VfGH V183/95

VfGHV183/9518.6.1996

Feststellung der Gesetzwidrigkeit der Festlegung eines unterschiedlichen Anfallsalters der Altersversorgung bei männlichen und weiblichen Kammerangehörigen in der Satzung des Wohlfahrtsfonds einer Ärztekammer mangels gesetzlicher Deckung

Normen

B-VG Art18 Abs2
Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Stmk vom 15.12.69 idF vom 12.12.85 §22
ÄrzteG §65
B-VG Art18 Abs2
Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Stmk vom 15.12.69 idF vom 12.12.85 §22
ÄrzteG §65

 

Spruch:

Der Abs3 des §22 der Satzung über die Einrichtung und den Betrieb eines Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark, beschlossen in der Vollversammlung der Steiermärkischen Ärztekammer vom 15. Dezember 1969, kundgemacht in den Mitteilungen der Ärztekammer für Steiermark, Sondernummer Mai 1970, idF des Beschlusses der Vollversammlung vom 12. Dezember 1985, kundgemacht in den Mitteilungen der Ärztekammer für Steiermark 5/1986, war gesetzwidrig.

Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B798/94 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde eines am 24. September 1927 geborenen Arztes anhängig, die sich gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Beschwerdeausschusses bei der Ärztekammer für Steiermark vom 10. März 1994 wendet, mit welchem ein Antrag auf Zuerkennung der Ärztekammerpension ab 1. Jänner 1993 mit der Begründung abgewiesen worden war, daß entgegen §22 Abs2 der Satzung über die Einrichtung und den Betrieb eines Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark (im folgenden: Satzung) eine kassenvertragsärztliche Tätigkeit vorliege: Zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides I. Instanz habe der Antragsteller eine solche Tätigkeit hinsichtlich der Versicherungsanstalt der Österreichischen Eisenbahnen, der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, der Sozialversicherungsanstalt der Bauern sowie der Krankenfürsorgeanstalt für die Beamten der Landeshauptstadt Graz ausgeübt. Auch im Zeitpunkt der Entscheidung der II. Instanz liege noch eine solche Tätigkeit hinsichtlich der Sozialversicherungsanstalt der Bauern sowie eines Gesundenuntersuchungsvertrages mit der Steirischen Gebietskrankenkasse vor. Im vorliegenden Fall sei §22 Abs2 der Satzung anzuwenden. Der Beschwerdeführer behaupte zwar auch die Verfassungswidrigkeit der in den Abs2, 3, 4 und 5 des §22 der Satzung enthaltenen Ruhensbestimmungen. Ein diesbezügliches Prüfungs- bzw. Antragsrecht an den Verfassungsgerichtshof komme dem Beschwerdeausschuß jedoch nicht zu; er sei an gehörig kundgemachte Verordnungen gebunden.

2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, allenfalls auch die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit sowie die Verletzung in Rechten infolge Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung oder eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet.

3. Aus Anlaß der Beratung über die Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des Abs3 des §22 der Satzung über die Einrichtung und den Betrieb eines Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark, beschlossen in der Vollversammlung der Steiermärkischen Ärztekammer vom 15. Dezember 1969 idF des Beschlusses der Vollversammlung vom 12. Dezember 1985, entstanden, weshalb er am 11. Oktober 1995 den Beschluß gefaßt hat, gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmung einzuleiten.

4. Die Rechtsgrundlagen des bekämpften Bescheides lauten wie folgt:

4.1. §65 ÄrzteG, BGBl. Nr. 373/1984:

"§65. (1) Die Altersversorgung wird mit Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt, wobei die Satzung vorsehen kann, daß die auf Grund von Kassen- oder sonstigen zivil- oder öffentlich-rechtlichen Verträgen ausgeübte ärztliche Tätigkeit eingestellt wird. Unter Bedachtnahme auf §57 Abs1 kann die Satzung ein niedrigeres oder höheres Anfallsalter sowie bei früherer oder späterer Inanspruchnahme eine entsprechende Minderung oder Erhöhung der Leistungen vorsehen.

(2) Abs1 gilt für die Gewährung der Zusatzleistung sinngemäß."

4.2. Abs1, 2 sowie der in Prüfung gezogene und deshalb hervorgehobene Abs3 des §22 der Satzung:

"§22 Altersversorgung, vorzeitige Altersversorgung, Bonus

(1) Die Altersversorgung besteht aus der Grund- und Ergänzungsleistung sowie der allfälligen Zusatzleistung (§6) und Erweiterten Zusatzleistung (§7). Bei §-2-Kassenärzten kommt noch bei Vorliegen der Voraussetzungen die Ergänzungsleistung für §-2-Kassenärzte hinzu.

Diese Leistungen werden grundsätzlich

a) männlichen Kammerangehörigen bei Vollendung des 65. Lebensjahres,

b) weiblichen Kammerangehörigen bei Vollendung des 60. Lebensjahres

gewährt.

Über gesonderten Antrag ist männlichen Kammerangehörigen bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres und weiblichen Kammerangehörigen bereits ab Vollendung des 55. Lebensjahres die Altersversorgung zu gewähren (vorzeitige Altersversorgung). Dabei erfolgt eine Reduzierung des jeweiligen Altersversorgungsanspruches (siehe Anlage 2 zur BUO) nach Maßgabe der früheren Inanspruchnahme. Die Reduzierung wirkt für die ganze Dauer des Bezuges der Altersversorgung.

(2) Voraussetzung für die Gewährung ist die Einstellung der ärztlichen Tätigkeit in vollem Umfang, ausgenommen die Verträge für die Gesundenuntersuchungen mit der Sozialversicherungsanstalt der Bauern und die privatärztliche Tätigkeit.

(3) Mit Vollendung des 70. Lebensjahres bei männlichen und mit Vollendung des 65. Lebensjahres bei weiblichen Kammerangehörigen wird die Altersversorgung unter der Voraussetzung gewährt, daß die Verträge mit den §-2-Kassen gelöst werden.

(4) ...

..."

4.3. Der Abs4 des §22 der Satzung ist mit Erkenntnis VfSlg. 13549/1993 als gesetzwidrig aufgehoben worden.

4.4. Die Abs5, 6, 7 und 8 des §22 der Satzung haben die Gewährung der Ergänzungsleistung, die Erhöhung der Altersversorgung, den Anspruch auf Ausgleichszulage und den Mindestanspruch auf Altersversorgung zum Gegenstand und sind damit hier nicht von Relevanz.

4.5. Mit Beschluß der außerordentlichen Vollversammlung vom 17. März 1994, kundgemacht im ÄrzteJOURNAL Nr. 10/1994, S. 21, wurden u.a. die Abs1, 3 und 4 des §22 der Satzung neu gefaßt. Gemäß ArtII dieses Beschlusses sind die Änderungen der Satzung mit 1. Jänner 1994 in Kraft getreten. Die neu gefaßten Absätze des §22 der Satzung lauten wie folgt:

"(1) Die Altersversorgung besteht aus der Grund- und Ergänzungsleistung sowie der allfälligen Zusatzleistung (§6) und Erweiterten Zusatzleistung (§7).

Bei §-2-Kassenärzten kommt noch bei Vorliegen der Voraussetzungen die Ergänzungsleistung für §-2-Kassenärzte hinzu.

Diese Leistungen werden Kammerangehörigen grundsätzlich ab Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt. Über gesonderten Antrag ist Kammerangehörigen bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres die Altersversorgung zu gewähren (vorzeitige Altersversorgung). Dabei erfolgt eine Reduzierung des jeweiligen Altersversorgungsanspruches (siehe Anlage 2 zur BUO) nach Maßgabe der früheren Inanspruchnahme. Die Reduzierung wirkt für die ganze Dauer des Bezuges der Altersversorgung."

"(3) Ab Vollendung des 70. Lebensjahres wird die Altersversorgung unter der Voraussetzung gewährt, daß die Verträge mit den §-2-Kassen gelöst werden.

(4) Ab Vollendung des 75. Lebensjahres wird die Altersversorgung ohne Rücksicht auf Art und Umfang der weiterhin ausgeübten ärztlichen Tätigkeit gewährt."

5.1. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Einleitungsbeschluß davon aus, daß die Beschwerde zulässig sei. Er nahm weiters an, daß die Vorschrift des §22 Abs3 der Satzung eine untrennbare Einheit bilde, daß sie bei der Erlassung des bekämpften Bescheides angewendet wurde und daß auch er sie bei der Behandlung der Beschwerde werde anzuwenden haben.

5.2. Der Verfassungsgerichtshof umschrieb im Einleitungsbeschluß sein Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Vorschrift wie folgt:

"§22 Abs3 der Satzung regelt, daß männliche Kammerangehörige mit Vollendung des 70. Lebensjahres und weibliche Kammerangehörige mit Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf die Altersversorgung unter der Voraussetzung haben, daß die Verträge mit den §-2-Kassen gelöst werden.

Dem Verfassungsgerichtshof scheint es, daß diese Vorschrift weder in §65 noch in einer sonstigen Bestimmung des ÄrzteG ihre Deckung findet.

§65 Abs1 erster Satz ÄrzteG unterscheidet bei der Altersversorgung ausdrücklich nicht zwischen weiblichen und männlichen Kammerangehörigen. Auch die im zweiten Satz dieser Gesetzesbestimmung enthaltene Verordnungsermächtigung scheint - bei verfassungskonformer Interpretation - die in Prüfung gezogene Regelung nicht zu tragen.

Die in Prüfung gezogene Bestimmung scheint daher mit Gesetzwidrigkeit ihres Inhaltes belastet zu sein."

6. Sowohl die Vollversammlung der Ärztekammer für Steiermark als auch die Steiermärkische Landesregierung haben auf die Satzung bezughabende Akten vorgelegt, eine Äußerung jedoch nicht abgegeben.

7. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

7.1. Zur Zulässigkeit:

Die Anlaßbeschwerde ist zulässig. Der Verfassungsgerichtshof hat somit über sie meritorisch zu entscheiden. Dabei hat er einerseits den §22 Abs1 und 2 der Satzung anzuwenden, wonach die Gewährung der Altersversorgung männlichen Kammerangehörigen grundsätzlich bei Vollendung des 65. Lebensjahres unter der Voraussetzung der Einstellung der ärztlichen Tätigkeit im vollen Umfang, ausgenommen die Verträge für die Gesundenuntersuchungen mit der Sozialversicherungsanstalt der Bauern und die privatärztliche Tätigkeit, gewährt wird. Andererseits hat er darüber hinaus auch den - in Prüfung gezogenen - Abs3 des §22 der Satzung anzuwenden. Der Beschwerdeführer hatte nämlich im Zeitpunkt seiner Antragstellung bereits das 65. Lebensjahr vollendet und unterhielt - wie sich aus dem Bescheid I. Instanz ergibt - keine Vertragsbeziehungen zu §-2-Kassen: Die Versicherungsanstalt der Österreichischen Eisenbahnen, die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, die Sozialversicherungsanstalt der Bauern sowie die Krankenfürsorgeanstalt für die Beamten der Landeshauptstadt Graz, mit denen der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides I. Instanz (am 18. Mai 1993) in einer kassenvertragsärztlichen Beziehung stand, werden nicht im §2 des zwischen der Ärztekammer für Steiermark und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger abgeschlossenen Gesamtvertrages genannt.

Da der Abs3 des §22 der Satzung unter der Voraussetzung, daß die Verträge mit den §-2-Kassen gelöst werden, die Gewährung der Altersversorgung für männliche Kammerangehörige mit Vollendung des 70. Lebensjahres und für weibliche Kammerangehörige mit Vollendung des 65. Lebensjahres vorsieht, stand diese Bestimmung - der Beschwerdeführer hatte im Zeitpunkt seiner Antragstellung das 65. Lebensjahr bereits überschritten - der Zuerkennung der Altersversorgung an ihn entgegen. Diese - in Prüfung gezogene - Verordnungsbestimmung, die zwischen männlichen und weiblichen Kammerangehörigen differenziert, ist daher präjudiziell.

Auch trifft die Annahme des Verfassungsgerichtshofes zu, daß diese Vorschrift zufolge ihrer sprachlichen und inhaltlichen Fassung eine untrennbare Einheit bildet.

Da die Neufassung ua. der Abs1, 3 und 4 des §22 der Satzung am 1. Jänner 1994 in Kraft trat, die Zuerkennung der Alterspension im Anlaßverfahren aber mit Wirkung vom 1. Jänner 1993 begehrt wurde, ändert die Neufassung der Satzung nichts daran, daß die in Prüfung gezogene Vorschrift in dem der Anlaßbeschwerde zugrundeliegenden Verfahren anzuwenden war.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

7.2. In der Sache selbst:

Die im Einleitungsbeschluß aufgeworfenen Bedenken treffen zu.

§22 Abs3 der Satzung differenziert bei der Gewährung der Altersversorgung zwischen männlichen und weiblichen Kammerangehörigen dergestalt, daß männliche Kammerangehörige mit Vollendung des 70. Lebensjahres, weibliche Kammerangehörige jedoch schon mit Vollendung des 65. Lebensjahres einen Anspruch auf Altersversorgung haben. §65 Abs1 erster Satz ÄrzteG 1984, auf den sich die in Prüfung gezogene Vorschrift offensichtlich stützt, handelt jedoch nur von der Gewährung der Altersversorgung, ohne zwischen männlichen und weiblichen Kammerangehörigen zu unterscheiden. Auch der zweite Satz des §65 Abs1 ÄrzteG, der die Ärztekammern unter Bedachtnahme auf die finanzielle Sicherstellung der Leistungen aus dem Wohlfahrtsfonds (§57 Abs1 ÄrzteG) dazu ermächtigt, in den Satzungen ein niedrigeres oder höheres Anfallsalter sowie bei früherer oder späterer Inanspruchnahme eine entsprechende Minderung oder Erhöhung der Leistungen vorzusehen, erlaubt es - wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 13549/1993 ausgeführt hat - bei verfassungskonformer Auslegung den Ärztekammern nicht, bei der Gewährung der Altersversorgung zwischen weiblichen und männlichen Kammerangehörigen zu unterscheiden. Aus diesem Grunde findet der in Prüfung gezogene Abs3 des §22 der Satzung in §65 Abs1 ÄrzteG keine Deckung. Da sich im ÄrzteG auch sonst keine Bestimmung findet, die den Verordnungsgeber zu einer derart differenzierenden Regelung ermächtigt, ist die in Prüfung gezogene Bestimmung gesetzwidrig.

Es war daher - aufgrund des Beschlusses der außerordentlichen Vollversammlung der Ärztekammer für Steiermark vom 17. März 1994 wurde mit Wirkung vom 1. Jänner 1994 u.a. der Abs3 des §22 der Satzung neu gefaßt (siehe oben Punkt 4.5.) - auszusprechen, daß die in Prüfung gezogene Vorschrift gesetzwidrig war.

8. Die Verpflichtung der Steiermärkischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches ergibt sich aus Art139 Abs5 B-VG.

9. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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