VwGH 2000/20/0495

VwGH2000/20/049522.2.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des D in Wien, geboren am 10. April 1976, vertreten durch Dr. Franz Calice, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schellinggasse 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. September 2000, Zl. 213.233/12-II/04/00, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Asylangelegenheit, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1 impl;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1 impl;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages bestätigenden Spruchpunkt II wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Mai 2000 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer laut Aktenvermerk vom 8. Juni 2000 spätestens am 18. Mai 2000 zugestellt.

Am 21. Juni 2000 beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 71 AVG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist mit der Begründung, er sei an der Verfassung einer fristgerechten Berufung gegen den am 12. Mai 2000 zugestellten Bescheid des Bundesasylamtes verhindert gewesen, da er innerhalb der Berufungsfrist krank geworden sei. Zum Nachweis dafür legte der Beschwerdeführer eine "Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit" vom 16. Juni 2000 des Arztes Dr. A.S. vor, aus der ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer seit dem 22. Mai 2000 in der Behandlung des Arztes gestanden und vom 22. Mai bis zum 9. Juni 2000 arbeitsunfähig gewesen sei.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 4. Juli 2000 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung ab, aus der genannten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbestätigung gehe nicht hervor, dass die behauptete Krankheit auch die "Dispositionsfähigkeit" des Beschwerdeführers ausgeschlossen habe. Aus der "Arbeitsunfähigkeit" erst ab dem 22. Mai 2000 ergebe sich darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer während des größten Teils der ab 12. Mai 2000 laufenden Berufungsfrist gesund gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe daher nicht glaubhaft gemacht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Rechtsmittelfrist einzuhalten.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer, dass er innerhalb der Berufungsfrist krank geworden sei und dies durch eine ärztliche Bestätigung belegt habe. Er sei am Einbringen einer fristgerechten Berufung gehindert gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde im Spruchpunkt I die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Mai 2000 als verspätet zurückgewiesen und im Spruchpunkt II die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. Juli 2000 betreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen.

Die belangte Behörde verwies auf die ihr zutreffend erscheinende Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, wonach dem Beschwerdeführer selbst bei tatsächlichem Vorliegen einer "Arbeitsunfähigkeit" eine (telefonische) Kontaktaufnahme mit seinem Zustellungsbevollmächtigten oder die "Kontaktierung von Bekannten zwecks Verfassung eines Rechtsmittels" nach allgemeiner Lebenserfahrung zumutbar und möglich gewesen wäre. Das unsubstantiierte Berufungsvorbringen sei nicht geeignet, eine andere Beurteilung herbeizuführen.

Über die inhaltlich lediglich gegen den die Berufung gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages abweisenden Spruchpunkt II dieses Bescheides gerichtete vorliegende Beschwerde, hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist einer Partei auf Antrag gegen die Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der Beschwerdeführer, dem nach seinen eigenen Angaben der seinen Asylantrag abweisende Bescheid bereits am 12. Mai 2000 zugestellt worden ist, hat vorgebracht, ab dem 22. Mai bis zum 9. Juni 2000 krankheitshalber nicht in der Lage gewesen zu sein, den Bescheid an seiner Zustelladresse abzuholen, sich in der Beratungsstelle beraten zu lassen und eine Berufung einzubringen.

Da die belangte Behörde wie schon die Behörde erster Instanz zur Auffassung gelangt ist, dass die vom Beschwerdeführer vorgelegte "Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit" des Dr. A.S. vom 16. Juni 2000 nicht ausreiche, um eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers im angegebenen Zeitraum in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass diesem die Einbringung der Berufung nicht möglich gewesen ist, wäre sie gemäß § 37 AVG verpflichtet gewesen, weitere, der Klärung des gesundheitlichen Zustands des Beschwerdeführers im angegebenen Zeitraum dienende Ermittlungen in die Wege zu leiten, den Beschwerdeführer also etwa aufzufordern, ein ausführlicheres ärztliches Attest vorzulegen oder die näheren Umstände der ärztlich bescheinigten Erkrankung auf andere geeignete Art unter Beweis zu stellen (vgl. ähnlich etwa das hg. Erkenntnis vom 6. November 1998, Zl. 95/21/0814). Beim - direkten oder indirekten - Rückgriff auf ältere Entscheidungen zur Frage der "Dispositionsunfähigkeit" ist im Übrigen zu beachten, dass es nach geltendem Recht, anders als zur Zeit der Entstehung dieser Judikatur, für die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausreicht, wenn die Partei durch die Erkrankung so weitgehend beeinträchtigt war, dass ihr das Unterbleiben der für die Fristwahrung erforderlichen Schritte nicht mehr als ein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden vorgeworfen werden kann. Die belangte Behörde hat dies zwar erkannt, die zur Beurteilung dieser Rechtsfrage - im Rahmen des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes - erforderlichen Feststellungen aber nicht getroffen.

Sollte sich herausstellen, dass der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers ab dem 22. Mai 2000 tatsächlich ein "unabwendbares Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG darstellte, das ihn an zumutbaren Schritten, rechtzeitig eine Berufung einzubringen, hinderte, so könnte der bloße Umstand, dass der Beschwerdeführer zwischen der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides am 12. Mai bis zum Ausbruch seiner Krankheit am 22. Mai 2000 in der Lage gewesen wäre, die Berufung einzubringen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht hindern, weil ein Berufungswerber darauf vertrauen darf, dass ihm grundsätzlich die gesamte gesetzliche Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels zur Verfügung stehen wird. Eine andere Beurteilung wäre nur dann denkbar, wenn der Eintritt der Krankheit für den Beschwerdeführer vorhersehbar gewesen wäre, wofür der Sachverhalt allerdings keinen Anhaltspunkt gibt. Auch ein erst am letzten Tag der Berufungsfrist eingetretenes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis kann daher das Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetzes I2, E 49 zu § 71 AVG).

Da die belangte Behörde sohin Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 22. Februar 2001

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