Normen
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
FinStrG §17 Abs2 lita idF BGBl 335/1975
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
FinStrG §17 Abs2 lita idF BGBl 335/1975
Spruch:
§17 Abs2 lita des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1958, BGBl. Nr. 129, betreffend das Finanzstrafrecht und das Finanzstrafverfahrensrecht (Finanzstrafgesetz - FinStrG), idF der Finanzstrafgesetznov. 1975, BGBl. Nr. 335, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1984 in Kraft.
Frühere gesetzliche Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim VfGH ist zu Z B644/78 das Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
a) Die Zweitbf. ist die Ehegattin des Erstbf. Sie betrieb in K unter der Firmenbezeichnung "A-Versand" eine Handelsagentur. Der Erstbf. arbeitete in diesem Geschäftsbetrieb mit. Er besorgte den Ein- und Verkauf, führte die Korrespondenz mit den Lieferanten und Kunden und wickelte die Zollabfertigungen ab.
Im Rahmen dieses Unternehmens wurden Druckwerke aus der Bundesrepublik Deutschland eingeführt. Eine vom Zollamt Innsbruck durchgeführte Überprüfung der Geschäftsunterlagen ergab, daß der Erstbf. bestimmte ausländische Lieferanten veranlaßt hatte, die Versand- und Portokosten mit einer eigenen (nicht für die Vorlage bei der Zollbehördebestimmten) Faktura in Rechnung zu stellen; dies in der erklärten Absicht, sich die auf diese Kosten entfallenden Eingangsabgaben zu ersparen.
b) Wegen dieses Verhaltens wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tir. (FLD) vom 2. November 1978 (der den Gegenstand des Anlaß-Beschwerdeverfahrens B644/78 bildet) der Erstbf. schuldig erkannt, dadurch das Finanzvergehen der Hinterziehung von Eingangsabgaben nach §35 Abs2 Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958 idF der Nov. BGBl. Nr. 355/1975, (im folgenden kurz als "FinStrG" bezeichnet) begangen zu haben, daß er in den Jahren 1975 und 1976 zur Verkürzung von 555 S an Eingangsabgaben vorsätzlich beigetragen und die Verkürzung von 152 S an Eingangsabgaben bewirkt habe; ferner dadurch das Finanzvergehen der fahrlässigen Verkürzung von Eingangsabgaben nach §36 Abs2 leg. cit. begangen zu haben, daß er am 3. Feber 1976 eingangsabgabenpflichtige Bücher, auf die 61 S an Eingangsabgaben entfielen, fahrlässig dem Zollverfahren entzogen habe. Über den Erstbf. wurde gemäß §§21, 35 Abs4 und 36 Abs3 FinStrG eine Geldstrafe von 1000 S und eine Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen verhängt. Gemäß §35 Abs4 iVm. §17 FinStrG wurde auf Verfall verschiedener näher bezeichneter Druckwerke erkannt.
Für eine Reihe weiterer näher bezeichneter Druckwerke wurde gemäß §19 Abs1 FinStrG statt auf Verfall auf Wertersatz in der Höhe von 685048 S erkannt; gemäß §20 FinStrG wurde für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 2 Monaten festgesetzt.
Schließlich wurde mit diesem Bescheid ausgesprochen, daß die Zweitbf. für den Wertersatz gemäß §28 Abs2 FinStrG hafte.
c) Die Behörde vertritt in diesem Berufungsbescheid die Ansicht, daß jene Waren, hinsichtlich derer bei der Einfuhr ein Teil der auf sie entfallenden Einfuhrumsatzsteuer hinterzogen wurde, gemäß §17 Abs2 lita FinStrG dem Verfall unterliegen, und daß daher nach §19 Abs1 FinStrG auf Wertersatz zu erkennen sei, soweit der Verfall nicht realisierbar sei. Den von den Berufungswerbern (den Bf. des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens) eingenommenen Standpunkt, daß nur die (verschwiegenen) Versandkosten, nicht aber die Waren, die ja ordnungsgemäß erklärt worden seien, Gegenstand des Wertersatzes sein könnten, teilte die bel. Beh. nicht.
2. Die hier in erster Linie bedeutsamen Rechtsvorschriften besagen folgendes:
a) Der erste Abschn. des FinStrG behandelt das Finanzstrafrecht; sein
I. Hauptstück (§§1 bis 32) steht unter der Überschrift "Allgemeiner Teil". In den §§15 bis 20 werden die Strafarten beschrieben (Freiheitsstrafe - §15, Geldstrafe - §16, Strafe des Verfalls - §§17 und 18, Strafe des Wertersatzes - §19 und Ersatzfreiheitsstrafen - §20).
Nach §17 Abs1 FinStrG darf auf die Strafe des Verfalls nur in den im II. Hauptstück des ersten Abschnittes vorgesehenen Fällen erkannt werden.
§17 Abs2 FinStrG lautet:
"(2) Dem Verfall unterliegen:
a) die Sachen, hinsichtlich derer das Finanzvergehen begangen wurde, samt Umschließungen;
b) ..."
Dem §19 Abs1 FinStrG zufolge ist statt auf Verfall auf die Strafe des Wertersatzes zu erkennen, wenn "a) im Zeitpunkt der Entscheidung feststeht, daß der Verfall unvollziehbar wäre, b) auf Verfall nur deshalb nicht erkannt wird, weil das Eigentumsrecht einer anderen Person berücksichtigt wird".
Gemäß §19 Abs3 leg. cit. entspricht die Höhe des Wertersatzes "dem gemeinen Wert, den die dem Verfall unterliegenden Gegenstände im Zeitpunkt der Begehung des Finanzvergehens hatten".
§28 Abs2 FinStrG sieht vor, daß unter bestimmten Voraussetzungen der Vertretene für den dem Vertreter auferlegten Wertersatz haftet.
b) Das II. Hauptstück (§§33 bis 52) des ersten Abschnittes des FinStrG ist mit "Besonderer Teil" überschrieben. Hier werden die einzelnen Tatbilder umschrieben und die Strafen festgesetzt.
So bestimmt der unter dem Titel "Schmuggel und Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben" stehende §35 in seinem Abs4 ua., daß die Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben mit einer Geldstrafe bis zum Zweifachen des Verkürzungsbetrages geahndet wird. "Neben der Geldstrafe ist nach Maßgabe des §15 auf Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu erkennen. Auf Verfall ist nach Maßgabe des §17 zu erkennen."
3. Der VfGH hat aus Anlaß des oben unter I.1. erwähnten Beschwerdeverfahrens beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Vefassungsmäßigkeit der lita des §17 Abs2 FinStrG einzuleiten.
Der VfGH nahm vorläufig an, daß er diese Gesetzesbestimmung im Anlaßbeschwerdeverfahren anzuwenden habe. Er hatte gegen diese Vorschrift das Bedenken, daß sie dem auch den Gesetzgeber bindenden - sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden - Sachlichkeitsgebot widerspreche.
Des näheren begründete er diese vorläufige Annahme mit nachstehenden Überlegungen:
"a) Der Verfall stellt - worauf schon die Überschrift zu §17 FinStrG, aber auch der Wortlaut des Abs1 hinweisen - anscheinend eine Strafe dar (vgl. auch OGH 18. Dezember 1975 13 Os 76/75, EvBl. 133/1976 und 10. August 1976 10 Os 54/76, EvBl. 62/1977). Zumindest dürfte der Strafcharakter des Verfalles andere allenfalls im Einzelfall auch verfolgte Zwecke überwiegen.
Daraus scheint sich zu ergeben, daß die Strafe des Verfalles in einem angemessenen Verhältnis zur Schuld und zur Höhe des Verkürzungsbetrages zu stehen hat (vgl. hiezu zB OGH 23. Juni 1967 12 Os 218/66; s. auch EuMRKomm. 3. März 1978 Z 7287/75, EvBl. 10/1980).
b) Die Höhe der - obligatorisch zu verhängenden - Strafe des Verfalles (und der unter den Voraussetzungen des §19 FinStrG an die Stelle des Verfalles tretenden Strafe des Wertersatzes) ist - im Gegensatz zur Geldstrafe und Freiheitsstrafe (s. insbesonders §23 leg. cit.) - offenbar vom Gesetz absolut vorgeschrieben; es scheint keinen flexiblen Strafrahmen zu geben; vielmehr ist, wenn die Voraussetzungen für den Verfall (bzw. den Wertersatz) vorliegen, die gesamte "Sache, hinsichtlich derer das Finanzvergehen begangen wurde" (der gesamte Tatgegenstand), für verfallen zu erklären (bzw. auf Wertersatz in der Höhe des gemeinen Wertes - §19 Abs3 FinStrG - des gesamten Tatgegenstandes zu erkennen).
Auf Verfall (bzw. Wertersatz) darf nur in den im II. Hauptstück des ersten Abschnittes FinStrG vorgesehenen Fällen erkannt werden (§17 Abs1 FinStrG). Es ist zwar allenfalls einzusehen, daß in derartigen Fällen in der Regel schon aus Gründen der General- und Spezialprävention sehr strenge, das Eigentum belastende Strafen vorgesehen werden, wie solche Strafen (etwa bei Schmuggel) auch zum Standard anderer europäischer Rechtsordnungen zu gehören scheinen (vgl. die oben zitierte Entscheidung der EuMRKomm. vom 3. März 1978). Der VfGH nimmt aber vorläufig an, daß die Höhe von Strafen des Verfalles (des Wertersatzes) auch in diesen Fällen nicht außer jeder Relation zur Höhe des Verkürzungsbetrages stehen darf.
c) Zu einer derartigen Unverhältnismäßigkeit kann aber §17 Abs2 lita FinStrG offenbar führen. Hiefür scheint dieser Fall ein Beispiel zu sein, sofern die Auslegung der bel. Beh. zutrifft; dann hat nämlich die Verkürzung von Eingangsabgaben in der Höhe von etwa 700 S eine Wertersatzstrafe von nahezu 700000 S, also ungefähr das Tausendfache des Verkürzungsbetrages, zur Folge.
Selbst wenn man aber in diesem Beschwerdefall - etwa in Anlehnung an das Urteil des OGH vom 11. Oktober 1977, 11 Os 114/77, EvBl. 48/1978 - zu einem anderen Ergebnis gelangen sollte, könnten ähnliche Überlegungen in anderen Fällen offenbar von vornherein nicht angestellt werden. So dürfte dann, wenn die Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht zwar in Ansehung der eigentlichen Sache verletzt wurde, aber die daraus resultierende Abgabenverkürzung in Relation zum Wert der gesamten Sache minimal ist (wenn sich beispielsweise die Pflichtverletzung auf einen verhältnismäßig geringwertigen unselbständigen Bestandteil bezieht), §17 Abs2 lita FinStrG unausweichlich gebieten, die gesamte Sache für verfallen zu erklären, auch wenn - wie gesagt - ihr Wert ein Vielfaches des Verkürzungsbetrages ausmacht.
d) Der VfGH hat zwar schon wiederholt finanzstrafrechtliche Bestimmungen über den Verfall angewendet, ohne die vorstehenden Bedenken zu äußern (vgl. zB VfSlg. 4258/1962, 7286/1974). Offenbar trat das Problem der Verhältnismäßigkeit unter den Gesichtspunkten dieser früheren Fälle nicht in Erscheinung.
Wohl aber hat der VfGH eine ähnliche Frage - nämlich jene, ob eine Eingangsabgabe eine unangemessene Belastung darstelle - in dem mit Erk. vom 14. Juni 1982, B304/79, abgeschlossenen Verfahren erörtert. In dieser Entscheidung wird die Bestimmung des Zollgesetzes, die zu einer relativ sehr hohen Belastung mit einer Eingangsabgabe führen kann, vor allem damit gerechtfertigt, daß die Vorschrift eine praktikable Vollziehung des Gesetzes gewährleistet."
4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den Antrag stellt, die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben.
Begründend führt sie hiezu aus:
"Der VfGH hat §17 Abs2 lita FinStrG wegen Widerspruchs gegen das Sachlichkeitsgebot in Prüfung gezogen, und zwar mit der Begründung, daß die Strafe des Verfalles in einem angemessenen Verhältnis zur Schuld und zur Höhe des Verkürzungsbetrages zu stehen habe. Dazu ist auf folgendes hinzuweisen:
1. Die Systematik des FinStrG ist so gestaltet, daß zunächst im I. Hauptstück (§§15 - 20) Straftypen wie 'Geldstrafen', 'Freiheitsstrafen', 'Verfall' usw. normativ abstrakt beschrieben werden, und zwar durch Festlegung des Mindest- und Höchstausmaßes der Strafe, durch Festlegung, was zB der Strafe des Verfalls unterliegt usw. Davon gesondert werden sodann erst im II. Hauptstück des FinStrG (§§33 - 52) Strafnormen geschaffen, indem dort Tatbilder beschrieben und Rechtsfolgen daran geknüpft werden. Was ein Finanzvergehen ist und welche Strafe bei einem bestimmten Finanzvergehen zu verhängen ist, ergibt sich daher erst aus dem II. Hauptstück des FinStrG (§§33 - 52).
2. §17 Abs2 lita FinStrG kann daher für sich allein in dem durch den Beschwerdefall als präjudiziell abgegrenzten Zusammenhang aus folgenden Überlegungen nicht dem Sachlichkeitsgebot widersprechen:
a) §17 Abs2 lita FinStrG enthält selbst keine Aussage darüber, wenn und unter welchen Umständen auf die Strafe des Verfalls zu erkennen ist; es wird vielmehr diesbezüglich zur Gänze auf die §§33 bis 52 FinStrG verwiesen. Da aber die sachliche Rechtfertigung einer Strafe im Hinblick auf das angemessene Verhältnis zur Schuld und zur Höhe des Verkürzungsbetrages nur anhand jener Bestimmung geprüft werden kann, die an einem bestimmten Tatbestand diese Rechtsfolge knüpft (- dies wäre im vorliegenden Fall §35 Abs4 FinStrG -), kann die Norm, die ausschließlich eine bestimmte Rechtsfolge abstrakt beschreibt (- dies wäre im vorliegenden Fall §17 Abs4 FinStrG -) unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit nicht gemessen werden. Denn die bloße Beschreibung der Strafart hat naturgemäß keine Beziehung zu einem bestimmten Delikt und der individuellen Schuld des Täters oder zum Verkürzungsbetrag an Abgaben im konkreten Fall.
b) Wenn der VfGH rügt, daß §17 Abs2 lita FinStrG "unausweichlich gebietet, die gesamte Sache für verfallen zu erklären, auch wenn ihr Wert ein Vielfaches des Verkürzungsbetrages ausmacht", so kann diesem Argument deshalb nicht gefolgt werden, da sich dies ursächlich nicht aus §17 Abs2 lita, sondern aus §35 Abs4 FinStrG ergibt, der jedoch nicht Gegenstand der Prüfung ist. Das gemß §17 der Verfall darin besteht, daß ihm "die Sachen, hinsichtlich derer das Finanzvergehen begangen wurde", unterliegen, kann für sich betrachtet nicht unsachlich sein, weil damit der Frage, in welchen Fällen ein Verfall verhängt werden darf, nicht vorgegriffen wird.
c) Die Bedenken des VfGH gegen §17 Abs2 lita könnten auch so verstanden werden, daß gerügt wird, §17 Abs2 lita kenne keinen 'teilweisen Verfall', sondern nur den Verfall der 'gesamten Sache'. Hiezu ist zu sagen, daß den österreichischen Verwaltungsvorschriften die Strafe des Verfalls in Form eines Teilverfalls einer Sache in Relation zum Ausmaß des Verschuldens oder zur Höhe des durch das strafbare Verhalten eingetretenen Schadens fremd ist. Tatsächlich wäre ein Teilverfall auch kaum vollziehbar, weil in allen Fällen die Teilbarkeit der Sache vorausgesetzt würde, im übrigen aber die Frage, welcher Teil im Falle eines auf die gesamte Sache bezogenen Finanzvergehens für verfallen erklärt werden soll, unlösbar ist. Somit kann auch im Fehlen des Straftypus "Teil-Verfall" im §17 keine Unsachlichkeit dieser Regelung erblickt werden.
Die Berücksichtigung der Angemessenheit bei der Verhängung der Strafe des Verfalls könnte daher - bei einer systemkonformen Lösung - nur dadurch erfolgen, daß bei besonderer Geringfügigkeit des verursachten Schadens allenfalls nicht auf Verfall zu erkennen wäre, sondern auf eine andere (oder auch gar keine) Strafe (so zB ausdrücklich §20 Abs3 StGB). Daran, daß der Sitz einer solchen Bestimmung nach der Systematik des FinStrG im II. Hauptstück des FinStrG zu sein hätte, ist festzuhalten:
In §17 Abs2 lita kann, da es sich hier ausschließlich um eine eine Strafart beschreibenden Norm handelt, kein Verhältnismäßigkeitsproblem auftreten; dieses setzt einen Maßstab, nämlich die Tatbestände, an welche diese Strafe geknüpft wird, voraus. Diese Tatbestände finden sich aber erst in den §§33 ff und nicht im §17 Abs2 lita.
3. Die Bundesregierung verkennt jedoch nicht die vom VfGH aufgeworfene Problematik, auch wenn sie sich nach Auffassung der Bundesregierung nur im Hinblick auf den nicht in Prüfung gezogenen §35 Abs4 FinStrG zu stellen scheint.
Ausgehend davon, daß Gegenstand der amtswegigen Prüfung gesetzlicher Bestimmungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit immer nur der durch die zugrunde liegende Beschwerde präjudizielle Aspekt einer Bestimmung sein kann, steht im vorliegenden Fall nur die Verhältnismäßigkeit der Strafe des Verfalls bei geringfügigen Hinterziehungsbeträgen (- die aber die gesamte Sache, die für verfallen zu erklären ist, betreffen -) zur Diskussion. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Verfalls im Hinblick auf die Schuld kann im vorliegenden Zusammenhang wohl nicht gestellt werden, da Vorsatz mit ausführlichen Vorbereitungshandlungen offenbar vorliegt und daher von Geringfügigkeit im Hinblick auf die Schuld nicht gesprochen werden kann. Weiters ist ausdrücklich festzuhalten, daß Gegenstand der Prüfung der 'Verhältnismäßigkeit' des Verfalls im vorliegenden Verfahren der Verfall als Strafe und nicht etwa auch als Sicherungsmaßnahme ist.
Zur Verhältnismäßigkeit der Verfallsstrafe bei großem Unterschied zwischen dem Warenwert und dem Hinterziehungsbetrag ist folgendes festzuhalten:
a) Es ist - wieder VfGH auch selbst ausführt - international anerkannter Standard, daß bei Vergehen die Eingangs- und Ausgangsabgabenpflicht der Verfall als Strafe vorgesehen und die regelmäßig beträchtliche Differenz zwischen Warenwert und Hinterziehungsbetrag aus Gründen der General- und Spezialprävention geradezu gewollt ist.
Der VfGH hat in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen, daß es insbesondere unter den Gesichtspunkten des Gleichheitsgebotes und der Unverletzlichkeit des Eigentums verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wenn der Gesetzgeber die Begehung von Finanzdelikten auch mit der Sanktion des Vermögensverlustes wie des Verfalls von Tatgegenständen belegt. Auch der OGH hat es in seinem Urteil vom 20. August 1976, 10 Os 54/76, als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, wenn die Strafe des Verfalls bzw. Wertersatzes den Täter eines damit bedrohten Finanzvergehens auch dann an seinem Vermögen trifft, wenn - wie es bei der Hinterziehung von Abgaben häufig zutrifft - die betreffende Abgabenschuld nur teilweise verkürzt wurde.
b) Ein Fall wieder präjudizielle Beschwerdefall, in dem der Unterschied zwischen Warenwert und Hinterziehungsbetrag das 1000-fache beträgt, und in dem dennoch (zunächst) auf Verfall der Gesamtsache zu erkennen ist, ist seinem Typus nach jedoch ein krasser Einzelfall:
An sich ist in Fällen, in welchen die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat - dies läge hier vor - ein Absehen von der Strafe gemäß dem §25 Abs1 FinStrG zwingend vorgesehen, wenn nur auch das Verschulden des Täters geringfügig ist. Eine Konstellation, in der eine im Verhältnis zum Wert des eingeführten Gutes lächerlich geringe Abgabenhinterziehung mit Vorsatz betrieben wird, wird nun immer ein Einzelfall bleiben, weil äußerst selten ein so großes Risiko wie das des Verfalls der gesamten Sache bei einem so geringen Nutzen in Kauf genommen werden wird.
Der Kreis der im Rahmen des §25 FinStrG nicht abfangbaren Sonderfälle wird zusätzlich noch dadurch verkleinert, daß nicht einmal das Vorliegen von Vorsatz das Absehen von der Strafe ausschließt. Dies ergibt sich zB auch aus §6 Abs3 Gasöl-Steuerbegünstigungsgesetz (idF der FinStrG-Nov. BGBl. Nr. 335/1975), nach welchem §25 des FinStrG auf Abgabenhinterziehungen - also Vorsatzdelikte - der im §6 Abs1 Gasöl-Steuerbegünstigungsgesetz bezeichneten Art nicht anzuwenden ist, welche Regelung nicht notwendig wäre, wenn §25 FinStrG bei Vorsatzdelikten von vornherein wegen Fehlens der Voraussetzung des geringfügigen Verschuldens nicht anwendbar wäre. Fälle aber, in welchen noch dazu besondere Mühe aufgewendet wird - also "qualifizierter" Vorsatz vorliegt -, um geringfügige Vorteile unter größtem Risiko zu erwirken, kommen angesichts der Sinnlosigkeit eines solchen Verhaltens kaum vor. Nur in solchen extremen Ausnahmefällen könnte wohl von dem zwingenden Absehen der Verfallsstrafe gemäß §25 Abs1 FinStrG kein Gebrauch gemacht werden.
Daß aber gesetzliche Regelungen, die in Ausnahmefällen zu unbefriedigenden Ergebnissen und Härten führen können, nicht gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen, ist ständige Judikatur des VfGH (vgl. Slg. 3568, 4176, 4930, 5098, 5958, 6260, 6419, 6471, 7891, 8767, 8942).
Weiters sei ergänzend noch darauf hingewiesen, daß selbst für jene extremen Ausnahmefälle, in welchen die Schuld des Bestraften ein Absehen von der Strafe gemäß §25 Abs1 FinStrG nicht gerechtfertigt erscheinen läßt, ein brauchbares Korrektiv im FinStrG enthalten ist:
Die außergewöhnliche Differenz zwischen Hinterziehungsbetrag und Wert der verfallenen Sache stellt zweifellos einen berücksichtigungswürdigen Umstand iS des §187 FinStrG dar, der die gnadenweise Nachsicht der Strafe ermöglichen würde. Es kann daher mit Recht davon ausgegangen werden, daß selbst für außergewöhnliche Extremfälle das FinStrG insgesamt sachlich adäquate Regelungen enthält."
II. Der VfGH hat zur Frage der Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens erwogen:
1. a) Die Anlaßbeschwerde (I.1.) ist zulässig. Der VfGH wird also über sie in der Sache zu entscheiden haben.
Bedeutsam ist im Beschwerdefall der Ausspruch über den Wertersatz (§19 FinStrG) und die Haftung für den Wertersatz (§28 leg. cit). Darauf darf nur erkannt werden, wenn zunächst auf Verfall zu erkennen ist.
Im Beschwerdefall geht es also vor allem um die Lösung der Frage, ob die eingeführten Druckwerke an sich für verfallen erklärt werden hätten werden dürfen, obgleich die Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht nicht bezüglich dieser Druckwerke selbst, sondern lediglich in Ansehung der Versand- und Portospesen verletzt wurde; ob also dennoch diese Druckwerke von der lita des §17 Abs2 FinStrG erfaßt werden.
Der VfGH hat sohin diese bundesgesetzliche Vorschrift im Anlaß-Beschwerdeverfahren anzuwenden.
b) Das bestreitet auch die Bundesregierung in ihrer Äußerung (I.4.) nicht. Sie meint jedoch, daß §17 Abs2 lita FinStrG für sich allein nicht dem Sachlichkeitsgebot widersprechen könne. Sie ist der Ansicht, daß der Sitz der angenommenen Verfassungswidrigkeit nicht (allein) in der Prüfung gezogenen Bestimmung, die nur die Straftat (abstrakt) regle, sondern (auch) in den Vorschriften über einzelne Tatbestände und die konkret zu verhängenden Strafen (§§33 ff., insbesondere §35 Abs4 FinStrG) sei.
Im übrigen könne "Gegenstand der amtswegigen Prüfung gesetzlicher Bestimmungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit immer nur der durch die zugrunde liegende Beschwerde präjudizielle Aspekt einer Bestimmung sein", sodaß ausschließlich die Verhältnismäßgkeit der Strafe des Verfalls bei geringfügigen Hinterziehungsbeträgen zur Diskussion stehe; daher dürfe im Gesetzesprüfungsverfahren die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Verfalls im Hinblick auf die Schuld releviert werden.
Mit diesen Vorbringen macht die Bundesregierung der Sache nach offenbar die Unzulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens geltend.
c) Die Betrachtungsweisen der Bundesregierung sind verfehlt:
Was ihren ersten Einwand anlangt, ist sie darauf zu verweisen, daß weder §17 noch §35 Abs4 letzter Satz FinStrG allein zum angenommenen verfassungswidrigen Ergebnis führen, sondern erst ihr Zusammenwirken:
Gemäß §35 Abs4 letzter Satz FinStrG darf ua. bei der Hinterziehung von Eingangsabgaben auf Verfall (nur) "nach Maßgabe des §17" erkannt werden. Bei einer solchen Lage hat der VfGH die Verfassungswidrigkeit bei jener Vorschrift aufzugreifen, die den Gegenstand seines Prüfungsverfahrens bildet. Würde §17 Abs2 lita FinStrG aus dem Rechtsstand beseitigt, so würde für den Anlaßfall eine verfassungsrechtlich einwandfreie Rechtsgrundlage hergestellt werden.
Was den zweiten Einwand der Bundesregierung betrifft, ist ihr entgegenzuhalten, daß eine präjudizielle Bestimmung vom VfGH in jeder Hinsicht (losgelöst von den Aspekten des Anlaßfalles) auf ihre Verfassungmäßigkeit geprüft werden kann. Die in andere Richtung gehende Meinung der Bundesregierung findet weder im Wortlaut noch im Zweck des Art140 Abs1 B-VG ihre Deckung: Diese Vorschrift soll es dem VfGH ermöglichen, seine Entscheidung aufgrund einer (in jeder Hinsicht) verfassungsrechtlichen einwandfreien Rechtsgrundlage zu treffen (vgl. zB VfSlg. 3488/1958, 3826/1960).
2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
Es ist demnach zu erörtern, ob die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken zutreffen.
III. In der Sache hat der VfGH erwogen:
1. Im Einleitungsbeschluß hat er keineswegs das Institut des Verfalls an sich in Frage gestellt. Seine Bedenken gingen vielmehr ausschließlich dahin, daß der Verfall als absolute Strafdrohung unabhängig vom Grad des Verschuldens und unabhängig von der Höhe des durch das Finanzvergehen bewirkten Schadens (etwa der Abgabenkürzung) vorgesehen ist.
Diese geäußerten und im Einleitungsbeschluß (I.3.) näher begründeten Bedenken haben sich als zutreffend erwiesen. Die Äußerung der Bundesregierung (I.4.) ist nicht geeignet, sie zu entkräften:
Die Bundesregierung räumt ein, daß das FinStrG eine unvertretbare Diskrepanz zwischen der Höhe des auf Grund des Finanzvergehens eingetretenen Schadens und der Höhe des Verfallbetrages bewirken könne. Sie meint jedoch, daß derartige Fälle äußerst selten eintreten, weshalb der Gesetzgeber sie habe vernachlässigen dürfen. Im übrigen ermögliche es §25 FinStrG in solchen (seltenen) Härtefällen von der Einleitung oder von der weiteren Durchführung eines Finanzstrafverfahrens abzusehen; darüber hinaus räume §187 leg. cit. dem Bundesminister für Finanzen ein Gnadenrecht ein.
Dem ist folgendes entgegenzuhalten:
Es mag sein, daß dem Anlaßbeschwerdefall ein in dieser krassen Weise nur sehr selten eintretender Sachverhalt zugrundeliegt. Daß der Wert der verfallenden Sachen ein Vielfaches des Schadens ausmachen kann, liegt aber im System der in Prüfung gezogenen Verfallsregelung, da diese auf das Verhältnis zwischen dem Wert der dem Verfall unterliegenden Sache einerseits und der Schadenshöhe und der Schuld andererseits nicht Bedacht nimmt. Es hängt von den Zufälligkeiten des Einzelfalles ab, wie bei dieser Finanzstrafe die Relation gestalte ist. Diese Diskrepanz kann nicht dem Hinweis darauf gerecht werden, sie trete nur in seltenen Härtefällen auf. Härtefälle können nämlich nur dann in Kauf genommen werden, wenn die Regelung an sich gleichheitssatzgemäß ist und der Gesetzgeber lediglich aus praktischen Gründen bei der notwendigen Abstraktion des Gesetzes, nicht auf alle denkbaren Einzelfälle Bedacht nehmen konnte. Hier aber ist die Möglichkeit eines exzessiven Mißverhältnisses vom System der Regelung mitgedacht. Unter diesen Voraussetzungen können Rechtsinstitute, die nur dazu dienen, von der Art der Regelung her nicht vermeidbare Härten in Einzelfällen auszuschalten, nicht geeignet sein, die Unsachlichkeit der Verfallsregelung zu beseitigen. Dazu kommt, daß §25 FinStrG nur bei geringfügigem Verschulden des Täters anwendbar ist und daß §187 dieses Gesetzes keinen Rechtsanspruch auf Begnadigung einräumt und überdies der Behörde einen besonders weiten Ermessungsspielraum zur Verfügung stellt.
Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die von der Bundesregierung geltend gemachten Gesichtspunkte der Prävention.
Zusammenfassend ergibt sich, daß §17 Abs2 lita FinStrG aus den im Einleitungsbeschluß vorläufig angenommenen Gründen, die sich als durchwegs stichhältig herausgestellt haben, dem auch der Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot zuwiderläuft.
Diese Gesetzesbestimmung war daher als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Die übrigen Aussprüche gründen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.
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