Normen
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Krankenordnung der Nö Gebietskrankenkasse vom 11.04.75 Punkt 37
ASVG §131 Abs1
ASVG §135
ASVG §153
ASVG §153 Abs1 erster Satz
ASVG §338 ff
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Krankenordnung der Nö Gebietskrankenkasse vom 11.04.75 Punkt 37
ASVG §131 Abs1
ASVG §135
ASVG §153
ASVG §153 Abs1 erster Satz
ASVG §338 ff
Spruch:
1. Der Antrag, §153 Abs1 Satz 1 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben, wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag, Punkt 37 der Krankenordnung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte vom 11. April 1975, SoSi 1975, Amtliche Verlautbarung Nr. 89, als gesetzwidrig aufzuheben, wird hinsichtlich des Abs1 abgewiesen und hinsichtlich des Abs2 zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Gestützt auf Art89 Abs2 B-VG stellt das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen mit Beschluß vom 22. Juni 1992 (beim Verfassungsgerichtshof eingelangt am 23. Juli 1992) die Anträge, der Verfassungsgerichtshof wolle §153 Abs1 Satz 1 ASVG als verfassungswidrig und Punkt 37 der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse als gesetzwidrig aufheben.
Der Gesetzesprüfungsantrag ist hg. zu G155/92, der Verordnungsprüfungsantrag zu V54/92 protokolliert.
2. Die vom Oberlandesgericht Wien angefochtenen (und im folgenden hervorgehobenen) Bestimmungen haben in ihrem Kontext folgenden Wortlaut:
2.1. §153 ASVG lautet:
"§153. (1) Zahnbehandlung ist nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung zu gewähren. Als Leistungen der Zahnbehandlung kommen chirurgische Zahnbehandlung, konservierende Zahnbehandlung und Kieferregulierungen, letztere, soweit sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsschädigungen oder zur Beseitigung von berufsstörenden Verunstaltungen notwendig sind, in Betracht. Diese Leistungen der Zahnbehandlung können in der Satzung des Versicherungsträgers von der Erfüllung einer Wartezeit abhängig gemacht werden. §121 Abs3 gilt entsprechend.
(2) Der unentbehrliche Zahnersatz kann unter Kostenbeteiligung des Versicherten gewährt werden. Anstelle der Sachleistung können auch Zuschüsse zu den Kosten eines Zahnersatzes geleistet werden. Das Nähere wird durch die Satzung des Versicherungsträgers bestimmt.
(3) Zahnbehandlung und Zahnersatz werden als Sachleistungen durch Vertragsärzte, Wahlärzte (§131 Abs1), nach den Bestimmungen des Dentistengesetzes, BGBl. Nr. 90/1949, auch durch Vertragsdentisten, Wahldentisten (§131 Abs1), in eigens hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Ambulatorien) der Versicherungsträger (des Hauptverbandes) oder in Vertragseinrichtungen gewährt. Für die Zahnbehandlung gilt hiebei §135 Abs2 entsprechend. Insoweit Zuzahlungen zu den Leistungen der Zahnbehandlung und des Zahnersatzes vorgesehen sind, müssen diese in den Zahnambulatorien und bei den freiberuflich tätigen Vertragsfachärzten und Vertragsdentisten gleich hoch sein. In den Satzungen und im Vertrag nicht vorgesehene Leistungen dürfen in den Zahnambulatorien nicht erbracht werden; in den Zahnambulatorien dürfen aber jedenfalls jene Leistungen erbracht werden, die am 31. Dezember 1972 Gegenstand eines Vertrages waren.
(4) Bei der Inanspruchnahme der chirurgischen oder konservierenden Zahnbehandlung durch einen Vertragszahnarzt oder Vertragsdentisten oder in einer eigenen Einrichtung (Vertragseinrichtung) des Versicherungsträgers ist ein Zahnbehandlungsschein vorzulegen. Der Hauptverband hat hiefür einen einheitlichen, für alle Versicherungsträger gültigen Vordruck aufzulegen.
(5) Für die Übernahme von Reise(fahrt)- bzw. Transportkosten gilt §135 Abs4 und 5 entsprechend."
2.2. Punkt 37 der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse lautet:
"37
(1) Für die Inanspruchnahme eines Vertragsarztes als Wahlarzt wird kein Kostenersatz gewährt.
(2) Ein Kostenersatz wird auch nicht gewährt, wenn der Versicherte in demselben Kalendervierteljahr einen praktischen Arzt als Wahlarzt und einen praktischen Arzt als Vertragsarzt oder einen Facharzt als Wahlarzt und einen Facharzt des gleichen Fachgebietes als Vertragsarzt in Anspruch genommen hat. Das gleiche gilt sinngemäß bei der Inanspruchnahme eines Wahlarztes neben einer eigenen Einrichtung (Vertragseinrichtung) der Kasse."
Der unter der Überschrift "Kostenersatz bei Inanspruchnahme von Wahlzahnärzten (Wahldentisten, Wahleinrichtungen)" stehende Punkt 39 bestimmt in seinem Abs4:
"Die Punkte 36 und 37 gelten sinngemäß."
3. Das Oberlandesgericht Wien bringt im wesentlichen vor:
"Der Kläger stand am 5.2.1991 und 8.2.1991 bei (einem) Facharzt für Zahnheilkunde ... in ärztlicher Behandlung. Er hat die Kosten der Behandlung selbst bezahlt. (Dieser Facharzt) ist Vertragsarzt. Der Kläger hat keinen Zahnbehandlungsschein vorgelegt.
Mit Bescheid vom 7.5.1991, LA I-Zw/V-3.616, sprach die beklagte Partei aus, daß dem Kläger für die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe bei (diesem Facharzt) am 5.2.1991 und 8.2.1991 kein Kostenersatz gebühre.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht das Klagebegehren, die beklagte Partei sei verpflichtet, dem Kläger die anläßlich der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe ... bevorschußten Kosten von S 720,-- zu ersetzen, in eventu nach Maßgabe des zwischen der beklagten Partei und (dem Facharzt) bestehenden Vertrages zu ersetzen, abgewiesen. Es legte zusätzlich zu dem bereits wiedergegebenen Sachverhalt seiner Entscheidung noch zugrunde, daß der Kläger weder von der Möglichkeit, sich einen Urlaubskrankenschein ausstellen zu lassen, noch beim behandelnden Arzt den begehrten Honoraranspruch einzusetzen und gegen Nachreichung eines Arzthilfescheines den eingesetzen Betrag zurückzuerlangen, Gebrauch gemacht hat.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im wesentlichen aus:
Ein Vertragsarzt des Krankenversicherungsträgers könne nicht gleichzeitig auch als Wahlarzt für den Versicherten tätig sein. Der Kläger habe dadurch, daß er einen Zahnbehandlungsschein dem (Facharzt) nicht vorgelegt, sondern dessen Honorar für die Behandlung gezahlt habe, diesen als Wahlarzt in Anspruch genommen. Für diesen Fall werde durch Punkt 37 der Krankenordnung der Nö.Gebietskrankenkasse angeordnet, daß ein Kostenersatz nicht in Frage komme. Der angefochtene Bescheid sei durch §153 Abs3 ASVG iVm §131 Abs1 ASVG gedeckt. Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit dieser Bestimmungen seien vom Erstgericht nicht wahrzunehmen. Bedenken gegen die Gesetzeskonformität der Krankenordnung der beklagten Partei bestünden nicht.
...
Die beklagte Partei hat sich bei der Ablehnung der Zahlung von S 720,-- auf die §§153 Abs1, 3 und 4 ASVG in Zusammenhalt mit Punkt 37 der Krankenordnung berufen. Gleich dem Obersten Gerichtshof ... hat auch das Berufungsgericht gegen die auch hier anzuwendende Bestimmung des §153 Abs1 Satz 1 ASVG aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken."
Nach einer nahezu wörtlichen Wiedergabe der im hg. Verfahren G245/91, V189/91 vom Obersten Gerichtshof zu §153 Abs1 Satz 1 ASVG vorgetragenen Bedenken (vgl. daher VfGH 25.6.1992 G245/91, V189/91, Pkt. 1.3.2.) führt das Oberlandesgericht Wien weiters aus:
"... Ist aber §153 Abs1 Satz 1 ASVG verfassungswidrig, dann fehlt es auch an der gesetzlichen Deckung der Bestimmung des Punkt 37 der Krankenordnung der NÖ. Gebietskrankenkasse.
Auch die Regelung des §153 Abs4 ASVG, daß bei der Inanspruchnahme der chirurgischen oder konservierenden Zahnbehandlung durch einen Vertragsarzt oder Vertragsdentisten oder in einer eigenen Einrichtung (Vertragseinrichtung) des Versicherungsträgers ein Zahnbehandlungsschein vorzulegen ist, stellt keine gesetzliche Deckung für den Punkt 37 der Krankenordnung der NÖ. Gebietskrankenkasse, wonach für den Fall der Nichtvorlage kein Kostenersatz vorgesehen ist, dar. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes darf eine derartige Regelung nicht allein einer Krankenordnung oder einer Satzung überlassen bleiben. Zutreffend weist in diesem Zusammenhang der Kläger in seiner Berufung darauf hin, daß nach §131 Abs1 ASVG für die Leistungen von Vertragsärzten und von Wahlärzten grundsätzlich ein Ersatzanspruch in gleicher Höhe zu gewähren ist. Es ist daher gesetzlich nicht gedeckt, für die Inanspruchnahme eines Vertragsarztes als Wahlarzt überhaupt keinen Kostenersatzanspruch zuzuerkennen.
Gegen Punkt 37 der Krankenordnung der NÖ.Gebietskrankenkasse bestehen daher auch für den Fall Bedenken als §153 Abs1 S 1 ASVG nicht verfassungswidrig sein sollte."
4.1. Im Verfahren G155/92 übermittelte der Verfassungsdienst die Äußerung der Bundesregierung vom 17. September 1991 zum Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof G245/91 (vgl. daher nochmals VfGH 25.6.1992 G245/91, V189/91, Pkt. 2.1.) mit dem Hinweis auf Pkt. VII dieser Äußerung, wonach diese auch für alle künftigen, sachverhaltsähnlichen Verfahren zur Prüfung derselben Gesetzesbestimmung gelte.
4.2. Der Vorstand der NÖ Gebietskrankenkasse als verordnungserlassende Behörde und die NÖ Gebietskrankenkasse als beteiligte Partei äußerten sich im wesentlichen wie folgt:
"... Zur Bestimmung des §37 der Krankenordnung der NÖ. Gebietskrankenkasse:
...
Im Zusammenhang mit der im Beschluß vom 22.6.1992 vom OLG. Wien vertretenen Ansicht, daß selbst dann, wenn die Bestimmung des §153 Abs1) Satz 1 ASVG. nicht verfassungswidrig sein sollte, der Punkt 37 der Krankenordnung der NÖ. Gebietskrankenkasse nicht verfassungskonform sein sollte, wird folgender Standpunkt vertreten:
Diese Bestimmung der Krankenordnung ist sehr wohl im gesetzlichen Rahmen ergangen. Die gesetzliche Deckung hiefür ergibt sich aus der Bestimmung des §153 Abs4) ASVG. in Verbindung mit all den anderen einschlägigen ... Bestimmungen des ASVG. Die Grundlage hiefür ergibt sich zwangsläufig daraus, daß nach Sinn und Zweck der Bestimmung des §131 ASVG. und nach dem Willen des Gesetzgebers die gleichzeitige Inanspruchnahme eines Vertragsarztes eines Krankenversicherungsträgers als Wahlarzt auch dann nicht statthaft ist, wenn dies vom Versicherten gewünscht wird (OLG. Wien, 8.6.1979, 35 R 112/79, JBl. 1982, Nr. 19/20 S.556). Dem tragen die Bestimmungen der §§135 Abs3) und 153 Abs4 ASVG) . Rechnung, indem die Inanspruchnahme eines Vertragsarztes von der Vorlage eines Krankenscheines bzw. Zahnbehandlungsscheines abhängig gemacht wird. Wird ein derartiger Schein nicht vorgelegt, kann ein Vertragsarzt, auch wenn er in einem Vertragsverhältnis zum Versicherungsträger steht, in dieser Eigenschaft nicht in Anspruch genommen werden. Damit findet aber die Bestimmung des Punktes 37 der Krankenordnung der NÖ. Gebietskrankenkasse, zu deren Erlassung sie nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet ist, in vollem Umfang gesetzliche Deckung.
Bei den vom OLG. Wien geäußerten Bedenken wird dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung nicht Rechnung getragen. Es geht dabei darum, daß ein Vertragsarzt, wird er in Anspruch genommen, im Rahmen des Vertragsverhältnisses nur als solcher tätig werden kann und darf. Die gesetzlichen Regelungen und die darauf basierende Bestimmung des Punktes 37 der Krankenordnung der NÖ. Gebietskrankenkasse schließen es deshalb auch aus, daß ein Vertragsarzt gleichzeitig als solcher und als Wahlarzt in Anspruch genommen werden kann. Würde man den diesbezüglichen Bedenken des OLG Wien Rechnung tragen, müßte dies ja zwangsläufig zu dem durch die gesetzliche Regelung ausgeschlossenen Zustand führen, daß nach dem Belieben des jeweiligen Anspruchsberechtigten dieser einen Krankenschein oder Zahnbehandlungsschein vorlegt oder auch nicht, nach seinem Belieben sohin auch einen Vertragsarzt als Wahlarzt in Anspruch nehmen kann und der Vertragsarzt über seine Tätigkeit als solche hinausgehend, gewissermaßen in Personalunion in beiden Richtungen hin tätig werden könnte, so daß er also in den Fällen, in denen er mangels Beibringung eines Krankenscheines oder Zahnbehandlungsscheines als Wahlarzt tätig wird, mit dem Patienten abrechnet, und sodann analog den für die Inanspruchnahme eines Wahlarztes geltenden Bestimmungen (§131 ASVG. in Verbindung mit Punkt 39 der Krankenordnung) die saldierte Abrechnung dem Versicherungsträger eingereicht wird. Gerade dies wird aber durch die hiefür heranzuziehenden Gesetzesbestimmungen und diesen zufolge durch die Krankenordnung durchaus rechtens und zwingend ausgeschlossen. Die Gesetzeslage und die bisher dazu ergangene Judikatur ... stimmen diesbezüglich in diesem Sinne überein. Da somit ein Vertragsarzt nicht gleichzeitig als Wahlarzt tätig werden kann, kann füglich auch kein Ersatzanspruch geltend gemacht werden, wenn ein Versicherter einen Vertragsarzt als Wahlarzt in Anspruch nimmt.
Eine Ungleichheit im Sinne der Bedenken des OLG. Wien besteht sohin, beachtet man diesen von der Rechtsordnung mit den einschlägigen Gesetzesbestimmungen angestrebten Zweck, nicht. Wenn nun im ASVG. normiert ist, daß ein Versicherter bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes einen Kranken- bzw. Zahnbehandlungsschein vorzulegen hat, so hat die diesbezügliche Unterlassung zwangsläufig zur Folge, daß ein Kostenersatz nicht geleistet werden kann. Analog zu allgemein versicherungsrechtlichen Bestimmungen wird damit dem Versicherten durch das Gesetz eine Verpflichtung im Sinne einer Obliegenheit auferlegt, wobei die Obliegenheitsverletzung durch den Versicherten die Leistungsfreiheit des Versicherers zur Folge hat.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß die Bestimmung des Punktes 37 der Krankenordnung der NÖ. Gebietskrankenkasse für sich allein sich durchaus im Rahmen der Gesetze bewegt, ja sich zwangsläufig aus der Gesetzeslage ergeben muß.
..."
Die NÖ Gebietskrankenkasse begehrt den Zuspruch von Kosten für diese Äußerung.
4.3. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales beantragt, den Antrag des Oberlandesgerichtes Wien, Punkt 37 der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse als gesetzwidrig aufzuheben, abzuweisen, und führt im wesentlichen aus:
"... Die in Rede stehende Krankenordnung behandelt die Frage
des Kostenersatzes bei Wahlarzthilfe in ihren Punkten 33 bis 37.
... Als Durchführungsverordnung präzisiert (Punkt 37 der
Krankenordnung) die generelle Norm des §131 ASVG, welche die Erstattung von Kosten der Krankenbehandlung regelt. Gemäß Abs1 dieser Gesetzesstelle gebührt einem Anspruchsberechtigten, der zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung nicht die Vertragspartner des Versicherungsträgers in Anspruch nimmt, der Ersatz der Kosten einer anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner aufzuwenden gewesen wäre. Somit ist bereits durch das Gesetz eindeutig klargestellt, daß eine Kostenerstattung nur dann in Betracht kommt, wenn ein Nicht-Vertragspartner des Versicherungsträgers in Anspruch genommen wurde.
... Aus der Formulierung des §131 Abs1 erster Satz ASVG ... folgt aber weiters, daß ein Vertragsarzt nicht gleichzeitig als Wahlarzt (wie der in Anspruch genommene Nichtvertragsarzt in §135 Abs1 ASVG bezeichnet wird) in Anspruch genommen werden kann. Dieser Grundsatz wird auch von der herrschenden Judikatur getragen (vergleiche OLG Wien 9.10.1975, 20 R 186/75, JBl 1977 Heft 3/4 S.104, OLG Wien 8.6.1979, 35 R 112/79, JBl 1982 Nr.19/20 S.556). Die Bestimmung des Punktes 37 Abs1 der Krankenordnung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse ist somit nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gesetzeskonform.
... Dem Sachleistungsprinzip kommt im Rahmen der sozialen Krankenversicherung tragende Bedeutung zu. Der Krankenversicherungsträger ist gemäß §23 Abs5 ASVG verpflichtet, für die Krankenbehandlung der Versicherten und ihrer Familienangehörigen ausreichend Vorsorge zu treffen. Dieser gesetzliche Auftrag kann nur durch den Aufbau und die Erhaltung eines effektiven Vertragsarztsystems verwirklicht werden. Besondere Regelungen über Kostenerstattungen sind daher nur in Ausnahmefällen vorgesehen.
Zusammenfassend ist zu sagen, daß das Vertragsarztsystem entwickelt wurde, um den Versicherten die Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen zu ermöglichen, ohne selbst zur Honorierung herangezogen zu werden. Der Gesetzeszweck unterbindet daher nicht nur die Möglichkeit, durch privatautonome Rechtsgestaltung im Bereich des Kostenerstattungssystems den Effekt des Sachleistungsprinzips zu erzielen, sondern auch umgekehrt, durch privatautonome Rechtsgestaltung im Bereich des Sachleistungsprinzips einen Kostenerstattungsanspruch entstehen zu lassen."
5. Über die Anträge des Oberlandesgerichtes Wien wurde erwogen:
5.1. Zur Zulässigkeit der Normenprüfungsanträge:
Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag im Sinne des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig ausgeschlossen (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987).
5.1.1. G155/92:
Das Oberlandesgericht Wien meint, bei der Beurteilung des bei ihm anhängigen Rechtsstreites Punkt 37 der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse unmittelbar und als dessen gesetzliche Grundlage §153 Abs1 Satz 1 ASVG anwenden zu müssen.
Es ist aber ausgeschlossen, daß der erste Satz des §153 Abs1 ASVG als Rechtsgrundlage der angefochtenen Bestimmung der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse in Frage kommt, weil diese Bestimmung nur eine Ermächtigung für den Satzungsgeber, das ist gemäß §435 Abs1 Z4 ASVG die Hauptversammlung (vgl. VfGH 25.6.1992 G245/91, V189/91; so auch VfGH 2.10.1992, G322/91, V301,302/91) enthält. Die Krankenordnung wurde auch tatsächlich nicht von der Hauptversammlung, sondern vom Vorstand erlassen. Es ist daher ausgeschlossen, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung vom antragstellenden Gericht anzuwenden ist. Der Gesetzesprüfungsantrag war daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen.
Hinzu kommt, daß der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungsmäßigkeit des ersten Satzes des §153 Abs1 ASVG bereits im Erkenntnis vom 25. Juni 1992, G245/91, V189/91, abgesprochen hat. Da sich die aufgeworfenen Bedenken mit jenen decken, über die der Gerichtshof im soeben zitierten Erkenntnis abgesprochen hat, stünde einem weiteren Eingehen auf den Antrag auch die Rechtskraftwirkung dieses Erkenntnisses entgegen (vgl. VfSlg. 5872/1968, 9186/1981, 10578/1985).
5.1.2. V54/92:
Nach der im Antrag wiedergegeben Sachverhaltsdarstellung (vgl. 3.) wurde die Präjudizialitätsfrage vom Oberlandesgericht Wien nur hinsichtlich des Abs1 des Punktes 37 der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse denkmöglich beantwortet. Punkt 37 Abs2 regelt nämlich jenen - hier sachverhaltsmäßig nicht vorliegenden - Fall, daß ein Versicherter in einem Quartal zwei (Fach-)Ärzte, nämlich einen als Vertragsarzt und einen als Wahlarzt in Anspruch nimmt. Da die Abs1 und 2 auch nicht in einem sprachlich untrennbaren Zusammenhang stehen, war der zu V54/92 protokollierte Antrag daher insoweit zurückzuweisen, als er sich auf die Aufhebung des Abs2 des Punktes 37 der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse bezieht.
Im übrigen, also hinsichtlich des Abs1 des Punktes 37 leg.cit., ist der Antrag - da Punkt 39 Abs4 der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse dessen sinngemäße Geltung anordnet und auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen - zulässig.
5.2. In der Sache selbst:
Zunächst hält der Verfassungsgerichtshof fest, daß er bei einem gemäß Art139 Abs1 B-VG gestellten Verordnungsprüfungsantrag auf die vom antragstellenden Gericht geltend gemachten Bedenken beschränkt ist (vgl. zB VfSlg. 9287/1981, 11576/1987).
5.2.1. Soweit der Verordnungsprüfungsantrag die Gesetzwidrigkeit des Punktes 37 (Abs1) der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse darin sieht, daß mit einer Aufhebung des §153 Abs1 Satz 1 ASVG die angefochtene Bestimmung der Krankenordnung einer gesetzlichen Deckung entbehrt, genügt es auf die Ausführungen unter 5.1.1. zu verweisen.
5.2.2 Aber auch der weitere Vorwurf, daß Abs1 des Punktes 37 der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse, der anordnet, daß für die Inanspruchnahme eines Vertragsarztes als Wahlarzt kein Kostenersatz zuzuerkennen ist, gegen §131 Abs1 ASVG verstoße, trifft - wie der systematische Zusammenhang mit §§153 Abs3 und 135 Abs1 sowie 153 Abs4 und 135 Abs3 ASVG vor dem Hintergrund der §§338 ff. ASVG zeigt - nicht zu:
Gemäß §153 Abs3 ASVG werden Zahnbehandlung und Zahnersatz als Sachleistungen durch "Vertragsärzte, Wahlärzte (§131 Abs1), nach den Bestimmungen des Dentistengesetzes, BGBl. Nr. 90/1949, auch durch Vertragsdentisten, Wahldentisten (§131 Abs1), in eigens hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Ambulatorien) der Versicherungsträger ... oder in Vertragseinrichtungen gewährt" (vgl. auch §135 Abs1 ASVG für die ärztliche Hilfe im allgemeinen).
Nach diesen Bestimmungen hat ein Versicherter also die Möglichkeit, Vertrags(zahn)ärzte, Wahl(zahn)ärzte sowie Ärzte der eigenen Einrichtungen oder der Vertragseinrichtungen des leistungszuständigen Krankenversicherungsträgers in Anspruch zu nehmen ("freie Arztwahl").
Nimmt der Versicherte einen solchen Vertrags(zahn)arzt - also einen freiberuflich tätigen Arzt, der von den Sozialversicherungsträgern unter Vertrag genommen und so verpflichtet wurde, die Krankenbehandlung der Versicherten gegen ein Entgelt, das vom Sozialversicherungsträger zu leisten ist, zu übernehmen (vgl. §§338 ff.) - in Anspruch, so hat er einen (Zahn-)Behandlungsschein (Arzthilfeschein) vorzulegen (§153 Abs4 und §135 Abs3 ASVG).
Für den Fall, daß der Versicherte nicht die Vertragspartner in Anspruch nimmt, bestimmt §131 Abs1 ASVG, gegen den die angefochtene Verordnungsbestimmung nach Meinung des antragstellenden Gerichtes verstoßen soll, daß dem Versicherten der Ersatz der Kosten einer "anderweitigen Krankenbehandlung" in der Höhe des Betrages gebührt, der bei Inanspruchnahme eines Vertragspartners des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre.
Bei Inanspruchnahme einer "anderweitigen Krankenbehandlung" - worunter insbesondere aufgrund der Bestimmungen der §§135 Abs1 und 3, 153 Abs3 und 4 und 338 ff. ASVG nur die Behandlung durch einen freiberuflich tätigen Arzt, der zum Krankenversicherungsträger in keinem Vertragsverhältnis steht und der vom Gesetzgeber als "Wahlarzt" bezeichnet wird, verstanden werden kann -, sind die Kosten der wahlärztlichen Hilfe also zunächst vom Versicherten selbst zu begleichen; diesem steht sodann gegenüber dem Krankenversicherungsträger ein Anspruch auf Kostenerstattung in der Höhe des Betrages zu, der bei Inanspruchnahme eines Vertragspartners des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre (§131 Abs1 ASVG).
Diesen gesetzlichen Anordnungen liegt die offenkundige Absicht des Gesetzgebers zugrunde, unter Wahrung der freien Arztwahl einerseits den Versicherten jedenfalls die Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen zu ermöglichen, ohne selbst zur Honorierung des Arztes herangezogen zu werden, ihn dadurch also zu schützen, und andererseits - auch - das Funktionieren des für diesen Zweck notwendigen Vertragsarztsystems zu gewährleisten.
Daraus folgt aber, daß ein "Vertragsarzt" nicht gleichzeitig auch als "Wahlarzt" im Sinne des ASVG in Anspruch genommen werden kann und daher auch eine Kostenerstattung bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes schon von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist, sodaß die Bestimmung des Punktes 37 Abs1 der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse nur das mit anderen Worten wiedergibt, was bereits im Gesetz vorgesehen ist.
Der Antrag auf Aufhebung des Punktes 37 Abs1 der Krankenordnung der NÖ Gebietskrankenkasse war daher als unbegründet abzuweisen.
Ein Kostenzuspruch ist im Verfahren nach §§62 bis 65 VerfGG nicht vorgesehen. Es wird Aufgabe des antragstellenden Gerichtes sein, über einen allfälligen Kostenersatzanspruch der beklagten Partei, die im hg. Verfahren eine Äußerung abgegeben hat (vgl. 4.2.), zu erkennen (vgl. VfSlg. 10832/1986 und VfGH 25.6.1992 G245/91, V189/91).
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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