VwGH 2000/18/0003

VwGH2000/18/000320.2.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des D V in Wien, geboren am 13. September 1971, vertreten durch Lederer & Thienen-Adlerflycht, Rechtsanwälte OEG in 1010 Wien, Franziskanerplatz 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 9. Jänner 1998, Zl. SD 1026/97, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §20 Abs2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1;
FrG 1993 §20 Abs2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 9. Jänner 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 12. September 1979 im Alter von acht Jahren in das Bundesgebiet eingereist.

Am 11. November 1993 sei er wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach den §§ 127 und 131 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Am 1. Oktober 1993 sei er wegen des Vergehens gemäß § 36 Abs. 1 Z. 2 Waffengesetz und am 31. Jänner 1994 wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB jeweils zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Zuletzt sei er am 18. Juli 1996 wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahles und des Vergehens der Urkundenunterdrückung (§§ 127, 128 Abs. 1 Z. 1 und 4, 129 Z. 1, 130, 15, 229 Abs. 1 StGB) zu seiner Freiheitsstrafe von einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden.

Der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei in zweifacher Hinsicht erfüllt, weil der Beschwerdeführer nicht nur dreimal strafbare Handlungen, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten, begangen habe, sondern auch zuletzt zu einer das in dieser Bestimmung normierte Strafausmaß deutlich übersteigenden Strafe verurteilt worden sei.

Der letzten Verurteilung liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von Jänner 1994 bis April 1996 jeweils mit einem Mittäter in insgesamt sieben Angriffen Diebstähle begangen habe, wobei er in einem Fall die durch Drogeneinnahme herbeigeführte Bewusstlosigkeit des Opfers ausgenützt habe. Bei sämtlichen Eingriffen in fremdes Vermögen habe der Beschwerdeführer in der Absicht gehandelt, sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, um auf diese Weise seinen Drogenkonsum und seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Bei der Beurteilung des Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers falle neben der gewerbsmäßigen Tatbegehung ins Gewicht, dass er selbst von rechtskräftigen Verurteilungen nicht davon habe abgehalten werden können, neuerlich - noch dazu einschlägig - straffällig zu werden. Dies bringe eine krasse Geringschätzung fremden Eigentums zum Ausdruck, sodass vorliegend die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 36 Abs. 1 FrG gerechtfertigt sei.

Der Beschwerdeführer befinde sich bereits seit 18 Jahren im Bundesgebiet. Auf Grund der Tatsache, dass er für ein im Bundesgebiet lebendes Kind sorgepflichtig sei und seine Eltern sowie seine Schwester im Bundesgebiet lebten, verfüge er zweifellos über enge familiäre Bindungen. Das Aufenthaltsverbot sei daher mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Dessen bisheriges Verhalten verdeutliche jedoch augenfällig, dass er nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, die zum Schutz fremden Vermögens aufgestellten strafrechtlichen Normen einzuhalten. Die Prognose könne für ihn daher nicht positiv ausgefallen, habe er doch über längere Zeiträume an seiner kriminellen Neigung festgehalten. Das Aufenthaltsverbot sei daher zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und somit im Grund des § 37 Abs. 1 leg. cit. zulässig.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei zu berücksichtigen, dass der aus dem langjährigen inländischen Aufenthalt ableitbaren Integration kein entscheidendes Gewicht zukomme, weil die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Einer allfälligen Sorgepflicht könne der Beschwerdeführer auch vom Ausland aus nachkommen. Die Bindungen zu den übrigen Angehörigen würden dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer erwachsen sei. Diesen - solcherart geminderten - privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen.

Das Verbot der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG komme vorliegend nicht zum Tragen. Der für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 entscheidende Zeitpunkt sei der der Rechtskraft der vorletzten gerichtlichen Verurteilung. Es sei somit zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer vor der Verurteilung vom 18. Juli 1996 die Voraussetzungen gemäß § 10 leg. cit. erfüllt habe. In diesem Zeitpunkt habe der Beschwerdeführer jedoch auf Grund der bereits zuvor erfolgten Verurteilungen die Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 leg. cit. nicht erfüllt. Abgesehen davon habe der Beschwerdeführer von 1994 bis Sommer 1995 in seiner Heimat den Militärdienst abgeleistet. Er habe somit zum maßgeblichen Zeitpunkt keinen zehnjährigen ununterbrochenen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet gehabt.

§ 38 Abs. 1 Z. 4 FrG stehe der Verhängung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer nicht von klein auf im Inland aufgewachsen sei.

Der Beschwerdeführer könne sich auch nicht mit Erfolg auf eine Aufenthaltsverfestigung berufen, weil er wegen einer Vorsatztat, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhe, wie eine andere von ihm begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt sei, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden sei (§ 35 Abs. 3 Z. 2 FrG).

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung (Beschluss vom 6. Oktober 1999, B 397/98-14) abgetretene (Beschluss vom 14. Dezember 1999, B 397/98-16) Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 (im Folgenden: StbG), verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.

§ 10 Abs. 1 StbG 1985 in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 124/1998 hat in den für das vorliegende Verfahren wesentlichen Passagen folgenden Wortlaut:

"(1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat;

...

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet;

..."

1.2. Die in einem Teil der hg. Judikatur zu § 20 Abs. 2 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, vertretene, im angefochtenen Bescheid wiedergegebene Ansicht, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG sei für den Zeitpunkt der Rechtskraft der vorletzten gerichtlichen Verurteilung zu untersuchen, wurde vom Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0170, ausdrücklich nicht auf § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG übertragen. Zufolge dieses Erkenntnisses ist vielmehr bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes im Grund dieser Bestimmung zu prüfen, ob der Fremde vor Verwirklichung des ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG erfüllte.

2. Die belangte Behörde hat zur Begründung des Aufenthaltsverbotes - zweifellos zulässigerweise - die den festgestellten Verurteilungen zu Grunde liegenden, teilweise qualifizierten Diebstähle herangezogen. Sie hat auch die Verurteilung des Beschwerdeführers gemäß § 36 Abs. 1 Z. 2 Waffengesetz erwähnt. Die dieser Verurteilung zu Grunde liegende - im angefochtenen Bescheid nicht festgestellte - Straftat hat sie jedoch weder zur Begründung ihrer Ansicht, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, noch bei der Abwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG verwertet. Diese Straftat wurde somit von der belangten Behörde nicht zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogen.

Der Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" ist daher jener der Begehung des ersten Diebstahls, der den Verurteilungen des Beschwerdeführers zu Grunde liegt. Aktenkundig ist dies der 5. Juni 1993. Der Beschwerdeführer hat sich in diesem Zeitpunkt unstrittig bereits mehr als 13 Jahre - nach Ausweis der Verwaltungsakten zuletzt auf Grund eines unbefristeten Sichtvermerkes - im Bundesgebiet aufgehalten. Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass er in diesem Zeitraum hier auch seinen Hauptwohnsitz hatte. Der Beschwerdeführer erfüllte somit im Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" die Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG.

Allenfalls wäre der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer in diesem Zeitpunkt auf Grund der der Verurteilung gemäß § 36 Abs. 1 Z. 2 Waffengesetz zu Grunde liegenden Straftat jedoch § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG entgegengestanden. Um dies beurteilen zu können, wären aber Feststellungen über den Zeitpunkt sowie die Art und Schwere dieser Straftat erforderlich. Das Fehlen derartiger Feststellungen stellt somit einen - sekundären - Verfahrensmangel dar.

3. Hinzugefügt sei, dass der Beschwerdeführer bereits auf Grund des seiner Verurteilung vom 11. November 1993 zu Grunde liegenden räuberischen Diebstahles keine "Gewähr dafür bietet, dass er ... keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet". Eine Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer wäre daher jedenfalls nach Begehung dieser Straftat gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG nicht in Frage gekommen. Das Aufenthaltsverbot hätte somit allenfalls - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - auf die erst danach begangenen Straftaten gestützt werden können.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. Februar 2001

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