VfGH G341/2015

VfGHG341/201522.9.2015

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der StPO betr die Ausschließung von Richtern; Entscheidung über die Ablehnung eines Richters keine in erster Instanz entschiedene Rechtssache

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
StPO §45 Abs1, Abs2, Abs3
VfGG §62a Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
StPO §45 Abs1, Abs2, Abs3
VfGG §62a Abs1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. Gegen den Antragsteller ist beim Landesgericht Klagenfurt zZ15 Hv 93/13k wegen des Vorwurfs des Verbrechens der Untreue nach §153 Abs1 und 2 (zweiter Fall) StGB (im zweiten Rechtsgang) ein Strafverfahren im Stadium der Hauptverhandlung anhängig.

Mit Eingabe vom 2. Juli 2015 lehnte der Angeklagte und hg. Antragsteller den Vorsitzenden des Schöffengerichtes (zum wiederholten Male) ab. Mit Beschluss vom 6. Juli 2015, Z45 Ns 34/15z, sprach das Landesgericht Klagenfurt durch seine Vizepräsidentin (als wegen Ausgeschlossenheit des Präsidenten zufolge Verwandtschaftsverhältnisses zur befassten Staatsanwältin in dieser Strafsache zuständige Richterin) aus, dass der Vorsitzende des Schöffengerichtes (nach wie vor) nicht ausgeschlossen sei.

2.1. Gegen diesen Beschluss brachte der Angeklagte beim Landesgericht Klagenfurt Beschwerde ein und stellte am selben Tag beim Verfassungsgerichtshof den auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag, zum einen die Wortfolge "Über die Ausschließung hat der Richter zu entscheiden, dem sie nach §44 Abs2 anzuzeigen ist," in §45 Abs1 erster Satz, in eventu den (ganzen) ersten Satz des §45 Abs1 StPO, und zum anderen §45 Abs3 leg.cit. als verfassungswidrig aufzuheben.

2.2. Für den Fall, dass die Voraussetzungen für die Erhebung eines Parteiantrages nicht vorlägen, wird der Antrag auf Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG gestützt. Die zur Aufhebung beantragten Gesetzesstellen würden den Antragsteller zwingen, sich einem Verfahren zu unterziehen, obwohl dieses absehbar zu einem späteren Zeitpunkt zu wiederholen sein werde. Ein Strafprozess vor einem befangenen Richter sei dem Antragsteller angesichts seiner schweren Erkrankung und der besonderen Persönlichkeit des abgelehnten Richters unzumutbar.

II. Die zur Aufhebung beantragten Gesetzesstellen lauten in ihrem rechtlichen Kontext wie folgt (die primär angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Anzeige der Ausgeschlossenheit und Antrag auf Ablehnung

§44. (1) Bei Vorliegen eines Ausschließungsgrundes hat sich ein Richter im Verfahren bei sonstiger Nichtigkeit aller Handlungen zu enthalten. Unaufschiebbare Handlungen hat er jedoch vorzunehmen, es sei denn, dass er gegen einen Angehörigen einzuschreiten hätte; in diesem Fall hat er das Verfahren unverzüglich abzutreten.

(2) Ein Richter, dem ein Ausschließungsgrund bekannt wird, hat diesen sogleich dem Vorsteher oder Präsidenten des Gerichts, dem er angehört, der Vorsteher eines Bezirksgerichts und der Präsident eines Landesgerichts oder Oberlandesgerichts dem Präsidenten des jeweils übergeordneten Gerichts, der Präsident des Obersten Gerichtshofs dem Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs (§3 Abs5 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1968 über den Obersten Gerichtshof) anzuzeigen.

(3) Allen Beteiligten des Verfahrens steht der Antrag auf Ablehnung eines Richters wegen Ausschließung zu. Er ist bei dem Richter einzubringen, dem die Ausschließung gemäß Abs2 anzuzeigen wäre.

Entscheidung über Ausschließung

§45. (1) Über die Ausschließung hat der Richter zu entscheiden, dem sie nach §44 Abs2 anzuzeigen ist, über die Ausschließung des Präsidenten, des Vizepräsidenten oder eines Mitglieds des Obersten Gerichtshofs jedoch der Oberste Gerichtshof in einem Dreiersenat. Über einen während einer Verhandlung im Haupt- oder Rechtsmittelverfahren gestellten Antrag auf Ablehnung eines Richters hat das erkennende Gericht zu entscheiden. Gleiches gilt, wenn der Antrag unmittelbar vor der Verhandlung gestellt wurde und eine rechtzeitige Entscheidung durch den Vorsteher oder Präsidenten nicht ohne ungebührliche Verzögerung der Verhandlung möglich ist. Eine Entscheidung in der Verhandlung kann längstens bis vor Beginn der Schlussvorträge aufgeschoben werden.

(2) Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn er von einer Person eingebracht wurde, der er nicht zusteht. Im Übrigen ist in der Sache zu entscheiden. Wird auf Ausschließung erkannt, so ist der Richter oder das Gericht zu bezeichnen, dem die Sache übertragen wird; der ausgeschlossene Richter hat sich von diesem Zeitpunkt an bei sonstiger Nichtigkeit der Ausübung seines Amtes zu enthalten.

(3) Gegen einen Beschluss nach Abs2 steht ein selbstständiges Rechtsmittel nicht zu."

III. 1. Gemäß dem mit BGBl I 114/2013 in das B‑VG eingefügten, mit 1. Jänner 2015 in Kraft getretenen Art140 Abs1 Z1 litd erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels".

§62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 92/2014 ordnet an, dass "eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, […] gleichzeitig einen Antrag stellen [kann], das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben".

2. In der Entscheidung über die Ablehnung eines Richters liegt keine in erster Instanz entschiedene Rechtssache iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG und §62a Abs1 VfGG. Eine allfällige Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters kann nämlich als Nichtigkeitsgrund (vgl. §§281 Abs1 Z1 und 4, 345 Abs1 Z1 und 5, 468 Abs1 Z1 und 3, 489 Abs1 StPO) geltend gemacht werden (vgl. VfGH 2.7.2015, G133/2015, und demgegenüber VfGH 3.7.2015, G46/2015).

3. Dem Antragsteller fehlt es daher an der Legitimation zur Antragstellung nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG.

IV. Aber auch die Berufung auf Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG vermag dem Antragsteller nicht zum Erfolg zu verhelfen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B‑VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

2. Ein die Zulässigkeit eines Antrags gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG ausschließender zumutbarer Weg ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann gegeben, wenn bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig ist, das dem Betroffenen Gelegenheit gibt, die Stellung eines Antrages auf Gesetzesprüfung nach Art140 B‑VG anzuregen (s. zB VfSlg 13.871/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur). Gemäß Art89 Abs2 B‑VG wären die ordentlichen Gerichte zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet, sofern sie – ebenso wie der Antragsteller – gegen die Anwendung des Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken haben sollten (s. zB VfSlg 11.480/1987).

Ein Antrag eines Einzelnen gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG wäre in solchen Fällen nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände zulässig (s. zB VfSlg 13.871/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur). Andernfalls ergäbe sich nämlich eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die sich mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht vereinbaren ließe (vgl. zB VfSlg 8890/1980, 11.823/1988, 13.659/1993).

Besondere, außergewöhnliche Umstände liegen im konkreten Fall jedoch nicht vor: Dass das gemäß Art89 Abs2 B‑VG zu einer etwaigen Anrufung des Verfassungsgerichtshofes berufene Gericht die Bedenken der Verfahrenspartei hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes allenfalls nicht teilt, macht für sich allein einen Individualantrag noch nicht zulässig (s. zB VfSlg 8552/1979, 9220/1981, 9394/1982, 9788/1983, 9926/1984, 11.889/1988, 13.659/1993 und insbesondere VfSlg 16.531/2002 zur Vorgängerbestimmung des §45 StPO).

3. Dem Antragsteller fehlt es daher auch an der Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG.

V. Der Antrag ist daher ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG als unzulässig zurückzuweisen.

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