Normen
B-VG Art118 Abs2, Art118 Abs3
Nö BauO §100 Abs4 Z5
B-VG Art118 Abs2, Art118 Abs3
Nö BauO §100 Abs4 Z5
Spruch:
Dem Antrag wird keine Folge gegeben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Beim VwGH ist zu den Zahlen 2619, 2620/79 das Verfahren über die Beschwerde eines Bauwerbers gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wr. Neustadt vom 30. Juli 1979 anhängig. Mit diesem Bescheid wurde der Berufung des Bauwerbers gegen die Abweisung seines Ansuchens um Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung eines Lagerplatzes auf dem Grundstück Nr. 3172 gemäß §93 Z4 iVm §100 Abs4 Z5 Nö. Bauordnung 1976, LGBl. 8200-0, keine Folge gegeben. In der Begründung des Berufungsbescheides wurde ausgeführt:
"Das Grundstück Nr. 3172 an der Puchberger Straße (ehemalige Weikersdorfer Straße) ist in einem nach dem Flächenwidmungsplan der Stadt Wiener Neustadt als 'Grünland-Landwirtschaft' gewidmeten Gebiet gelegen. Für die unmittelbar östlich angrenzenden Grundstücke besteht die Widmung 'Grünland-Erholungsgebiet'. Die Schottergruben südlich des Grundstückes sind von diesem etwa 140 m entfernt und durch eine Straße und ein Waldstück landschaftlich getrennt.
Der vom Berufungswerber erwähnte gewerbliche Betrieb liegt ebenso wie die Mülldeponie nicht mehr im Stadtgebiet von Wiener Neustadt. Diese sind vom Grundstück Nr. 3172 etwa 320 m entfernt und stehen mit diesem in keinem landschaftlichen Zusammenhang, sind vielmehr von diesem durch eine Straße und einen breiten Waldstreifen getrennt.
Das Grundstück Nr. 3172 selbst sowie die umliegenden Grundstücke sind, unabhängig von ihrer Widmung, durch einen Wald- bzw. Wiesenbestand gekennzeichnet und bieten durchaus einen einem Erholungsgebiet entsprechenden Eindruck, wobei festzuhalten ist, daß sie in unmittelbarer Nähe des für Erholungszwecke genutzten Föhrenwaldes gelegen sind. Der vom Bewilligungswerber angesprochene Parkplatz des in der Nähe befindlichen Gasthauses grenzt unmittelbar an die Straße (im übrigen auf der gegenüberliegenden Seite) und beeinträchtigt diesen Zustand nicht.
Es kann daher für den Bereich um das Grundstück Nr. 3172 wohl von einem harmonischen Landschaftsbild gesprochen werden, dessen Erhaltung gerade in Anbetracht der zunehmenden Ausdehnung des verbauten Gebietes und der damit verbundenen Notwendigkeit der Erhaltung von Erholungsgebieten besondere Bedeutung zukommt.
Die Schaffung eines Lagerplatzes in diesem Bereich würde eine erhebliche Beeinträchtigung dieses Landschaftsbildes mit sich bringen."
2. Der VwGH stellt gemäß Art140 B-VG den Antrag, die Worte "und Landschafts" in §100 Abs4 Z5 der Nö. Bauordnung 1976 als verfassungswidrig aufzuheben; der Schutz des Landschaftsbildes falle nicht in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.
3. Die Nö. Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie begehrt, dem Antrag des VwGH keine Folge zu geben.
II. Der VfGH hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:
1. Die Einleitung und die Z5 des im Abschnitt VII (Bauverfahren) der Nö. Bauordnung 1976 enthaltenen §100 Abs4 lauten:
"(4) Die Bewilligung ist zu versagen, wenn durch die Ausführung des Vorhabens Bestimmungen dieses Gesetzes oder die §§12 bis 16 und 19 Nö. Raumordnungsgesetz 1974 verletzt werden. Sie ist insbesondere zu versagen, wenn
...
5. der Brandschutz, die sanitären Verhältnisse oder das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt werden."
Gemäß §117 der Nö. Bauordnung 1976 sind die in der angefochtenen Gesetzesstelle geregelten Aufgaben von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen.
2. Der VwGH hat in dem bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahren die Frage zu entscheiden, ob der Stadtsenat der Stadt Wr. Neustadt zu Recht die Baubewilligung für die Errichtung eines Lagerplatzes mit der Begründung versagt hat, daß die Schaffung des Lagerplatzes eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes mit sich bringe.
Nichts spricht gegen die Annahme des VwGH, daß er bei der Entscheidung über die an ihn gerichtete Beschwerde die Worte "und Landschafts" in §100 Abs4 Z5 der Nö. Bauordnung 1976 anzuwenden habe.
Der Antrag des VwGH ist, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.
III. Der VfGH hat in der Sache erwogen:
1. Der VwGH begründet seine Bedenken wie folgt:
"Zufolge Art118 Abs2 B-VG umfaßt der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde neben den im Art116 Abs2 angeführten Angelegenheiten alle Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. Die Gesetze haben derartige Angelegenheiten ausdrücklich als solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde zu bezeichnen.
Nach Art118 Abs3 B-VG sind der Gemeinde zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich die behördlichen Aufgaben insbesondere in folgenden Angelegenheiten gewährleistet:
...
9. örtliche Baupolizei, soweit sie nicht bundeseigene Gebäude, die öffentlichen Zwecken dienen (Artikel 15 Absatz 5), zum Gegenstand hat; örtliche Feuerpolizei; örtliche Raumplanung.
Unter dem in §100 Abs4 Z5 der Nö. Bauordnung 1976 verwendeten Begriff 'Ortsbild' versteht man in erster Linie die bauliche Ansicht eines Ortes oder Ortsteiles innerhalb einer Gemeinde unter Einschluß der bildhaften Wirkung, die von ihren Anlagen, Parkanlagen, Schloßbergen u. dgl. ausgeht. Unter dem in der erwähnten Gesetzesstelle ebenfalls verwendeten Begriff 'Landschaftsbild' versteht man die weitere Umgebung, die in erster Linie von der Natur selbst gestaltet worden ist, mag auch der Mensch in ihre Gestaltung eingegriffen haben, und in der die baulichen Anlagen eines Ortes nur eine untergeordnete Rolle spielen. 'Schutz des Landschaftsbildes' fällt aber unter den 'Naturschutz' und angesichts seines regelmäßig übergemeindlichen Interessenbereiches zum Unterschied vom Schutz des Ortsbildes nicht in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (vgl. dazu unter anderem die hg. Erk. vom 24. März 1969, Slg. N. F. Nr. 7538/A, vom 8. November 1968, Zl. 166/68, sowie vom 6. Oktober 1969, Zlen. 592, 685, 761, 777/69).
Der niederösterreichische Landesgesetzgeber hat sich daher zum Bundes-Verfassungsgesetz offenbar dadurch in Widerspruch gesetzt, daß er eine Angelegenheit dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugeordnet hat, die diesem nicht zuzurechnen ist (vgl. die Erk. des VfGH Slg. Nr. 6196/70 und 6547/71), wobei der VwGH davon ausgeht, daß die Belange des Naturschutzes auch nicht unter den Tatbestand, 'örtliche Baupolizei' im Art118 Abs3 Z9 B-VG oder unter die anderen in dem genannten Absatz angeführten Tatbestände subsumiert werden können.
Eine Auslegung des §100 Abs4 Z5 der Nö. Bauordnung 1976 - etwa in dem Sinn, daß die Belange des Landschaftsschutzes von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich insoweit wahrzunehmen seien, als es sich um den örtlichen Landschaftsschutz handelt - erscheint dem VwGH deshalb nicht zulässig, weil der Nö. Landesgesetzgeber weder in der Bauordnung noch etwa in der Gemeindeordnung eine Einschränkung in dieser Richtung vorgenommen hat. Aus diesem Grunde lassen sich auch aus dem Erk. des VfGH vom 9. Juni 1970, Zl. B319/69, Slg. Nr. 6186, keine Anhaltspunkte in dieser Richtung gewinnen, weil diesem Erk. ein nach dem - verfassungsrechtlich offenkundig für unbedenklich befundenen - §56 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 sowie der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 zu beurteilender Sachverhalt zugrunde gelegen war. Im §40 Abs2 Z12 dieser Gemeindeordnung ist aber eine Regelung enthalten, wonach die in der zitierten Bestimmung der Bauordnung geregelten Angelegenheiten, soweit sie sich nicht auf Bauwerke beziehen, solche des örtlichen Landschafts- und Naturschutzes und daher Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde sind.
Da die in Rede stehende Bestimmung der Nö. Bauordnung 1976 nach Ansicht des VwGH auch nicht so ausgelegt werden kann, daß sie nur die Grundlage für solche Bescheide der Baubehörde bildet, durch die der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde nicht überschritten wird, und in Verfolgung dieses Gedankens davon auszugehen ist, daß der angefochtene Bescheid der Gemeindebehörde wegen Überschreitung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde aufgehoben werden muß, wird der Antrag gestellt, im §100 Abs4 Z5 der Nö. Bauordnung 1976 den Satzteil 'und Landschafts' als verfassungswidrig aufzuheben."
2. a) Der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde erfaßt zufolge Art118 Abs2 B-VG neben den in Art116 Abs2 angeführten alle Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. Sowohl der VfGH (VfSlg. 5807/1968) als auch der VwGH (VwSlg. 7538 A/1969) haben wiederholt ausgesprochen, es ergebe sich aus der in Art118 Abs3 B-VG nur beispielsweise enthaltenen Aufzählung der in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallenden Angelegenheiten, daß an Hand des Art118 Abs2 B-VG zu prüfen ist, ob eine nicht ausdrücklich genannte Angelegenheit dennoch dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugehört.
b) Maßnahmen, die dem Schutze des "Landschaftsbildes" iS des §100 Abs4 Z5 Nö. Bauordnung 1976 dienen, lassen sich keiner der in Art118 Abs3 B-VG ausdrücklich angeführten Angelegenheiten zuordnen. Es ist daher zu untersuchen, ob sich aus Art118 Abs2 B-VG ergibt, daß Angelegenheiten iS der bekämpften Gesetzesstelle in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen. Der VfGH ist der Meinung, daß dies zutrifft:
Auszugehen ist davon, daß die Begriffe Orts- und Landschaftsbild nicht vollständig getrennt werden können. Wohl wird unter "Ortsbild" in erster Linie die bauliche Ansicht eines Ortes oder Ortsteiles zu verstehen sein, die grundsätzlich von den baulichen Anlagen eines Ortes geprägt wird. Unter "Landschaftsbild" ist im allgemeinen die Ansicht eines Landschaftsteiles nach anderen als baulichen Gesichtspunkten zu verstehen. Regelmäßig werden aber zwischen dem Ortsbild und dem Landschaftsbild gewisse Wechselwirkungen bestehen.
Auszugehen ist weiters davon, daß - wie der VfGH bereits mit Erk. VfSlg. 6186/1970 ausgesprochen hat - der örtliche Landschafts- und Naturschutz in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt. Soweit den Landschafts- und Naturschutz betreffende Bestimmungen im Zusammenhang mit Bauwerken stehen, zählen sie zur örtlichen Baupolizei, ansonsten zu den Angelegenheiten des örtlichen Landschafts- und Naturschutzes.
Auch der VwGH geht von dieser Annahme aus, wenn er sich auf das Erk. VfSlg. 6186/1970 beruft. Er hegt Bedenken jedoch deshalb, weil die angefochtene Bestimmung der Nö. Bauordnung nicht auf den örtlichen Landschaftsschutz beschränkt sei; selbst der Landesgesetzgeber habe weder in der Bauordnung noch in der Gemeindeordnung eine Einschränkung etwa in dem Sinn vorgenommen, daß die Belange des Landschaftsschutzes von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich nur insoweit wahrzunehmen seien, als es sich um örtlichen Landschaftsschutz handle.
Der VwGH liest §100 Abs4 Z5 Nö. Bauordnung 1976 demnach so, daß eine Baubewilligung zu versagen sei, wenn das Ortsbild oder das Landschaftsbild durch die Bauführung beeinträchtigt wird. Bei dieser Lesart bilden die Beeinträchtigung von Ortsbild und Landschaftsbild jeweils für sich einen Untersagungstatbestand; so betrachtet, ergäbe sich für den Schutz des Landschaftsbildes tatsächlich keine Einschränkung des Geltungsbereiches der Norm auf den örtlichen Landschaftsschutz.
Diese vom VwGH vorgetragene Auslegung ist jedoch nicht zwingend. Die in der bezogenen Gesetzesstelle enthaltene Wendung "Orts- und Landschaftsbild" kann vielmehr auch als einheitlicher Begriff verstanden werden. So gesehen kann es bei der Verweigerung einer Baubewilligung niemals nur auf das Landschaftsbild ankommen, es ist vielmehr das mit dem Ortsbild jeweils zusammenhängende Landschaftsbild mitzuberücksichtigen. Nur soweit eine Beziehung des Ortsbildes zum Landschaftsbild gegeben ist, wird daher bei der Entscheidung über das Bauansuchen auf Grund des §100 Abs4 Z5 Nö. Bauordnung 1976 auf die Wirkungen eines Gebäudes auf das Landschaftsbild Bedacht zu nehmen sein. Wenn die Nö. Landesregierung ausführt, daß der angefochtenen Bestimmung eine derartige Beschränkung immanent sei, da sich schon aus dem Satzteil "Orts- und Landschaftsbild" eine Verflechtung beider Begriffe zeige, die eine Interpretation des Wortes "Landschaftsbild" nur bezogen auf das "Ortsbild" zulasse, so ist ihr insoweit beizupflichten, als eine solche Auslegung jedenfalls möglich ist. Wird aber auf Grund einer solchen Auslegung der Schutz des "Orts- und Landschaftsbildes" als Einheit betrachtet, und ist daher außerhalb des Bereiches, in dem es zu einer Wechselwirkung zwischen dem Ortsbild und dem Landschaftsbild kommt, bei der Entscheidung über das Bauansuchen eine Bedachtnahme auf das Landschaftsbild nicht möglich, so ergibt sich hieraus eine Beschränkung auf den örtlichen Landschaftsschutz. Daß dieser in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt, ist nicht strittig.
Sprachlich ist eine Auslegung im dargelegten Sinn jedenfalls möglich; ihr war, da einer Gesetzesstelle im Zweifel kein Inhalt unterstellt werden darf, der - hätte ihn das Gesetz - die Bestimmung verfassungswidrig erscheinen ließe, der Vorzug zu geben (VfSlg. 8011/1977, 8352/1978, 8468/1978).
3. Die vom VwGH vorgebrachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Satzteiles "und Landschafts" in §100 Abs4 Z5 der Nö. Bauordnung 1976 erweisen sich sohin als nicht begründet.
Dem Antrag war somit keine Folge zu geben.
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