VfGH G244/2018

VfGHG244/201824.9.2018

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des StGB betreffend die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher mangels unmittelbarer aktueller Betroffenheit und infolge Zumutbarkeit einer Antragstellung in einem Gerichtsverfahren

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
StGB §21

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2018:G244.2018

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit einem selbstverfassten Schreiben, eingelangt beim Verfassungsgerichtshof am 20. August 2018, stellte der Einschreiter den vorliegenden auf Art140 Abs1 Z1 litc bzw litd B‑VG gestützten Antrag auf "Streichung" des §21 Abs1 und Abs2 StGB.

Begründend führte der Einschreiter hiezu aus, die angefochtene Bestimmung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil sie "Leuten ohne Rechtfertigungsgrund wie Schuld, die Freiheit oder ihr Recht auf Freiheit" raube. Auf Grund der Tatsache, dass diese Personen als gefährlich eingeschätzt würden und einmal in ihrem Leben eine Straftat mit einem Strafrahmen von über einem Jahr begangen hätten, werde ihnen lebenslänglich die Freiheit entzogen. Nach der Auffassung des Einschreiters sei der einzige Rechtfertigungsgrund für Freiheitsentzug, der nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, eine Straftat, die schuldhaft begangen werde und dann auch nur für die Länge, die für die jeweilige Straftat angemessen sei.

II. Rechtslage

§21 des Bundesgesetzes vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl 60/1974, idF BGBl I 111/2010 lautet (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher

§21. (1) Begeht jemand eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und kann er nur deshalb nicht bestraft werden, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§11) begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, so hat ihn das Gericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

 

(2) Liegt eine solche Befürchtung vor, so ist in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher auch einzuweisen, wer, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad eine Tat begeht, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. In einem solchen Fall ist die Unterbringung zugleich mit dem Ausspruch über die Strafe anzuordnen.

 

(3) Als Anlasstaten im Sinne der Abs1 und 2 kommen mit Strafe bedrohte Handlungen gegen fremdes Vermögen nicht in Betracht, es sei denn, sie wurden unter Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (§89) begangen."

 

III. Zur Zulässigkeit

1. Der Antrag des Einschreiters ist als Individualantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG zu werten, weil im Antrag auf kein erhobenes Rechtsmittel verwiesen wurde.

2. Art140 B‑VG Abs1 Z1 litc B‑VG beruft den Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit eines Bundes- oder Landesgesetzes auf Antrag einer Person zu erkennen, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist, und dieses im Fall der Verfassungswidrigkeit aufzuheben.

Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg 8.009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B‑VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

3. Zum einen ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller im gegenständlichen Fall ein anderer Weg offen stand, die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §21 Abs1 und 2 StGB an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, weil die auf §21 Abs1 und 2 StGB gestützte Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher auf einem gerichtlichen Urteil basiert. Der Antragsteller hätte in jenem Gerichtsverfahren anregen können, dass das Gericht bei verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Bestimmungen einen Antrag auf Aufhebung dieser Bestimmungen gemäß Art89 B‑VG beim Verfassungsgerichtshof stellt. Zum anderen ist für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar, inwieweit der Antragsteller – abgesehen von der bereits mit Urteil angeordneten Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher – durch die Bestimmungen des §21 Abs1 und 2 StGB unmittelbar und aktuell betroffen sein kann.

IV. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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