 39 erteilten Bescheinigungen.

    Ergibt sich, dass die Neuanlegung des Grenzkatasters oder eine in diesem enthaltene Einverleibung oder Anmerkung mit ihrer Grundlage nicht im Einklang steht oder fehlerhaft ist, so ist gemäß § 13 Abs. 1 VermessungsG von Amts wegen oder auf Antrag des Eigentümers die Berichtigung mit Bescheid zu verfügen.

    Die Einleitung eines Verfahrens nach § 13 Abs. 1 ist gemäß § 13 Abs. 2 leg. cit. im Grenzkataster anzumerken. Die Anmerkung hat zur Folge, dass für die betroffenen Grundstücke die Angaben des Grenzkatasters nicht als verbindlicher Nachweis nach § 8 Z. 1 anzusehen sind und der Schutz des guten Glaubens nach § 49 ausgeschlossen ist.

    Nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides nach § 13 Abs. 1 leg. cit. ist gemäß § 13 Abs. 3 VermessungsG die Berichtigung vorzunehmen und die Anmerkung zu löschen.

    Gemäß § 39 Abs. 1 VermessungsG bedürfen Pläne der im § 1 Abs. 1 Z 1, 3 und 4 sowie Abs. 2 des Liegenschaftsteilungsgesetzes, BGBl. Nr. 3/1930, bezeichneten Personen oder Dienststellen zu ihrer grundbücherlichen Durchführung einer Bescheinigung des Vermessungsamtes, die innerhalb zweier Jahre vor dem Einlangen beim Grundbuchsgericht ausgestellt ist.

    In § 39 Abs. 2 leg. cit. sind die Voraussetzungen für die Erteilung dieser Planbescheinigung geregelt.

    Zur Rüge der Beschwerdeführer, es sei von der belangten Behörde nicht festgestellt worden, ob eine Tatsache oder ein Beweismittel über eine Tatsache vorliege, ist festzustellen, dass es sich beim Grenzverlauf um eine Tatsache und bei den gemäß § 39 VermessungsG zu bescheinigenden Plänen um ein Beweismittel über die Tatsache des Grenzverlaufes handelt. Der gemäß § 39 VermessungsG bescheinigte Plan ist wiederum Grundlage für die Eintragung der Grenze im Grenzkataster, die gemäß § 8 Z. 1 VermessungsG den verbindlichen Nachweis der Grenzen des Grundstückes darstellt. Steht jedoch die Neuanlegung des Grenzkatasters und eine in diesem enthaltene Einverleibung oder Anmerkung mit ihrer Grundlage nicht im Einklang oder ist sie fehlerhaft, so ist gemäß § 13 Abs. 1 VermessungsG von Amts wegen oder auf Antrag des Eigentümers die Berichtigung mit Bescheid zu verfügen. Das Vermessungsgesetz sieht für den Fall einer herangezogenen fehlerhaften Urkunde ein eigenes Berichtigungsverfahren vor. Mit der Einleitung eines Berichtigungsverfahrens, die im Grenzkataster anzumerken ist, sind die Angaben des Grenzkatasters nicht mehr im Sinne des § 8 Z. 1 leg. cit. als verbindlich anzusehen. Der verfahrensgegenständliche Antrag des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vom 28. Juli 1999 auf Berichtigung des Grenzkatasters gemäß § 13 VermessungsG ist am 29. Juli 1999 beim Vermessungsamt Innsbruck eingelangt.

    In den vorliegenden bezogenen Baubewilligungsverfahren erfolgte die das Verfahren abschließende Berufungsentscheidung durch den Stadtsenat der Landeshauptstadt Innsbruck am 21. Dezember 1998. Die Baubehörde hatte über die Berufungen auf Grund der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungsbehörde, die eine Kollegialbehörde ist, zu entscheiden. In diesem Zeitpunkt war kein Berichtigungsverfahren anhängig. Es war somit - sofern die Frage des Grenzverlaufes für die vorliegenden Bauverfahren überhaupt von Bedeutung war, was dahingestellt bleiben kann - gemäß § 8 Z. 1 VermessungsG die Eintragung des Grenzverlaufes im Grenzkataster für die Berufungsentscheidung der belangten Behörde maßgeblich. Gemäß § 13 Abs. 3 VermessungsG ist nach Eintritt der Rechtskraft des Berichtigungsbescheides nach Abs. 1 die Berichtigung vorzunehmen und die Anmerkung zu löschen. Ein neues Beweismittel über den Grenzverlauf liegt sohin gemäß VermessungsG immer erst dann vor, wenn eine Berichtigung des Grenzkatasters gemäß § 13 VermessungsG durchgeführt wurde, die Berichtigung wirkt auch nicht zurück. Es lag somit im Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungsbehörde kein Beweismittel über den verfahrensgegenständlichen Grenzverlauf vor, in dem die Grenze in dem von den Beschwerdeführern dargelegten Sinne bereits berichtigt worden wäre.

    Gemäß der hg. Judikatur (vgl. die in Walter - Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 1491f zu E. 124 angeführten hg. Erkenntnisse) kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG nur auf solche Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten. Es muss sich also um Tatsachen oder Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde ("nova reperta"). Nach den einschlägigen Regelungen des VermessungsG ist - wie bereits dargelegt - für den Grenzverlauf vielmehr im Falle der Eintragung in den Grenzkataster bis zu der Anmerkung der Einleitung eines Berichtigungsverfahrens im Grenzkataster diese Eintragung des Grenzverlaufes maßgeblich und verbindlich. Dieser durch den Grenzkataster fixierte Grenzverlauf ist im Bauverfahren ein Sachverhaltselement, bei dessen späterer Änderung eine neue Tatsache (novum productum) gegeben ist.

    Das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG wurde daher von der belangten Behörde zu Recht verneint.

    Weiters meinen die Beschwerdeführer, dass die Frage nach dem richtigen Grenzverlauf auch eine Vorfrage gemäß § 38 AVG darstelle, die die belangte Behörde für die Entscheidung der Verwaltungssache selbst notwendigerweise zu lösen gehabt hätte. Diese Vorfrage sei vom Vermessungsamt Innsbruck nunmehr anders gelöst worden, da die Grenze richtig gestellt worden sei und es bilde dies sohin einen zulässigen Wiederaufnahmegrund. In diesem Sinne hätten die Beschwerdeführer auch diesen Wiederaufnahmegrund geltend gemacht.

    Gemäß § 38 erster Satz AVG ist, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen.

    Gemäß der hg. Judikatur zu § 38 AVG (vgl. die in Walter - Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2, S. 505 in E 1 angeführten hg. Erkenntnisse) handelt es sich bei einer Vorfrage um eine Frage, zu deren Beantwortung die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde sachlich nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet und daher von ihr bei ihrer Erledigung berücksichtigt werden muss. Eine Vorfrage ist ein vorweg, nämlich im Zuge der Tatbestandsermittlung zu klärendes rechtliches Element des bestimmten zur Entscheidung stehenden Rechtsfalles und setzt voraus, dass der Spruch der erkennenden Behörde in der Hauptfrage nur nach Klärung einer in den Wirkungsbereich einer anderen Behörde fallenden Frage gefällt werden kann. Bei der Vorfrage muss es sich demnach um eine Frage handeln, die den Gegenstand eines Abspruchs rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur durch eine andere Behörde (Gericht) bildet.

    Im vorliegenden Fall hatte die Behörde in den fraglichen Bauverfahren schon deshalb keine Vorfragenbeurteilung im Sinne des § 38 AVG betreffend die Frage des Grenzverlaufes vorzunehmen, weil sie an den sich aus dem Grenzkataster ergebenden verbindlichen Grenzverlauf als Tatsache gemäß dem angeführten § 8 Z. 1 VermessungsG gebunden war. Der Antrag des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin auf Berichtigung des Grenzkatasters nach dem VermessungsG langte beim Vermessungsamt Innsbruck am 29. Juli 1999 ein. Erst mit der Anmerkung der Einleitung des Berichtigungsverfahrens gemäß § 13 Abs. 1 VermessungsG lag gemäß § 13 Abs. 2 VermessungsG kein verbindlicher Nachweis über den fraglichen Grenzverlauf mehr vor. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte in einem anderen Verwaltungsverfahren überhaupt die Frage der strittigen Grundgrenze zwischen den verfahrensgegenständlichen Grundstücken als Vorfrage eine Rolle spielen. Dieser Zeitpunkt liegt aber lange nach dem rechtskräftigen Abschluss der in dem vorliegenden Wiederaufnahmeverfahren bezogenen zwei Bauverfahren über Änderungen des Bauvorhabens (Zustellung des eingangs angeführten Berufungsbescheides vom 21. Dezember 1998 an den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin am 28. Dezember 1998). Der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG kam somit im vorliegenden Fall mangels Vorliegens einer Vorfrage betreffend den Grenzverlauf überhaupt nicht in Betracht.

    Die Beschwerdeführer sehen weiters den Wiederaufnahmegrund der Erschleichung des Bescheides gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG als verwirklicht an. Die belangte Behörde habe dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführer entgegengehalten, dass die Mitbeteiligte in durchaus zulässiger Form jeweils um die nachfolgenden Planänderungen bei der Behörde angesucht habe. Damit bringe die belangte Behörde aber klar zum Ausdruck, im vorliegenden Fall sei in unzulässiger Art und Weise seitens der Mitbeteiligten versucht worden, sich die baubehördlichen Bewilligungen für ein Bauvorhaben zu erschleichen. Offensichtlich seien Planänderungen seitens der Mitbeteiligten eingereicht worden, was ein Verschweigen wesentlicher Umstände geradezu indiziere. Im vorliegenden Fall habe die Mitbeteiligte drei Projektänderungen eingereicht. In inhaltlicher Hinsicht seien diese Änderungen gewichtig gewesen. Ein Großteil der sukzessive vorgenommenen Änderungen sei ohne Beteiligung der Beschwerdeführer erfolgt, zumal die Behörde damals davon ausgegangen sei, es handle sich dabei um Änderungen, die ohne öffentliche Bauverhandlung und ohne Beteiligung der Nachbarn nach entsprechender baubehördlicher Genehmigung bewilligungsfähig wären. Die Mitbeteiligte hätte bereits bei ihrem ersten Bauansuchen Vorstellungen darüber haben müssen, was sie beabsichtige, auf der Liegenschaft zu bauen. Im Gegensatz dazu habe die Mitbeteiligte während laufendem Baubewilligungsverfahren stetig Abänderungen des Projektes eingebracht, die dann zum überwiegenden Teil ohne Beteiligung der Nachbarn baubehördlich geprüft und bescheidmäßig bewilligt worden seien. Erst im Nachhinein erhelle, dass diese Vorgangsweise von einer bestimmten Taktik geprägt gewesen sei, nämlich ohne aufwändige Beteiligung der Nachbarn baubehördliche Bewilligungen und bautechnisch das Maximum für diese Liegenschaft zu erhalten. So sei die ursprünglich eingereichte Baumasse von 3.829 m3 mit den Abänderungen in einem Ausmaß von 805 m3 abgeändert worden. Eine derartige "Salami"-Taktik der sukzessiven Abänderungen eines Bauvorhabens spiegle geradezu den Erschleichungstatbestand wider.

    Dem ist Folgendes zu entgegnen:

    Gemäß der hg. Judikatur zu § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG (vgl. die in Walter - Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 1484 f in E. 89 angeführten hg. Erkenntnisse) wird der Tatbestand des Erschleichens angenommen, wenn es sich um objektiv unrichtige Angaben handelt, die Angaben von wesentlicher Bedeutung sind, es sich um Angaben der Partei handelt, die Partei mit Irreführungsabsicht gehandelt hat, die Angaben dem Bescheid zu Grunde gelegt wurden, die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen war und es der Behörde nicht zugemutet werden konnte, über die Richtigkeit der Angaben noch Erhebungen von Amts wegen zu pflegen. Das Vorliegen des Tatbestandes des Erschleichens der in Frage stehenden Baubewilligungen ist schon deshalb zu verneinen, da die Beschwerdeführer gar nicht behaupten, es seien von der Mitbeteiligten objektiv unrichtige Angaben gemacht worden. Zutreffend hat sich die belangte Behörde in diesem Zusammenhang darauf berufen, dass für sämtliche Planänderungen, auch die, die Gegenstand der verfahrensgegenständlichen Bauverfahren waren, um die Erteilung der Bewilligung angesucht wurde.

    Die Beschwerdeführer meinen weiters, die verfahrensgegenständlichen Baubewilligungen seien durch gerichtlich strafbare Handlungen im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG herbeigeführt worden. An der ersten Bauverhandlung am 28. Februar 1996 habe eine nicht mehr zuordenbare Person namens AH den Erstbeschwerdeführer derart unter Druck gesetzt, dass er nicht mehr in der Lage gewesen sei, die zur Dartuung seiner und der Rechtsposition der anderen Beschwerdeführer notwendigen Einwände zu Protokoll geben zu lassen. Durch dieses Verhalten dieses AH sei der Beschwerdeführer zu einem Unterlassen genötigt bzw. darüber getäuscht worden, dass er seine Einwendungen anlässlich der Bauverhandlung zu deponieren habe. Auch diesen Umstand habe die belangte Behörde in keiner Weise geprüft, sie verletze damit das Gebot der ordnungsgemäßen Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes und sohin der Erforschung der materiellen Wahrheit. Es sei von der belangten Behörde nicht geprüft worden, ob das Verhalten der Mitbeteiligten nicht (auch) ein gerichtlich strafbares Verhalten (z.B. Täuschung) darstelle.

    Auch mit diesem Vorbringen sind die Beschwerdeführer nicht im Recht. Es ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass sich die von den Beschwerdeführern ins Treffen geführten Vorgänge bei der "allerersten Bauverhandlung" am 28. Februar 1996 auf das Bauverfahren betreffend die Erteilung der Baubewilligung in Bezug auf das ursprünglich eingereichte Bauansuchen beziehen. Der angefochtene Bescheid betrifft dieses Bauverfahren nicht.

    Wenn die Beschwerdeführer abschließend rügen, der Wiederaufnahmeantrag sei unter Zugrundelegung der Rechtsansicht der belangten Behörde zu Unrecht zurückgewiesen worden, er hätte vielmehr abgewiesen werden müssen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass sich die belangte Behörde mit den vorgetragenen Wiederaufnahmegründen tatsächlich inhaltlich auseinander gesetzt hat und in der Begründung auch abschließend in diesem Sinne davon gesprochen wird, dass den Anträgen "keine Folge zu leisten" sei. Wenn die belangte Behörde im Spruch des angefochtenen Bescheides den Ausdruck "als unzulässig zurückgewiesen" verwendet hat, liegt somit lediglich ein Vergreifen im Ausdruck vor, sodass tatsächlich von einer meritorischen Erledigung in Form einer "Abweisung" der Anträge der Beschwerdeführer auszugehen ist (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1999, Zl. 97/19/0314). Eine Rechtsverletzung der Beschwerdeführer in dieser Hinsicht ist gleichfalls nicht gegeben.

    Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Kostenbegehren der Mitbeteiligten betreffend die geltend gemachten Stempelgebühren für vorgelegte Beilagen war abzuweisen, da die Vorlage dieser Beilagen zur Rechtsverfolgung nicht erforderlich war.

    Wien, am 11. Juli 2003

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