VwGH 2000/18/0197

VwGH2000/18/019726.5.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des R, geboren 1959, vertreten durch Dr. Johann W. Kazda, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Esslinggasse 2/1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 23. Mai 2000, Zl. St 45/00, betreffend Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FrG 1997 §44;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FrG 1997 §44;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1.1. Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten hat die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land mit Bescheid vom 22. Februar 2000 den Antrag des Beschwerdeführers vom 21. September 1999 auf Aufhebung des gegen ihn mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 12. April 1997 erlassenen (auf § 18 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 1 sowie die §§ 19 bis 21 und 31 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, gestützten) unbefristeten Aufenthaltsverbots gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm § 44 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, zurückgewiesen.

Aus der Begründung dieses Bescheides ergibt sich zusammengefasst, dass der Beschwerdeführer vor dem vorliegenden Antrag bereits drei Anträge (vom 16. März 1996, vom 19. Dezember 1997 und vom 7. April 1998) auf Aufhebung des genannten Aufenthaltsverbots gestellt hat. Den Antrag vom 7. April 1998 hat die Erstbehörde mit Bescheid vom 25. Mai 1998 gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen, der dagegen eingebrachten Berufung hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 27. Juli 1998 gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 68 Abs. 1 AVG keine Folge gegeben. Seinen neuerlichen (vierten) Antrag habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen "mit bereits denselben Inhalten wie die vorangegangenen Anträge" begründet. Aus der Begründung dieses Antrages seien "rechtsrelevante Sachinhalte, die einen Wegfall der Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt haben, erkennen ließen", nicht entnehmbar. In Anbetracht der schon genannten Entscheidung der belangten Behörde vom 27. Juli 1998 sei daher weder eine Änderung in den rechtlichen noch in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten.

1.2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 23. Mai 2000 wurde der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 44 FrG keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

Den gegenständlichen vierten Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes habe der Beschwerdeführer wie folgt begründet:

"Mit Bescheid vom 23.07.1993 hat die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land gegen mich ein unbefristetes Aufenthaltsverbot auf der Rechtsgrundlage des .... erlassen.

Gestützt wurde diese Entscheidung auf verschiedene gerichtliche Verurteilungen in Verbindung mit Konkursen von mir betriebener Firmen. Festzustellen ist hierbei, dass sich die Verfahren über einen mehrjährigen Zeitraum aufgrund der selben Grundlage hinzogen, wodurch es zu diversen Nachverurteilungen noch nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes kam.

Ich selber lebe nunmehr seit 1997 wieder im Gebiet von Deutschland und habe dort meinen Lebensmittelpunkt. Neuerliche Straftaten von meiner Seite sind auch nicht zu befürchten, da zum einen die Grundlage dafür fehlt, zum anderen auch meine vergangene, gegenwärtige und zukünftige Lebensführung dagegen spricht. Beruflich bin ich seit meiner Entlassung aus Österreich in einem festen regelmäßigen Arbeitsverhältnis und auch privat in einer ordentlichen Lebensführung. Hiedurch ist die Grundlage des § 26 FrG geschaffen, da sich maßgebende Umstände zu meinen Gunsten geändert haben, die den nur anzunehmenden entgegensprechenden Gründen bei weitem überwiegen.

Entsprechende Nachweise über meine einwandfreie Lebensführung können bei entsprechender Definition und Anforderung beschafft und vorgelegt werden.

Ich wiederhole meinen obigen Antrag auf Aufhebung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes zur Aufrechterhaltung meiner familiären Beziehungen."

In seiner Berufung vom 12. März 2000 habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen ausgeführt, er würde lediglich zu den Feststellungen der Erstbehörde Stellung nehmen und darauf verzichten, "den Sachverhalt, wie bisher, noch einmal aufzuführen". Diesbezüglich habe der Beschwerdeführer festgehalten, dass ein unbefristetes Aufenthaltsverbot nicht gleichbedeutend mit einem lebenslänglichen Aufenthaltsverbot wäre. In seinem Fall wären tatsächlich gravierend geänderte Verhältnisse eingetreten, die von der Erstbehörde nicht zur Kenntnis genommen worden wären. Allein schon aus dem Zeitraum zwischen der Antragstellung am 21. September 1998 und der Bescheiderlassung am 22. Februar 2000, also ca. eineinhalb Jahre später, hätten weitreichende Ermittlungen angestellt werden müssen, zumal sieben Jahre nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes in keiner Weise mehr von den damaligen Verhältnissen ausgegangen werden könnte.

Gemäß § 44 FrG sei das Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt hätten, weggefallen seien. Nach der Bestimmung des § 44 leg. cit, die ihren Inhalt nur aus dem Zusammenhang mit den §§ 36 und 37 leg. cit. gewinne, habe sich die Behörde mit der Frage auseinander zu setzen, ob ein relevanter Eingriff im Sinn des § 37 vorliege und - gegebenenfalls - die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots dringend geboten sei und - bejahendenfalls - ferner, ob sich seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes jene Umstände, die zur Beurteilung der öffentlichen Interessen einerseits und der privaten und familiären Interessen andererseits maßgebend seien, zugunsten des Fremden geändert hätten, und daran anschließend diese Interessen gegeneinander abzuwägen. Entscheidend sei demnach, ob sich seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände zugunsten des Fremden geändert hätten. Bei einer Entscheidung nach § 44 FrG sei aber auch auf die nach Verhängung des Aufenthaltsverbotes eintretenden und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen.

Die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer geführt hätten, seien in der Tatsache begründet gewesen, dass er mehrmals rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden sei. Der vom Beschwerdeführer nunmehr gestellte vierte Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes sei im Wesentlichen (dem Kern nach) getragen von dem unsubstanziierten Argument, wonach die Gründe, die damals zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, nunmehr weggefallen wären. Diesbezüglich habe der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass er nunmehr beruflich in einem festen regelmäßigen Arbeitsverhältnis und privat "in einer ordentlichen Lebensführung" stehen würde. Jedoch bereits die Tatsache, dass nicht nur die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, nicht weggefallen seien, sondern darüber hinaus noch neue hinzugekommen seien "(neuerliche Strafverfahren beim Landesgericht Wels - siehe auch ho. Erledigung vom 27.7.1998, St 121/98)" rechtfertige keinesfalls die Aufhebung des erlassenen Aufenthaltsverbotes.

Auch könne keinesfalls "von derartigen substanziellen Änderungen" hinsichtlich der vorherigen Ausführungen des Beschwerdeführers gesprochen werden, weshalb § 44 schon aus diesem Grund nicht zur Anwendung komme.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Vorlage einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Im vorliegenden Fall hat die Erstbehörde - wie oben I.1.1. wiedergegeben - den Antrag des Beschwerdeführers vom 21. September 1999 gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen.

2. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die - außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG - die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 leg. cit. findet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Voraussetzung für die Zurückweisung wegen "entschiedener Sache" im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG die tatsächliche Identität der Sache. Haben sich seit der Erlassung des rechtskräftigen Bescheides die Rechtslage oder der wesentliche Sachverhalt geändert, so liegt keine Identität der Sache vor.

Gegenstand der aus der formellen Rechtskraft folgenden materiellen Rechtskraft ist nur der im Bescheid enthaltene Abspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, und zwar auf Grund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen maßgebenden Sachverhalt zum Ausdruck kommt, und der Rechtslage, auf die sich die Behörde gestützt hat. Für die Berufungsbehörde ist Sache im Sinn des § 66 Abs. 4 AVG ausschließlich die Frage, ob die erstinstanzliche Behörde zu Recht den neuerlichen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat. Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrags wegen geänderten Sachverhalts darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind. In der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid können von den Parteien Gründe, die sie in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens nicht geltend gemacht haben, nicht mehr vorgebracht werden. Im Fall der Berufung gegen einen Bescheid, die einen Parteiantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, darf die Berufungsbehörde nämlich nur über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, nicht aber über den zurückgewiesenen Antrag entscheiden. Die bei einer nachträglichen Änderung des Sachverhaltes bestehende Möglichkeit, einen Anspruch, über den bereits rechtskräftig in abweisendem Sinn entschieden wurde, neuerlich vor der Behörde zu erheben, setzt nach der hg. Rechtsprechung voraus, dass die Umstände, die die Rechtskraft zu durchbrechen geeignet sind, schon im neuen Antrag oder sonst im erstinstanzlichen Verfahren von der Partei geltend gemacht werden. (Vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2001, Zl. 98/18/0297, mwH.)

3. Vor diesem rechtlichen Hintergrund hatte die belangte Behörde im Verfahren über die Berufung gegen den auf § 68 Abs. 1 AVG gestützten Erstbescheid (ausschließlich) zu beurteilen, ob die Erstbehörde den neuerlichen Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht zurückgewiesen hat. Über den Aufhebungsantrag selbst aber hatte die belangte Behörde nicht zu entscheiden. Dies hat sie verkannt, wenn sie ihren Bescheid seinem Spruch nach ausschließlich auf § 44 FrG - somit die materielle Norm, die die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes regelt - (iVm § 66 Abs. 4 AVG) gestützt, und in der Begründung des angefochtenen Bescheides näher dargelegt hat, warum im Beschwerdefall ihrer Ansicht nach die Voraussetzungen des § 44 FrG für eine Aufhebung des in Rede stehenden Aufenthaltsverbotes nicht vorlägen. Von daher kann auch aus dem letzten oben I.1.2. wiedergegebenen Satz der Begründung nicht abgeleitet werden, dass die belangte Behörde über die Frage abgesprochen hat, ob die Erstbehörde den neuerlichen Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückweisen durfte.

4. Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil eine gesonderte Vergütung von Umsatzsteuer neben dem Ersatz des pauschalierten Schriftsatzaufwandes gesetzlich nicht vorgesehen ist.

Wien, am 26. Mai 2003

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