VfGH G239/2020

VfGHG239/20208.6.2020

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des COVID-19-MaßnahmenG mangels Darlegung von Bedenken; keine Möglichkeit einer – isolierten – Anfechtung von Verordnungsermächtigungen

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
COVID-19-MaßnahmenG §1, §2
VfGG §7 Abs2, §62 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:G239.2020

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

1. Mit dem auf Art140 B‑VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, der Verfassungsgerichtshof möge das "Covid-19-Maßnahmengesetz §§1 und 2" als verfassungswidrig aufheben.

2. Zu ihrer Antragslegitimation führt die Antragstellerin das Folgende aus:

"Das bekämpfte Gesetz ist verfassungswidrig und wirkt unmittelbar durch die auf dessen Grundlage erlassenen Verordnungen nachteilig auf die Rechtssphäre der Antragstellerin, ohne dass dazu ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung zu ergehen hätte. Es ist der Antragstellerin nicht zumutbar, mutwillig eine mögliche Gesetzesübertretung zu begehen, um den daraufhin ergehenden Verwaltungsstrafbescheid im Instanzenzug zu bekämpfen und auf diesem Umweg die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit zu erreichen.

 

Die Vielzahl der auf Grundlage des bekämpften Gesetzes ergangenen Verordnungen sowie die Änderungen und Ergänzungen dazu innerhalb eines kurzen Zeitraums, lässt es unmöglich und ebenfalls unzumutbar erscheinen, jede Verordnung gesondert zu bekämpfen."

 

3. Die Antragstellerin führt die Bedenken gegen das angefochtene Gesetz folgendermaßen aus:

"Das bekämpfte Gesetz stellt einen eklatanten Eingriff in die verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte nicht nur der Antragstellerin dar.

 

Als Voraussetzung für einen umfassenden Eingriff in die Rechte der Unterworfenen soll lediglich 'Beim Auftreten von Covid-19 … soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 erforderlich ist.' gelten.

 

Daraus ergibt sich, dass die Maßnahmen nach dem Wortlaut des bekämpften Gesetzes ohne Prüfung des Ortes des Auftretens, Ausmaßes der Krankheitsfälle und des Ausmaßes der Ansteckungsgefahr ergriffen werden können, die die Gesamtheit der Bevölkerung in erheblichem Ausmaß beeinträchtigt.

 

Die spätere Entwicklung hat gezeigt, dass die Verordnungsermächtigung tatsächlich in Anspruch genommen wurde, ohne über deren Gefährlichkeit bzw mangelnde Gefährlichkeit Bescheid zu wissen oder auch nur in ausreichendem Maß Bescheid zu erlangen; insbesondere aber, ohne die Maßnahmen auf bestimmte Orte einzuschränken.

 

Im Vergleich dazu sieht §20 EpG Betriebsbeschränkungen nur vor

- bei Betrieben, die eine besondere Gefahr für die Ausbreitung mit sich bringen

- für bestimmt zu bezeichnende Gebiete, sofern

- die Aufrechterhaltung eine dringende und schwere Gefährdung der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit begründen würde.

 

Auch die Schließung von Bildungseinrichtungen ist gem §18 EpG vom Auftreten einer anzeigepflichtigen Krankheit abhängig. Wobei sich bei der Wortfolge 'im Falle des Auftretens einer anzeigepflichtigen Krankheit' das Wort 'Auftreten' als 'Auftreten in der zu schließenden Lehranstalt' zu interpretieren ist; sohin ein Auftreten der Krankheit in der Nähe der Lehranstalt nicht ausreichend ist.

 

Diesen Bestimmungen ist zu entnehmen, wie konkret sich die Gefährdung einer anzeigepflichtigen Krankheit manifestieren muss, bevor eine Einschränkung vorgenommen wird.

 

Weiters normiert §32 EpG Entschädigungsansprüche im Fall eines Verdienstentgangs aufgrund dieser Maßnahmen. Diese Regelung zeigt auf, wie sorgfältig und fundiert Betriebsschließungen auszusprechen sind. Wird eine Handlungsermächtigung unter einem mit der Verpflichtung, die durch die Handlung entstandenen Schäden zu ersetzen, erteilt, so wird die Ermächtigung bereits dadurch von vornherein einer Prüfung unterzogen.

 

Die weitreichende Ermächtigung des bekämpften Gesetzes ist mit keiner wie immer gearteten Schranke versehen, daher wurde eine solche – da auch nicht explizit dazu verpflichtet - nicht berücksichtigt.

 

Testungen,

- wie die Ansteckung erfolgt – ob bereits bei flüchtigem Zusammentreffen oder erst bei nahem Kontakt,

- wie tödlich die Krankheit tatsächlich ist, wie stark Todesfälle vom Gesundheitszustand oder aber auch von der Sorgfalt der medizinische Behandlung abhängig sind,

- wie viele Personen tatsächlich erkrankt sind,

sind bis heute ausständig, unvollständig oder unveröffentlicht.

 

Damit einhergehend findet sich – auch nicht im Gesetzeszusammenhang – im bekämpften Gesetz kein Hinweis über die Gefährlichkeit der Krankheit, so wie sie für die Anwendung des EpG erforderlich wäre. Diese lag offenbar auch nicht vor: Beispielsweise ist ein Offenhalten von Supermärkten, wie dies nach dem 16. März 2020 praktiziert wurde (keinerlei wie immer geartete Schutzmaßnahmen), wäre bei Auftreten von Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfällen der traditionellen anzeigepflichtigen Krankheiten undenkbar und unverantwortlich. Gleichzeitig wurden andere Handelsgeschäfte – in welchen die Ansteckungsgefahr wesentlich geringer ist – ohne Vorliegen von Voraussetzungen geschlossen.

 

Das angefochtene Gesetz leistet daher einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung Vorschub.

 

Darüber hinaus gibt das angefochtene Gesetz nur das willkürlich angesetzte Datum 31.12.2020 des Außer-Kraft-Tretens an. Da dem Gesetz keine zu bewältigende Aufgabe innewohnt, kann auch dessen Beendigung nicht bestimmt werden. Das Datum alleine lässt sich – da keine Voraussetzungen erfüllt sein müssen - beliebig abändern. Dem angefochtenen Gesetz mangelt es dadurch an jeglicher Transparenz.

 

Hat das Gesetz, wie das hier angefochtene, keinen Telos, so sind die Rechtsunterworfenen mehr als üblich der Willkür der Exekutive unterworfen. Die sich rasch ändernden auf Grundlage des angefochtenen Gesetzes ergehenden Ankündigungen, Interpretationen, Verlautbarungen und Widerrufe von Verordnungen lassen es nicht mehr zu, Handlungs- und Unterlassungspflichten zu erkennen. Das Gleiche gilt naturgemäß auch für Sicherheitsorgane, die nicht auf der Grundlage von allgemeinen, abstrakten und dadurch sachlichen Kriterien agieren können, sondern ihrerseits mit willkürlichen Anweisungen konfrontiert, willkürliche Maßnahmen setzen.

 

Zusammenfassend kann gesagt werden: Das angefochtene Gesetz ermöglicht 'bei Auftreten' einer wesentlich harmloseren Krankheit als beispielsweise der Cholera, deutlich weitreichendere Eingriffe in die Grundrechte der Rechtsunterworfenen."

 

II. Rechtslage

Das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz) idF BGBl I 12/2020 lautet:

"Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren- und Dienstleistungen

§1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind.

 

Betreten von bestimmten Orten

§2. Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Die Verordnung ist

1. vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt,

2. vom Landeshauptmann zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Landesgebiet erstreckt, oder

3. von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf den politischen Bezirk oder Teile desselben erstreckt.

Das Betretungsverbot kann sich auf bestimmte Zeiten beschränken.

 

Mitwirkung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes

§2a. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben die nach diesem Bundesgesetz zuständigen Behörden und Organe über deren Ersuchen bei der Ausübung ihrer beschriebenen Aufgaben bzw zur Durchsetzung der vorgesehenen Maßnahmen erforderlichenfalls unter Anwendung von Zwangsmitteln zu unterstützen.

(2) Sofern nach der fachlichen Beurteilung der nach diesem Bundesgesetz zuständigen Behörden im Rahmen der nach Abs1 vorgesehenen Unterstützung für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach der Art der übertragbaren Krankheit und deren Übertragungsmöglichkeiten eine Gefährdung verbunden ist, der nur durch besondere Schutzmaßnahmen begegnet werden kann, so sind die nach diesem Bundesgesetz zuständigen Behörden verpflichtet, adäquate Schutzmaßnahmen zu treffen.

 

Strafbestimmungen

§3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

(2) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, nicht betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 30 000 Euro zu bestrafen. Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte höchstens von der in der Verordnung genannten Zahl an Personen betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

(3) Wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß §2 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

 

Inkrafttreten

§4. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

(2) Hat der Bundesminister gemäß §1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten nicht zur Anwendung.

(3) Die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 bleiben unberührt.

(4) Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes können vor seinem Inkrafttreten erlassen werden, dürfen jedoch nicht vor diesem in Kraft treten.

 

Vollziehung

§5. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betraut."

 

III. Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

Gemäß §62 Abs1 VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Das Fehlen dieser Darlegung ist kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozesshindernis (vgl zB VfSlg 12.564/1990, 15.342/1998 mwN). Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, mithin dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die bekämpfte Bestimmung in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl VfSlg 11.150/1986, 11.888/1988, 13.851/1994, 14.802/1997, 17.651/2005; VfGH 26.2.2018, G27/2018). Es genügt dabei nicht, dass im Antrag behauptet wird, dass die bekämpfte Bestimmung gegen eine Verfassungsbestimmung verstößt; vielmehr muss konkret dargelegt werden, aus welchen Gründen der bekämpften Norm die behauptete Verfassungswidrigkeit anzulasten ist (vgl VfSlg 13.123/1992; VfGH 13.9.2013, G61/2013). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, pauschal vorgetragene Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und –gleichsam stellvertretend – das Vorbringen für die Antragsteller zu präzisieren (VfSlg 17.099/2003 mwN, 17.102/2004; VfGH 10.6.2016, G70/2016).

2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung erweist sich der vorliegende Antrag als unzulässig:

2.1. Die Antragstellerin bezieht sich in ihren Ausführungen jeweils pauschal auf das "bekämpfte Gesetz" bzw die "verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte" und unterlässt es gänzlich, jeweils darzulegen, welche konkret bekämpfte Gesetzesbestimmung mit welcher Verfassungsbestimmung in Widerspruch stehen soll. Dies führt dazu, dass das Vorliegen in überprüfbarer Art präzise ausgebreiteter Bedenken im vorliegenden Fall zu verneinen ist.

2.2. Das Fehlen einer geeigneten Darlegung iSd §62 Abs1 VfGG ist kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozesshindernis (vgl VfSlg 12.564/1990, 15.342/1998 mwN). Der somit an einem inhaltlichen, keiner Verbesserung zugänglichen Mangel leidende Antrag ist daher – schon aus diesem Grund – als unzulässig zurückzuweisen (vgl VfSlg 17.553/2005; VfGH 26.2.2018, G27/2018).

3. Im Übrigen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes eine (isolierte) Anfechtung von Verordnungsermächtigungen, die sich an Verwaltungsorgane richten, grundsätzlich nicht zulässig, weil sie erst durch die Erlassung der konkreten Verordnung für deren Adressaten wirksam werden und dadurch allenfalls Eingriffe in die Rechtssphäre einer Person zu bewirken vermögen (vgl VfSlg 17.676/2005 mwN, 17.957/2006). Eine (Mit-)Anfechtung der einer Verordnung zugrunde liegenden gesetzlichen Ermächtigung ist nur zulässig, wenn die – unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifende – Verordnung bereits erlassen wurde und gemeinsam mit der Verordnungsermächtigung angefochten wird (vgl dazu insbesondere VfSlg 15.316/1998 mwN, 16.808/2003, 19.639/2012). Das ist vorliegend jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil keine nach den §§1 bzw 2 COVID-19-Maßnahmengesetz erlassene Verordnung angefochten wurde.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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