VwGH 2001/01/0262

VwGH2001/01/026217.9.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der B M in A, geboren am 13. Februar 1964, vertreten durch Dr. Gerda Mahler-Hutter, Rechtsanwalt in 2560 Berndorf, Hernsteinerstraße 2/1/3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. März 2001, Zl. 212.642/1-VII/43/00, betreffend §§ 7, 8 und 15 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (Entscheidung nach § 7 AsylG; Spruchpunkt I.) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist jugoslawische Staatsangehörige. Sie wurde im Kosovo geboren, gehört der albanischen Volksgruppe an und reiste gemäß ihren Angaben am 4. Juni 1999 in das Bundesgebiet ein. Ihren Asylantrag begründete sie im Wesentlichen damit, dass sie zuletzt acht Jahre in Belgrad gelebt habe; dort sei sie - "als die NATO den Krieg begonnen hat" - von ihren serbischen Nachbarn geschlagen und misshandelt worden.

Mit Bescheid vom 4. Februar 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab; außerdem sprach es aus, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Diese Entscheidung begründete das Bundesasylamt mit den geänderten politischen Verhältnissen im Kosovo, dem "Herkunftsstaat" der Beschwerdeführerin.

In der gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin bezüglich des Kosovo vor, es wäre ihr und ihrem Gatten - der seit 20 Jahren in Belgrad gelebt habe - unmöglich, dort ein menschenwürdiges Leben in Frieden zu führen; sie hätten keine Beziehungen mehr zu diesem Gebiet und würden von den Kosovo-Albanern, insbesondere den Mitgliedern der UCK, sicherlich nicht als Freunde betrachtet werden, da sie sich so lange bei den "Feinden" aufgehalten hätten; der mehrjährige Aufenthalt in Belgrad könnte als anti-albanische Haltung ausgelegt werden. Bezüglich "Restjugoslawien" führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie mit ihrem Ehemann aus Belgrad vertrieben worden sei; eine Rückkehr sei nicht möglich, da sie als "Albanisch-stämmige" dort nach wie vor diskriminiert und verfolgt werden würden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.); weiters stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Bundesrepublik Jugoslawien nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.); schließlich sprach sie aus, dass der Beschwerdeführerin gemäß § 15 AsylG bis zum 30. September 2001 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt werde (Spruchpunkt III.).

Zur Person der Beschwerdeführerin stellte die belangte Behörde fest, dass sie ca. acht Jahre in Belgrad wohnhaft und dort insofern individueller Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, als sie von serbischen Nachbarn und Polizisten zu Beginn des NATO-Bombardements misshandelt und aus der Wohnung vertrieben worden sei. Sie stehe in Österreich auf Grund einer akuten Psychose (Kriegstrauma) in psychiatrischer Behandlung und sei auch stationär aufgenommen worden. Zudem habe sie sich einer Tumoroperation unterziehen müssen.

Außerdem traf die belangte Behörde Feststellungen zur Situation im Kosovo, insbesondere betreffend den Gesundheitssektor. Sie führte weiter aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass albanisch-stämmige Flüchtlinge aus "Restjugoslawien" "allein aus diesem Grund" im Kosovo als Kollaborateure der Serben angesehen werden würden und ihnen daraus die Gefahr einer Verfolgung drohen könnte. Schließlich hielt die belangte Behörde fest, dass sich auch die Situation in "Restjugoslawien" seit dem Sturz des Regimes von Milosevic und nach Durchführung von Neuwahlen sowie Einsetzung einer neuen Regierung grundsätzlich gewandelt habe; in der neuen Regierung befänden sich auch Vertreter der Minderheiten; die BR-Jugoslawien werde in zahlreiche internationale Organisationen wieder aufgenommen, der neue Präsident habe angekündigt, dass er sich um die Wahrung der Minderheitenrechte besonders bemühen werde; nicht festgestellt werden könne, "dass albanisch-stämmige Jugoslawen in Restjugoslawien weder von staatlicher wie privater Seite einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sind".

Rechtlich wird im bekämpften Bescheid davon ausgegangen, dass infolge der völlig geänderten Umständen in "Restjugoslawien" und im Kosovo kein Angehöriger der albanischen Volksgruppe "staatliche Verfolgung durch die BR-Jugoslawien i.S.d. GFK mehr zu befürchten" habe; die Beschwerdeführerin könne sohin, ohne Verfolgungsgefahr befürchten zu müssen, nach "Restjugoslawien" aber auch in den Kosovo zurückkehren. Allerdings sei ihr dies im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand und die medizinische Situation sowohl im Kosovo als auch in "Restjugoslawien" im Sinn des § 57 Fremdengesetz 1997 - so die belangte Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung zu Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides - (derzeit) nicht zumutbar.

Über die gegen die Abweisung des Asylantrages (Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides) erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Im Hinblick auf die (zumindest missverständlichen) Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung des bekämpften Bescheides sei zunächst klargestellt, dass auch nicht-staatliche Verfolgung asylrelevant sein kann und dass - bezogen auf den Kosovo - die Änderung der Verhältnisse seit dem 20. Juni 1999 nicht zwingend dazu führt, dass einem aus dem Kosovo stammenden Asylwerber die Gewährung von Asyl versagt werden müsste; vielmehr kann solchen Personen aus anderen, auf die nunmehrige Ordnungsmacht (Organe der vereinten Nationen) bezogenen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zukommen, insbesondere wenn diese nicht in der Lage sein sollte, asylrelevante Verfolgungshandlungen von dritter Seite hintanzuhalten (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2002, Zl. 2001/01/0526, mwN). Von daher kommt es im vorliegenden Fall - ohne nähere Prüfung der Frage, welche Kriterien es gegenständlich gestatten, der Beschwerdeführerin iS der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (siehe dazu zuletzt das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 2002, Zl. 2001/01/0550) neben der Bundesrepublik Jugoslawien den Kosovo als zweiten "Herkunftsstaat" zuzurechnen - wesentlich darauf an, ob die Beschwerdeführerin einerseits im Kosovo im Hinblick auf ihren jahrelangen Aufenthalt in Belgrad als "Serbenfreundin" angesehen wird und daher wie in der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes behauptet wegen (unterstellter) "anti-albanischer Haltung" eine Gefährdung insbesondere durch Mitglieder der (ehemaligen) UCK zu befürchten habe, oder ob sie andererseits in "Restjugoslawien" nach wie vor einer relevanten Verfolgung - und sei es auch bloß durch "Private" - ausgesetzt wäre. Zu beiden Themenkreisen traf die belangte Behörde die bei Wiedergabe des bekämpften Bescheides dargestellten "Negativfeststellungen", ohne dass sie freilich offen gelegt hätte, wie sie zu diesen Ergebnissen gelangte. Den vorgelegten Verwaltungsakten sind keine einschlägigen Ermittlungsschritte entnehmbar, auch im bekämpften Bescheid wird nicht auf entsprechende Erkenntnisquellen Bezug genommen oder gar in Auseinandersetzung mit derartigen Quellen dargelegt, worauf die Einschätzung der belangten Behörde beruht. Angesichts dessen leidet der bekämpfte Bescheid hinsichtlich seines Ausspruches über den Asylantrag der Beschwerdeführerin (Spruchpunkt I.) an einem Begründungsmangel, weshalb er in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 17. September 2002

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