VfGH G2/85

VfGHG2/8512.3.1985

Wr. WohnungsabgabeG; die Regelung der Auskunftspflicht der "Vertreter" in §7 Abs1 verstößt gegen den Gleichheitssatz; das Gesetz stellt - wenn auch in Gestalt einer Abgabe - einen Übergriff auf das Gebiet der Wohnraumbewirtschaftung dar; Verfassungswidrigkeit des Gesetzes unter dem Blickwinkel der Kompetenz

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art10- 15
B-VG Art11 Abs1 Z3
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs3
WAO §113
Wr WohnungsabgabeG §7
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art10- 15
B-VG Art11 Abs1 Z3
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs3
WAO §113
Wr WohnungsabgabeG §7

 

Spruch:

Das Gesetz vom 30. Juni 1982 über die Einhebung einer Abgabe auf unvermietete Wohnungen, LGBl. für Wien Nr. 23, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Das Gesetz ist nicht mehr anzuwenden.

Frühere Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im LGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Nach dem in Prüfung stehenden Wr. Gesetz vom 30. Juni 1982 über die Einhebung einer Abgabe auf unvermietete Wohnungen, LGBl. 23 (kurz: WohnungsabgabeG), ist für unvermietete Wohnungen eine Abgabe zu entrichten (§1). Als unvermietet gilt im allgemeinen eine Wohnung, bei der nach Ablauf von sechs Monaten nach Räumung durch den früheren Mieter oder Inhaber eine Vermietung nicht erfolgt ist (§2). Abgabepflichtig ist regelmäßig der Eigentümer des Gebäudes (§3). Gewisse Wohnungen - darunter solche, die vom Eigentümer zur Deckung seines Wohnbedarfes selbst benützt werden - sind von der Abgabe ausgenommen (§4). Die Abgabe beträgt je nach Wohnungskategorie zwischen 16,50 S und 66 S je Quadratmeter Nutzfläche im Monat (§5) und ist vom Abgabepflichtigen selbst zu bemessen (§6). Zum Zweck der Einhebung der Abgabe bestimmt §7:

"(1) Alle Eigentümer von innerhalb der Stadt Wien gelegenen Liegenschaften sowie deren Vertreter sind verpflichtet, über Aufforderung Auskünfte über den Liegenschaftsbestand zu geben. Änderungen im erklärten Liegenschaftsbestand sind anzuzeigen. Die Auskunftserteilung hat innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Aufforderung, die Anzeige innerhalb eines Monats nach Eintritt der Bestandsänderung zu erfolgen.

(2) Wer der Auskunfts- und Anzeigepflicht nach Abs1 nicht nachkommt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 10000 S zu bestrafen."

Die Hinterziehung oder fahrlässige Verkürzung der Abgabe ist als Verwaltungsübertretung zu bestrafen (§8), ihr Ertrag zur Finanzierung von Stadterneuerungsmaßnahmen zu verwenden (§9).

2. Beim VfGH sind zu B651/84 und B663/84 Beschwerden von Rechtsanwälten anhängig, die mit der Verwaltung von Liegenschaften betraut sind und vom Magistrat der Stadt Wien aufgefordert worden waren, Auskünfte iS des §7 des Gesetzes zu geben; wegen Verweigerung dieser Auskünfte waren über sie in den durch die bekämpften Berufungsbescheide bestätigten Bescheiden vom 20. Dezember 1983 gemäß §86 Abs1 der Wr. Abgabenordnung (WAO) Zwangsstrafen verhängt worden.

Aus Anlaß dieser Beschwerden hat der VfGH das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Worte "sowie deren Vertreter" in §7 Abs1 WohnungsabgabeG eingeleitet. Er hat die Bedenken geäußert, daß diese Vorschrift dem betroffenen Personenkreis ohne sachliche Rechtfertigung Pflichten auferlegt und daher dem Gleichheitssatz widerspricht, darüber hinaus aber das ganze Gesetz - und damit auch der in Prüfung gezogene Teil - kompetenzwidrig und unter Verletzung von Grundsätzen der Finanzverfassung erlassen wurde.

Im einzelnen hat er diese Bedenken wie folgt ausgeführt:

"1. Es scheint, daß diese Vorschrift einem bestimmten Personenkreis ohne sachliche Rechtfertigung Pflichten auferlegt und daher dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht.

Sie verpflichtet nicht nur alle Eigentümer von innerhalb der Stadt Wien gelegenen Liegenschaften, sondern auch 'deren Vertreter' zu Auskünften über den Liegenschaftsbestand. Der VfGH geht im Hinblick auf ihren Zweck vorläufig davon aus, daß als 'Vertreter' eines Liegenschaftseigentümers im Sinne dieser Bestimmung jemand anzusehen ist, der von diesem mit Angelegenheiten der Liegenschaftsverwaltung betraut ist, und daß die Pflicht zur Auskunftserteilung die Pflicht in sich schließt, sich Kenntnis über die für die Abgabepflicht wesentlichen Umstände zu verschaffen.

Mit welchen Aufgaben der Eigentümer einen anderen in bezug auf die Verwaltung einer Liegenschaft betraut, ist nun aber ausschließlich Sache privatautonomer Gestaltung. Keine Vorschrift verpflichtet den Eigentümer, einen Vertreter zu bestellen oder einem bestellten Vertreter bestimmte Aufgaben zu übertragen. Die Betrauung kann einmalige Geschäfte, vorübergehende Agenden oder laufende Angelegenheiten betreffen und es kann um die Besorgung der sogenannten ordentlichen Verwaltung mit Ausnahme bestimmter Punkte gehen. Welche Verpflichtungen der 'Vertreter' übernehmen will, ist allein seine Angelegenheit. Daher läßt sich auch nicht annähernd sagen, welche Kenntnisse er 'über den Liegenschaftsbestand' des Eigentümers hat.

Indem das Gesetz also schlechthin die 'Vertreter' der Liegenschaftseigentümer zu Auskünften verpflichtet, scheint es in beträchtlichem Ausmaß Personen mit nicht unerheblichen Aufgaben zu belasten, die solche Verpflichtungen - der Allgemeinheit gegenüber - ganz grundlos treffen, weil sie einschlägige Pflichten auch den Eigentümern gegenüber nicht übernommen haben (wozu noch kommt, daß sich diese Last bei Besorgung mehrere Verwaltungen übermäßig summieren kann). Es scheint, daß der Gesetzgeber nicht auf diese pauschale Weise jemanden dazu zwingen kann, sich von den Verhältnissen anderer - nämlich der Eigentümer von Gebäuden - Kenntnis zu verschaffen und darüber Auskunft zu erteilen. Der VfGH neigt daher vorläufig der Auffassung zu, daß es einerseits dem Eigentümer überlassen bleiben muß, ob er die erforderlichen Auskünfte selbst gibt oder wem er die Erfüllung dieser Pflicht überträgt, und andererseits Sache des 'Vertreters' ist, ob er die Erfüllung solcher Pflichten für den Eigentümer übernimmt.

2. Es besteht ferner das Bedenken, daß das Land zur Erlassung dieses Gesetzes insgesamt nicht zuständig war.

Trotz der Normierung einer Abgabepflicht dürfte es sich in Wahrheit um eine Maßnahme der Wohnraumbewirtschaftung handeln, die sich unterschiedslos auf alle Wohnungen erstreckt, folglich auch für Klein- und Mittelwohnungen gilt und daher im Sinne des Rechtssatzes VfSlg. 3421/1958 - als teilweise eine Angelegenheit des Volkswohnungswesens (Art11 Abs1 Z3 B-VG) betreffend - weder in die Zuständigkeit des Bundes noch in die der Länder fällt. Es scheint nämlich nicht nur die - alleinige - Absicht des Gesetzgebers gewesen zu sein, einen erhöhten Druck auf die Vermietung solcher Wohnungen zu erzeugen und damit eine Verbesserung auf dem Wohnungsmarkt herbeizuführen; vielmehr scheint diese Zielsetzung auch den gesamten Inhalt des Gesetzes derart zu prägen, daß von einem Abgabengesetz nicht mehr die Rede sein kann. So bestimmt insbesondere §4 liti, daß von der - auffallend hohen - Abgabe ausgenommen sind:

'Wohnungen, die der Stadt Wien unter Angabe der Vertragsbedingungen zur Vergabe angeboten werden, wenn die angebotenen Bedingungen einer von der Stadt Wien erlassenen Richtlinie entsprechen und in der Richtlinie vorgesehen ist, daß bei Zutreffen der übrigen richtlinienmäßigen Voraussetzungen die Annahme des angebotenen Vergaberechtes nicht verweigert wird. Hat die Stadt Wien schriftlich erklärt, auf das eingeräumte Vergaberecht zu verzichten, endet die Abgabefreiheit für diese Wohnung mit ihrer Vermietung'.

Es scheint also überhaupt nicht um die Erzielung von Abgabeerträgen, sondern ausschließlich um einen Druck in Richtung Vermietung leerstehender Wohnungen zu gehen, sodaß die in die äußere Form einer Abgabe gekleidete - empfindliche - Geldleistungspflicht ihrem materiellen Gehalt nach eine Strafe für das Leerstehenlassen von Wohnungen darstellt, wie sie der in VfSlg. 3421/1958 beurteilte frühere Gesetzesentwurf der Wiener Landesregierung auch formell vorgesehen hatte.

Da diese Bedenken das gesamte Gesetz betreffen, dessen Vollziehung der - für sich allein gesehen unter diesem Gesichtspunkt gewiß unbedenkliche - §7 ausschließlich dient, scheinen sie auch §7 mit zu erfassen.

3. Sollte die aus Zielsetzung und Inhalt des Gesetzes abgeleitete Einordnung der geregelten Angelegenheit jedoch nicht die Annahme der Unzuständigkeit der Landesgesetzgebung rechtfertigen, besteht das Bedenken, daß der Landesgesetzgeber gegen Grundsätze der Finanzverfassung verstoßen hat, indem er Maßnahmen in die Form einer Abgabe gekleidet hat, denen - aus den genannten Gründen - der Charakter einer Abgabe nicht zukommt".

Die Wr. Landesregierung verteidigt die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten.

II. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig.

Das Verfahren hat nichts ergeben, was daran zweifeln ließe, daß die Anlaßbeschwerden zulässig sind und der VfGH bei ihrer Beurteilung §7 Abs1 WohnungsabgabeG in jenem Umfang anzuwenden hätte, den die in Prüfung gezogenen Worte umschreiben. §7 ist insbesondere auch von jenen Bedenken erfaßt, die sich - unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten - gegen das Gesetz als Ganzes richten. Die Prozeßvoraussetzungen sind gegeben.

III. Die Bedenken des VfGH sind begründet. Die in Prüfung gezogenen Worte verstoßen gegen den Gleichheitssatz und sind von einem nach der Kompetenzverteilung nicht berufenen Gesetzgebungsorgan erlassen worden.

1. Was die Heranziehung von Vertretern der Liegenschaftseigentümer zur Erteilung von Auskünften über den Liegenschaftsbestand betrifft, verweist die Landesregierung auf die jedermann treffende allgemeine Auskunftspflicht nach §113 WAO und meint, die in Prüfung stehende Regelung

"steht nun in einem Spezialitätsverhältnis dazu, weil sie die Berechtigung der Abgabebehörde auf den Liegenschaftseigentümer und dessen Vertreter einschränkt. Soweit es sich um eine gewillkürte Vertretung handelt, ist die Heranziehbarkeit des Vertreters zur Auskunftserteilung am Inhalt der Bevollmächtigung zu messen. Da gerade im bezughabenden Abgabenbereich von Liegenschaftseigentümern sehr häufig Hausverwalter als Vertreter bevollmächtigt werden, sollte auch aus Zweckmäßigkeitsgründen eine direkte Auskunftspflicht dieser Vertreter normiert werden. Die Zweckmäßigkeit muß darin gesehen werden, daß ein mit der ständigen Verwaltung Betrauter in weit größerem Maße über den abgaberechtlich relevanten Liegenschaftsbestand informiert ist als der Vollmachtgeber ... Da der Gesetzgeber diese Regelung nur darauf ausrichten konnte, daß ein entsprechendes Vollmachtsverhältnis vorliegt, ist auszuschließen, daß vom Gesetzgeber ein Zwang zu Handlungen außerhalb des Vollmachtsbereiches statuiert werden sollte ...

Bei dem zur Erfassung der Abgabepflichtigen und zur Feststellung von abgabenrechtlich relevanten Verhältnissen durchgeführten Erhebungsvorgang betrafen die verlangten Auskünfte Art der Baulichkeit, Vorhandensein von mehr als 2 Wohnungen im Gebäude, Bestehen eines der angeführten Befreiungstatbestände für das gesamte Gebäude, Auflistung der Wohnungen und Geschäfte im Gebäude unter Angabe von Nutzfläche, Ausstattungskategorie, Vorhandensein eines der angeführten Befreiungstatbestände, Nichtbestehen eines Mietverhältnisses bei Wohnungen ...

Da zur Auskunftspflicht nach den Bestimmungen der Wiener Abgabenordnung jedermann herangezogen werden kann, kann es nicht zutreffend sein, daß die gesetzliche Einschränkung dieser Auskunftspflicht neben den Abgabepflichtigen auf dessen Vertreter bei Vorliegen einer Bevollmächtigung für die Liegenschaftsverwaltung als sachlich nicht gerechtfertigt und damit gleichheitswidrig ist, zumal die Auskunftspflicht auf den Liegenschaftsbestand beschränkt ist".

Mit diesen Ausführungen verkennt die Landesregierung den Inhalt der in Rede stehenden Auskunftspflicht. Während sich nämlich die allgemeine Auskunftspflicht nach §113 WAO auf Gegenstände erstreckt, von denen der Befragte Kenntnis hat (oder auf Urkunden und andere schriftliche Unterlagen, über die er verfügt), ist der Vertreter - ebenso wie der Liegenschaftseigentümer selbst - nach §7 WohnungsabgabeG verpflichtet, sich gegebenenfalls unter Strafdrohung "über den Liegenschaftsbestand" Kenntnis zu verschaffen. Der Versuch, in der Verpflichtung des §7 WohnungsabgabeG für den Vertreter - anders als für den Eigentümer selbst - eine bloße Wiederholung des §113 WAO zu sehen, müßte nicht nur eine in doppelter Hinsicht ungewöhnliche Gesetzestechnik unterstellen, sondern auch den schon im Einleitungsbeschluß hervorgehobenen offenkundigen Gesetzeszweck beiseiteschieben. Dem Vertretungsverhältnis als solchem kann nicht entnommen werden, ob der "Vertreter" von jenen Umständen Kenntnis hat, die ihm - nach der gewiß gesetzmäßigen Praxis durch Aufforderung zur Beantwortung schriftlicher Fragen - abverlangt werden. Nichts rechtfertigt den Schluß, daß jeder, den der Eigentümer mit Angelegenheiten der Liegenschaftsverwaltung betraut, über diese Umstände tatsächlich informiert ist, und nichts rechtfertigt es, gerade ihm die Pflicht zur allfälligen Erhebung dieser Tatsachen aufzubürden. Es ist Sache des Eigentümers, wem er die zu allererst ihm selbst obliegende Aufgabe in welchem Umfang überträgt. Daß der bestellte Vertreter häufig bereits über die nötigen Kenntnisse und Unterlagen verfügt, ist kein Grund, jeden Vertreter ohne Rücksicht auf den Umfang der übernommenen Verwaltungsangelegenheiten zu solchen Auskünften zu verpflichten. Eine verfassungskonforme Auslegung kommt nach dem Gesagten aber nicht in Betracht.

Die Behauptung der Landesregierung, der VfGH habe §7 WohnungsabgabeG im Verfahren B471/83 (unter diesem Gesichtspunkt) bereits für unbedenklich befunden, ist unrichtig. Gegenstand dieses mit Erk. vom 13. März 1984 abgeschlossenen Verfahrens war die Beschwerde eines Eigentümers gegen einen Bescheid, der die Zurückweisung eines Feststellungsbegehrens bestätigte und die Berufung gegen die Zurückweisung eines Fristenverlängerungsantrages zurückwies. Der jetzt in Prüfung gezogene Teil des §7 war damals nicht anzuwenden.

2. Den kompetenzrechtlichen Bedenken des Gerichtshofes tritt die Landesregierung mit dem Hinweis auf das Erk. VfSlg. 5859/1968 entgegen, worin der VfGH die Kompetenz des Landes für die Erlassung eines Gesetzes über die sogenannte Parkometerabgabe festgestellt hat. Das in der Folge erlassene ParkometerG, LGBl. 47/1974, habe der Gerichtshof ohne Bedenken angewendet (VfSlg. 7967/1976 ua.), obwohl die Abgabe von 10 S pro angefangener halber Stunde eine Steuerbelastung von 720 S je Quadratmeter im Monat bedeute. Auch im Erk. B385/82 vom 1. Juli 1983 (zur Vergnügungssteuer auf Spielautomaten) habe der VfGH den Abgabecharakter nicht verneint, obwohl damit andere als fiskalische Zwecke verfolgt würden. Daß die vom VfGH herausgehobene Bestimmung des §4 liti WohnungsabgabeG den Inhalt des Gesetzes nicht wesentlich präge, ergebe sich daraus, daß diese Möglichkeit nur für rund 130 Wohnungen in Anspruch genommen worden sei. Welche finanzverfassungsrechtlichen Grundsätze der Erlassung des Gesetzes entgegenstehen könnten, sei nicht erkennbar.

Im Ergebnis ist die Landesregierung mit ihren Einwendungen aber nicht im Recht.

a) Mit Erk. VfSlg. 3421/1958 hat der VfGH aus Anlaß der Beurteilung eines Gesetzesentwurfes, der ua. "eine ungerechtfertigte Leerstehung von Wohnungen oder Wohnräumen" mit Strafe bedrohte, festgestellt, daß

"gesetzliche Maßnahmen der Wohnraumbewirtschaftung, durch welche Wohnungen oder Wohnräume ihrem Zweck zu entziehen verboten wird",

soweit sie "Volkswohnungen" (Klein- und Mittelwohnungen) betreffen, unter Art11 Abs1 Z3 B-VG fallen, soweit sie andere Wohnungen betreffen, an sich in die Zuständigkeit der Länder nach Art15 Abs1 B-VG. Er hat daher ausgesprochen, daß für die ihm vorgelegte - ungeteilte - Regelung weder Bund noch Land zuständig sind.

Allerdings geht der VfGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß sich die bundesstaatliche Zuständigkeitsverteilung regelmäßig nicht nach dem Zweck einer Regelung richtet, sondern nach ihrem Gegenstand und Inhalt (VfSlg. 6344/1970 und die dort genannte Vorjudikatur, aus jüngerer Zeit VfSlg. 9580/1982, S 417 f.). An der Einordnung einer Geldleistungsverpflichtung als Abgabe ändert daher auch der Umstand nichts, daß der Gesetzgeber neben fiskalischen Zwecken auch andere Zwecke verfolgt (VfSlg. 4205/1962, 4466/1963, 4708/1964, 5268/1966, 7967/1976, 8457/1978 und B385/82 vom 1. Juli 1983).

Daß das in Prüfung stehende Gesetz das Nichtvermieten von Wohnungen verhindern soll, kann folglich für sich allein noch nicht bewirken, daß die Vorschreibung einer Geldleistung (teilweise) als Maßnahme des Volkswohnungswesens anzusehen wäre. Selbst wenn der Gesetzgeber die Einhebung dieser Geldleistungen ausschließlich im Hinblick auf den erwarteten Erfolg der Vermietung leerstehender Wohnungen verfügt hat, fließt doch jedenfalls dem Haushalt des Landes ein Ertrag zu, der die Maßnahme als Abgabe iS des Finanzverfassungsrechtes qualifiziert. Wenn das Verhalten der Leistungspflichtigen auch nachhaltig bestimmt wird, so vermag das am Charakter der Abgabe doch nichts zu ändern. Unter den gegebenen Umständen kann der Gerichtshof nicht annehmen, daß die Besteuerung überhaupt zum Versiegen der Steuerquelle führen soll und wird ("Erdrosselungssteuer"). In diesem Punkt ist also die Landesregierung mit ihrem Hinweis auf das Erk. B385/82 vom 1. Juli 1983 im Recht.

Soweit die im Prüfungsbeschluß dargelegten Bedenken dahin gehen, daß von einem Abgabegesetz nicht mehr die Rede sein könne, erweisen sie sich mithin als unbegründet. Auch die - hilfsweise angestellte - Vermutung, daß der Gesetzgeber finanzverfassungswidrig eine Maßnahme in die Form einer Abgabe gekleidet hat, der dieser Charakter nicht zukommt, hat sich nicht bestätigt.

b) Gleichwohl erweist sich die Regelung aus den im Prüfungsbeschluß aufgezeigten Gründen als kompetenzwidrig. Dem Abgabengesetzgeber sind nämlich aus der Sicht der durch die Auswirkungen der Abgabe betroffenen Materie doch gewisse - äußerste - Grenzen gezogen. Wie der VfGH schon im Erk. VfSlg. 3919/1961 ausgesprochen hat, kann sich die Verwendung der Form der Abgabe gegebenenfalls auch als mißbräuchlich erweisen. Ein solcher Mißbrauch der Abgabeform wird jedenfalls auch dann vorliegen, wenn die Abgabe zufolge ihrer besonderen Ausgestaltung so umfassend in eine fremde Materie hineinwirkt, daß sie ungeachtet ihrer Qualifikation als Abgabe zugleich auch als Regelung dieser (fremden) Materie selbst gewertet werden muß. Die aus der übrigen Kompetenzverteilung herausgehobene - und insofern daher neutrale - Zuordnung von Besteuerungsrechten darf offenkundig nicht dazu verwendet werden, diese Kompetenzverteilung schlechthin zu unterlaufen und Regelungen in Angelegenheiten zu teffen, die einem anderen Gesetzgeber vorbehalten sind (vgl. zu dieser Frage Ruppe, Das Abgabenrecht als Lenkungsinstrument der Gesellschaft und Wirtschaft und seine Schranken in den Grundrechten, Verhandlungen des Achten Österreichischen Juristentages Graz 1982, 81 ff.).

Die Auswirkungen einer Abgabe auf dem Gebiet einer fremden Sachmaterie werden freilich nur unter besonderen Umständen dazu führen, daß das Steuergesetz als Regelung dieser Materie selbst gewertet werden kann. Maßgeblich wird neben dem insoweit - ua. - beachtlichen Zweck die Dichte der Regelung und die Art ihrer Auswirkung im fremden Sachbereich sein. Das vorliegende Gesetz hat diese Grenze aus folgenden Gründen überschritten:

Die Absicht des Gesetzgebers war von vornherein ausschließlich darauf gerichtet, die Eigentümer von Wohnungen zur Vermietung zu veranlassen. Das Gesetz belegt das bloße Unterlassen des gewünschten und durch andere Maßnahmen nicht ersetzbaren Verhaltens mit einer hohen Abgabe, die den Eigentümer praktisch in den allermeisten Fällen zwingt, sich der Absicht des Gesetzgebers gemäß zu verhalten. Nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen wird er eine Wohnung für einen Betrag leerstehen lassen können, der den erzielbaren Mietzins häufig ganz erheblich übersteigt. (Daß die von der Landesregierung ins Treffen geführte Abgabe von 10 S für jede halbe Stunde einer von vornherein eng begrenzten Parkzeit in jeder Hinsicht anders zu beurteilen ist, bedarf keiner näheren Begründung). Dazu stellt das Gesetz zur Verwirklichung dieser Absicht in §4 liti sogar noch eine besondere Einrichtung zur Verfügung: Die Stadt Wien übernimmt die Vergabe von Wohnungen nach den von ihr aufzustellenden Richtlinien, so zwar, daß schon das Angebot zur Vergabe nach Vertragsbedingungen, die diesen Richtlinien entsprechen, die Abgabefreiheit bewirkt. Die auf längere Sicht aus dieser Abgabe insgesamt zu erwartenden Einnahmen können gegenüber all diesen Auswirkungen unter Berücksichtigung des zur Einhebung der Abgabe notwendigen Verwaltungsaufwandes kaum ins Gewicht fallen.

Aus all dem folgt nach Ansicht des VfGH die Richtigkeit der Annahme des Prüfungsbeschlusses, daß die getroffenen Maßnahmen - wenn auch in Gestalt einer Abgabe - einen Übergriff auf das Gebiet der Wohnraumbewirtschaftung darstellen. Ein solcher Übergriff ist dem Landesgesetzgeber aber aus denselben Gründen verwehrt, die - nach dem Rechtssatz VfSlg. 3421/1958 - schon jene Maßnahmen verhindert haben, die im Gesetzesentwurf des Jahres 1958 vorgesehen waren.

Die geprüfte Vorschrift ist daher auch unter dem Blickwinkel der Kompetenz verfassungswidrig.

IV. Da das ganze Gesetz von einem nach der Kompetenzverteilung nicht berufenen Gesetzgebungsorgan erlassen wurde, ist es zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben (Art140 Abs3 B-VG). Nach der Art der festgestellten Verfassungswidrigkeit kommt eine Fristsetzung (Art140 Abs5 B-VG) nicht in Betracht. Vielmehr ist auszusprechen, daß das aufgehobene Gesetz auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist (Art140 Abs7 B-VG). Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs6 B-VG.

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