VfGH G4/07

VfGHG4/072.10.2007

Verletzung des Sachlichkeitsgebotes durch Anknüpfung an einen untauglichen Zeitpunkt, nämlich der Anzeige des Baubeginns, in der Wiener Bauordnung bei der Regelung der Erlangung der Parteistellung übergangener Nachbarn durch Geltendmachung von Einwendungen bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn auch nach dem Abschluss der mündlichen Bauverhandlung; keine Entkräftung der Bedenken durch Hinweis auf strengere Regelungen im AVG

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
AVG §8, §41, §42
Wr BauO 1930 §134, §134a
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
AVG §8, §41, §42
Wr BauO 1930 §134, §134a

 

Spruch:

§134 Abs4 der Bauordnung für Wien, LGBl. für Wien Nr. 11/1930 idF der Novelle LGBl. für Wien Nr. 61/1998, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Wien verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1152/04 ein Beschwerdeverfahren anhängig, dem folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:

1. Mit Eingabe vom 20. August 2002 beantragte die vor dem Verfassungsgerichtshof mitbeteiligte Partei N-AG die Bewilligung zum Ausbau eines Dachgeschoßes in Wien 3., Rechte Bahngasse 14. Mit Anordnung vom 18. September 2002 beraumte der Magistrat der Stadt Wien eine mündliche Verhandlung für den 16. Oktober 2002 an. Zu dieser Verhandlung wurden nicht alle Miteigentümer der an die Liegenschaft der Bauwerber angrenzenden Liegenschaft Wien 3., Rechte Bahngasse 12 geladen. Wie die Erhebungen der Baubehörde ergaben, war im Lageplan - entgegen der Verpflichtung gemäß §64 Abs1 lita WBO, die Namen aller Eigentümer der benachbarten Liegenschaften einzutragen - Frau K. zu Unrecht als alleinige Grundeigentümerin dieser Liegenschaft angeführt. Der Magistrat der Stadt Wien überprüfte die Angaben des Bauwerbers nicht, lud zur mündlichen Bauverhandlung nur die im Lageplan ausgewiesenen Nachbarn und erteilte mit Bescheid vom 16. April 2003 gemäß §70 der Bauordnung für Wien (WBO) in Verbindung mit §68 Abs1, Abs5 und Abs7 sowie §69 Abs8 und in Anwendung des Wiener Garagengesetzes die Baubewilligung für den Ausbau des Dachgeschoßes. Mit Eingabe vom 18. September 2003 ersuchten übergangene Nachbarn - darunter die nunmehrigen Beschwerdeführer - um Zustellung des Baubewilligungsbescheides. Mit Eingabe vom 16. Oktober 2003, dem Magistrat am 22. Oktober 2003 übergeben, erhoben sie gegen den Baubewilligungsbescheid Berufung.

2. Mit Bescheid vom 30. Juni 2004 wies die belangte Behörde die Berufungen gemäß §66 Abs4 AVG als unzulässig zurück. In der Begründung des Bescheides hielt die belangte Behörde zunächst fest, dass die Berufungswerber als Miteigentümer der Liegenschaft und des Hauses in Wien 3., Rechte Bahngasse 12 Eigentümer einer benachbarten Liegenschaft im Sinne des §134 Abs3 WBO seien. Es treffe zu, dass die Berufungswerber hinsichtlich des beantragten Bauvorhabens betreffend den Dachgeschoßausbau und Aufzugseinbau im erstinstanzlichen Bewilligungsverfahren zu der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember (sic!) 2002 nicht geladen wurden. Den Berufungswerbern sei es somit verwehrt gewesen, im Sinne des §134 Abs3 WBO bei dieser mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2002 Einwendungen wegen der Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte im Sinne des §134a WBO gegen das eingereichte Bauvorhaben zu erheben und damit Parteistellung nach §134 Abs3 WBO zu erlangen.

Für einen solchen Fall - Unterbleiben der Ladung zu der mündlichen Verhandlung im Baubewilligungsverfahren - sehe nun die Bestimmung des §134 Abs4 WBO vor, dass der Nachbar, wenn er der Behörde nachweist, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach §134 Abs3 WBO zu erlangen, seine Einwendungen im Sinne des §134a WBO gegen die Bauführung auch nach dem Abschluss der mündlichen Verhandlung bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn (§124 Abs2 WBO) vorbringen könne und von diesem Zeitpunkt des Vorbringens dieser Einwendungen an Partei sei. Eine spätere Erlangung der Parteistellung (§134 Abs3 WBO) sei nach dieser Bestimmung des §134 Abs4 WBO ausgeschlossen.

Bei der Bestimmung des §134 Abs3 WBO hätte der Gesetzgeber zwischen der Rechtssicherheit betreffend den Bestand einer Baubewilligung und der Wahrnehmung von Nachbarrechten abzuwägen gehabt. Die Grenze von drei Monaten nach angezeigtem Baubeginn sei eine absolute, es sei irrelevant, aus welchen Gründen die Einwendungen nicht schon vorgebracht worden seien. Eigentum verpflichte im Interesse anderer somit auch, dafür Vorsorge zu treffen, dass bei längerer Abwesenheit ein Vertreter die entsprechenden Rechte und Pflichten wahrnimmt oder zumindest für eine Verständigung des Eigentümers sorgt.

Im vorliegenden Fall sei der Baubeginn bereits am 29. April 2003 angezeigt worden; nach der Aktenlage sei auch tatsächlich mit dem Bau begonnen worden. Demnach wäre der spätest mögliche Zeitpunkt für das Vorbringen von Einwendungen, um noch Parteistellung zu erlangen, der 29. Juli 2003 gewesen. Selbst wenn man das Vorbringen der Beschwerdeführer vom 18. September 2003 als Einwendungen im Sinne des §134a WBO ansieht, so sei diese Einwendung genauso nach Ablauf der Dreimonatsfrist gemäß §134 Abs3 [gemeint wohl: 4] WBO wie die Einbringung der Berufung am 22. Oktober 2003 erfolgt.

Es sei daher keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den in der Berufung vorgebrachten Einwendungen gegen das Bauvorhaben möglich und somit spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Bemerkt werde, dass nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch dadurch, dass eine Person zu Unrecht als Partei behandelt wird, keine Parteistellung begründet wird.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, die u.a. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

§134 Abs4 vorletzter Satz WBO ermögliche es jeder Behörde durch Nachlässigkeit und jedem Bauführer durch Verzögerung des Baubeginns nach erfolgter Baubeginnsanzeige, die Parteistellung von nicht verständigten potentiellen Parteien zu verhindern.

II. 1. Aus Anlass dieses Verfahrens beschloss der Verfassungsgerichtshof am 30. November 2006, gemäß Art140 Abs1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des §134 Abs4 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930 idF der Novelle LGBl. 61/1998, zu prüfen.

2. §134 Abs1, 3 und 4 sowie §134a WBO lauten (der in Prüfung gezogene Abs4 des §134 WBO hat seine geltende Fassung durch die Novelle LGBl. 61/1998 erhalten):

"Parteien

§134. (1) Partei im Sinne des §8 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes ist in allen Fällen, in denen dieses Gesetz ein Ansuchen oder eine Einreichung vorsieht, der Antragsteller oder Einreicher.

[...]

(3) Im Baubewilligungsverfahren und im Verfahren zur Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften sind außer dem Antragsteller (Bauwerber) die Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaften Parteien. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind wie Eigentümer der Liegenschaften zu behandeln. Die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften sind dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im §134a erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des §134a gegen die geplante Bauführung erheben; das Recht auf Akteneinsicht (§17 AVG) steht Nachbarn bereits ab Einreichung des Bauvorhabens bei der Behörde zu. Alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden, sind Beteiligte (§8 AVG). Benachbarte Liegenschaften sind im Bauland jene, die mit der vom Bauvorhaben betroffenen Liegenschaft eine gemeinsame Grenze haben oder bis zu einer Breite von 6 m durch Fahnen oder diesen gleichzuhaltende Grundstreifen oder eine höchstens 20 m breite öffentliche Verkehrsfläche von dieser Liegenschaft getrennt sind und im Falle einer Trennung durch eine öffentliche Verkehrsfläche der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen. In allen übrigen Widmungsgebieten sowie bei Flächen des öffentlichen Gutes sind jene Liegenschaften benachbart, die in einer Entfernung von höchstens 20 m vom geplanten Gebäude oder der geplanten baulichen Anlage liegen.

(4) Weist ein Nachbar der Behörde nach, daß er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach §134 Abs3 zu erlangen, kann er seine Einwendungen im Sinne des §134a gegen die Bauführung auch nach dem Abschluß der mündlichen Bauverhandlung bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn (§124 Abs2) vorbringen und ist vom Zeitpunkt des Vorbringens dieser Einwendungen an Partei; eine spätere Erlangung der Parteistellung (§134 Abs3) ist ausgeschlossen. Solche Einwendungen sind vom Nachbarn binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses für ihre Erhebung bei der Behörde einzubringen, die die Bauverhandlung anberaumt hat.

[...]

Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte

§134a. (1) Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§134 Abs3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, werden durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:

a) Bestimmungen über den Abstand eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage zu den Nachbargrundgrenzen, jedoch nicht bei Bauführungen unterhalb der Erdoberfläche;

b) Bestimmungen über die Gebäudehöhe;

c) Bestimmungen über die flächenmäßige Ausnützbarkeit von Bauplätzen, Baulosen und Kleingärten;

d) Bestimmungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Fluchtlinien;

e) Bestimmungen, die den Schutz vor Immissionen, die sich aus der widmungsgemäßen Benützung eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage ergeben können, zum Inhalt haben. Die Beeinträchtigung durch Immissionen, die sich aus der Benützung eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage zu Wohnzwecken oder für Stellplätze im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß ergibt, kann jedoch nicht geltend gemacht werden;

f) Bestimmungen, die den Nachbarn zu Emissionen berechtigen.

(2) Bestimmungen gemäß Abs1 lite dienen dem Schutz der Nachbarn nur insoweit, als nicht ein gleichwertiger Schutz bereits durch andere Bestimmungen gegeben ist. Ein solcher gleichwertiger Schutz ist jedenfalls gegeben bei Emissionen aus Gebäuden, Gebäudeteilen oder baulichen Anlagen mit gewerblicher Nutzung im Industriegebiet, im Gebiet für Lager- und Ländeflächen, in Sondergebieten, im Betriebsbaugebiet sowie im sonstigen gemischten Baugebiet, sofern auf sie das gewerberechtliche Betriebsanlagenrecht zur Anwendung kommt.

(3) Emissionen gemäß Abs1 litf sind nur solche, die auf der Grundlage eines behördlichen Bescheides zulässig sind. Durch solche Emissionen darf auf der zu bebauenden Liegenschaft keine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Benützer oder Bewohner entstehen. Diesen Emissionen kann durch entsprechende bauliche Maßnahmen auf der zu bebauenden Liegenschaft oder mit Zustimmung des Eigentümers (aller Miteigentümer) auf der Nachbarliegenschaft entgegengetreten werden."

3. Der Verfassungsgerichtshof nahm vorläufig an, dass die Beschwerde zulässig sei und dass die belangte Behörde §134 Abs4 WBO angewendet habe und daher auch der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung bei der Entscheidung über die Beschwerde anzuwenden hätte.

4. Seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung formulierte der Verfassungsgerichtshof wie folgt:

"Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg. 16.049/2000 die Verfassungswidrigkeit des §70a WBO in der Fassung LGBl. Nr. 40/1997 festgestellt. §70a Abs7 hatte gelautet:

'(7) Nachbarn (§134 Abs3) können bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn (§124 Abs2) Einwendungen im Sinne des §134a vorbringen und damit beantragen, daß die Baubewilligung versagt wird. Vom Zeitpunkt solcher Einwendungen an sind die Nachbarn Parteien. Eine spätere Erlangung der Parteistellung (§134 Abs4) ist ausgeschlossen.'

Aus VfSlg. 16.049/2000:

'§70a Abs7 stellt für den Beginn des Laufs der Frist, Einwendungen zu erheben, nicht etwa auf Bautätigkeiten ab, die für den Nachbarn als solche in der Außenwelt in Erscheinung treten, für ihn also ausreichend erkennbar sind, sondern knüpft den Beginn dieser Frist an den der Behörde angezeigten Zeitpunkt des Beginns der Bauführung. Nun gilt zwar die Bauanzeige gemäß §124 Abs2 letzter Satz als nicht erstattet, wenn mit dem Bau entgegen der Baubeginnsanzeige nicht begonnen wird. Dass die Bauarbeiten für den Nachbarn als solche erkennbar sein müssen, was z.B. bei Bauführungen im Innenhof eines Gebäudekomplexes nicht der Fall ist, verlangt diese Bestimmung nicht. Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher dabei, dass der Gesetzgeber, indem er den Beginn der Einwendungsfrist für den Nachbarn an den Zeitpunkt der Anzeige des Baubeginns geknüpft hat, in einer das Sachlichkeitsgebot verletzenden Weise an einen untauglichen Zeitpunkt angeknüpft hat.'

Auch die hier angewendete Bestimmung des §134 Abs4 WBO stellt für den Beginn einer dreimonatigen Einwendungsfrist auf den 'angezeigten Baubeginn (§124 Abs2)' ab.

Der Verfassungsgerichtshof nimmt vorläufig an, dass der Gesetzgeber, indem er den Beginn und das Ende der Einwendungsfrist an den Zeitpunkt der Anzeige des Baubeginns geknüpft hat, in einer das Sachlichkeitsgebot verletzenden Weise an einen untauglichen Zeitpunkt angeknüpft hat, zumal die in §127 Abs8 WBO vorgesehene Verpflichtung, auf der Baustelle bis zur Vollendung des Baues eine baubehördliche Bestätigung darüber, dass es sich um eine befugte Bauführung handelt, so auszuhängen, dass sie von der Verkehrsfläche aus deutlich sichtbar und lesbar ist, durch die Novelle LGBl. Nr. 42/1996 beseitigt wurde."

5. Die Wiener Landesregierung erstattete eine Äußerung, die auszugsweise wie folgt lautet:

"Der Wiener Landesgesetzgeber hat aus Gründen der Rechtssicherheit eine absolute Frist in der Dauer von drei Monaten in §134 Abs4 BO aufgenommen, nach deren Ablauf jedwede Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen durch Nachbarn und demgemäß sämtliche ihrer Parteirechte untergegangen sind. Eine spätere Erlangung der Parteistellung wird aus dem Grund ausgeschlossen, um zu verhindern, dass übergangene Nachbarn etwa noch Jahre nach der Erteilung der Baubewilligung auftreten können und durch ihre Einwendungen die Aufhebung von bereits konsumierten Baubewilligungen bewirken. Der Gesetzgeber hatte zwischen den Interessen der Bauherren, die möglicherweise durch den Wegfall ihrer Baubewilligung und dem damit einhergehenden Baubeseitigungsauftrag einen großen Vermögensverlust erleiden, dem volkswirtschaftlichen Interesse, zu verhindern, dass Investitionen nicht getätigt werden, da diese gefährdet sind, ersatzlos vernichtet zu werden und dem Rechtschutzbedürfnis potenziell Beteiligter am Baubewilligungsverfahren abzuwägen. Das Ergebnis dieser Abwägung war die dreimonatige Frist zur Erhebung von Einwendungen durch übergangene Nachbarn.

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Bestimmung des §42 Abs3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG), die ebenso das vorliegende Problem der übergangenen Partei behandelt, im Vergleich zu §134 Abs4 BO eine strengere Regelung enthält, da diese Bestimmung des §42 Abs3 AVG lediglich bis zur Rechtskraft der Entscheidung die Erhebung von nachträglichen Einwendungen und damit die Wiedererlangung der Parteistellung zulässt.

Als Bezugspunkt für den Beginn dieses Fristenlaufs wurde eine nach außen in Erscheinung tretende und somit auch für die Nachbarn wahrnehmbare Handlung des Bauherrn gewählt, nämlich der Beginn der Bauführung. Dieser Lösung liegt nach den Erläuternden Bemerkungen des Gesetzgebers die Auffassung zu Grunde, dass dem Eigentümer einer Liegenschaft auch die Pflicht zukommt, bei längerer Abwesenheit oder sonstiger Verhinderung Vorsorge dafür zu treffen, dass die aus seinem Eigentum erwachsenden Rechte durch einen Vertreter wahrgenommen werden. Andernfalls muss er eben hinnehmen, dass während seiner Abwesenheit oder Verhinderung auf den Nachbarliegenschaften Bauführungen stattfinden, gegen die er sich nicht mehr aussprechen kann. Zur Wahrung der aus seinem Eigentum erwachsenden Rechte hat er mit der Baubehörde Kontakt aufzunehmen, wenn er wahrnimmt, dass mit Bauführungen auf einer benachbarten Liegenschaft, von denen er zuvor keine Kenntnis erlangt hatte, begonnen wird. Handelt es sich um unbefugte Bauführungen hat die Baubehörde ein Bauauftragsverfahren einzuleiten, im Falle von bewilligten Bauführungen hat sie zu prüfen, ob dem übergangenen Nachbarn Parteistellung zukommt.

Zum Bedenken, dass Fälle eintreten könnten, in denen Nachbarn nicht rechtzeitig vom Baubeginn erfahren könnten ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach es sich beim Baubeginn jedenfalls um Arbeiten handeln muss, die der Verwirklichung des Bauvorhabens dienen. Bloße Scheinhandlungen, beispielsweise die alleinige Lagerung von Baustoffen, begründen keinen Baubeginn, die den Lauf der dreimonatigen Einwendungsfrist auslösen könnten (vgl. VwSlg. 954A, VwGH vom 14. April 1969, Zl. 1854/68). Es muss sich daher um sichtbare, zu einem erkennbaren Erfolg führende Maßnahmen in der tatsächlichen Herstellung des Bauvorhabens handeln. Zudem lassen sich die Herstellungsmaßnahmen eines Bauvorhabens durch die unweigerlich erforderlichen Vorbereitungsmaßnahmen wie die Anlieferung von Baumaterialien, Geräten, Werkzeug und dergleichen nicht verheimlichen. Da es sich weiters beim Baubeginn um einen rechtserheblichen Umstand handelt, steht den Nachbarn überdies das Recht zu, einen Feststellungsbescheid darüber zu verlangen (vgl. VwSlg. 17.733 u. a.), zu welchem Zeitpunkt der Baubeginn erfolgt ist.

Aus diesen vorgenannten Gründen kann auch trotz des Entfalls des §127 Abs8 BO mit der darin normierten Verpflichtung zur Aushängung einer baubehördlichen Bestätigung über eine befugte Bauführung durch die offensichtliche und jederzeitige Erkennbarkeit von relevanten Bauführungsmaßnahmen, für den Nachbarn keine Einbuße in der Möglichkeit der Wahrung seiner Rechte zur Erhebung seiner Einwendungen eintreten.

Dennoch ist beabsichtigt, den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes durch eine entsprechende Gesetzesänderung Rechnung zu tragen."

6. Auch die Beschwerdeführer des Anlassverfahrens erstatteten eine Äußerung.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig:

Den vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes, dass das Beschwerdeverfahren, das Anlass zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben hat, zulässig ist, und dass der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Beschwerde die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung anzuwenden hätte, wurde nicht entgegen getreten.

2. Auch die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ob der Verfassungsmäßigkeit der geprüften Bestimmung treffen zu:

Die Wiener Landesregierung versucht die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes durch das Argument zu entkräften, dass die in Rede stehende absolute Frist zur Erhebung von nachträglichen Einwendungen, insbesondere durch anlässlich der Ladung zur Bauverhandlung "übergangene" Nachbarn, das Ergebnis einer Interessenabwägung sei. Abgewogen habe der Gesetzgeber auf der einen Seite das "Rechtsschutzbedürfnis potenziell Beteiligter am Baubewilligungsverfahren" und auf der anderen Seite die "Interessen der Bauherren, die möglicherweise durch den Wegfall ihrer Baubewilligung und den damit einhergehenden Baubeseitigungsauftrag einen großen Vermögensverlust erleiden" sowie das "volkswirtschaftliche[n] Interesse, zu verhindern, dass Investitionen nicht getätigt werden, da diese gefährdet sind, ersatzlos vernichtet zu werden".

Doch gerade der vorliegende Fall zeigt, dass die geprüfte Bestimmung nicht zu einem sachlichen Ausgleich dieser von der Wiener Landesregierung ins Treffen geführten Interessen führt. Der Grund für das "Übergehen" von Nachbarn bei der Ladung zur Bauverhandlung kann typischerweise gerade darin liegen, dass der Bauwerber - wie eben auch im vorliegenden Fall - entgegen der Verpflichtung gemäß §64 Abs1 lita WBO im Lageplan nicht die Namen aller Eigentümer der benachbarten Liegenschaften einträgt. Der Gesetzgeber gibt mit der erwähnten Verpflichtung gemäß §64 Abs1 lita WBO also dem Bauwerber eine gewisse Mitverantwortung für die lückenlose Ladung aller Nachbarn. Entsteht in einem Fall wie dem vorliegenden das Risiko eines Wegfalls der Baubewilligung aufgrund eines erst nachträglichen Tätigwerdens übergangener Nachbarn, erscheint es nicht sachgerecht, die Interessen des Bauwerbers derart überzubewerten, nämlich auch und gerade für diesen Fall eine kurze absolute Frist für nachträgliche Nachbareinwendungen vorzusehen, deren Beginn für den Nachbarn nicht in jedem Fall erkennbar sein muss (vgl. zur möglicherweise mangelnden Erkennbarkeit die Beispiele aus dem Erkenntnis VfSlg. 16.049/2000).

Wenn die Wiener Landesregierung darüber hinaus ins Treffen führt, dass die Bestimmung des §42 Abs3 AVG, die ebenso das vorliegende Problem der übergangenen Partei behandle, im Vergleich zu §134 Abs4 WBO eine strengere Regelung enthalte, da nach dieser Bestimmung lediglich bis zur Rechtskraft der Entscheidung die Erhebung von nachträglichen Einwendungen und damit die Wiedererlangung der Parteistellung möglich sei, übersieht sie den normativen Zusammenhang, in dem diese Bestimmung steht. §41 Abs1 und §42 Abs1 bis 3 AVG in der Fassung BGBl. I 10/2004 lauten:

"§41. (1) Die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung hat durch persönliche Verständigung der bekannten Beteiligten zu erfolgen. Wenn noch andere Personen als Beteiligte in Betracht kommen, ist die Verhandlung überdies durch Anschlag in der Gemeinde oder durch Verlautbarung in der für amtliche Kundmachungen der Behörde bestimmten Zeitung kundzumachen.

(2) ...

§42. (1) Wurde eine mündliche Verhandlung gemäß §41 Abs1 zweiter Satz und in einer in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen besonderen Form kundgemacht, so hat dies zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, wenn sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt; §13 Abs5 zweiter Satz ist nicht anwendbar. Wenn die Verwaltungsvorschriften über die Form der Kundmachung nichts bestimmen, so tritt die im ersten Satz bezeichnete Rechtsfolge ein, wenn die mündliche Verhandlung gemäß §41 Abs1 zweiter Satz und in geeigneter Form kundgemacht wurde. Eine Kundmachungsform ist geeignet, wenn sie sicherstellt, daß ein Beteiligter von der Anberaumung der Verhandlung voraussichtlich Kenntnis erlangt.

(2) Wurde eine mündliche Verhandlung nicht gemäß Abs1 kundgemacht, so erstreckt sich die darin bezeichnete Rechtsfolge nur auf jene Beteiligten, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben.

(3) Eine Person, die glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, rechtzeitig Einwendungen zu erheben, und die kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, kann binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses, jedoch spätestens bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung der Sache bei der Behörde Einwendungen erheben. Solche Einwendungen gelten als rechtzeitig erhoben und sind von jener Behörde zu berücksichtigen, bei der das Verfahren anhängig ist."

Nach dem AVG tritt also ein Verlust der Parteistellung einer Nebenpartei mangels Erhebung von Einwendungen spätestens bei der Verhandlung nur dann ein, wenn entweder

* die mündliche Verhandlung "gemäß §42 Abs1", also "durch Anschlag in der Gemeinde oder durch Verlautbarung in der für amtliche Kundmachungen der Behörde bestimmten Zeitung" (§41 Abs1 zweiter Satz) und "in einer in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen besonderen Form" bzw. "in geeigneter Form" kundgemacht wurde, oder

* - für den Fall, dass die mündliche Verhandlung nicht gemäß '42 Abs1 kundgemacht wurde - die betreffende Nebenpartei "rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten" hat (vgl. §42 Abs2).

Die von der Wiener Landesregierung allein betrachtete Bestimmung des §42 Abs3 AVG ("Quasi-Wiedereinsetzung") kommt also bei Unterlassung der Erhebung von Einwendungen durch eine Nebenpartei, die nicht "rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten" hat, nur zum Tragen, wenn die mündliche Verhandlung gewissermaßen doppelt kundgemacht wurde, wobei es dem Gesetzgeber ein Anliegen war, dass durch die gewählte Kundmachungsform "ein Beteiligter von der Anberaumung der Verhandlung voraussichtlich Kenntnis erlangt" (vgl. §42 Abs1 letzter Satz AVG). Dem Argument, dass diese Regelung strenger sei als die in Prüfung gezogene Regelung, ist also nicht zu folgen. Denn die WBO enthält keine Bestimmungen über die Kundmachung der Durchführung von Bauverhandlungen, die den entsprechenden Regelungen des AVG gleichkommen würden, was die Eignung betrifft, dass "ein Beteiligter von der Anberaumung der Verhandlung voraussichtlich Kenntnis erlangt". Auch die in §127 Abs8 WBO vorgesehene Verpflichtung, auf der Baustelle bis zur Vollendung des Baues eine baubehördliche Bestätigung darüber, dass es sich um eine befugte Bauführung handelt, so auszuhängen, dass sie von der Verkehrsfläche aus deutlich sichtbar und lesbar ist, wurde durch die Novelle LGBl. 42/1996 beseitigt.

Somit haben sich die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes als zutreffend erwiesen, dass der Gesetzgeber, indem er den Beginn und das Ende der Einwendungsfrist gemäß §134 Abs4 WBO an den Zeitpunkt der Anzeige des Baubeginns geknüpft hat, in einer das Sachlichkeitsgebot verletzenden Weise an einen untauglichen Zeitpunkt angeknüpft hat.

Die Bestimmung war daher aufzuheben.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz

B-VG.

Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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