VwGH 2000/02/0319

VwGH2000/02/031914.9.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerde des ED in Linz, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwalt in 4010 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Zwettl, vom 1. August 2000, Zl. Senat-F-00-795, betreffend Anhaltung in Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §57;
B-VG Art140 Abs1;
FrG 1997 §103 Abs1;
FrG 1997 §56;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §61;
FrG 1997 §69 Abs2;
FrG 1997 §72 Abs1;
FrG 1997 §73 Abs4;
AVG §57;
B-VG Art140 Abs1;
FrG 1997 §103 Abs1;
FrG 1997 §56;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §61;
FrG 1997 §69 Abs2;
FrG 1997 §72 Abs1;
FrG 1997 §73 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn vom 8. April 2000 wurde über den Beschwerdeführer unter Berufung auf §§ 61 und 103 Abs. 1 FrG 1997 iVm § 57 AVG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung und der Zurückschiebung angeordnet und ab diesem Tag vollzogen.

In der Begründung wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer am 7. April 2000 nach Österreich eingereist sei und sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Er könne den Besitz zu seinem Lebensunterhalt nicht nachweisen. Er sei unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist und es bestehe ein durchsetzbares gültiges Aufenthaltsverbot, in dessen Vollstreckung er in seinen Heimatstaat abgeschoben werden solle. Er sei nicht im Besitz eines Reise- oder Ausweisdokumentes. Es könne seine Identität nicht festgestellt werden. Er sei in Österreich ohne Unterstand. Es sei daher die Schubhaft erforderlich, um die Abschiebung/Zurückschiebung zu sichern und zu verhindern, dass er sich dieser entziehen könnte. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass er versuchen könnte, wegen nicht oder zu gering vorhandener finanzieller Mittel seinen Lebensunterhalt durch Begehung strafbarer Handlungen (Eigentumsdelikte, illegale Arbeitsaufnahme) zu bestreiten. Weiters sei zu befürchten, dass er seiner Ausreiseverpflichtung entsprechend dem Aufenthaltsverbot nicht nachkommen werde. Die Überwachung der Ausreise sei aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit notwendig.

Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz vom 24. Juli 2000 Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung der Schubhaft an die belangte Behörde, worin er den Antrag stellte, die Anhaltung in Schubhaft seit dem 7. Juni 2000 für rechtswidrig zu erklären. Er brachte darin im Wesentlichen vor, sein Asylantrag sei gemäß § 4 Asylgesetz als unzulässig zurückgewiesen worden. Er habe Berufung erhoben. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. Juli 2000 sei der Berufung stattgegeben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen worden. Dieser Bescheid sei am 7. Juli 2000 an die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn per Telefax übersendet worden. Die Höchstdauer der Schubhaft von zwei Monaten dürfe nur aus den Gründen des § 69 Abs. 4 FrG überschritten werden. Er befinde sich seit 107 Tagen in Schubhaft. Eine Zurückschiebung in die tschechische Republik komme auf Grund des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates nicht mehr in Betracht. Das Asylverfahren müsse neuerlich durchgeführt werden. Eine Abschiebung könne während der Dauer des Asylverfahrens nicht durchgeführt werden (§ 21 Abs. 2 Asylgesetz). Zweck der Schubhaft könne hier nur mehr die Abschiebung sein. Die Schubhaft dürfe nur so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen sei oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden könne. Ein Abschluss des Asylverfahrens sei nicht bis 7. Oktober 2000 zu erwarten, da er noch nicht einmal eine Ladung zur Ersteinvernahme zum Bundesasylamt erhalten habe. Die Anhaltung in der Schubhaft sei mindestens seit der Entscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. Juli 2000 rechtswidrig.

Das im zitierten Antrag enthaltene Datum 7. Juni 2000 erklärt sich nach den Beschwerdeausführungen an den Unabhängigen Verwaltungssenat offenbar als jenes Datum, an dem die zweimonatige Frist des § 69 Abs. 2 FrG 1997 geendet habe, und müsste richtigerweise ab dem 8. Juni 2000 lauten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 1. August 2000 wurde die Beschwerde gemäß § 73 FrG 1997 als unbegründet abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 7. April 2000 bei illegalem Grenzübertritt über die "grüne Grenze" aufgegriffen und festgenommen worden. Er habe angegeben, türkischer Staatsangehöriger zu sein. Seine Ausreise sei mit gefälschten Dokumenten von Schleppern organisiert worden. Er sei nach seinen Angaben nach Italien gelangt, habe sich in Rom eine Woche aufgehalten, von dort illegal in die Schweiz weiterreisen wollen, sich mit einem weiteren Flüchtling seines Heimatlandes in einem Lkw versteckt und sei nach zwölfstündiger Fahrt in Tschechien angekommen. Er habe ca. einen Monat in Znaim gelebt. Er habe mit einem weiteren Landsmann beschlossen, illegal nach Österreich zu reisen. Er habe am 7. April 2000 zu Fuß die Grenze nach Österreich überschritten. Er sei nicht im Besitz eines Reisedokumentes. Ein gefälschtes Dokument befinde sich in Italien. In der Schweiz wohne sein Vater. Er sei mittellos und könne seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten. Er wolle in Österreich um Asyl ansuchen.

Die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn habe - so die belangte Behörde - mit Bescheid vom 8. April 2000 gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z. 7 FrG 1997 ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen, welches am 25. April 2000 in Rechtskraft erwachsen sei. Anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme am 14. April 2000 habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er am 29. September 1999 in Tschechien einen Asylantrag unter einem falschen Namen gestellt habe. Am 8. Juni 2000 sei dem Beschwerdeführer die Ausdehnung der Schubhaft aus den Gründen des § 69 Abs. 4 Z. 2 FrG 1997 zur Kenntnis gebracht worden.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. April 2000 sei der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 4 Asylgesetz als unzulässig zurückgewiesen worden. Der dagegen erhobenen Berufung sei mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. Mai 2000 (richtig: 5. Juli 2000) Folge gegeben worden, der erstinstanzliche Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen worden. Nach dem Inhalt dieses Bescheides komme der tschechischen Republik die Stellung eines sicheren Drittstaates im Sinne des § 4 Asylgesetz nicht zu.

Der Beschwerdeführer sei weder im Besitz eines gültigen Reisedokumentes noch eines Aufenthaltstitels. Im Bundesgebiet hielten sich keine Angehörigen auf. Sonstige familiäre, berufliche oder soziale Bindungen seien nicht behauptet worden. Der Beschwerdeführer habe - soweit seine Ausführungen hinsichtlich der Reiseroute der Wahrheit entsprächen - mehrmals rechtswidrig in mehreren Staaten Aufenthalt genommen und die jeweilige Einreise illegal bewerkstelligt. Er habe anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme am 8. April 2000 angegeben, dass er vor ca. einem Monat in Znaim aus einem Versteck in einem Lastkraftwagen gestiegen sei. Hingegen habe er erst später (Anm.: anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vom 14. April 2000) angegeben, bereits am 29. September 1999 in Tschechien unter einem falschen Namen einen Asylantrag gestellt zu haben. Seine Glaubwürdigkeit sei demnach nicht gegeben.

Daraus zog die belangte Behörde folgende Schlüsse:

"Unter den gegebenen Umständen kann der Ansicht der Behörde, wonach sich der Beschwerdeführer der Abschiebung entziehen, er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen könnte und nicht ausgeschlossen werden kann, dass er den Lebensunterhalt durch strafbare Handlungen bestreiten könnte und daher die Schubhaft im Interesse des öffentlichen Wohles dringend erforderlich ist, nicht entgegengetreten werden. Aus den dargelegten Gründen erscheint auch die Anwendung des gelinderen Mittels, das vom Beschwerdeführer im Übrigen nicht gefordert wurde, nicht zielführend.

Vom Beschwerdeführer wurde nicht dargelegt, inwieweit innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer nicht das Asylverfahren abgeschlossen und eine Feststellung gemäß § 8 Asylgesetz 1997 getroffen werden kann. Aus den genannten Gründen sind daher weder die Verhängung der Schubhaft noch die Schubhaft ab 7.6.2000 sowie die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers mit Rechtswidrigkeit belastet. Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft jedenfalls seit Zustellung des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. Juli 2000 rechtswidrig gewesen sei, weil der Zweck der Schubhaft im Sinne des § 69 Abs. 2 FrG 1997 nicht mehr erreichbar scheine. Denn das durchzuführende Asylverfahren sei "unter Einbeziehung der bekannt langen Dauer des Berufungsverfahrens vor dem UBAS" jedenfalls nicht "kurzfristig für mich negativ" beendbar. Eine Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß § 21 Abs. 2 Asylgesetz sei in absehbarer Zeit, jedenfalls aber "zumindest während der längstmöglichen Haftdauer", nicht zulässig und daher unmöglich.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 23. Februar 2001, Zl. 98/02/0276, ausgesprochen hat, wird die Abschiebung - bei Vorliegen der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen - für die Dauer des Asylverfahrens nur aufgeschoben, um Asylwerber vor Beendigung ihres Aufenthaltes bis zur endgültigen Entscheidung über ihren Asylantrag zu schützen; es liegt daher nur eine vorläufige Unzulässigkeit der Abschiebung vor. Erst ab der endgültigen Entscheidung über den Asylantrag steht fest, ob die Abschiebung unzulässig ist und daher das Ziel der Schubhaft, nämlich die Sicherung der Außerlandesschaffung des Fremden, endgültig unerreichbar ist.

Mit den vagen Argumenten des Beschwerdeführers ("bekannt lange Dauer des Berufungsverfahrens", noch keine Ladung für die Einvernahme in erster Instanz) zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, dass im Beschwerdefall das Ziel der Schubhaft, nämlich die Abschiebung des Beschwerdeführers, nicht (mehr) im Sinne des § 69 Abs. 2 erster Satz FrG 1997 innerhalb der längstmöglichen Schubhaftdauer (das ist bis 8. Oktober 2000, vgl. § 69 Abs. 4 FrG 1997) hätte erreicht werden können.

Des Weiteren bringt der Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde habe keine Ausführungen über den weiteren von der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn herangezogenen Schubhaftgrund (Sicherung der Zurückschiebung) getroffen.

Da die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers schon aus dem Schubhaftgrund der Sicherung der Abschiebung gemäß § 56 FrG rechtmäßig war, erübrigt sich die Befassung mit der Frage, ob allenfalls auch ein weiterer Titel für die Fortsetzung der Schubhaft gegeben sein könnte. Die gemäß § 73 Abs. 4 FrG 1997 ergehende Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates über die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft stellt einen neuen Titelbescheid für die weitere Anhaltung in Schubhaft dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 2000, Zl. 2000/02/0007 mwN.); es bedarf für die zukünftige Rechtmäßigkeit der Anhaltung lediglich eines Schubhaftgrundes. Letzteres gilt aber auch für die Anhaltung in Schubhaft in der Vergangenheit.

Insoweit sich der Beschwerdeführer gegen die "Notwendigkeit" der Schubhaft und die Nichtanwendung gelinderer Mittel wendet, ist er darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde den Bescheid in dieser Hinsicht begründet hat. Aus dem im gegenständlichen Fall festgestellten Sachverhalt (der Beschwerdeführer ist nicht im Besitz eines Reise- oder Ausweisdokumentes, seine Identität ist nicht festzustellen, er besitzt in Österreich keinen Unterstand, seine finanziellen Mittel sind zu gering für seinen Lebensunterhalt) ist zu ersehen, dass im vorliegenden Fall der Gefahr des Untertauchens des Beschwerdeführers nur durch seine Belassung in Schubhaft zu begegnen ist (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1999, Zl. 99/02/0294).

Der Beschwerdeführer hegt verfassungsrechtliche Bedenken gegen §§ 61 ff FrG, da die "Verhängung und Aufrechterhaltung der Schubhaft im Ergebnis um ihrer selbst willen und ohne inhaltliche Begründung bzw. Überprüfung der gesetzlichen Erfordernisse" dem Grundrecht auf persönliche Freiheit widerspreche. Der Verwaltungsgerichtshof teilt diese Ansicht nicht, wobei auf die bereits oben näher dargelegten Gründe hingewiesen wird. Solange eine Abschiebung nicht unmöglich scheint, liegt der Zweck der Schubhaft nicht in "ihrer selbst willen", sondern dient der Sicherung der Abschiebung. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich demnach nicht veranlasst, der Anregung des Beschwerdeführers nachzukommen, einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 14. September 2001

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