VfGH G15/89

VfGHG15/8916.6.1989

Zurückweisung des Antrages des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung des §6 Z8 Bgld. GemeindestrukturverbesserungsG wegen fehlender Präjudizialität - Zusammenhang mit den eine Voraussetzung für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im konkreten Bauverfahren bildenden Rechtsvorschriften zu weit

Normen

B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Bgld GemeindestrukturverbesserungsG §6 Z8
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Bgld GemeindestrukturverbesserungsG §6 Z8

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1.a) Der Verwaltungsgerichtshof stellt aus Anlaß einer bei ihm zu Zl. 85/05/0120 anhängigen Beschwerde mit Beschluß vom 17. Jänner 1989, Zl. A3/89, gemäß Art140 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, §6 Z8 des Burgenländischen Gesetzes vom 1. September 1970, LGBl. Nr. 44, über Gebietsänderungen von Gemeinden (Gemeindestrukturverbesserungsgesetz), in eventu das Wort "Inzenhof" in dieser Bestimmung als verfassungswidrig aufzuheben.

b) Der erwähnten Verwaltungsgerichtshofbeschwerde liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde Neustift bei Güssing erteilte dem Rechtsvorgänger der Erstmitbeteiligten mit Bescheid vom 21. Februar 1984 die baubehördliche Bewilligung zum Neubau eines Selchhauses (Selchkammer) auf dem Grundstück Nr. 15 der KG. Inzenhof. Der rechtzeitig dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde Neustift bei Güssing mit Bescheid vom 28. März 1984 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Die Bezirkshauptmannschaft Güssing gab der dagegen erhobenen Vorstellung des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 4. Juli 1984 Folge, behob den Berufungsbescheid vom 28. März 1984 und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die mitbeteiligte Gemeinde. Der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde Neustift bei Güssing gab sodann mit Beschluß vom 28.September 1984 - ausgefertigt durch den vom Vizebürgermeister für den Gemeinderat unterfertigten Bescheid vom 3. Oktober 1984 - der Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheid vom 21. Februar 1984 Folge, behob den erstinstanzlichen Bescheid und verwies die Angelegenheit gemäß §66 Abs2 AVG 1950 zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde erster Instanz. Die Gemeindeaufsichtsbehörde gab mit Bescheid vom 31. Mai 1985 der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den zuletzt genannten Bescheid des Gemeinderates keine Folge.

Gegen diesen Vorstellungsbescheid wendet sich die eingangs erwähnte Verwaltungsgerichtshofbeschwerde.

c) Die angefochtene landesgesetzliche Bestimmung (nämlich §6 Z8 des Burgenländischen Gemeindestrukturverbesserungsgesetzes, LGBl. 44/1977 - Bgld. GStrVG) hat im Zusammenhang mit dem Einleitungssatz folgenden Wortlaut:

"Im politischen Bezirk Güssing werden folgende Gemeinden zu einer neuen Gemeinde vereingt: ........

8. die Gemeinden Großmürbisch, Kleinmürbisch, Inzenhof, Neustift bei Güssing und Tschanigraben zur Gemeinde Neustift bei Güssing."

Der Verwaltungsgerichtshof äußert das Bedenken, daß diese landesgesetzliche Bestimmung gegen die als Landesverfassungsgesetz erlassene Burgenländische Gemeindeordnung, LGBl. 37/1965, verstoße.

§8 Abs2 der Gemeindeordnung sehe nämlich vor, daß zur Vereinigung zweier oder mehrerer aneinandergrenzender Gemeinden gegen den Willen einer beteiligten Gemeinde ein Landesgesetz erforderlich ist; die durch §6 Z8 Bgld. GStrVG vereinigten Gemeinden Neustift bei Güssing und Inzenhof hätten aber nicht unmittelbar aneinandergegrenzt.

Die Präjudizialität der bekämpften Bestimmung erachtet der Verwaltungsgerichtshof deshalb für gegeben, weil für seine Entscheidung über die vorliegende Bescheidbeschwerde in erster Linie maßgebend sei, ob die Rüge des Beschwerdeführers zutrifft, die in der vorliegenden Beschwerdesache eingeschrittenen Baubehörden erster und zweiter Instanz seien unzuständig gewesen, dies deshalb, weil die Vereinigung der ehemaligen Gemeinden Inzenhof und Neustift bei Güssing landesverfassungswidrig erfolgt sei.

2. Die Burgenländische Landesregierung erstattete eine Äußerung. Sie begehrt, den Antrag mangels Präjudizialität zurückzuweisen, in eventu die angefochtene Gesetzesstelle nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.a) Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Gesetzesprüfungsantrages ist den Art89 Abs2 und140 Abs1 erster SatzB-VG zufolge u.a., daß das Gericht Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit eines von ihm anzuwendenden (präjudiziellen) Gesetzes hegt.

b) Der Verfassungsgerichtshof hat zur Prozeßvoraussetzung der Präjudizialität bei der amtswegigen Einleitung eines Verordnungs- und Gesetzesprüfungsverfahrens in ständiger Judikatur (VfSlg. 9751/1983, 10816/1986; VfGH 24.6.1987 A2/87) dargetan, daß diese Frage auch nach der durch die B-VG Nov. BGBl. 302/1975 geschaffenen Verfassungsrechtslage in gleicher Weise zu beurteilen sei wie nach der früheren Fassung der Art139 und140 B-VG (Vgl. VfSlg. 7949/1976, S 436), wonach es darauf ankam, ob die generelle Norm "Voraussetzung" für die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in einer bei ihm anhängigen Rechtssache war. Es sei offenkundig, daß die Art139 Abs1 und140 Abs1 B-VG den Verfassungsgerichtshof nicht dazu ermächtigen, jede generelle Norm von Amts wegen zu prüfen, die für seine Entscheidung auch nur irgendwie von Bedeutung sein kann; denn irgendwie bedeutsam könne letztlich jede Norm, dh. die gesamte Rechtsordnung sein. Der Sinn dieser bundesverfassungsgesetzlichen Vorschrift sei es vielmehr, den Umfang jener genereller Normen, die zu prüfen der Verfassungsgerichtshof befugt ist, einzugrenzen. Diese Schranken ließen sich nicht allgemein umschreiben; die Entscheidung habe der Verfassungsgerichtshof unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des jeweiligen Falles zu treffen (vgl. Kelsen-Froehlich-Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, Wien und Leipzig 1922,

S 254).

c) Der Verfassungsgerichtshof ist bei Gesetzesprüfungsverfahren, die auf Antrag eines (anderen) Gerichtes eingeleitet werden, nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984).

d) Bei Entscheidung über die vorliegende Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - wie ihm beizupflichten ist - nicht bloß die materiellen Rechtsvorschriften und die das Verfahren (im engeren Sinn) regelnden Vorschriften (insbesondere das AVG 1950) anzuwenden, sondern auch jene Bestimmungen, aus denen die Zuständigkeit der Bgld. Landesregierung zur Erlassung des bekämpften Vorstellungsbescheides sowie die Kompetenz der in erster und zweiter Instanz eingeschrittenen Gemeindebehörden abzuleiten ist. Eine allenfalls mangelnde Zuständigkeit der Gemeindebehörden wäre nämlich von der Bgld. Landesregierung als Gemeindeaufsichtsbehörde im Vorstellungsverfahren wahrzunehmen gewesen (vgl. zB VfSlg. 8229/1977, 9026/1981, 9751/1983).

Um zu beurteilen, ob im Bauverfahren die örtlich und sachlich zuständigen Behörden eingeschritten sind, hatte die belangte Behörde als Gemeindeaufsichtsbehörde §3 lita AVG 1950 iVm den entsprechenden Vorschriften der Bgld. Bauordnung und der Bgld. Gemeindeordnung zu beachten. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat sie im Anlaßbeschwerdeverfahren anzuwenden.

Es war und ist nun aber ohne weiteres einsichtig, daß hier zur Entscheidung über den Antrag des Bauwerbers die Organe der Gemeinde Neustift bei Güssing zuständig waren. Der Zusammenhang zwischen den Grenzen der Gemeinden und einem konkreten Verwaltungsverfahren ist derart weit, daß die diese Grenzen festlegenden Rechtsvorschriften offenkundig nicht präjudiziell in der angegebenen Bedeutung sind (vgl. das einen völlig gleichgelagerten Fall betreffende Erk. VfSlg. 9751/1983).

Der Gesetzesprüfungsantrag war daher zurückzuweisen.

2. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte