VwGH 2000/06/0021

VwGH2000/06/002118.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der U K in H, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Plankel, Dr. Herwig Mayrhofer und Dr. Robert Schneider, Rechtsanwälte in 6850 Dornbirn, Am Rathauspark, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 5. Jänner 2000, Zl. I-2- 13/1993, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. W R, 2. M R, beide H, und 3. Marktgemeinde H, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

BauG Vlbg 1972 §6 Abs9;
BauRallg;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs9;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des gegenständlichen Beschwerdefalles wird auf das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 95/06/0034, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den Vorstellungsbescheid der belangten Behörde vom 21. Dezember 1994 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben und dies im Wesentlichen damit begründet, dass hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Bauansuchens der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien vom 17. September 1992 (betreffend den Ausbau eines bestehenden Stadels und Schreinereigebäudes zu einem Wohnhaus mit vier Wohneinheiten und dazu gehörigen Ab- und Einstellplätzen) auf Grund der unbekämpft gebliebenen Vorstellungsentscheidung der belangten Behörde vom 8. Juli 1993 insoferne eine Bindung sowohl der Gemeindebehörden als auch der Vorstellungsbehörde, aber auch des Verwaltungsgerichtshofes eingetreten sei, als in dieser Vorstellungsentscheidung vom 8. Juli 1993 die Auffassung vertreten wurde, dass eine "vollumfängliche" Prüfung des gegenständlichen Bauvorhabens hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 6 Abs. 9 des Vorarlberger Baugesetzes statt zu finden habe. Dies habe die belangte Behörde bei Erlassung ihres Vorstellungsbescheides vom 21. Dezember 1994 nicht beachtet.

Im fortgesetzten Verfahren gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 24. Jänner 1997 der Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Berufungskommission der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 20. September 1994 Folge, hob diesen auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurück. Die Berufungskommission der mitbeteiligten Marktgemeinde gab daraufhin mit Bescheid vom 16. Mai 1997 der von der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Baubescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 31. März 1993 Folge, hob diesen auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die erste Instanz. Wieder in der ersten Instanz anhängig, wurde der gegenständliche Bauantrag von der erst- und zweitmitbeteiligten Partei durch die Vorlage von Tekturplänen vom 2. Juli 1997 ergänzt. Sie legten weiters einen vom Baumeister Dipl-HTL-Ing. H K ausgearbeiteten Kostenvergleich des geplanten Umbaus mit einem fiktiven Neubau vom 1. Dezember 1997 vor, in welchem dieser zum Ergebnis kommt, dass ein fiktiver Neubau ohne Mehrwertsteuer für den Rohbau S 4.135.000,-- und für den geplanten Umbau nur S 2.030.000,-- betrage, der fiktive Neubau sohin um 96,44 Prozent teurer käme als der geplante Umbau. Auf Veranlassung der belangten Behörde erstattete Dipl.-Ing. Dr. A ein Gutachten vom 15. Juli 1997 zum Thema der Abklärung der orts- und landschaftsbildlichen Verträglichkeit des Vorhabens, des Vorliegens einer zweckmäßigen Bebauung und zur Abklärung einer besonderen Form oder Lage des Grundstückes. Der Gutachter kam zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass das Vorhaben dem Orts- und Landschaftsbild entspreche und im Hinblick auf die Verwendung des Altbestandes auch eine zweckmäßige Bebauung des Grundstückes darstelle. Bei einer alternativen Bebauung durch einen erheblichen Teilabbruch der bestandzeichnenden Objekte müsse bereits für Abbrucharbeiten mit Nettokosten von etwa S 450.000,-- gerechnet werden, was im Hinblick darauf, dass für eine zweckmäßigere Bebauung auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden sollen, nicht gerechtfertigt wäre.

Die Beschwerdeführerin erstattete zu diesem Gutachten eine Stellungnahme, in der sie sich gegen diese Schlussfolgerungen sowie die daraus gezogene Konsequenz der Erteilung einer Abstandsnachsicht im Sinne des § 6 Abs. 9 des Vorarlberger Baugesetzes aussprach und Einwendungen gegen weitere Einzelheiten des Vorhabens vorbrachte.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 29. Juni 1998 wurde der erst- und zweitbeteiligten Partei gemäß §§ 31 und 32 BauG die beantragte baupolizeiliche Bewilligung für die Errichtung einer Wohnanlage auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück erteilt. In der Begründung führte die Erstbehörde im Wesentlichen aus, dass die Planunterlagen gegenüber dem ursprünglichen Vorhaben nunmehr ergänzt und präzisiert worden seien, aus den Plänen sei auch der südseitige Verandaanbau ersichtlich. Auf Grund der von einem Geometer erstellten Lagepläne im Maßstab von 1:500 sei zu ersehen, dass der Mindestabstand des Objektes zur Nachbarliegenschaft der Beschwerdeführerin im Bereich des gegenständlichen Bauvorhabens an der geringsten Stelle nordseitig 1,89 m, im Mittelbereich 2 m und südseitig 2,25 m betrage. Der Gemeindevorstand habe der Erteilung der erforderlichen Abstandsnachsicht gemäß § 6 Abs. 9 des Baugesetzes zugestimmt. Im Hinblick auf die im Kostenvergleich dargestellten erheblichen Mehrkosten einer alternativen Bebauung von fast 100 Prozent sowie im Hinblick darauf, dass das Vorhaben auch den orts- und landschaftsbildlichen Kriterien entspreche, sei die Abstandsnachsicht gemäß § 6 Abs. 9 BauG zu gewähren gewesen.

Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 15. Februar 1999 wurde der dagegen gerichteten Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. §§ 36 ff BauG nicht Folge gegeben. Zusammengefasst wurde dies damit begründet, dass nunmehr die Höhenkoten und Grenzpunkte der Veranda in den Tekturplänen enthalten und ausreichend sichtbar gemacht worden seien. Zu den Auswirkungen der von der Beschwerdeführerin gerügten Aufschüttungen werde festgestellt, dass das Gelände auf Straßenniveau angehoben worden sei, dies sei Gegenstand der baurechtlichen Bewilligung, hinsichtlich dieses Themas sei im bisherigen Verfahren kein Hinweis oder Einspruch der Beschwerdeführerin erfolgt, diesbezüglich sei daher Verschweigung eingetreten. Der tatsächliche Abstand werde durch die Aufschüttung nicht geändert, die Abstandsnachsicht würde sogar geringer werden, es ergäben sich für die Beschwerdeführerin keine negativen Auswirkungen. Durch eine vorliegende Fotodokumentation sei sehr augenscheinlich ersichtlich gemacht worden, dass ein wesentlicher Teil des Altbestandes des früheren Firmenteiles in das neue Bauvorhaben mitübernommen worden sei. Dies betreffe einen Teil der Wände sowie den Dachstuhl, verschiedene tragende Bauteile blieben bestehen. Die Baukubatur bliebe in etwa unverändert, die Abstandsflächen ebenfalls. Es werde nach wie vor die Meinung vertreten, dass es sich überwiegend um eine Änderung der Verwendung handle, was hinsichtlich der Beurteilung der Verletzung nachbarlicher Interessen sehr wesentlich sei. Hinsichtlich der Interessen des Brandschutzes sei gegenüber der bisherigen betrieblichen Nutzung eine Besserstellung gegeben, ebenfalls hinsichtlich des Gesichtspunktes der Gesundheit. Angesichts der besonderen Form des Grundstückes sei eine andere wirtschaftliche Bauführung nicht vertretbar. Im Hinblick auf die Lage des Objektes im Ortszentrum des Gemeindegebietes der mitbeteiligten Marktgemeinde, der durch einen dichten Baubauungscharakter geprägt sei, stelle das Objekt keine Beeinträchtigung des bisherigen Orts- und Landschaftsbildes dar; die Bebauung erfolge so, wie sie künftig sein solle. Ein Neubau in derselben Höhe bei gleichzeitigem Abbruch der bestehenden Bausubstanz würde gewaltige Kosten verursachen. Die bei Anwendung des § 6 Abs. 9 BauG maßgebliche Interessensabwägung spreche für die Zulässigkeit der Bauführung. Das Gebäude befinde sich, was die Bauabstände betreffe, auf den Fundamenten des Altbestandes, die für den Umbau entsprechend angehoben worden seien. Hinsichtlich der Stützmauer sei auszuführen, dass es sich dabei nicht um eine Stützmauer eines Gebäudes, sondern um eine Grenzmauer handle, die auf Grund der Bestimmungen des BauG bis 1,80 m Höhe ohne Zustimmung des Nachbarn unmittelbar an der Grenze errichtet werden dürfe und nicht im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Bauvorhaben stehe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung, die mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Jänner 2000 abgewiesen wurde. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Beschwerdeführerin im Verfahren die Einhaltung der im Baugesetz vorgesehenen Mindestabstände geltend gemacht habe. Darüber hinaus müsse von der Baubehörde die rechtliche Zulässigkeit der an der Grundgrenze errichteten Stahlsäulen überprüft werden. Das bei der Bauverhandlung protokollierte Vorbringen der Beschwerdeführerin, die bestehende Grenzmauer in derselben Höhe sei zumindest bis zum Ende des Gebäudes weiterzuführen, habe keine Einwendungen beinhaltet. Da die ursprünglich vorgesehenen Stahlsäulen durch eine Konstruktionsänderung laut Änderungsansuchen vom 8. März 1999 entfallen seien (Abstützung des ehemaligen Stadels mittels eines Stahlträgers an der Gebäudeaußenkante), blieben als Einwendungen die Vorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Erteilung der Abstandsnachsicht gegenüber ihrer Liegenschaft bzw. damit im Zusammenhang stehend betreffend Schüttungen, Grenzverlauf und "Stützmauern" übrig. Hinsichtlich sämtlicher in der Berufung sowie Vorstellung darüber hinausgehender Einwendungen liege Präklusion vor. Vorbringen betreffend einen "Hausspalt" sowie angebliche "Grenzüberschreitungen" bezögen sich überhaupt nicht auf das gegenständliche Bauvorhaben, sondern auf den Bestand an der H.- Straße. Die Baubehörde habe hinsichtlich der Zulässigkeit der Abstandsnachsicht ein Sachverständigengutachten eingeholt. Die mangelhaften Planunterlagen seien durch sogenannte Tekturpläne ergänzt worden, welche auch einen Abstandsflächenplan beinhalteten. Eine Fotodokumentation habe die Entwicklung der Umbaumaßnahmen einschließlich des südseitigen Verandazubaues dargestellt. Der Sachverständige DI Dr. A habe Folgendes festgestellt:

"Geht man nunmehr von einer Baugrundlagenbestimmung für die Liegenschaft Gp 258 analog einer ortsüblichen - und gemäß Widmung Kerngebiet - zentralräumlichen Bebaubarkeit dieses Ortsteiles aus, ergibt sich unter Festschreibung einer 2 ½ geschossigen Bauweise und Satteldachausführung eine Traufhöhe von ihm Mittel ca 7,50 m.

Ausgehend von dieser gemittelten 7,50 m Traufhöhe - mit 0,6 mal 7,50 m ist gleich 4,50 m - bleibt bei der gegebenen mittelbaren Grundstücksbreite von ca 14,30 m (14,30 m - 2x4,50 m=5,30 m) eine mögliche Baukörperstirnseite von rund 5,30 m übrig.

Bei Beibehaltung der im Projekt vorgeschlagenen Wohnungsgrößen zwischen 83,80 m2 und 123,90 m2 und unter Reduktion der Baukörperbreite - gegenüber den Bestandsbauten - auf ca 5,30 m führt dies zu einer erhöhten Grundinanspruchnahme und steht im Widerspruch zu den Zielsetzungen des sparsamen Umganges mit Grund und Boden.

Die vom Umbau betroffenen Baukörper weisen derzeit eine erdgeschossige Bruttogeschoßfläche bezogen auf die gegebene Baukörperkonfiguration von 253,58 m2 auf. Unter Beibehaltung der geschossgleichen Umsetzung der Bruttofläche bei 5,30 m Baukörpertiefe wäre ein 47,85 m langer Baukörper erforderlich.

Gleichzeitig stellt der Unterfertigte fest, dass eine derart 'eingeschränkte' Bebauung (Gebäudebreite ca 5,30 m!) der Liegenschaft Gp 258 unter Einhaltung der gesetzlichen Gebäudeabstände ausschließlich und zweifelsfrei nur durch einen erheblichen Teilabbruch der Bestand zeichnenden Objekte möglich wäre und ist. Im Hinblick auf wirtschaftliche Gesichtspunkte - einer allenfalls zweckmäßigeren Bebauung - kann davon ausgegangen werden, dass ein Teil- und Totalabbruch der genehmigten Schreinerwerkstätte mit Einliegerwohnung im 1. Obergeschoß und angeschlossener Scheune, erhebliche Kosten verursachen würde, da bereits für Abbrucharbeiten (ca 1.731 m3) mit Nettokosten von ca ATS 450.000,00 gerechnet werden muss.

Dies erscheint in Anbetracht, dass für eine zweckmäßigere Bebauung auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden sollten, nicht gerechtfertigt."

Der Sachverständige komme im zitierten Gutachten demnach zur Auffassung, dass bei einer gemittelten Traufenhöhe von 7,50 m bei der gegebenen mittleren Grundstücksbreite von etwa 14,30 m eine Baukörperstirnseite von rund 5,30 m verbleibe, was bei Beibehaltung der vorgegebenen Wohnungsgrößen zu einer derart erhöhten Grundinanspruchnahme führen würde, dass sie im Widerspruch zu den Zielsetzungen des sparsamen Umganges mit Grund und Boden führen würden, zumal ein 47,85 m langer Baukörper entstehen würde. Eine Einhaltung der gesetzlichen Bauabstände würde in einem solchen Fall einen erheblichen Teilabbruch des Baubestandes bedingen, was mit wesentlichen Kosten verbunden wäre. Der Sachverständige habe sich im Gutachten im Sinne der Forderungen des Verwaltungsgerichtshofes (im Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 95/06/0034) mit den besonderen Gegebenheiten des Baugrundstückes und den daraus resultierenden möglichen Bebauungsweisen auseinandergesetzt. Es sei klargestellt worden, dass eine zweckmäßige Bebauung dieses sehr langen und schmalen Grundstückes im Hinblick auf eine Wohnbebauung, die ortsbildliche Einfügung des entstehenden Baukörpers in die Umgebungsbebauung aber auch im Hinblick auf wirtschaftliche Gesichtspunkte nicht möglich sein werde, zumal ein wesentlicher Gebäudeabbruch erforderlich wäre, der erhebliche Kosten mit sich brächte. Die Baubehörde habe sich dieser Begutachtung insgesamt angeschlossen und es könne diese Sachverständigenbeurteilung auch von der belangten Behörde geteilt werden. Nachbarinteressen hinsichtlich des Brandschutzes und der Gesundheit seien nicht beeinträchtigt.

Die Beschwerdeführerin bemängle vor allem die vorgenommen Aufschüttungen mit der Errichtung der ihrer Ansicht nach bewilligungspflichtigen Stützmauer. Dazu sei festzustellen, dass aus den Tekturplänen ersichtlich sei, dass Aufschüttungen auf der Bauliegenschaft in unterschiedlicher Höhe des nach Süden sanft abfallenden Baugrundstückes vorgenommen worden seien, um eine Angleichung an das Straßenniveau zu erreichen bzw. eine niveaugleiche Einfahrt der Kraftfahrzeuge in die Einstellplätze zu ermöglichen. Nach dem Ansichtsplan vom 2. Juli 1997 betrage die Aufschüttung lediglich im südlichsten der Vorstellungswerberin gegenüberliegenden, noch unter die Abstandsnachsicht fallenden Gebäudeteil 40 cm. Von einer Gartenmauer als einer nach § 30 Abs. 1 lit. c BauG bewilligungspflichtigen Stützmauer könne nicht die Rede sein.

Die Durchführung einer neuerlichen Bauverhandlung sei entbehrlich gewesen. Abweichend von dem der Bauverhandlung vom 16. Oktober 1992 zu Grunde liegenden Projekt sei lediglich eine Umplanung dahingehend vorgenommen worden, als auf die von der Beschwerdeführerin seinerzeit ohnehin beanstandete Erstellung von Stahlsäulen verzichtet worden sei und stattdessen Stahlträger im Gebäude verankert worden seien. Darüber hinaus seien lediglich die Projektunterlagen in der zitierten Art und Weise vervollständigt worden. Diesbezüglich sei auch das Parteiengehör gewahrt worden.

Abstandsflächen seien, entgegen dem Vorstellungsvorbringen, nicht vom ursprünglichen, sondern vom projektierten Niveau zu messen. Die Abstände zur Nachbarliegenschaft der Beschwerdeführerin seien den Planunterlagen zu entnehmen. Insgesamt sei festzuhalten, dass die Abstände gegenüber diesem Grundstück auf Grund der den bisherigen Baubestand entsprechenden Baukubatur dem früheren Ausmaß entsprächen. Wie dem Gutachten zu entnehmen sei, habe der Grenzabstand nach der Baubewilligung für den Altbestand vom 10. April 1997 für die Errichtung der ehemaligen Schreinereiwerkstätte gegenüber dem Grundstück der Beschwerdeführerin 1,89 bzw. 2,00 m betragen. Nach dem Tekturplan vom 2. Juli 1997 betrage der Mindestabstand gegenüber dem Grundstück der Beschwerdeführerin an der geringsten Stelle 1,89 m, im Mittelbereich 2,00 m und südseitig 2,25 m. Bezüglich der südseitig angebauten Veranda seien die Planunterlagen jedenfalls ergänzt bzw. verbessert worden und es sei für diesen Gebäudeteil keine Abstandsnachsicht erforderlich gewesen, weshalb diesbezüglich Nachbarrechte nicht berührt seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren diesen wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Auch die mitbeteiligte Marktgemeinde erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt auch in ihrer nunmehrigen Beschwerde vor, dass hinsichtlich des gegenständlichen Bauvorhabens die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abstandsnachsicht gemäß § 6 Abs. 9 des Vorarlberger Baugesetzes nicht vorgelegen seien. Sie meint insbesondere, eine solche Bewilligung könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlich vernünftigen Bauführung als zulässig angesehen werden, weil die erst- und zweitmitbeteiligte Partei ohnehin nahezu den Gesamtbestand abgebrochen hätten und die gesamte - zu ihrem Grundstück hin gekehrte - Westfassade gänzlich erneuert hätten.

§ 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz, LGBl,. Nr. 39/1972, i.d.F. des Landesgesetzes LGBL. Nr. 72/1997, lautet:

"(9) Wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung kann die Behörde mit Genehmigung des Gemeindevorstandes von den in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden."

Die belangte Behörde ist im vorliegenden Fall zu Recht davon ausgegangen, dass sie - in Bindung an ihre eigene, in ihrem Vorstellungsbescheid vom 8. Juli 1993 zum Ausdruck gebrachte Auffassung, dass eine "vollumfängliche" Prüfung hinsichtlich der Voraussetzungen des § 6 Abs. 9 BauG erforderlich sei, sowie in weiterer Bindung an die im hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 95/06/0034, zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung § 6 Abs. 9 BauG "vollumfänglich" anzuwenden habe.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Gesetzesstelle darf die genannte Ausnahmebestimmung keinesfalls so ausgelegt werden, dass zu Lasten des Nachbarn jede beliebige größere Ausnutzung des Bauplatzes zulässig wäre; es spielen bei der Frage der zweckmäßigeren Bebauung auch wirtschaftliche Gesichtspunkte - wie sie von der belangten Behörde als Begründung der Zulässigkeit einer Abstandsnachsicht ins Spiel gebracht werden - eine Rolle, weil jedes Grundstück nur dann als zweckmäßig bebaubar beurteilt werden kann, wenn eine wirtschaftlich vernünftige Bauführung zulässig ist, also ein entsprechend langer und breiter Baukörper unter Einhaltung der gesetzlichen Abstandsvorschriften errichtet werden kann. Nur wenn die Errichtung eines solchen Baukörpers nicht möglich wäre, könnte eine zweckmäßige Bebauung verneint werden und es wäre durch die Gewährung einer Ausnahme eine zweckmäßigere Bebauung zuzulassen. § 6 Abs. 9 Vorarlberger Baugesetz kommt daher nur dann zum Tragen, wenn aufgrund der Form oder Lage des Grundstückes oder sonst eine zweckmäßige Bebauung nicht möglich wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2001, Zl. 99/06/0037 m.w.N.). Im angeführten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof weiter ausgeführt, dass die Erteilung einer Abstandsnachsicht dann zu erfolgen hat, wenn eine zweckmäßige Bebauung "anders als unter Erteilung einer Abstandsnachsicht nicht möglich, d.h. wirtschaftlich gar nicht vertret- und zumutbar wäre".

Ist ein Grundstück bereits mit einem dreigeschossigen Wohnhaus mit ausgebautem Dachgeschoß bebaut, so kommt nach dem hg. Erkenntnis vom 9. September 1999, Zl. 98/06/0064, die Erteilung einer Abstandsnachsicht gemäß § 6 Abs. 9 BauG für eine weitere Bebauung (Erweiterung) nicht in Frage. Im Fall eines geplanten Umbaus und der Änderung des Verwendungszwecks eines bereits im Mindestabstand errichteten Gebäudes, mit dem keine in den Mindestabstand weiter hineinreichende neue Bebauung erfolgte, hat der Verwaltungsgerichtshof - durchaus in Anwendung des in § 6 Abs. 9 BauG normierten Kriteriums einer zweckmäßigeren Bebauung - demgegenüber ausgesprochen, dass "(d)ie Erteilung der Abstandsnachsicht zu dem Zweck, einen seit langem bestehenden und als konsentiert geltenden Gebäudeteil im Zuge eines bewilligungspflichtigen Umbaues weiter verwenden zu können", den Kriterien "einer zweckmäßigeren Bebauung im Sinne des § 6 Abs. 9 BauG im Allgemeinen entsprechen" werde (Erkenntnis vom 22. Oktober 1992, Zl. 92/06/0064). Der Verwaltungsgerichtshof hat damit zum Ausdruck gebracht, dass bei der Beurteilung, ob eine Baumaßnahme im Mindestabstand das Kriterium einer "zweckmäßigeren Bebauung" i.S.d. § 6 Abs. 9 BauG erfüllt, durchaus dem Umstand ein erhebliches Gewicht beizumessen ist, dass es sich dabei um eine Baumaßnahme handelt, durch welche einerseits der Abstand nicht weiter verringert wird, anderseits auch ein konsentierter Baubestand Verwendung findet. Es kann daher auch nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde diese Voraussetzung auch im vorliegenden Fall als erfüllt ansah und - den Ausführungen der Baubehörden folgend - die Genehmigung der Abstandsnachsicht im vorliegenden Fall - mit dem keine Verringerung des Abstandes gegenüber dem Grundstück der Beschwerdeführerin erfolgte - aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung im Grunde des § 6 Abs. 9 BauG angesichts der für das dargestellte Alternativvorhaben notwendigen beträchtlichen Mehrkosten als rechtmäßig ansah. Ausgehend von den dem vorliegenden Projekt zu Grunde liegenden Planunterlagen in der Fassung der Tekturpläne vom 2. Juli 1997 durfte die belangte Behörde nämlich zu Recht feststellen, dass das gegenständliche Bauvorhaben unter Verwendung von Teilen des Mauerwerks und der Geschossdecken sowie weiten Teilen des Dachstuhl des bestehenden Gebäudes durchgeführt werden soll.

Wenn die Beschwerdeführerin meint, die bei Verwirklichung eines alternativen Wohnbauvorhabens durch den Abbruch des bestehenden Gebäudes bewirkten Mehrkosten dürften bei der im Grunde des § 6 Abs. 9 BauG vorgesehenen Prüfung einer "zweckmäßigeren Bebauung" nicht in Betracht gezogen werden, so kann diese Auffassung vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt werden. Im Sinne des oben angeführten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 1992 ist bei den in § 6 Abs. 9 BauG normierten Zweckmäßigkeitsüberlegungen vielmehr durchaus die Frage der Weiterverwendung von bestehenden und als konsentiert geltenden Gebäudeteilen - im Vergleich zur Verwirklichung eines Alternativprojekts, mit welchem diese beseitigt werden - in Betracht zu ziehen.

In Erwiderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin wonach die erst- und zweitmitbeteiligten Parteien ohnedies nahezu den Gesamtbestand abgebrochen und die gesamte Westfassade gänzlich erneuert hätten, ist - ungeachtet der Frage, ob diese Aussage überhaupt zutrifft - darauf hinzuweisen, dass es bei der Beurteilung der Zulässigkeit des gegenständlichen Vorhabens unter dem Gesichtspunkt der Erteilung einer Baubewilligung nicht maßgeblich ist, wie dieses Vorhaben durchgeführt wurde, weil es sich beim Baubewilligungsverfahren um ein Projektgenehmigungsverfahren handelt. Für die Beurteilung von dessen Zulässigkeit sind der Bauantrag und die damit verbundenen eingereichten Baupläne maßgeblich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 1998, Zl. 97/06/0086).

Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, im Bereich der Grenze zu ihrem Grundstück sei eine Stützmauer konsenslos errichtet und Aufschüttungen bis zu 70 cm vorgenommen worden, ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht relevant, weil mit diesem, wie gesagt, nur das eingereichte Projekt genehmigt worden ist. Ob in der Wirklichkeit durchgeführte Maßnahmen diesem Projekt entsprechen, ist im vorliegenden Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht zu beurteilen. Wenn die Beschwerdeführerin insoferne ausführt, im Bereich der H.-Straße befinde sich zwischen ihrem Grundstück und jenem der erst- und zweitmitbeteiligten Partei bzw. zwischen der straßenseitigen Stützmauer auf dem Grundstück der erst- und zweitmitbeteiligten Partei und dem Haus der Beschwerdeführerin ein Spalt von 10 bis 14 cm, in den von der erst- und zweitmitbeteiligten Partei eingereichten Tekturplänen sei dieser jedoch nicht dargestellt, so zeigt die Beschwerdeführerin auch damit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil die mit diesem nicht als rechtswidrig befundene Genehmigung des gegenständlichen Vorhabens keine Änderung des baulichen Bestandes in diesem Bereich vorsieht.

Soweit die Beschwerdeführerin meint, es sei kein richtiger und nachvollziehbarer Abstandsflächenplan ausgearbeitet worden und völlig ungeklärt, wie groß die gesetzlichen Mindestabstände tatsächlich sein sollten, so zeigt sie damit ebenfalls keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil die Tekturpläne vom 2. Juli 1997, im Maßstab 1:100 die Lage des durch den gegenständlichen Umbau entstehenden Gebäudes mit ausreichender Genauigkeit erkennen lassen. Dies gilt auch für die an der Südseite zugebaute Veranda. Den eingereichten Lageplänen ist auch mit ausreichender Klarheit zu entnehmen, dass diese - von der Grenze zum Grundstück der Beschwerdeführerin - zurückgesetzte Veranda den gemäß § 6 Abs. 2 BauG gebotenen Mindestabstand zum Grundstück der Beschwerdeführerin nicht unterschreitet.

Mit ihrem Einwand, bei Einhaltung der Mindestabstände könnten Grünverbindungen und naturverbindende Ausformungen entlang des öffentlichen und halböffentlichen Raumes eingerichtet werden, was - bei der erfolgten Unterschreitung der Mindestabstände - schwierig bis unmöglich wäre, zeigt die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Übereinstimmung des gegenständlichen Vorhabens mit der in § 6 Abs. 9 BauG normierten Anforderung, dass durch ein auf Grund einer Abstandsnachsicht genehmigtes Vorhaben Interessen des Landschafts- und Ortsbildschutzes nicht beeinträchtigt werden dürften, keine Rechtswidrigkeit auf. Die Beschwerdeführerin lässt nämlich die - auch aus der Sicht des Verwaltungsgerichtshofes unbedenkliche - Feststellung der Baubehörden und dieser folgend der belangten Behörde unbestritten, dass sich das gegenständliche Bauvorhaben im Ortskern des Gebietes der mitbeteiligten Marktgemeinde befindet. Dass durch das mit dem angefochtenen Bescheid nicht als rechtswidrig befundene Bauvorhaben das Orts- oder Landschaftsbild beeinträchtigt würde, kann die Beschwerdeführerin im Ergebnis sohin nicht mit Erfolg behaupten.

Nach dem Gesagten war die Beschwerde daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 18. September 2003

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