Normen
B-VG Art18 Abs2
RAO §1a Abs2
RAO §21c Z8
RL-BA 1977 §25
B-VG Art18 Abs2
RAO §1a Abs2
RAO §21c Z8
RL-BA 1977 §25
Spruch:
§25 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtanwaltsanwärter (RL-BA 1977) vom 8. Oktober 1977, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14. Dezember 1977 sowie im Anwaltsblatt 1977, S 477, idF des Beschlusses des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 1. März 1991, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 30. März 1991 sowie im Anwaltsblatt 1991, S 228, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Der Bundesminister für Justiz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B2066/92 ein Verfahren über die Beschwerde von Rechtsanwälten gegen einen Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien anhängig, mit welchem ihnen die Weisung erteilt wurde, ihr Kanzleibriefpapier an die Gesetzeslage anzupassen.
1.2. Beim Verfassungsgerichtshof ist weiters zu B1933/93 die Beschwerde einer offenen Erwerbsgesellschaft und von Rechtsanwälten gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter anhängig, mit welchem der Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsgesellschaften abgewiesen wurde.
2. Aus Anlaß dieser Beschwerdefälle hat der Verfassungsgerichtshof am 5. und 12. März 1994 gemäß Art139 Abs1 B-VG beschlossen, von Amts wegen Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §25 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977) vom 8. Oktober 1977, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14. Dezember 1977 sowie im Anwaltsblatt 1977,
S 477, idF des Beschlusses des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 1. März 1991, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 30. März 1991 sowie im Anwaltsblatt 1991,
S 228, einzuleiten.
3. Zur Rechtslage:
3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen der RAO, RGBl. Nr. 96/1868 idF der Novelle BGBl. Nr. 474/1990, lauten:
"§1a. (1) Gesellschaften zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft, insbesondere eingetragene Erwerbsgesellschaften (Rechtsanwalts-Partnerschaften), sind bei dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer, in deren Sprengel sie ihren Kanzleisitz haben, zur Eintragung in die Liste der Rechtsanwalts-Gesellschaften anzumelden.
(2) Die Anmeldung ist unter Verwendung eines vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag aufzulegenden Formblatts vorzunehmen und hat zu enthalten:
1. ...
2. Namen, Anschriften und Kanzleisitze der zur Vertretung und Geschäftsführung berechtigten Gesellschafter sowie Namen und Anschriften der übrigen Gesellschafter;
3. den Kanzleisitz der Gesellschaft;
4. ...
5. ...
..."
"§5. (1) Wer die Rechtsanwaltschaft erlangen will, hat unter Nachweis aller gesetzlichen Erfordernisse bei dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer, in deren Sprengel er seinen Kanzleisitz nimmt, unter Angabe des letzteren seine Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte zu erwirken.
(2) ...
..."
"§21. Die Wahl und Änderung des Kanzleisitzes ist dem Rechtsanwalt gestattet; ..."
"§21c. Bei Gesellschaften zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft müssen jederzeit folgende Erfordernisse erfüllt sein:
...
7. Die Gesellschaft darf nur einen Kanzleisitz haben.
8. Rechtsanwälte dürfen nur einer Gesellschaft angehören; der Gesellschaftsvertrag kann jedoch vorsehen, daß ein der Gesellschaft angehörender Rechtsanwalt die Rechtsanwaltschaft auch außerhalb der Gesellschaft ausüben darf.
..."
3.2. Der in Prüfung gezogene §25 RL-BA 1977 hat folgenden Wortlaut:
"§25 Nur Rechtsanwälte mit dem selben Kanzleisitz dürfen sich zur gemeinsamen Berufsausübung verbinden."
4. In seinen Einleitungsbeschlüssen ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung des §25 RL-BA 1977 von den belangten Behörden bei der Erlassung der angefochtenen Bescheide angewendet wurde und daß sie auch von ihm bei der Beurteilung der an ihn gerichteten Beschwerden anzuwenden sein dürfte, sodaß ihr Präjudizialität im Sinne des Art139 Abs1 B-VG zukomme.
Seine Bedenken formulierte der Verfassungsgerichtshof wie folgt:
"Gegen die in Prüfung gezogene Regelung der RL-BA 1977 besteht das Bedenken, daß sie einer gesetzlichen Deckung entbehrt.
§1a Abs2 Z2 und 3 RAO scheinen davon auszugehen, daß der Kanzleisitz einer Anwaltsgesellschaft und die Kanzleisitze der Gesellschafter verschiedene sein können. Nimmt man nämlich an, daß Anwälte, die sich zu einer Gesellschaft vereinigen, der Kammer ihren Kanzleisitz bereits bekannt gegeben haben, so deuten die Z2 und 3 des §1a RAO darauf hin, daß der Gesetzgeber jedenfalls nicht gebieten wollte, daß es nach der Vergesellschaftung nur mehr einen - gemeinsamen - Kanzleisitz geben solle. Die Verwendung des Plurals in der Wortfolge 'Kanzleisitze der zur Vertretung und Geschäftsführung berechtigten Gesellschafter' wäre mit einer solchen Absicht des Gesetzgebers nämlich geradezu unvereinbar.
Dies scheint sich auch aus §21c Z8 RAO zu ergeben, der anordnet, daß einer Gesellschaft angehörende Rechtsanwälte die Rechtsanwaltschaft auch außerhalb der Gesellschaft ausüben dürfen. Auch sonst dürfte sich keine gesetzliche Regelung finden, in der die in Prüfung gezogene Bestimmung ihre gesetzliche Grundlage findet."
5.1. Der Bundesminister für Justiz hat in beiden Verordnungsprüfungsverfahren von der Erstattung einer "sachlichen Äußerung" abgesehen und mitgeteilt, daß auf die angefochtene Verordnung bezughabende Akten, die für das Verfahren von Interesse sein könnten, nicht vorhanden sind.
5.2. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag hat eine - in beiden Verfahren gleichlautende - Äußerung erstattet, in welcher er die Auffassung vertritt, daß der in Prüfung gezogene §25 RL-BA 1977 gesetzmäßig ist. Dazu wird insbesondere vorgebracht:
"Durch die persönliche Anwesenheit des Rechtsanwaltes in seiner Kanzlei sollten jene Voraussetzungen geschaffen werden, die es dem Anwalt ermöglichen, sein Personal entsprechend zu überwachen und Zustellungsprobleme hintanzuhalten. Dazu kommen die Aufsichtspflicht gegenüber berufsfremden Gesellschaftern, wofür der Rechtsanwalt standesrechtlich verantwortlich ist (§30 RL-BA) und die gewissenhafte Beaufsichtigung der Rechtsanwaltsanwärter (§34 RL-BA).
Es bestand nun keinerlei Veranlassung, anläßlich der Einfügung des §1 a RAO durch BGBl. 1990/474, gerade im Zusammenhang mit Gesellschaften zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft von diesem Prinzip abzugehen. Eine unterschiedliche Behandlung von Rechtsanwälten, die ihre Berufstätigkeit im Rahmen einer Gesellschaft ausüben und anderen ('Einzelanwälte') stand nicht zur Diskussion und wäre sachlich auch nicht gerechtfertigt gewesen.
Ohne daß die Rechtsanwaltsordnung selbst ein Filialverbot ausspricht, geht sie davon aus, daß ein Rechtsanwalt nur einen Kanzleisitz haben kann. Dies ergibt sich etwa aus der Regelung des §5 RAO, wonach ein Rechtsanwalt unter Angabe seines Kanzleisitzes seine Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte, geführt bei der Kammer, in deren Sprengel der Kanzleisitz liegt, zu erwirken hat. Die Wahl und Änderung des Kanzleisitzes ist dem Rechtsanwalt gestattet; jedoch hat er vor seiner Übersiedlung die Anzeige bei dem Ausschuß seiner Rechtsanwaltskammer sowie bei jenem des neugewählten Kanzleisitzes zu erstatten (§21 RAO). Aus diesem Grund fehlen auch Bestimmungen, die die Anmeldung eines zweiten oder weiteren Kanzleisitzes regeln.
Im Lichte dieser Bestimmungen sind auch die vom VfGH im Unterbrechungsbeschluß zitierten Bestimmungen der RAO zu sehen:
Ebenso wie der Einzelanwalt sollte eine Gesellschaft nur einen Kanzleisitz haben (§21 c Zif. 7 RAO) und dürfen Rechtsanwälte nur einer Gesellschaft angehören (Zif. 8). Die ergänzende Bestimmung, daß der Gesellschaftsvertrag vorsehen kann, ein der Gesellschaft angehörender Rechtsanwalt dürfe die Rechtsanwaltschaft auch außerhalb der Gesellschaft ausüben, sollte lediglich eine Klarstellung dahingehend bewirken, daß der Rechtsanwalt neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt im Rahmen der Gesellschaft auch als Einzelanwalt tätig sein kann. Die Bestimmung hat jedoch keinerlei Aussagekraft, an welchem Sitz der Rechtsanwalt in einem solchen Fall seine Tätigkeit ausüben darf.
Auch der vom VfGH hervorgehobene Widerspruch des §25 RL-BA zu §1 a Abs2 Zif. 2 RAO, wonach der Antrag auf Eintragung der Gesellschaft in die Liste der Rechtsanwaltsgesellschaften auch die Kanzleisitze der zur Vertretung und Geschäftsführung berechtigten Gesellschafter zu enthalten hat, besteht nicht. Die zuletzt genannte Vorschrift stellt lediglich darauf ab, daß die 'Gesellschaftergeschäftsführer' ihre bisher innegehabten Kanzleisitze anzugeben haben. Es handelt sich dabei lediglich um eine Ordnungsvorschrift, deren Zweck ua darin liegt, allenfalls andere örtlich zuständige Rechtsanwaltskammern in das Verfahren miteinzubeziehen.
Gemäß §21 e RAO gilt die der Partnerschaft erteilte Vollmacht als auch jedem zur Vertretung befugten Partner als erteilt, was wieder deutlich macht, daß dem Gesetzgeber nur ein und derselbe Kanzleisitz vorschwebte - dies ausgehend von der gegebenen Rechtslage. Der Wille, diese zu ändern, kam in keiner Weise zu Ausdruck.
Zusammenfassend kann sohin gesagt werden, daß die vorgenannten Bestimmungen der RAO gemäß dem Gesetzeszweck dahingehend auszulegen sind, daß der Rechtsanwalt, der im Rahmen einer Rechtsanwaltsgesellschaft seinen Beruf ausübt, auch berechtigt ist, daneben als Einzelrechtsanwalt beruflich tätig zu sein, wobei die Rechtsanwälte, die Gesellschafter einer solchen Rechtsanwaltsgesellschaft sind, und die ihren Beruf auch außerhalb derselben ausüben, keinen anderen Kanzleisitz haben dürfen, als jenen der Gesellschaft."
6. Der Verfassungsgerichtshof hat in den - zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Verordnungsprüfungsverfahren erwogen:
6.1. Die Verfahren haben nichts ergeben, was gegen die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden (zum Verfahren B2066/92 vgl. insbesondere VfSlg. 12904/1991 und 12959/1991) oder die Präjudizialität des jeweils in Prüfung gezogenen §25 RL-BA 1977 sprechen würde. Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen sind gegeben.
6.2. Die vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag ins Treffen geführten Überlegungen entkräften die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht. So wird auch keine Begründung für das zentrale Gegenargument geboten, die Anordnung des §1a Abs2 Z2 RAO, derzufolge die Anmeldung einer Gesellschaft zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft u.a. "Namen, Anschriften und Kanzleisitze der zur Vertretung und Geschäftsführung berechtigten Gesellschafter" zu enthalten hat, sei dahin zu verstehen, daß die "'Gesellschaftergeschäftsführer' ihre bisher innegehabten Kanzleisitze anzugeben haben". Eine solche Begründung für diese Behauptung ist nicht ersichtlich und ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenhalt der einzelnen Vorschriften der RAO. Vielmehr bringt der klare Wortlaut der zitierten Bestimmung iVm der Z3 leg.cit. unmißverständlich zum Ausdruck, daß - auch wenn, wie der Österreichische Rechtsanwaltskammertag in seiner Äußerung ausführt, der Systematik des Gesetzes zufolge der einzelne Rechtsanwalt ebenso wie eine Rechtsanwalts-Gesellschaft nur einen Kanzleisitz haben darf - einer Gesellschaft angehörende Rechtsanwälte darüber hinaus auch (jeweils) einen vom Sitz der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz haben dürfen. Daß sie mit dem Beitritt zu einer Gesellschaft ihren alten Kanzleisitz aufzugeben haben, kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Im Zusammenhalt mit §21c Z8 RAO kann die Formulierung des §1a Abs2 Z2 leg.cit. daher nur so verstanden werden, daß sie es Rechtsanwälten erlaubt, neben ihrer Tätigkeit als Gesellschafter eine Einzelpraxis an einem von dem der Gesellschaft verschiedenen Kanzleisitz auszuüben (in diesem Sinne auch Graff, Neues im Anwaltsrecht, AnwBl 1990, S 357 FN 8; Krejci, Erwerbsgesellschaftengesetz (1991) S 271, Rz 36 zu §6; Mayer, Anwaltliches Filialverbot und überörtliche Sozietät, AnwBl 1992, S 706; Torggler, Die Rechtsanwalts-Partnerschaft zwischen Gesellschafts- und Standesrecht, in: Kastner-FS (1992) S 470 f.). Auch die Materialien stehen diesem Gesetzesverständnis nicht entgegen (1380 BlgNR XVII. GP, S 6).
Erlauben aber §1a Abs2 Z2 und 3 RAO, daß Rechtsanwälte mit verschiedenen Kanzleisitzen sich zu einer Gesellschaft zusammenschließen, dann vermögen diese Vorschriften keine Deckung für die in Prüfung gezogene Bestimmung zu bieten. Da sich auch sonst keine gesetzliche Grundlage für §25 RL-BA 1977 findet, ist er als gesetzwidrig aufzuheben.
7. Die Verpflichtung des Bundesministers für Justiz zur Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf den ersten Satz des Art139 Abs5 B-VG iVm §60 Abs2 VerfGG.
8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
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