VfGH G257/2015

VfGHG257/20152.7.2015

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Bestimmung der StPO mangels Legitimation; Unzulässigkeit der Stellung eines Parteiantrags nach Ablauf der Rechtsmittelfrist

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62a Abs1
StPO §173 Abs1, §209 Abs2
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62a Abs1
StPO §173 Abs1, §209 Abs2

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Über den Antragsteller wurde mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. März 2015 wegen des Verdachts des Verbrechens der versuchten Erpressung nach §§15, 144 Abs1 StGB aus den Haftgründen der Verdunkelungs-, Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach §173 Abs2 Z2 und Z3 lita, b und d StPO die Untersuchungshaft mit Wirksamkeit bis längstens 2. April 2015 verhängt.

1.1. Mit in der Haftverhandlung am 2. April 2015 gefasstem Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den genannten Haftgründen bis längstens 4. Mai 2015 verfügt. Die Frist zur Ausführung des – vom Antragsteller in der Haftverhandlung erhobenen – Rechtsmittels endete am 5. April 2015 (§176 Abs5 StPO).

1.2. Der dagegen am 8. April 2015 erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 22. April 2015 keine Folge und ordnete die Fortsetzung der über den Antragsteller verhängten Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach §173 Abs1 und Abs2 Z3 lita, b und d StPO bis 22. Juni 2015 an.

2. Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2015 brachte der Antragsteller "aus Anlass" der Haftbeschwerde vom 8. April 2015 beim Verfassungsgerichtshof den auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag ein, die Wortfolge "zur Bedeutung der Sache oder zu der zu erwartenden Strafe" in §173 Abs1 StPO als verfassungswidrig aufzuheben. Begründend führt der Antragsteller – unter Verweis auf die unzumutbaren Haftbedingungen in der Justizanstalt Wien-Josefstadt – im Wesentlichen aus, dass die in §173 Abs1 StPO in Bezug auf die Verhängung der Untersuchungshaft vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht hinreichend vor Eingriffen in das nach Art3 EMRK gewährleistete Recht schütze. In einem "Exkurs" wird zudem die Verfassungswidrigkeit des §62a Abs1 VfGG behauptet und eine amtswegige Prüfung dieser Bestimmung angeregt. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG sei die Erhebung eines Antrages auf Gesetzesprüfung lediglich gleichzeitig mit der Erhebung eines (zulässigen) Rechtsmittels gegen eine von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache möglich. Diese Voraussetzung stünde dem Wortlaut des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG entgegen, der lediglich einen sachlichen Zusammenhang zwischen Rechtsmittel und Antrag fordere (arg. "aus Anlass"). Auch stehe Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG im Widerspruch zu den leitenden Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung.

3. Gemäß dem durch BGBl I 114/2013 in das B‑VG eingefügten, mit 1. Jänner 2015 in Kraft getretenen Art140 Abs1 Z1 litd erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels". Auch §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 92/2014 verlangt als Voraussetzung einer derartigen Antragstellung u.a. die Einbringung eines (zulässigen) Rechtsmittels gegen eine "von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedene Rechtssache".

4. Der Antragsteller hat den vorliegenden Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erst einen Monat nach der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien über seine Haftbeschwerde gestellt. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes entspricht der in §62a Abs1 erster Satz VfGG im Hinblick auf die Einbringung eines (zulässigen) Rechtsmittels verwendete Begriff "gleichzeitig" der in Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gewählten Formulierung "aus Anlass" insofern, als er so zu verstehen ist, dass die Stellung eines Parteiantrages gegen die erstinstanzliche Entscheidung eines ordentlichen Gerichtes während des (gesamten) Zeitraumes der konkreten Rechtsmittelfrist – unabhängig davon, ob das Rechtsmittel bereits vorher eingebracht wurde – zulässig ist (vgl. RV 263 25. GP, 2; Grabenwarter/Musger, Praxisfragen der Gesetzesbeschwerde im Zivilverfahren, ÖJZ2015, 551 [555]).

5. Dem Einschreiter mangelt es deshalb an der Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG. Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

6. Zur Einleitung eines amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahrens bezüglich des Wortes "gleichzeitig" in §62a VfGG sieht sich der Verfassungsgerichtshof vor dem Hintergrund des Falles nicht veranlasst.

7. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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