VfGH G231/2016

VfGHG231/201624.11.2016

Unzulässigkeit eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes, in eventu der Notariatsordnung mangels Darlegung von Bedenken im Einzelnen bzw mangels Vorliegens einer in erster Instanz entschiedenen Rechtssache

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
RStDG §93 Abs1, §157 Abs1
NotariatsO §117a Abs4, §183 Abs3
VfGG §62 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
RStDG §93 Abs1, §157 Abs1
NotariatsO §117a Abs4, §183 Abs3
VfGG §62 Abs1

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller, die Wortfolge "bis 165" in §93 Abs1 Bundesgesetz über das Dienstverhältnis der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärter (Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz – RStDG), BGBl 305/1961, idF BGBl 507/1994, in eventu die Wortfolge "93 bis" in §183 Abs3 Notariatsordnung – NO, RGBl. 75/1871, idF BGBl I 141/2009, in eventu die Wortfolge "(§183 Abs3)" in §117a Abs4 NO, RGBl. 75/1871, idF BGBl I 190/2013, in eventu die Wortfolge "an das Oberlandesgericht als Dienstgericht (§182 Abs3)" in §117a Abs4 NO, RGBl. 75/1871, idF BGBl I 190/2013, und die Wortfolge "ohne sein oder seines Vertreters Verschulden" in §157 Abs1 RStDG, BGBl 305/1961, idF BGBl I 130/2003, in eventu die Wortfolge "ohne sein oder seines Vertreters Verschulden durch unabwendbare Umstände" in §157 Abs1 RStDG, BGBl 305/1961, idF BGBl I 130/2003, als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. §117a der Notariatsordnung ("NO"), RGBl. 75/1871, idF BGBl I 190/2013, lautet:

"§117a. (1) Die Notariatskammer hat ein Verzeichnis über sämtliche Notariatskandidaten ihres Sprengels zu führen.

(2) Auf Anzeige des Notars (§117 Abs2) darf als Notariatskandidat in dieses Verzeichnis nur eingetragen werden, wer nachweist, dass er Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft und von ehrenhaftem Vorleben ist, ein Studium des österreichischen Rechts (§6a) abgeschlossen und mindestens fünf Monate bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft in rechtsberuflicher Tätigkeit verbracht hat. Außerdem darf er an dem Tag, mit dem seine erstmalige Eintragung wirksam würde, das 35. Lebensjahr nicht vollendet haben; eine neuerliche Eintragung in ein Verzeichnis nach dem 35. Lebensjahr ist nur zulässig, wenn der Betreffende bereits insgesamt mindestens ein Jahr als Notariatskandidat in einem Verzeichnis eingetragen gewesen ist. Der Nachweis der mindestens fünfmonatigen Gerichtspraxis ist nur bei der erstmaligen Eintragung zu erbringen.

[…]

(4) Über die Eintragung hat die Notariatskammer zu entscheiden. Soll die Eintragung verweigert werden, so hat die Notariatskammer dem Bewerber und den Notar zu hören. Gegen die Entscheidung über die Eintragung steht sowohl dem Bewerber als auch dem anzeigenden Notar die Berufung an das Oberlandesgericht als Dienstgericht (§183 Abs3) zu."

2. §183 NO, RGBl. 75/1871, idF BGBl I 141/2009, lautet:

"Ergänzende Bestimmungen

§. 183. […]

(3) Das Oberlandesgericht hat als Dienstgericht in der im §171 bestimmten Zusammensetzung unter sinngemäßer Anwendung der §§93 bis 95, 97 und 98 des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes, BGBl Nr 305/1961, mit Beschluß das Erlöschen des Amtes auszusprechen, wenn einer der Gründe des §19 Abs1 litg vorliegt. §178 Abs1 und 2 sind sinngemäß anzuwenden."

3. §93 des Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärter ("RStDG"), BGBl 305/1961, idF BGBl 507/1994, lautet:

"Besetzung des Dienstgerichtes und Verfahren

§93. (1) Auf die Besetzung des Dienstgerichtes und das Verfahren vor dem Dienstgericht sind die §§112 bis 120, 123 bis 136, 137 Abs3, 138 bis 140, 142, 143, 146 Abs2, 157 und 161 bis 165 sinngemäß anzuwenden.

[…]"

4. §§157 und 164 RStDG, BGBl 305/1961, idF BGBl I 130/2003, lauten:

"Wiedereinsetzung

§157. (1) Gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels hat der Oberste Gerichtshof dem betroffenen Richter die Wiedereinsetzung zu bewilligen, wenn der Richter nachzuweisen vermag, daß ihm die Einhaltung der Frist ohne sein oder seines Vertreters Verschulden durch unabwendbare Umstände unmöglich gemacht worden ist.

[…]

Zulässigkeit von Rechtsmitteln

§164. (1) Rechtsmittel im Disziplinarverfahren sind nur in den im 2. Teil dieses Bundesgesetzes vorgesehenen Fällen zulässig. Sie sind binnen zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung beim Oberlandesgericht einzubringen.

[…]"

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Mit Bescheid der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 10. Februar 2015, AZ 47/15, wurde der Antrag, die Erstantragstellerin in das Verzeichnis der Notariatskandidaten einzutragen, wegen res iudicata zurückgewiesen. Der Bescheid enthielt folgende Rechtsmittelbelehrung: "Gegen diesen Bescheid kann binnen vier Wochen ab dem Tag der Zustellung Berufung an das Oberlandesgericht Wien als Dienstgericht erhoben werden. Die Berufung ist bei der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland einzubringen."

Die dagegen erhobenen Berufungen der Antragsteller wies das Oberlandesgericht Wien als Dienstgericht für Notare und Notariatskandidaten mit am 27. Juni 2016 zugestelltem Beschluss vom 20. Juni 2016, Dg 100/15, mit der wesentlichen Begründung als verspätet zurück, dass gemäß §164 Abs1 RStDG Rechtsmittel binnen zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung beim Oberlandesgericht einzubringen seien.

1.2. Dagegen erhoben die Antragsteller am 4. Juli 2016 Beschwerde an den Obersten Gerichtshof und verbanden damit einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den Bescheid der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland.

2. Mit Schriftsatz vom selben Tag stellten die Antragsteller den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag.

2.1. Zur Zulässigkeit bringen die Antragsteller vor, dass die bekämpften Bestimmungen des §117a Abs4 und §183 Abs3 NO sowie des §93 Abs1 RStDG im Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien ausdrücklich angewandt worden seien. §157 Abs1 RStDG sei vom Obersten Gerichtshof bei der Behandlung des gemeinsam mit der Beschwerde gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzuwenden.

2.2. Die Antragsteller hegen Bedenken gegen §117a Abs4 und §183 Abs3 NO sowie §93 Abs1 RStDG insofern, als das Oberlandesgericht Wien durch deren Anwendung dem Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (und allenfalls der Notariatsordnung) einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Die Antragsteller begründen dies damit, dass kein Grund ersichtlich sei, warum es unerlässlich sein solle, dass im Anwendungsbereich der Notariatsordnung (allenfalls auch des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes) bei einer falschen Rechtsmittelbelehrung die in §61 Abs3 AVG vorgesehene Regelung betreffend die Rechtsmittelfrist nicht gelte. Die Anwendung des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes anstelle des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes widerspreche daher Art11 Abs2 B‑VG.

§157 Abs1 RStDG widerspreche Art7 Abs1 B‑VG, weil kein sachlicher Grund ersichtlich sei, warum diese Wiedereinsetzungsvorschrift von jener in anderen Verfahrensgesetzen abweiche.

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit des Antrages sowohl hinsichtlich der §117a Abs4 und §183 Abs3 NO sowie §93 Abs1 RStDG als auch in Ansehung des §157 Abs1 RStDG bestreitet; im Übrigen tritt sie den von den Antragstellern geltend gemachten Bedenken inhaltlich entgegen.

3.1. Zur Zulässigkeit der Anfechtung der §§117a Abs4, 183 Abs3 NO und §93 Abs1 RStDG führt die Bundesregierung zusammengefasst aus, dass die Antragsteller lediglich Vollzugsmängel in der vom Oberlandesgericht Wien als Dienstgericht für Notare und Notariatskandidaten vorgenommenen Anwendung von Gesetzen geltend machten. Dabei handle es sich um keine zulässigen Bedenken in einem Gesetzesprüfungsverfahren.

Der Antrag erweise sich auch deshalb als unzulässig, weil die von den Antragstellern geltend gemachten Bedenken – falls sie in der Sache zuträfen – durch Aufhebung der bekämpften Bestimmungen nicht beseitigt würden. Da das behördliche Verfahren vor der Notariatskammer mit der Erlassung des Bescheids ende und die Regelung betreffend die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels zivilprozessualer Natur sei, bestünde – wie dies nach Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen der Fall wäre – keine Regelung über die Frist. Zur Lückenfüllung mittels Analogie seien für das ordentliche Gericht die Vorschriften der Zivilprozessordnung heranzuziehen. Gegen den zurückweisenden Bescheid der Notariatskammer komme somit die vierzehntägige Rekursfrist zur Anwendung, wodurch das Ziel des Aufhebungsbegehrens nicht erreicht werde.

3.2. In Bezug auf die Anfechtung des §157 Abs1 RStDG wendet die Bundesregierung die mangelnde Präjudizialität der Bestimmung im erstinstanzlichen Anlassverfahren ein. Der von den Antragstellern bekämpfte Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien habe die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der von den Antragstellern erhobenen Berufungen zum Gegenstand gehabt, nicht aber die Frage, ob eine allfällige gegen die – auf Grund einer verspäteten Berufung erfolgte – Versäumung der Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels erhobene Wiedereinsetzung zu bewilligen wäre.

4. Die Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland erstattete eine Äußerung, in der sie den Bedenken der Antragsteller entgegentritt.

5. Das Oberlandesgericht Wien legte eine Kopie der Gerichtsakten vor.

IV. Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

2. Zu §93 Abs1 RStDG bzw. zu den in eventu angefochtenen Bestimmungen in §117a Abs4 und §183 Abs3 NO:

2.1. Die Antragsteller haben ihren Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG aus Anlass einer Beschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Dienstgericht für für Notare und Notariatskandidaten erhoben.

2.2. Gemäß §62 Abs1 VfGG muss der Antrag begehren, "dass entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen." Ein solches Begehren enthält der vorliegende Antrag nicht. Die Antragsteller äußern mit ihrer Forderung nach der Anwendung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (insbesondere des §61 Abs3 AVG) statt des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes bzw. der Notariatsordnung verfassungsrechtliche Bedenken ausschließlich gegen die Auslegung der Gesetze durch das Oberlandesgericht Wien als Dienstgericht für Notare und Notariatskandidaten; eigenständige Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes im Hauptantrag bzw. der Notariatsordnung in den Eventualanträgen machen sie nicht geltend.

2.3. Das Fehlen einer geeigneten Darlegung iSd §62 Abs1 zweiter Satz VfGG ist kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozesshindernis (vgl. VfSlg 15.342/1998 mwN). Der somit an einem inhaltlichen, keiner Verbesserung zugänglichen Mangel leidende Antrag war daher – schon aus diesem Grund – als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfSlg 17.553/2005).

3. Zu §157 Abs1 RStDG:

3.1. Ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen gemäß Art140 Abs1 Z1 lita oder litd B‑VG kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw. wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre (VfGH 26.11.2015, G191/2015).

Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", also eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz.

3.2. Im von den Antragstellern mittels (selbständigem) Antrag eingeleiteten Verfahren über die Wiedereinsetzung ist bislang weder eine Entscheidung ergangen, noch ein Rechtsmittel erhoben worden. §157 Abs1 RStDG ist – wie auch die Antragsteller richtig erkennen – erst bei der Behandlung des Wiedereinsetzungsantrags anzuwenden. Da somit insoweit keine "in erster Instanz entschiedene Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG vorliegt, ist der Antrag auf Aufhebung des §157 Abs1 RStDG unzulässig. Dabei ist die Frage nicht zu untersuchen, ob es sich bei einer Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag überhaupt um eine "entschiedene Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG handelt.

V. Ergebnis

1. Der vorliegende, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützte Antrag ist zur Gänze als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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