Normen
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
G betr Totalisateur- und Buchmacherwetten. Gebühren. StGBl 388/1919
ÜG 1920 §1
Wr RechtsbereinigungsG §2 Z3 Anlage
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
G betr Totalisateur- und Buchmacherwetten. Gebühren. StGBl 388/1919
ÜG 1920 §1
Wr RechtsbereinigungsG §2 Z3 Anlage
Spruch:
Die Wortfolgen "jederzeit von Bedingungen abhängig machen, sie einschränken oder", "letzteres" und "oder eine vorgeschriebene Bedingung nicht eingehalten wird" in §1 Abs4 des Gesetzes betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens, StGBl. Nr. 388/1919, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit 31. Dezember 1997 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof sind zwei Beschwerden gegen Bescheide der Wiener Landesregierung anhängig. Mit Bescheid vom 19. August 1993 wurde der vor dem Verwaltungsgerichtshof beschwerdeführenden Gesellschaft die Bewilligung zum gewerbsmäßigen Abschluß von Wetten gemäß §1 Abs4 des Gesetzes betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens, StGBl. 388/1919 (Paragraphen ohne Gesetzesbezeichnung beziehen sich im folgenden auf dieses Gesetz), gegen jederzeitigen Widerruf erteilt und unter anderem die Auflage vorgeschrieben, daß der Abschluß von Akkumulativwetten verboten sei, und der Verstoß gegen dieses Verbot den sofortigen Widerruf der Wettbewilligung zur Folge habe. Mit einem weiteren Bescheid der Wiener Landesregierung vom 13. Dezember 1993 wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft gemäß §1 Abs4 die Bewilligung zum gewerbsmäßigen Abschluß von Wetten in einem fahrbaren Wettbüro gegen jederzeitigen Widerruf und unter sinngemäßer Einhaltung der im Bescheid vom 19. August 1993 vorgeschriebenen Auflagen erteilt.
1.1. Aus Anlaß dieser - aufgrund des sachlichen und persönlichen Zusammenhangs - zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden richtete der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 18. Jänner 1995, Zlen. A7/95 und A8/95 an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag, in §1 Abs4 die Wortfolgen "jederzeit von Bedingungen abhängig machen, sie einschränken oder", "letzteres" und "oder eine vorgeschriebene Bedingung nicht eingehalten wird" als verfassungswidrig aufzuheben.
1.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des §1 lauten (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):
"§1.
(1) Die gewerbemäßige Vermittlung und der gewerbemäßige Abschluß von Wetten aus Anlaß sportlicher Veranstaltungen (Rennen, Regatten usw.) ist nur mit Bewilligung der Landesregierung zulässig.
(2) Zur gewerbemäßigen Vermittlung von Wetten der im ersten Absatze bezeichneten Art dürfen nur die im Anschlusse an sportliche Veranstaltungen bestehenden besonderen Unternehmungen (Totalisateur) zugelassen werden.
(3) Die Bewilligung zum gewerbemäßigen Abschlusse der im ersten Absatze angeführten Wetten darf nur Personen erteilt werden, welche die Gewähr voller Vertrauenswürdigkeit bieten. Pesonen, denen diese Bewilligung erteilt wurde, werden in diesem Gesetze als Buchmacher bezeichnet.
(4) Die Landesregierung kann die Bewilligung (Absatz 1) jederzeit von Bedingungen abhängig machen, sie einschränken oder zurücknehmen, letzteres für den Fall, daß die Voraussetzung der vollen Vertrauenswürdigkeit nicht mehr zutrifft oder eine vorgeschriebene Bedingung nicht eingehalten wird.
(5) ..."
2. Hinsichtlich der Präjudizialität und zum Prüfungsumfang führt der Verwaltungsgerichtshof aus:
2.1. Die angefochtenen Bescheide erteilten die Bewilligung zum gewerbsmäßigen Abschluß von Wetten aus Anlaß sportlicher Veranstaltungen gegen jederzeitigen Widerruf unter Einhaltung von 13 Auflagen. Grundlage für diese Bewilligung sei das gemäß §4 Abs2 Übergangsgesetz vom 1. Oktober 1920, BGBl. 2 idF BGBl. 368/1925 unter anderem in Wien als Landesgesetz geltende Gesetz betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens, StGBl. 388/1919, und zwar §1 Abs1, 3 und 4. Von der belangten Behörde sei in beiden Bescheiden §1 Abs4 ausdrücklich angeführt worden.
Die beschwerdeführende Gesellschaft hätte geltend gemacht, daß die in den Bescheiden unter Pkt. 12 normierte Auflage, welche wie folgt lautet, rechtswidrig sei:
"12. Der Abschluß von Akkumulativwetten ist verboten. Der Verstoß gegen dieses Verbot hat den sofortigen Widerruf der Wettbewilligung zur Folge."
Bei dieser von der Behörde als "Auflage" bezeichneten Anordnung handle es sich nicht um eine solche im eigentlichen Sinn, sondern stelle das Verbot der Durchführung von bestimmten Wetten eine Einschränkung der durch die Bescheide eingeräumten Berechtigung zum Abschluß von Wetten dar. Die bekämpfte "Auflage" stehe daher mit der Erteilung der Berechtigung in einem untrennbaren Zusammenhang, woraus sich ergebe, daß die Bescheide zur Gänze, also mit den übrigen 12 Auflagen und den dazu herangezogenen gesetzlichen Bestimmungen für den Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner Überprüfung präjudiziell seien.
Soweit die in den übrigen Punkten getroffenen "Auflagen" "echte" Auflagen in dem Sinn darstellten, daß mit dem dem Hauptinhalt nach begünstigenden Verwaltungsakt belastende Gebote oder Verbote verbunden würden, stütze sich die belangte Behörde offensichtlich auf die Anordnung in §1 Abs4, daß die Bewilligung von Bedingungen abhängig gemacht werden könne.
Der Vorbehalt der belangten Behörde, in Pkt. 13 der angefochtenen Bescheide weitere Auflagen vorzuschreiben, beruhe darauf, daß gemäß §1 Abs4 die Bewilligung "jederzeit" von Bedingungen abhängig gemacht werden dürfe. Dem Umstand, daß die Behörde Auflagen erteilt habe und das Gesetz nur von Bedingungen spräche, käme für die Frage der Präjudizialität jedoch keine entscheidende Bedeutung zu, da nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes auch immer jene gesetzlichen Bestimmungen präjudiziell seien, welche die belangte Behörde im Anlaßfall tatsächlich angewandt habe.
2.2. Zum Umfang der Anfechtung führt der Verwaltungsgerichtshof aus, daß die Wortfolgen "letzteres" und "oder eine vorgeschriebene Bedingung nicht eingehalten wird" deshalb in den Prüfungsantrag miteinzubeziehen waren, weil sie mit den anderen angefochtenen Teilen des §1 Abs4 sprachlich und vom Sinn der Anordnung her in einem untrennbaren Zusammenhang stünden.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hegt das Bedenken, daß die angefochtenen Wortfolgen gegen das Determinierungsgebot des Art18 Abs1 B-VG verstoßen und weiters einen unzulässigen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie das Recht auf freie Erwerbsausübung darstellen und legt seine Bedenken wie folgt dar:
"4. Bedenken im Hinblick auf Art18 Abs1 B-VG:
Gemäß dem in Art18 Abs1 B-VG verankerten Legalitätsprinzip muß das Verwaltungshandeln im Gesetz ausreichend bestimmt determiniert werden. Demnach haben Gesetze das verwaltungsbehördliche Verhalten in einem solchen Maße zu determinieren, daß die Übereinstimmung der individuellen Verwaltungsakte mit dem Gesetz vom Verwaltungsgerichtshof überprüft werden kann. Der Inhalt individuellen Verwaltungshandelns ist dann hinreichend bestimmt, wenn aus dem Gesetz selbst alle wesentlichen Merkmale des Verwaltungshandelns ersehen werden können (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. Oktober 1988, Slg. 11859, und die dort zitierte Vorjudikatur). §1 Abs4 leg.cit. entspricht, indem vorgesehen ist, daß die Bewilligung (jederzeit) von Bedingungen abhängig gemacht und eingeschränkt werden kann, diesem aus Art18 Abs1 B-VG abgeleiteten Gebot der ausreichenden Bestimmtheit von Gesetzen nicht. §1 Abs2 und 3 leg.cit. enthalten zwar Kriterien für die Bestimmung jenes Personenkreises, der für die Erteilung der Bewilligung in Betracht kommt. §1 Abs4 leg.cit. ermöglicht aber, ohne dafür nähere inhaltliche Kriterien festzulegen, daß in einer Bewilligung gemäß §1 Abs1 leg.cit. Bedingungen normiert werden oder die Bewilligung von vornherein eingeschränkt erteilt werden kann. Weiters können erteilte Bewilligungen offensichtlich jederzeit eingeschränkt bzw. jederzeit von weiteren Bedingungen abhängig gemacht werden. Nach dem eindeutigen Wortlaut des §1 Abs4 leg.cit. (arg: "letzteres") gelten die in dieser Bestimmung angeführten Kriterien des Wegfalles der vollen Vertrauenswürdigkeit oder der Nichteinhaltung einer vorgeschriebenen Bedingung nur für den Fall der Zurücknahme einer Bewilligung gemäß §1 Abs1 leg.cit.
§1 Abs4 leg.cit. als Ermessensbestimmung zu deuten, erscheint nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf Art6 StGG nicht zulässig. Gemäß Art6 StGG ist es zwar zulässig, durch Gesetz die Voraussetzungen für die Zulassung und Ausübung von Berufen vorzusehen, wenn aber die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, muß der Gesetzgeber nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Bewilligung für die Berufsausübung vorsehen (siehe das dg. Erkenntnis vom 17. März 1966, Slg. 5240). Wird in einer Norm Ermessen im Sinne des Art130 Abs2 B-VG eingeräumt, dann besteht für den Rechtsunterworfenen ein solcher Rechtsanspruch nicht. Eine verfassungskonforme Auslegung des §1 Abs4 leg.cit. verbietet daher die Annahme, daß in §1 Abs4 leg.cit. der Landesregierung Ermessen eingeräumt worden sein könnte.
In bezug auf die durch §1 Abs4 leg.cit. eingeräumte Möglichkeit, die Bewilligung jederzeit von Bedingungen abhängig zu machen und einzuschränken, ergibt sich aus der Sicht des aus Art18 Abs1 B-VG auch abzuleitenden Rechtsstaatsprinzipes das weitere Bedenken, daß dies eine verfassungsrechtlich nicht zulässige, weil unbeschränkte Rechtskraftdurchbrechung darstellt, die den Rechtsunterworfenen und der Bestand seiner ihm erteilten Bewilligung in das völlige Belieben der Verwaltungsbehörde stellt (vgl. das zur Problematik der Rechtskraftdurchbrechung, wie sie §299 Abs2 BAO normiert, ergangene dg. Erkenntnis vom 19. Juni 1965, Slg. 4986).
5. Gleichheitsrechtliche Bedenken:
Die dargelegte mangelhafte Determinierung bei der Vorschreibung von Bedingungen und der Festlegung des Umfanges der Bewilligung führt aber auch zu gleichheitsrechtlichen Bedenken (Art.. 7 B-VG, Art2 StGG), weil eine solche Bestimmung eine gegenüber dem einzelnen Normadressaten völlig willkürliche Vollziehung ermöglicht (siehe in diesem Sinn das jüngst ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 1993, G87/91 u.a.). Gleichheitsrechtliche Bedenken bestehen insbesondere auch im Hinblick auf die eingeräumte Möglichkeit, dem Bewilligungswerber jederzeit weitere Bedingungen aufzuerlegen oder die Bewilligung einzuschränken.
6. Bedenken im Hinblick auf Art6 StGG:
Die angefochtenen Teile des §1 Abs4 leg.cit. stellen sich aber auch im Hinblick auf die in Art6 StGG festgelegte Erwerbsfreiheit als bedenklich dar.
Nach der ständigen älteren Rechsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 21. Juni 1961, Slg. 3968, vom 6. Juni 1961, Slg. 4011, vom 13. Dezember 1968, Slg. 5871, und vom 9. Oktober 1981, Slg. 9233) ermächtigt der in Art6 StGG im Zusammenhang mit der Erwerbsfreiheit enthaltene Gesetzesvorbehalt den Gesetzgeber, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß die Berufsausübung nur unter gewissen Voraussetzungen erlaubt oder unter gewissen Voraussetzungen verboten ist, sofern er dabei nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes und die sonstigen Vorschriften der Bundesverfassung verletzt. Nach der jüngeren Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 23. Juni 1986, Slg. 10.932, und vom 11. März 1994, G73/93-21 u.a. und die in letzerem zitierte Vorjudikatur) sind solche gesetzlichen Beschränkungen des Grundrechtes auf Erwerbsfreiheit darüber hinaus nur zulässig, wenn sie im öffentlichen Interesse liegen, die vorgesehene beschränkende Maßnahme ein zur Verfolgung dieses öffentlichen Interesses taugliches und adäquates Mittel ist, es keine gelinderen, diesem öffentlichen Interesse dienenden Maßnahmen gibt und die Maßnahme auch sonst sachlich gerechtfertigt ist.
Die Möglichkeit der Vorschreibung von Bedingungen, unter denen eine Bewilligung für die Ausübung eines Gewerbes erteilt wird und die Einschränkung einer solchen Bewilligung, wie sie die angefochtenen Teile des §1 Abs4 leg. cit. vorsehen, stellen zweifellos die Erwerbsfreiheit einschränkende Regelungen dar. Diese Regelung verstößt schon deshalb gegen das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit, weil sie diese Einschränkungen der angeführten Erwerbsausübung ohne irgendeine inhaltliche Determinierung vorsieht. Aus diesem Umstand allein ergibt sich schon, daß diese die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit beschränkende Regelung den angeführten, in der jüngeren Judikatur des Verfassungsgerichtshofes aufgestellten Kriterien nicht entsprechen kann. Es ergibt sich aus dieser Bestimmung aber auch nicht jener von Art6 StGG her gebotene Rechtsanspruch bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen, die die Berufsausübung einschränken (vgl. die Ausführungen zu Pkt. 4 und das zitierte dg. Erkenntnis Slg. 5240). Die angefochtenen Teile des §1 Abs4 leg.cit. verstoßen daher auch gegen Art6 Abs1 StGG."
4. Die Wiener Landesregierung verteidigt in ihrer Äußerung die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen. Das Verbot von Akkumulativwetten verfüge keine Einschränkung der erworbenen Berechtigung sondern nehme eine notwendige Abgrenzung zum Glücksspielgesetz vor, zumal Akkumulativwetten alle Tatbestandsmerkmale einer Ausspielung im Sinne des §2 Abs1 Glücksspielgesetz aufwiesen, weshalb ein dem Bund vorbehaltenes Glücksspiel vorliege.
§1 Abs4 räume der vollziehenden Behörde einen sehr weiten Ermessensspielraum ein, wobei nicht außer acht gelassen werden dürfe, daß diese Bestimmung das einzige Instrument darstelle, um der Vollzugsbehörde einen Handlungsspielraum einzuräumen, der zum Schutz der Berufsgruppe die Schaffung der notwendigen und erforderlichen Rahmenbedingungen ermögliche. Zur Aufrechterhaltung ordnungsgemäßer Buchmacher- und Totalisateurbetriebe müßte der Beurteilung der ausreichenden Bestimmtheit der gegenständlichen Gesetzesstelle eine sehr weite Auslegung des Legalitätsprinzipes zugrunde gelegt werden.
Die weiteren Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes, daß §1 Abs4 mit den Bestimmungen des Art7 B-VG und Art2 StGG in Widerspruch stehe, träfen nicht zu, da diese Gesetzesstellen den einzelnen Bürger ohnehin gegen willkürliches Vorgehen eines Vollzugsorganes schützten.
Auch die durch Art6 StGG gewährte Erwerbsfreiheit sei nicht eingeschränkt. Die Auflagen im Zusammenhang mit der Erteilung der Bewilligung stellten adäquate Mittel dar, denen ein "nachvollziehbares öffentliches Interesse" zugrunde liege, welches "im wesentlichen seinen Ausdruck in der ordnungsgemäßen Geschäftsabwicklung der Buchmacher- und Totalisateurbetriebe sowie in der Erhaltung der für die Überwachung und Kontrolle der 'Wettbranche' notwendigen Transparenz" finde.
Die Wiener Landesregierung ersucht, dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes nicht stattzugeben, für den Fall einer Aufhebung jedoch eine Frist von einem Jahr zu setzen.
5. Über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes gab das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst eine Stellungnahme ab, in dem es die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes zur mangelnden Determiniertheit teilt, zumal §1 Abs4 des angefochtenen Gesetzes für die Setzung von Bedingungen oder für die Einschränkung der Bewilligung keine inhaltlichen Kriterien enthielte, sowie beides jederzeit in einem anscheinend unbegrenzten Ausmaß ermöglichte. Auch aus anderen gesetzlichen Bestimmungen oder dem Zweck der Regelung ergebe sich keine ausreichende Determinierung.
Zur Frage der Übernahme der angefochtenen Bestimmung in die Rechtsordnung des B-VG 1920 führt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst aus:
"Das Gesetz betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens, StGBl. Nr. 388/1919, ist vor Inkrafttreten des B-VG erlassen worden. Es ist daher notwendig zu klären, ob eine Überleitung in die Rechtsordnung des B-VG 1920 stattgefunden hat.
Gemäß §1 des Übergangsgesetzes 1920, in der Fassung des BGBl. Nr. 368/1925 (ÜG 1920), gelten '(a)lle Gesetze und Vollzugsanweisungen (Verordnungen) des Staates ... sowie alle Gesetze und Vollzugsanweisungen (Verordnung) der Länder ... weiter, insoweit sie nicht mit den Bestimmungen des Gesetzes vom 1. Oktober 1920, StGBl. Nr. 450, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz), in Widerspruch stehen.' Eine Weitergeltung des in Rede stehenden Gesetzes ist damit nur insoweit möglich, als nicht ein Widerspruch zu dieser positivrechtlich formulierten Derogationsklausel (vgl. Kelsen-Froehlich-Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920 (1922), 309;
VfSlg. 3364/1958) vorliegt.
Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. zB VfSlg. 7151/1973 mwH) den Standpunkt vertreten, daß die Frage, ob durch das Wiederinkrafttreten einer österreichischen Verfassungsvorschrift im Jahre 1945 die im damaligen Zeitpunkt bestehenden, ihr widersprechenden einfachen Rechtsvorschriften aufgehoben worden sind, vom Inhalt der Verfassungsvorschrift abhängt; nur insoweit darin eine Anordnung liege, die das Weiterbestehen aller oder gewisser widersprechender Rechtsvorschriften ausschließt sie also außer Kraft setzt, sei Derogation eingetreten. Dieser Standpunkt gelte für die Frage, ob eine einfache Rechtsvorschrift Eingang in die vom B-VG beherrschte Rechtsordnung gefunden hat, allgemein.
Nach dieser Judikatur ist allen dem Art18 Abs2 B-VG widersprechenden sog. formalgesetzlichen Delegationen durch das Vollwirksamwerden der Bundesverfassung am 19. Dezember 1945 inhaltlich derogiert worden (vgl. zB VfSlg. 1871/1949, 3585/1959, 3853/1960, 5810/1968 mwH, 7228/1973). Formalgesetzlichen Delegationen in Rechtsvorschriften der Monarchie oder aus der Zeit von 1918 bis 1920 wurde allerdings bereits im Jahr 1920 durch das (erstmalige) Inkrafttreten des Art18 Abs2 B-VG derogiert (VfSlg. 2632/1954, 7228/1973; ebenso Brande, Verfassungs- und Rechtsüberleitung, Wenger-FS (1983), 181 (217); Kopetzki, Rechtsfragen des Anhalteverfahrens, ÖJZ 1988, 193 (197 bei FN 33); Davy, Streik und Grundrechte in Österreich. Eine verfassungsdogmatische Untersuchung über die grundrechtlichen Rahmenbedingungen für Streikmaßnahmen (1989), 166 FN 87).
Dem Art18 Abs1 B-VG hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Judikatur zunächst hingegen keinen derogatorischen Inhalt beigemessen (vgl. VfSlg. 5810/1968, 6278/1970). Mit dem Erkenntnis VfSlg. 7151/1973 (vgl. auch VfSlg. 9883/1983) wurde diese Rechtsprechung jedoch der Sache nach aufgegeben.
Es dürfte somit ... davon auszugehen sein, daß §1 Abs4 des angefochtenen Gesetzes (zumindest soweit diese Bestimmung zur Setzung von Bedingungen oder zur Einschränkung der Bewilligung ermächtigt) keinen Eingang in die vom B-VG beherrschte Rechtsordnung gefunden hat und gemäß §1 iVm §43 ÜG 1920 bereits mit dem Inkrafttreten des B-VG am 10. November 1920 außer Kraft getreten ist (vgl. VfSlg. 7151/1973)."
Zu den Auswirkungen des Wiener Rechtsbereinigungsgesetzes, LGBl. 5/1985, meint das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst, daß die angefochtene Bestimmung auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht wieder in Kraft gesetzt worden sein dürfte. Insbesondere ergebe sich kein Wiederinkrafttreten aus diesem Gesetz.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987, 12189/1989).
Dies trifft im vorliegenden Fall offenkundig nicht zu. Auch ist der Antrag nicht überschießend, da - wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausführt - die angefochtenen Wortfolgen des §1 Abs4 in einem sprachlich und vom Sinn der Anordnung her untrennbaren Zusammenhang stehen.
Da auch den sonstigen Erfordernissen des §62 Abs1 zweiter Satz VerfGG entsprochen ist, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. Der Verfassungsgerichtshof kann dem Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst darin nicht zustimmen, daß die angefochtene Gesetzesstelle des §1 Abs4 nicht mehr in Geltung steht und zwar aus folgenden Überlegungen:
2.1. Das Gesetz vom 28. Juli 1919 betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens, StGBl. 388/1919, ist vor Inkrafttreten des Bundes-Verfassungsgesetzes erlassen worden. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob dieses Gesetz in die Rechtsordnung des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 übergeleitet wurde.
§1 des Übergangsgesetzes 1920, BGBl. 2, gebietet unter anderem, daß alle Gesetze und Vollzugsanweisungen (Verordnungen) des Staates sowie alle Gesetze und Vollzugsanweisungen (Verordnungen) der Länder weiter gelten, insoweit sie nicht mit den Bestimmungen des Gesetzes vom 1. Oktober 1920, StGBl. 450, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz) in Widerspruch stehen. Diese Bestimmung ist eine positiv ausgedrückte Derogationsklausel (vgl. Kelsen-Froehlich-Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920 (1922); VfSlg. 3364/1958), anhand derer zu prüfen ist, ob die angefochtenen Wortfolgen mit ihr in Widerspruch stehen.
2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 7151/1973 dargelegt hat, entspricht es seiner ständigen Rechtsprechung, daß die Frage, ob durch das Wiederinkrafttreten einer österreichischen Verfassungsvorschrift im Jahr 1945 die im damaligen Zeitpunkt bestehenden, ihr widersprechenden einfachen Rechtsvorschriften aufgehoben worden sind, vom Inhalt der Verfassungsvorschrift abhängt; nur soweit darin eine Anordnung liegt, die das Weiterbestehen aller oder gewisser widersprechender Rechtsvorschriften ausschließt, sie also außer Kraft setzt, ist Derogation eingetreten. Dies gilt auch allgemein für die Beantwortung der Frage, ob eine einfache Rechtsvorschrift Eingang in die vom B-VG beherrschte Rechtsordnung gefunden hat.
Der Verfassungsgerichtshof hat betreffend §5 Abs1 Landstreichergesetz (VfSlg. 7151/1973), welcher die Durchführung eines Strafverfahrens und die Verhängung einer Strafe völlig dem Gutdünken der Polizeibehörde anheim gestellt hat, einen solchen Widerspruch zu Art18 Abs1 B-VG angenommen und ausgesprochen, daß diese Bestimmung nicht in die vom Bundes-Verfassungsgesetz beherrschte Rechtsordnung Eingang gefunden hat.
Es stelle jedoch nicht jegliche mangelnde Bestimmtheit im Sinne des Art18 B-VG einen solchen Widerspruch dar.
2.3. Gemäß §1 Abs4 kann die Landesregierung die Bewilligung der gewerbsmäßigen Vermittlung und des gewerbsmäßigen Abschlusses von Wetten aus Anlaß sportlicher Veranstaltungen jederzeit von Bedingungen abhängig machen, sie einschränken oder zurücknehmen, letzteres für den Fall, daß die Voraussetzung der vollen Vertrauenswürdigkeit nicht mehr zutrifft oder eine vorgeschriebene Bedingung nicht mehr eingehalten wird. Die mangelnde Determinierung erstreckt sich hier nicht auf die Regelung in ihrer Gesamtheit, sondern nur (wie noch unter Pkt. 3. näher dargetan wird) auf einige Worte. Hievon geht auch der antragstellende Verwaltungsgerichtshof aus.
Anders als in dem dem Erkenntnis VfSlg. 7151/1973 zugrundeliegenden Fall, bei dem das Verwaltungshandeln im Strafverfahren völlig in das Belieben der Behörde gestellt war, erreicht die Unbestimmtheit des §1 Abs4 nicht jene Evidenz, die für die Annahme eines geradezu kontradiktorischen Widerspruchs und damit für eine Derogation erforderlich wäre.
Den angefochtenen Wortfolgen ist sohin nicht durch das Inkrafttreten des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 derogiert worden, sie gehören daher weiter dem Rechtsbestand an. Von der unumschränkten Fortgeltung des Gesetzes geht auch der Landesgesetzgeber aus, der mit §1 des Gesetzes zur Bereinigung der Rechtsvorschriften des Landes Wien (Wiener Rechtsbereinigungsgesetz), LGBl. 5/1985, die auf der Stufe von einfachen Gesetzen des Landes Wien in Geltung stehenden Rechtsvorschriften, die vor dem 1. Jänner 1955 in Kraft getreten sind, soweit in den §§2 und 3 nichts anderes bestimmt ist, aufgehoben hat. Die Anlage zu §2 Z3 leg.cit. führt das Gesetz vom 28. Juli 1919 betreffend Gebühren von Totalisateur- und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwettwesens als eine von der Aufhebung durch §1 ausgenommene Rechtsvorschrift an (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des Besonderen Verwaltungsrechts, 2. Auflage, 717).
3. Der Verfassungsgerichtshof teilt das Bedenken des antragstellenden Verwaltungsgerichtshofes und des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst hinsichtlich der nicht hinreichenden Determiniertheit der angefochtenen Wortfolgen des §1 Abs4.
3.1. Die angefochtenen Wortfolgen des §1 Abs4 bestimmen, daß die Behörde Bewilligungen jederzeit von Bedingungen abhängig machen, sie einschränken oder zurücknehmen kann, wenn eine vorgeschriebene Bedingung nicht mehr eingehalten wird, ohne inhaltliche Kriterien für die Festsetzung von Bedingungen oder die Einschränkung der Bewilligung festzusetzen. Anders als im Fall der Rücknahme der Bewilligung mangels voller Vertrauenswürdigkeit ergibt sich aus dem Gesetz und seinem Zweck nicht, um welche Bedingungen es sich handelt und unter welchen Voraussetzungen die Nichteinhaltung zu Entziehungsfolgen führt. Es ist dem Belieben der Behörde anheim gestellt, jederzeit - sohin sowohl bei als auch nach Erteilung der Bewilligung - Bedingungen zu setzen, bei deren Nichteinhaltung die Bewilligung zu entziehen, sowie die Bewilligung einzuschränken.
3.2. Das im Art18 Abs1 B-VG verankerte Rechtsstaatsprinzip gebietet jedoch, daß die Gesetze einen Inhalt haben müssen, durch den das Verhalten der Behörde vorherbestimmt ist. Es ist jedoch - wie sich aus Art130 Abs2 B-VG ergibt - verfassungsgesetzlich zulässig, daß der einfache Gesetzgeber von einer bindenden Regelung des Verhaltens der Verwaltungsbehörde absieht und diese zur Ermessensausübung ermächtigt. Von diesem Ermessen kann die Behörde jedoch nur im Sinne des Gesetzes Gebrauch machen. In diesem Falle müßte das Gesetz die Kriterien, welche für die Ermessensausübung maßgebend sind, normieren (s. zB VfSlg. 12497/1990, 12399/1990, 5810/1968). Die Einräumung von Ermessen ohne jede Eingrenzung, in welchem Sinn das Ermessen auszuüben ist, ist verfassungswidrig (vgl. ua. VfSlg. 12399/1990, 5240/1966).
Hier erfährt das Handeln der Behörde weder aus dem Zweck der Regelung noch aus anderen gesetzlichen Bestimmungen eine Einschränkung. Die angefochtene Regelung, welche es der Behörde völlig anheimstellt, von welchen Bedingungen sie die Bewilligung abhängig macht, oder ob sie die Bewilligung einschränkt - ihr sohin schrankenloses Ermessen einräumt - widerspricht dem Bestimmtheitsgebot des Art18 Abs1 B-VG.
Die in Prüfung stehenden Wortfolgen des §1 Abs4 waren daher schon aus diesem Grund aufzuheben.
Bei diesen Ergebnis erübrigt sich ein näheres Eingehen auf die vom Verwaltungsgerichtshof geäußerten weiteren Bedenken.
4. Um einem rechtspolitischen Bedürfnis des Landesgesetzgebers zu entsprechen, die Vergabe von Bewilligungen in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise von Nebenbestimmungen abhängig zu machen und Konsequenzen an deren Nichterfüllung anzuknüpfen, wurde für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesbestimmung eine Frist bestimmt. Diese gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.
Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz
B-VG.
Der Ausspruch über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art140 Abs5 erster Satz B-VG sowie auf §64 Abs2 und §65 VerfGG.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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