VfGH V105/2014

VfGHV105/201418.6.2015

Gesetzwidrigkeit einer zum Schutz einer Wahlveranstaltung erlassenen Platzverbotsverordnung in Graz

Normen

B-VG Art18 Abs2
SicherheitspolizeiG §36 Abs1
PlatzverbotsV der Landespolizeidirektion Steiermark vom 20.11.2012, ZP1/43991/2012
B-VG Art18 Abs2
SicherheitspolizeiG §36 Abs1
PlatzverbotsV der Landespolizeidirektion Steiermark vom 20.11.2012, ZP1/43991/2012

 

Spruch:

I. Die Verordnung der Landespolizeidirektion Steiermark vom 20. November 2012, ZP1/43991/2012, kundgemacht durch Anschlag rund um den Gefahrenbereich und Verlautbarung in den Medien, war gesetzwidrig.

II. Die Bundesministerin für Inneres ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlass einer bei ihm zur Zahl B985/2013 anhängigen, auf Art144 B‑VG gestützten Beschwerde beschlossen, die Verordnung der Landespolizeidirektion Steiermark (im Folgenden: LPD Stmk.) vom 20. November 2012, ZP1/43991/2012, (im Folgenden: Platzverbotsverordnung) von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

1.1. Diese Verordnung, die – wie den vorgelegten Akten zu entnehmen ist – zum Schutz einer Wahlveranstaltung der Freiheitlichen Partei Österreichs (im Folgenden: FPÖ) in Graz erlassen wurde, lautet wörtlich wie folgt:

"1) Gemäß §36 Abs1 Sicherheitspolizeigesetz […] erlässt die Landespolizeidirektion Steiermark ein

Platzverbot

für folgenden Gefahrenbereich: der gesamte Freiheitsplatz, im Westen begrenzt bis zur Höhe des Hauses Nr 1, der angrenzenden Hartiggasse bis zur Einmündung in den Karmeliterplatz und der Ballhausgasse bis zur Einmündung in die Sporgasse.

2) Aufgrund bestimmter Tatsachen ist anzunehmen, dass an der vorhin beschriebenen Örtlichkeit eine allgemeine Gefahr für Leben und Gesundheit mehrerer Menschen entstehen wird, sodass von der Landespolizeidirektion Steiermark als Sicherheitsbehörde gemäß §36 Abs1 SPG das Betreten des Gefahrenbereiches und der Aufenthalt in ihm verboten und die Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung erklärt wird.

3) Im Gefahrenbereich dürfen sich folgende Personen weiterhin aufhalten:

- Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

- Angehörige der Rettung

- Angehörige der Feuerwehr

- Personen mit ausdrücklicher Erlaubnis der Landespolizeidirektion Steiermark

4) Diese Verordnung

tritt am 23.11.2012, 13.00 Uhr, in Kraft.

Die Verordnung wird aufgehoben, sobald eine Gefährdung nicht mehr zu befürchten ist. Drei Monate nach ihrem Wirksamwerden tritt sie jedenfalls außer Kraft.

5) Diese Verordnung wird kundgemacht durch Anschlag rund um den Gefahrenbereich und Verlautbarung in den Medien." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

1.2. In Vollziehung dieses Platzverbotes wurde dem Beschwerdeführer zur Zahl B985/2013 die Erlaubnis, sich im Gefahrenbereich aufzuhalten bzw. diesen zu betreten, von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes verweigert. Nach dem vom Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark festgestellten Sachverhalt sei die Erlaubnis zum Betreten des Gefahrenbereiches von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes – in Entsprechung einer Weisung – nur Personen erteilt worden, "die FPÖ[-]Sympathisanten sind und von Vertrauensleuten der FPÖ als solche erkannt würden". Der Beschwerdeführer, zum Zeitpunkt der hier interessierenden Wahlveranstaltung eine "Rastafari-Locken-Frisur" tragend, sei am Zutritt zum Gefahrenbereich gehindert worden.

1.3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss vom 7. Oktober 2014 wie folgt dar:

"Gemäß §36 Abs1 SPG kann ein Platzverbot dann erlassen werden, wenn 'auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen [ist], es werde an einem bestimmten Ort eine allgemeine Gefahr für Leben oder Gesundheit mehrerer Menschen oder für Eigentum […] in großem Ausmaß entstehen […]'. Nach dem Willen des Gesetzgebers müssen konkrete Anhaltspunkte für eine solche Gefährdung vorliegen (vgl. Erläut. RV 148 BlgNR 18. GP , 40). Dies erfordert jeweils eine Prüfung im Einzelfall (so bereits VfSlg 3570/1959 und 3826/1960 zum früheren ArtII §4 Abs2 Verfassungsüberleitungsgesetz 1929, BGBl 393).

[…] Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass jene Voraussetzungen, welche die gesetzliche Grundlage für die Erlassung eines Platzverbotes bilden, im konkreten Fall nicht vorgelegen sein dürften.

Zweck eines Platzverbotes im Sinne des §36 Abs1 SPG scheint es zu sein, Menschen am Betreten eines Gefahrenbereiches zu hindern oder sie zum Verlassen dieses Bereiches zu veranlassen (vgl. Giesein: Thanner/Vogl [Hrsg.], Sicherheitspolizeigesetz Kommentar2, 2013, 297). Hingegen dürfte die Sicherung einer – am Ort des Platzverbotes stattfindenden – Wahlveranstaltung in der Weise wie hier, um Störungen durch Dritte zu verhindern, vom Telos des §36 Abs1 SPG nicht erfasst sein. Zwar mag es zutreffen, dass gerade bei Wahlveranstaltungen unterschiedliche Meinungen – mitunter lautstark – aufeinandertreffen und damit der geplante Ablauf der Veranstaltung gestört werden könnte, doch scheinen damit noch keineswegs von Vornherein die Voraussetzungen gemäß §36 Abs1 SPG ('allgemeine Gefahr für Leben oder Gesundheit mehrerer Menschen oder für Eigentum […] in großem Ausmaß') erfüllt zu sein.

[…] Das Vorliegen dieser Voraussetzungen und die Frage, ob aus Anlass einer Wahlveranstaltung wie dieser §36 Abs1 SPG überhaupt eine rechtliche Grundlage für ein Platzverbot bieten kann, werden Gegenstand der Erörterung im Verordnungsprüfungsverfahren sein.

[…] Zudem scheint Punkt 3) der hier in Prüfung zu ziehenden Platzverbotsverordnung den Polizeibehörden und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes keine hinreichenden Anhaltspunkte für deren Vollzug gegeben zu haben, wodurch es im Ergebnis zu Diskriminierungen kommen kann. Deshalb dürfte Punkt 3) dieser Verordnung nicht hinreichend determiniert und daher gesetzwidrig sein." (Zitat ohne die im Original enthaltene Hervorhebung)

2. Die LPD Stmk. hat die Akten betreffend das Zustandekommen der in Prüfung gezogenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der sie den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegentritt:

"I. Maßgeblicher Sachverhalt:

Die FPÖ - Landespartei Steiermark hat im November 2012 bei der Landespolizeidirektion Steiermark als für das Versammlungswesen zuständige Behörde im Gebiet der Gemeinde Graz aus Anlass der damals bevorstehenden Wahlen zum Grazer Gemeinderat die Abhaltung einer Versammlung gemäß §2 Versammlungsgesetz 1953 angezeigt. Aus der Anzeige war zu entnehmen, dass die in Rede stehende Versammlung am 23.11.2012, in der Zeit von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr, in Graz 1., Freiheitsplatz stattfinden soll.

Im verfahrensgegenständlichen Fall war die Landespolizeidirektion Steiermark als Sicherheitsbehörde I. Instanz mit der Frage konfrontiert, ob und inwieweit im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, somit für die Erfüllung der den Sicherheitsbehörden gemäß §[§] 20 ff SPG obliegenden gesetzlichen Aufgaben, Maßnahmen zur Vorbeugung und Verhinderung von zu erwartenden, sicherheitspolizeilich relevanten Vorfällen zur Anwendung gelangen sollten. Insofern stand die Landespolizeidirektion Steiermark vor der Aufgabe, auf Grund der Erfahrungen in der Vergangenheit, sowie einschlägiger, bei ähnlichen Versammlungen/Veranstaltungen festgestellten und dokumentierten Verhaltensweisen von an solchen Versammlungen/Veranstaltungen teilnehmenden Personen die aktuelle Situation aus sicherheitspolizeilicher Sicht zu beurteilen, um weiterführend nach einer Analyse und Bewertung der maßgeblichen Faktoren eine entsprechende Gefährdungsprognose erstellen zu können.

Die Beurteilung, ob und inwieweit auf konkrete sicherheitsbehördliche Befugnisse zurückzugreifen sei, war somit von einem an der objektivierbaren Gefahrenlage orientierten und dabei alle Interessen abwägenden Entscheidungsprozess abhängig.

Die Landespolizeidirektion Steiermark zog folgende Fakten hinsichtlich einer allfällig zu erwartenden sicherheitspolizeilichen Gefährdungslage in ihre Beurteilung ein:

1. Veranstaltung der FPÖ am 22.5.2009 anlässlich der Wahlen zum Europäischen Parlament:

Am 22.5.2009 fand am Grazer Hauptplatz anlässlich der Wahlen zum Europäischen Parlament eine Veranstaltung der FPÖ statt, für deren Abhaltung unmittelbar vor dem Grazer Rathaus eine Rednerbühne aufgebaut war. Zur Absicherung der Rednerbühne waren in einem Halbkreis um die Bühne Tretgitter aufgestellt worden, um auf diese Art und Weise eine räumliche Trennung zum Publikum herstellen zu können. Die Veranstaltung wurde von ungefähr 550 Personen frequentiert, wobei etwa ein Drittel dieser Personen lautstark und unter Verwendung von Transparenten eindeutig gegen diese Veranstaltung Position bezogen hatte. Im Zuge der Veranstaltung konnte polizeilich beobachtet und festgestellt werden, dass nach vorerst verbalen Attacken der oben angeführten Teilnehmergruppe auch damit begonnen wurde, Gegenstände in Richtung der aufgestellten Bühne zu werfen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Bundesparteiobmann der FPÖ H. C. STRACHE beim Rednerpult.

Aus dem Einsatzbericht des Stadtpolizeikommandos Graz vom 23.5.2009 (Aktenverzeichnis Nr 27 bis 30) geht hervor, dass 'aus der Menge vereinzelt Gemüse, rohe Eier und mit Wasser gefüllte Luftballons in Richtung des Redners geschleudert wurden'. Eine Identifizierung der Handelnden war polizeilich nicht möglich, da Transparente und Fahnen als Sichtschutz und somit zur Verdeckung der Akteure verwendet wurden.

Unmittelbar nach Beendigung der Wahlkundgebung war es in der unmittelbar an den Grazer Hauptplatz angrenzenden Schmiedgasse zu gewalttätigen Vorfällen gekommen. In diesem Straßenzug hatte sich eine 'spontane Versammlung' gebildet, deren Teilnehmer offensichtlich der Gruppe der gegen die FPÖ eingestellten Personen zuzuordnen waren, die auf eine ebenfalls in dieser Straße anwesende Gruppe des 'Rings Freiheitlicher Jugendlicher' getroffen war (innerhalb dieser Gruppe befand sich auch der damalige Nationalratsabgeordnete Dr. KURZMANN). Im Zuge des Aufeinandertreffens der beiden Gruppierungen wurde eine dem 'Ring Freiheitlicher Jugendlicher' zugehörige Person von einem der spontan Demonstrierenden durch Versetzen eines Faustschlags körperlich attackiert und verletzt. Dieser Sachverhalt wurde vom Stadtpolizeikommando Graz unter der GZ: D1/34567/2009 der Staatsanwaltschaft Graz angezeigt. Die Ausforschung des unbekannten Täters ist bis dato nicht gelungen.

2. Wahlveranstaltung der FPÖ am 17.4.2010 anlässlich der Bundespräsidentenwahl:

Am 17.4.2010 wurde am Grazer Hauptplatz eine Wahlveranstaltung anlässlich der Wahl zum Bundespräsidenten abgehalten. Diese Veranstaltung war von der FPÖ – Landespartei Steiermark für die, für das Amt des Bundespräsidenten kandidierende Barbara ROSENKRANZ abgehalten worden. Die Veranstaltung wurde von ungefähr 600 Personen besucht, wobei etwa 200 Personen der autonomen Szene zuzurechnen waren, die lautstark gegen die wahlwerbende Kandidatin Stellung bezogen. Im Verlauf dieser Veranstaltung kam es insofern zu Gefahrenlagen, als aus dem Kreis der Gegner der Kandidatin mehrfach Gegenstände (vor allem Bierdosen und Feuerzeuge) in Richtung der Rednerbühne geworfen wurden. ROSENKRANZ, die zu dieser Zeit ihre Ansprache hielt, musste auf Grund dieser Wurfattacken mit Regenschirmen davor geschützt werden, getroffen zu werden(siehe Aktenverzeichnis, Seiten 38/39).

Unmittelbar nach Beendigung der Ansprache konnte beobachtet werden, dass sich eine Gruppe von 4 Personen in die Richtung des Standortes der Kandidatin bewegte. Als sich diese Gruppe ca. 1 1/2Meter vor ROSENKRANZ befand, wurde diese von einer Person dieser Gruppe durch das Werfen eines ungefährlichen Gegenstandes attackiert, weshalb diese Handlungsweise nicht einem gerichtlich strafbaren Tatbestand zu subsumieren, sondern lediglich verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden war.

3. Wahlveranstaltung der FPÖ am 13.9.2010 anlässlich der Steiermärkischen Landtagswahlen:

Am 13.9.2010 fanden anlässlich der bevorstehenden Wahlen zum Steiermärkischen Landtag mehrere Veranstaltungen der FPÖ im Stadtgebiet von Graz statt. Im Mittelpunkt stand dabei die Wahlveranstaltung am Grazer Hauptplatz, die in der Zeit von 18.00 Uhr bis 19.00 Uhr stattfand und Ansprachen der FPÖ[-]Politiker Dr. KURZMANN und H.C. STRACHE beinhalten sollte. Der Bereich unmittelbar vor der Rednerbühne wurde abermals durch das Aufstellen von Tretgittern abgesichert, um eine unmittelbare Konfrontation mit 'Gegendemonstranten' zu verhindern. Im Vorfeld zu dieser Veranstaltung war in diversen Internetforen von linken Gruppierungen zu Protestaktionen aufgerufen worden.

Gegen 18.00 Uhr betrat der Bundesparteiobmann der FPÖ H.C. STRACHE das Rednerpult und unternahm den Versuch, seine Ansprache zu halten. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich ca. 600 Personen im Veranstaltungsbereich, wovon ca. 200 Personen laut polizeilicher Einschätzung und Beobachtung dem Lager der Gegendemonstranten zuzuordnen waren. Nachdem von dieser Szene vorerst bloß lautstark und unter Verwendung von Transparenten und Fahnen gegen die in Rede stehende Wahlveranstaltung Stimmung gemacht worden war, wurden in weiterer Folge aus der Menschenmenge heraus Gegenstände in Richtung des die Ansprache haltenden H.C. STRACHE geworfen. Aus dem Einsatzbericht des Stadtpolizeikommandos Graz vom 13.9.2010 (Aktenverzeichnis Nummer 31 bis 34) geht hervor, dass es sich bei den geworfenen Gegenständen um Lebensmittel, Getränkebecher, Plastikflaschen und Bierdosengehandelt hat. Auch in diesem Fall war auf Grund der Dynamik des Geschehens eine sofortige Identifizierung der Verursacher unmittelbar nicht möglich, da wiederum Transparente und Fahnen zur Verdeckung der Handelnden und somit Verantwortlichen verwendet worden waren.

Kriminalpolizeilich aktenkundig ist, dass eine im Veranstaltungsraum befindliche Frau im Zuge der geschilderten Wurfattacken von einer vollen Bierdose am Hinterkopf getroffen und dadurch verletzt worden ist. Über diesen Vorfall wurde vom Stadtpolizeikommando Graz eine Anzeige gegen unbekannte Täter wegen des Deliktes der Körperverletzung an die Staatsanwaltschaft Graz erstattet (GZ: D1/71433/2010). Die Ausforschung des Täters ist bis dato nicht gelungen.

Darüber hinaus ist kriminalpolizeilich aktenkundig, dass eine weitere männliche Person, die zur fraglichen Zeit im Veranstaltungsraum anwesend war, ebenfalls von einer aus der Menge heraus geworfenen Bierdose am Kopf getroffen und verletzt worden ist. Dieser Sachverhalt wurde vom Stadtpolizeikommando Graz auf Grund des unten angeführten Auftrages der Staatsanwaltschaft Graz zur Anzeige gebracht.

Auf Grund eines konkreten Auftrages der Staatsanwaltschaft Graz hat das Stadtpolizeikommando im Zusammenhang mit den erwähnten Vorfällen bei dieser Wahlkundgebung der FPÖ umfangreiche, kriminalpolizeiliche Ermittlungen wegen des Verdachts der Begehung verschiedener Delikte nach dem StGB (vor allem wegen des Verdachts der Körperverletzung - §83 StGB, der Gefährdung der körperlichen Sicherheit - §89 StGB und der Verhinderung oder Störung einer Versammlung - §285 StGB) durchgeführt, mehrere Personen, die - unter anderem - auch für das Werfen von Gegenständen mit den hier erwähnten Verletzungsfolgen, verantwortlich sein könnten vernommen und den Sachverhalt mit Abschlussbericht vom 13.4.2011, GZ: D1/76096/2010, der Staatsanwaltschaft Graz berichtet. Die bei der Staatsanwaltschaft Graz anhängig gemachten Ermittlungsverfahren wurden zum Teil gemäß §190 StPO zur Einstellung gebracht oder - in den Verfahren gegen unbekannte Täter - gemäß §197 Abs2 StPO abgebrochen.

Etwa zeitgleich mit dem Ende der in Rede stehenden Wahlkundgebung (ca.19.00 Uhr) bildete sich am Grazer Hauptplatz eine 'spontane' Versammlung, deren Teilnehmer offensichtlich der gegen die FPÖ auftretenden Szene zuzuordnen waren. Diese Versammlung, die im weiteren Verlauf mobil wurde, wurde von Polizeieinheiten begleitet. Gegen 19.30 Uhr kam es in der Grazer Schmiedgasse zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Eine plötzlich auftretende Gruppe von 5 Personen der 'rechten' Szene hatte Stühle und Aschenbecher, die offensichtlich von einem dort befindlichen Gastgarten weggenommen worden waren, gegen die Demonstranten geworfen, was in weiterer Folge ein Handgemenge zwischen diesen beiden Gruppierungen nach sich gezogen hat. Im Verlauf dieses Geschehens war eine Frau, die sich im Gastgarten eines unmittelbar angrenzenden Lokals aufhielt, von einem gläsernen Aschenbecher am Hinterkopf getroffen und verletzt worden. Diesbezüglich wurde vom Stadtpolizeikommando Graz unter der GZ: D1/71461/2014 eine Anzeige gegen bis dato unbekannte Täter wegen des Verdachts der Körperverletzung erstattet.

Im Zusammenhang mit der Wahlkundgebung vom 13.9.2010 berichteten sowohl die Printmedien, als auch der ORF über die am Grazer Hauptplatz auch von ihnen beobachteten Vorfälle, wobei vor allem erwähnt wurde, dass Gegner der FPÖ 'Eier und Flaschen geworfen und der Bundesparteiobmann der FPÖ mit Regenschirmen und aufklappbaren Taschen vor Wurfgeschoßen der Demonstranten geschützt hat werden müssen'.

II. Bewertung dieser Geschehnisse:

Die Feststellungen, die anlässlich der polizeilichen Beobachtung der hier erwähnten Veranstaltungen der FPÖ getroffen wurden, konnten von der Landespolizeidirektion Steiermark im Konnex mit der für dieses Verfahren maßgeblichen Versammlung am 23.11.2012 nicht außer Acht gelassen werden. Immerhin hat sich das Verhalten der gegen den Veranstalter FPÖ in Erscheinung tretenden Versammlungsteilnehmer keinesfalls bloß darauf beschränkt, lautstark gegen den Veranstalter und dessen Proponenten in der für zahlreiche Versammlungen typischen Art und Weise (Lärm, Pfeifkonzerte etc.) Stimmung zu machen, sondern wurde der Rahmen des bei jeder Versammlung üblichen, lautstarken Protestes durch entsprechende Handlungen maßgeblich überschritten.

Werden anlässlich einer Versammlung/Veranstaltung Wurfgeschosse aus der anonymen Masse der Besucher in Richtung der Rednerbühne und somit gegen Menschen geschleudert, wird nach Auffassung der Landespolizeidirektion Steiermark die Grenze des Zulässigen und Akzeptablen deutlich überschritten. Die beschriebenen Verhaltensweisen - das Werfen von Eiern, Flaschen und Bierdosen gegen Menschen - sind objektiv geeignet, Verletzungen mehrerer Menschen nach sich zu ziehen, wobei die jeweils dafür Verantwortlichen auch subjektiv mit dem Eintritt einer solchen Verletzungs- und Sachschadensfolge rechnen müssen. Ein erhöhtes Gefährdungspotential ist außerdem auch darin zu sehen, dass derartige, die Sicherheit anderer Menschen gefährdende Handlungen an Orten verwirklicht wurden, an denen sich gleichzeitig eine große Anzahl von Menschen auf relativ engem Raum aufhalten. Im Falle von unkontrollierten Wurfattacken muss also auch aus diesem Grund das mit solchen Wurfattacken verbundene Verletzungsrisiko als qualitativ erhöht und vor allem auch als für mehrere Menschen gegeben eingeschätzt werden.

Es ist somit festzuhalten, dass es bei den hier angeführten Veranstaltungen wiederholt zu gefährlichen Angriffen gegen die Gesundheit von Menschen iSd §16 Abs1 Z1 SPG gekommen war, da das Werfen von Gegenständen wie Eiern, Plastikflaschen und vollen Bierdosen den Tatbestand der (zumindest) versuchten Körperverletzung bzw. der Gefährdung der körperlichen Sicherheit darstellt und insofern der Begrifflichkeit des §16 Abs2 Z1 [SPG] subsumierbar ist. Auf die im gegebenen Zusammenhang anlässlich der Wahlveranstaltungen am 22.5.2009 und 13.9.2010 erstatteten Anzeigen an die Staatsanwaltschaft Graz darf verwiesen werden.

Auf Grund dieser Tatsachen ist die Landespolizeidirektion Steiermark bei Erstellung ihrer sicherheitspolizeilichen Prognose für die hier maßgebliche Veranstaltung der FPÖ am 23.11.2012 von einem erhöhten Gefährdungspotential ausgegangen und hat die Auffassung vertreten, dass - angesichts der Vorereignisse - aktuell die Gefahr einer Steigerung der gefährlichen Angriffe gegen die Gesundheit von Menschen (Werfen von Gegenständen aus der Masse heraus in Richtung Bühne) nicht ausgeschlossen werden kann.

Diese Überlegungen waren letztlich dafür maßgeblich, dass die Landespolizeidirektion Steiermark die Erlassung eines Platzverbotes gemäß §36 Abs1 SPG ins Auge gefasst und dieses schließlich am 20.11.2012 unter Festlegung des im Akt dokumentierten Gefahrenbereiches verordnet hat. Die Verordnung wurde gemäß §36 Abs3 SPG durch Anschlag rund um den Gefahrenbereich, sowie durch Verlautbarung in den Medien kundgemacht. Das Inkrafttreten der Verordnung wurde mit 23.11.2012, 13.00 Uhr festgelegt, wobei weiters festgelegt worden ist, dass sich im Gefahrenbereich

> Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes,

> Angehörige der Rettung und der Feuerwehr, sowie

> Personen mit ausdrücklicher Erlaubnis der Landespolizeidirektion Steiermark

im Gefahrenbereich aufhalten dürfen.

Die Aufhebung der Verordnung erfolgte am 23.11.2012, um 17.10 Uhr, die Aufhebung wurde vor Ort mittels Megaphon kundgemacht.

III. Rechtliche Beurteilung:

[…]

Die Bestimmung des §36 Abs1 SPG verlangt für die Erlassung eines Platzverbotes den durch Tatsachen begründeten Verdacht, es werde an einem bestimmten Ort eine allgemeine Gefahr für Leben oder Gesundheit mehrerer Menschen oder für Eigentum oder Umwelt in großem Ausmaß entstehen. Eine allgemeine Gefahr besteht jedenfalls bei einem gefährlichen Angriff auf die genannten Rechtsgüter, somit also bei einem gefährlichen Angriff auf das Leben oder die Gesundheit mehrerer Menschen.

Das Platzverbot stellt ein sicherheitspolizeiliches Instrument dar, das[…] gerade dann etwa in Betracht kommt, wenn zu befürchten ist, es werde z.B. infolge einer Versammlung vermehrt zu gefährlichen Angriffen gegen die in Betracht kommenden Rechtsgüter - sei es durch Schlägereien oder das Werfen von bestimmten, die Gesundheit gefährdenden Gegenständen gegen Menschen - kommen. Ob eine solche Gefährdung der Gesundheit mehrerer Menschen objektiv zu erwarten ist, ist jeweils von einer entsprechenden Gefährdungsprognose abhängig, bei deren Erstellung jedenfalls einschlägige Erfahrungstatsachen aus der Vergangenheit und Vorfälle, die sich bei gleichgelagerten oder ähnlichen Anlässen ereignet haben, mit zu berücksichtigen sind. Solche Erfahrungswerte müssen in die Beurteilung im konkreten Fall entscheidungsbestimmend einfließen.

Im hier vorliegenden Fall war es für die Sicherheitsbehörde I. Instanz evident, dass es bei den Veranstaltungen der FPÖ in den vergangenen Jahren immer wieder zu gefährlichen Angriffen gegen die Gesundheit von Menschen gekommen ist. Gegenstände wie rohe Eier, Flaschen oder volle Getränkedosen entwickeln, wenn sie über eine[…] bestimmte Distanz geworfen werden, eine Dynamik, auf Grund dere[r] im Falle des Aufpralls auf Menschen (vor allem im Kopfbereich/Augenbereich) mitunter schwere Verletzungen entstehen können. Nach polizeilicher Beobachtung der hier erwähnten Veranstaltungen und der im Zuge dieser Veranstaltungen bzw. im Umfeld dieser Veranstaltungen festgestellten Handlungsweisen, sowie auf Grund der im Internet recherchierten Aufrufe zum 'Widerstand', konnte für die in Rede stehende FPÖ - Veranstaltung am 23.11.2012 die Möglichkeit der vermehrten Begehung von gefährlichen Angriffen (durch das Werfen von Gegenständen oder durch zu erwartende[…] gewalttätige Auseinandersetzung der unterschiedlichen Gruppierungen) keinesfalls ausgeschlossen werden. Vielmehr musste angesichts der Erfahrungen mit einem gesteigerten Aggressionspotential gerechnet werden, dem nach Ansicht der Landespolizeidirektion Steiermark nur durch die Erlassung eines Platzverbotes gemäß §36 Abs1 SPG begegnet hat werden können.

Im gegebenen Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass - trotz Verordnung des Platzverbotes - auf Grund der örtlichen Gegebenheiten am Grazer Freiheitsplatz für jedermann die Möglichkeit bestanden hat, die in Rede stehende Versammlung der FPÖ mit zu verfolgen, da auch außerhalb der Platzverbotszone freie Sicht auf die Rednerbühne gewährleistet war und auf Grund der verwendeten Lautsprecher jedermann den Ansprachen folgen konnte." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

II. Rechtslage

1. Die vorliegende Platzverbotsverordnung stützt sich auf §36 Abs1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz), BGBl 566/1991, idF BGBl I 50/2012. §36 leg.cit. lautet wie folgt:

"Platzverbot

§36. (1) Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, es werde an einem bestimmten Ort eine allgemeine Gefahr für Leben oder Gesundheit mehrerer Menschen oder für Eigentum oder Umwelt in großem Ausmaß entstehen, so hat die Sicherheitsbehörde das Betreten des Gefahrenbereiches und den Aufenthalt in ihm mit Verordnung zu verbieten und die Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung zu erklären.

(2) Besteht an einem bestimmten Ort bereits eine allgemeine Gefahr im Sinne des Abs1, so hat die Sicherheitsbehörde mittels Verordnung das Verlassen des Gefahrenbereiches anzuordnen, dessen Betreten zu untersagen und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu ermächtigen, jedermann aus dem Gefahrenbereich zu weisen.

(3) Verordnungen gemäß Abs1 haben Tag und Uhrzeit ihres Inkrafttretens zu bestimmen. Sie sind auf eine Weise kundzumachen, die geeignet erscheint, einen möglichst weiten Kreis potentiell Betroffener zu erreichen, wie etwa durch Anschlag oder Verlautbarung in Medien. Sie sind aufzuheben, sobald eine Gefährdung nicht mehr zu befürchten ist, und treten jedenfalls drei Monate nach ihrem Wirksamwerden außer Kraft.

(4) Verordnungen gemäß Abs2 sind in geeigneter Weise, wie etwa mittels Megaphon kundzumachen und treten unmittelbar nach ihrer Verlautbarung in Kraft. Die Sicherheitsbehörde hat dafür zu sorgen, daß die Untersagung des Betretens möglichen Betroffenen zur Kenntnis gelangt. Die Verordnung ist aufzuheben, sobald keine Gefahr mehr besteht, und tritt jedenfalls sechs Stunden nach ihrer Erlassung außer Kraft."

2. Der Wortlaut der Platzverbotsverordnung, die zur Gänze in Prüfung gezogen wurde, ist oben unter I.1.1. wiedergegeben.

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Platzverbotsverordnung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Verordnungsprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich im Verordnungsprüfungsverfahren als zutreffend erwiesen:

2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss insbesondere angenommen hat, scheint es "Zweck eines Platzverbotes im Sinne des §36 Abs1 SPG […] zu sein, Menschen am Betreten eines Gefahrenbereiches zu hindern oder sie zum Verlassen dieses Bereiches zu veranlassen […]. Hingegen dürfte die Sicherung einer – am Ort des Platzverbotes stattfindenden – Wahlveranstaltung in der Weise wie hier, um Störungen durch Dritte zu verhindern, vom Telos des §36 Abs1 SPG nicht erfasst sein".

Diese Annahme wurde im Verordnungsprüfungsverfahren bestätigt:

2.2. §36 Abs1 SPG sieht ausdrücklich vor, dass bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen "das Betreten des Gefahrenbereiches und de[r] Aufenthalt in ihm mit Verordnung zu verbieten" ist.

2.3. Daraus folgend wird in der Literatur die Meinung vertreten, dass ein Platzverbot "der vorbeugenden Freihaltung bzw der nachträglichen Räumung einer Örtlichkeit" diene (vgl. Funk, Das neue Sicherheitspolizeirecht. Kodifikation und Reform einer klassischen Verwaltungsmaterie, JBl 1994, 137 [147]). Insbesondere im Vergleich mit der Regelung des §36a SPG ("Schutzzone"), die ein "selektives Betretungsverbot" zum Inhalt habe, handle es sich bei einem Platzverbot gemäß §36 leg.cit. um ein "generelles Betretungsverbot". Dieses Verbot entfalte grundsätzlich "allgemeine Wirkung" und gelte daher in der Regel "unterschiedslos für alle Menschen".

2.4. §36 Abs1 SPG intendiert durch die Erlassung einer Platzverbotsverordnung den Aufenthalt unterschiedslos jeder Person in einem als solchen begründet als Gefahrenbereich erkannten Bereich zu verhindern. Aus dem Umstand, dass im Übrigen stets sachlich begründete und somit gerechtfertigte Ausnahmen zulässig sind (zB zu Gunsten von Rettungsorganisationen, der betroffenen Anrainer oder ausführender Unternehmen; vgl. Giese in: Thanner/Vogl [Hrsg.], Sicherheitspolizeigesetz Kommentar2, 2013, 297 und 299), ist jedenfalls nicht abzuleiten, dass darüber hinaus in diskriminierender Weise der Zugang zum Gefahrenbereich manchen Gruppen erlaubt und manchen verboten werden darf. §36 Abs1 leg.cit. ist nicht geeignet, den ungestörten Besuch einer Versammlung in einem vom Platzverbot erfassten Bereich zu sichern.

2.5. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner Auffassung, dass eine Verpflichtung des Staates zum Schutz von Versammlungen und auch Wahlveranstaltungen besteht und die Behörden daher gehalten sind, diese vor Störungen durch Dritte zu schützen (so etwa VfSlg 19.741/2013; VfGH 13.9.2013, B1443/2012). §36 Abs1 SPG erlaubt dennoch nicht, ein Platzverbot genau an dem Ort, an dem die (allenfalls zu schützende) Versammlung selbst stattfindet, zu verhängen.

2.6. Im konkreten Fall wurde daher die in Prüfung gezogene Platzverbotsverordnung in einer dem §36 Abs1 SPG widersprechenden Weise erlassen.

IV. Ergebnis

1. Die Verordnung der Landespolizeidirektion Steiermark vom 20. November 2012, ZP1/43991/2012, war daher schon alleine deshalb wegen Verstoßes gegen §36 Abs1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz), BGBl 566/1991, idF BGBl I 50/2012 gesetzwidrig.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken, insbesondere auf das Bedenken, ob Punkt 3) der in Prüfung gezogenen Verordnung hinreichend determiniert ist.

2. Die Verpflichtung der Bundesministerin für Innereszur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B‑VG und §4 Abs1 Z1 BGBlG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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