VfGH V110/90

VfGHV110/902.10.1990

Teilweise Aufhebung eines örtlichen Raumordnungsprogramms wegen Verletzung der gesetzlichen Auflageverpflichtung; Verkürzung des Rechts der Stellungnahme für die Planbetroffenen; Fehlen jedweder Darstellung der angestrebten Ziele

Normen

B-VG Art18 Abs2 Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Hennersdorf vom 23. Jänner 1981 über das örtliche Raumordnungsprogramm für die Gemeinde Hennersdorf, kundgemacht duch Anschlag an der Amtstafel vom 7. April 1981 bis 23. April 1981 Nö ROG 1976 §13 Nö ROG 1976 §21
B-VG Art18 Abs2 Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Hennersdorf vom 23. Jänner 1981 über das örtliche Raumordnungsprogramm für die Gemeinde Hennersdorf, kundgemacht duch Anschlag an der Amtstafel vom 7. April 1981 bis 23. April 1981 Nö ROG 1976 §13 Nö ROG 1976 §21

 

Spruch:

Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Hennersdorf vom 23. Jänner 1981 über das örtliche Raumordnungsprogramm für die Gemeinde Hennersdorf, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 7. April 1981 bis 23. April 1981, wird insoweit als gesetzwidrig aufgehoben, als dadurch für das Grundstück Nr. 85/4, KG Hennersdorf, die Widmung "Bauland-Kerngebiet" festgelegt wird.

Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit Bescheid vom 2. Mai 1988 wies die Niederösterreichische Landesregierung die Vorstellung von E W, Ing. N F und G F gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der Gemeinde Hennersdorf/NÖ vom 11. November 1987 ab, mit dem den Bauwerbern H und H T die baurechtliche Bewilligung zur Errichtung einer Spenglerei und Lackiererei auf dem Grundstück Nr. 85/4, KG Hennersdorf, im Berufungswege bestätigt worden war.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der E W, Ing. N F und G F als Beschwerdeführer behaupten, in ihren Rechten wegen Anwendung des gesetzwidrigen örtlichen Raumordnungsprogramms verletzt zu sein, und die Aufhebung des Vorstellungsbescheides begehren.

Die Niederösterreichische Landesregierung, die Bauwerber und die Gemeinde Hennersdorf beantragen die Abweisung der Beschwerde.

2. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens leitete der Verfassungsgerichtshof ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Hennersdorf vom 23. Jänner 1981 über das örtliche Raumordnungsprogramm (kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 7. April 1981 bis 23. April 1981) gemäß Art139 B-VG insoweit ein, als durch diese Verordnung für das Grundstück Nr. 85/4, KG Hennersdorf, die Widmung "Bauland-Kerngebiet" festgelegt wird.

Der Verfassungsgerichtshof hegte das Bedenken, daß das örtliche Raumordnungsprogramm in einem gesetzwidrigen Verfahren zustande kam, weil entgegen §21 Abs1 NÖ. ROG 1976 lediglich der - gemäß §13 Abs3 NÖ. ROG 1976 einen Teil des örtlichen Raumordnungsprogrammes bildende - Flächenwidmungsplan, nicht aber die im örtlichen Raumordnungsprogramm gemäß §13 Abs2 NÖ. ROG 1976 aufzunehmende Bezeichnung der "angestrebten Ziele" (und die - neben dem Flächenwidmungsplan - sonst erforderlichen Maßnahmen) zur allgemeinen Einsicht aufgelegt wurden. Erst im Zuge des Genehmigungsverfahrens seien von der Gemeinde nach Maßgabe der mit dem "Erläuterungsbericht" vom September 1979 abgeschlossenen Grundlagenforschung - offenbar über Wunsch der Aufsichtsbehörde - Ziele formuliert und in Gestalt der Verordnung vom 5. September 1980 "über das örtliche Raumordnungsprogramm für die Gemeinde Hennersdorf" vom Gemeinderat auch zum Beschluß erhoben worden. Diese Ziele seien aber ebensowenig zur allgemeinen Stellungnahme aufgelegt worden wie ihre nachmalige Erweiterung.

Der Verfassungsgerichtshof hegte ferner das Bedenken, daß auch die Änderung der im ursprünglich aufgelegten Entwurf des Flächenwidmungsplanes vorgesehenen Widmung des Grundstücks Nr. 85/4, KG Hennersdorf, von "Bauland-Agrargebiet" in "Bauland-Kerngebiet" im dann am 23. Jänner 1981 endgültig beschlossenen Raumordnungsprogramm ohne neuerliche Auflage gesetzwidrig sei. Erst in diesem Raumordnungsprogramm sei der Zusammenhang zwischen den von der Gemeinde angestrebten Zielen und den konkreten Widmungen des Flächenwidmungsplanes deutlich geworden, und erst in Anbetracht dieses Raumordnungsprogrammes vom 23. Jänner 1981 seien die Planbetroffenen in der Lage gewesen, ihre Einwendungen gegen den Entwurf mit einer sinnvollen, an den Zielen des Flächenwidmungsplanes orientierten Kritik zu verbinden. Diese Möglichkeit sei den am Raumordnungsprogramm interessierten Bürgern mangels einer neuerlichen Auflage rechtswidrigerweise entzogen worden.

3. Die Gemeinde Hennersdorf begehrt in ihrer Äußerung, die in Prüfung gezogene Verordnung nicht als gesetzwidrig aufzuheben und das Verordnungsprüfungsverfahren einzustellen.

Zur Begründung verweist sie darauf, daß der Beschwerdeführerin E W die Beschwerdelegitimation fehle, weil sie die ihr gehörige Liegenschaft an die beiden anderen Beschwerdeführer verkauft hätte. Ferner vermeint die Gemeinde Hennersdorf, daß zum Zeitpunkt der Auflage des Flächenwidmungsplanentwurfes im Jahre 1975 gemäß §17 NÖ. ROG 1968 "die Auflage des Entwurfes des örtlichen Raumordnungsprogrammes ohne gleichzeitige Auflage der Ergebnisse der Grundlagenforschung" genügte. Es sei sohin nicht notwendig gewesen, "über den Flächenwidmungsplan hinaus sonstige Maßnahmen und angestrebte Ziele zur öffentlichen Einsicht aufzulegen".

Bei der Änderung der Widmung der Parzelle Nr. 85/4 von "Bauland-Agrargebiet" in "Bauland-Kerngebiet" handelt es sich nach Meinung der Gemeinde Hennersdorf lediglich "um eine geringfügige Änderung des ursprünglich zur Einsicht aufgelegten Entwurfes, weil damit eine Verschlechterung der Rechtsposition der Beschwerdeführer nicht verbunden" gewesen sei.

Auch die Niederösterreichische Landesregierung hält die in Prüfung gezogene Verordnung für gesetzmäßig. Ihrer Meinung zufolge "(schadet) es unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Falles nicht ..., daß im Jahr 1975 nur der Flächenwidmungsplan selbst, nicht aber die mit dem örtlichen Raumordnungsprogramm verfolgten Ziele im Gemeindeamt zur Stellungnahme aufgelegt worden sind." Nach Ansicht der NÖ. Landesregierung scheint es sich lediglich "um einen geringfügigen Verfahrensverstoß im Sinn der verfassungsgerichtlichen Judikatur zu handeln ..., weil auch die Bekanntgabe der Ziele den betroffenen Grundstückseigentümern keine besseren Informationen geboten hätte als die Bekanntmachung der geplanten Widmungs- und Nutzungsartfestlegungen selbst." Auch die Widmungsänderung ohne neuerliche Auflage ist nach Ansicht der NÖ. Landesregierung nicht rechtswidrig, weil die Rechtsunterworfenen durch diese Änderung nicht beschwert seien. Die Festlegung der Nutzungsart "Kerngebiet" biete nämlich einen besseren Immissionsschutz als die Festlegung der Nutzungsart "Agrargebiet".

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde zu B1226/88 ist jedenfalls zulässig, soweit sie von Ing. N F und G F als Beschwerdeführer eingebracht wurde. Bei der Entscheidung über diese Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof auch den gemäß §3 des örtlichen Raumordnungsprogramms der Gemeinde Hennersdorf vom 23. Jänner 1981 geltenden Flächenwidmungsplan insoweit anzuwenden, als sich dieser auf das Grundstück Nr. 85/4, KG Hennersdorf, bezieht.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2. a) In seinem Erkenntnis vom 23. Juni 1990, V150/90, hat der Verfassungsgerichtshof zum (oberösterreichischen) Raumordnungsrecht ausgeführt:

"Es ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die angestrebten Ziele der örtlichen Raumordnung dem Flächenwidmungsplan zugrundeliegen müssen ... Der Flächenwidmungsplan hat - nachvollziehbar - von bestimmten Zielen auszugehen, es muß erkennbar sein, daß sich der Plan in allgemeine rechtspolitische Überlegungen einfügt (zur Bedeutung der Raumordnungsziele, von denen der Plansetzer ausgeht, für das Auflageverfahren vgl. VfSlg 8697/1979). ...

Dazu kommt noch, daß - um die Sachgemäßheit des Flächenwidmungsplanes zu gewährleisten - den Betroffenen ein Mitspracherecht im Verfahren zusteht. Für die Ausübung des Rechtes zur Erhebung von Einwendungen ... ist es unerläßlich zu wissen, welchen Zielen der Flächenwidmungsplan dienen soll und mit welchen Maßnahmen diese Ziele erreicht werden sollen, damit beurteilt werden kann, ob die in Aussicht genommenen, in die Rechtssphäre der betroffenen eingreifenden Widmungen notwendig und gerechtfertigt sind (vgl. auch hiezu das bereits zitierte Erkenntnis VfSlg 8697/1979)."

In seinem Erkenntnis VfSlg. 8697/1979 nahm der Verfassungsgerichtshof zum (niederösterreichischen) Raumordnungsrecht an, daß bereits eine "schwerwiegende Änderung der Zielsetzung der Raumordnung" eine neuerliche Auflagepflicht für den im Hinblick darauf wesentlich geänderten Entwurf eines Flächenwidmungsplanes begründet. Daraus geht hervor, daß erst recht die erstmalige Auflage des Flächenwidmungsplanes die Zielsetzungen erkennen lassen muß, von denen sich der Planentwurf leiten läßt.

Gemäß §21 Abs1 des NÖ. ROG 1976 (, das - anders als die Gemeinde Hennersdorf meint - die alleinige Rechtsgrundlage für die in Prüfung gezogene Verordnung bildet,) ist der Entwurf des örtlichen Raumordnungsprogrammes vor Erlassung der Verordnung durch acht Wochen im Gemeindeamt zur allgemeinen Einsicht aufzulegen, um jedermann gemäß §21 Abs2 NÖ. ROG 1976 zu ermöglichen, "innerhalb der Auflegungsfrist zum Entwurf des örtlichen Raumordnungsprogrammes schriftlich Stellung zu nehmen". Das im Entwurf aufzulegende örtliche Raumordnungsprogramm hat gemäß §13 Abs2 NÖ. ROG 1976 "die angestrebten Ziele und die erforderlichen Maßnahmen zu bezeichnen" sowie als behördliche Maßnahme gemäß §13 Abs3 NÖ. ROG 1976 "insbesondere einen Flächenwidmungsplan zu enthalten".

Auch für das niederösterreichische Raumordnungsrecht treffen auf Grund der dargestellten Rechtslage die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 23. Juni 1990, V150/90, entwickelten Rechtsgedanken zu. Im Auflageverfahren müssen sohin die Raumordnungsziele, von denen der Plansetzer ausgeht, mindestens implizit deutlich werden, damit das den zukünftig vom Flächenwidmungsplan Betroffenen eingeräumte Mitspracherecht nicht rechtswidrigerweise verkürzt wird. Anders als der Vertreter der Niederösterreichischen Landesregierung in der mündlichen Verhandlung meinte, müssen auch und gerade die angestrebten Ziele im Planungsverfahren mit den Planbetroffenen erörtert werden, weil anders die konkreten Flächenwidmungen (im Hinblick auf ihre notwendige Übereinstimmung mit jenen Zielen) nicht hinreichend beurteilt werden können.

b) Wie das der Erlassung des örtlichen Raumordnungsprogramms der Gemeinde Hennersdorf vom 23. Jänner 1981 zugrundeliegende Verwaltungsgeschehen zeigt, wurde dabei den geschilderten gesetzlichen Anforderungen an das Planungsverfahren nicht Genüge getan: Zur allgemeinen Einsicht wurde lediglich der Entwurf des Flächenwidmungsplanes vom 17. Jänner bis 17. März 1975 aufgelegt. In diesem Entwurf fehlte jedwede Darstellung der durch das örtliche Raumordnungsprogramm angestrebten Ziele, die auch vom damals geltenden NÖ. ROG 1974 übereinstimmend mit der derzeit geltenden Rechtslage gefordert wurde. Die erst aufgrund des Genehmigungsverfahrens nach der im September 1979 abgeschlossenen Grundlagenforschung im sogenannten "Erläuterungsbericht" formulierten Ziele wurden ebensowenig zur allgemeinen Stellungnahme aufgelegt wie ihre nachmalige Erweiterung auf Grund einer Besprechung von Vertretern der Gemeinde Hennersdorf mit einem Vertreter der Aufsichtsbehörde (vom 6. Oktober 1980). Der Unterschied des dem vorliegenden Fall zugrundeliegenden Sachverhalts im Vergleich zum Sachverhalt, wie er dem zitierten Vorerkenntnis vom 23. Juni 1990, V150/90, zugrunde lag (, wo die Planungsziele vom Gemeinderat erst nach dem Flächenwidmungsplan beschlossen worden waren,) ist sohin rechtlich unerheblich, weil hier die Auflageverpflichtung hinsichtlich der mit dem Flächenwidmungsplan "angestrebten Ziele" überhaupt vernachlässigt wurde.

Eine derartige Verletzung der gesetzlichen Auflageverpflichtung bildet keinen unbeachtlichen, weil geringfügigen Verfahrensmangel (vgl. dazu VfSlg. 8463/1978 zum niederösterreichischen, 9150/1981 zum kärntner und 10208/1984 zum tiroler Raumordnungs- bzw. -planungsrecht), sondern begründet schon deswegen die Gesetzwidrigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung, weil dadurch das Recht der Stellungnahme für die nachmals Planbetroffenen entscheidend verkürzt wird.

Angesichts dieser Rechtslage braucht der Verfassungsgerichtshof auf die sonstigen, im Prüfungsbeschluß aufgeworfenen Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Verordnung nicht mehr eingehen.

Das örtlichen Raumordnungsprogramm der Gemeinde Hennersdorf vom 23. Jänner 1981 ist sohin als gesetzwidrig aufzuheben, insoweit dadurch für das Grundstück Nr. 85/4, KG Hennersdorf, die Widmung "Bauland-Kerngebiet" festgelegt wird.

Die Verpflichtung zur Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

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