VfGH G119/92

VfGHG119/9213.10.1992

Aufhebung einer Bestimmung des Maß- und EichG betreffend die nicht bescheidmäßige Zurückweisung eines Meßgerätes wegen Suspendierung des verfassungsgesetzlich vorgesehenen Rechtsschutzsystems

Normen

B-VG Art18 Abs1
Maß- und EichG §56 Abs5
B-VG Art18 Abs1
Maß- und EichG §56 Abs5

 

Spruch:

Die Wortfolge ", über die Zurückweisung" in §56 Abs5 des Maß- und Eichgesetzes, BGBl. 152/1950, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 1993 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu Zl. V316/91 ein auf Art139 Abs1 B-VG gestützter Individualantrag anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

1.1. Der Antragsteller ist Inhaber einer Konzession gemäß §3 Abs1 Z3 GelegenheitsverkehrsG zur Personenbeförderung mit einem Personenkraftwagen bis zu neun Sitzplätzen, der für jedermanns Gebrauch an öffentlichen Orten der Stadt Salzburg bereitgehalten wird (Taxigewerbe). Sein Taxifahrzeug wurde von der Bundespolizeidirektion Salzburg gemäß §56 KFG 1967 besonders überprüft, und es wurde mit Bescheid vom 7. August 1989 festgestellt, daß das Kraftfahrzeug den kraftfahrrechtlichen Vorschriften und den Voraussetzungen der §§18 bis 29 der Betriebsordnung für den nichtlinienmäßigen Personenverkehr 1986 (BO 1986) entspricht.

Am 6. November 1991 wurde dieses Taxifahrzeug dem Eichamt Salzburg zur Eichung des Fahrpreisanzeigers vorgeführt; das Meßgerät wurde jedoch zurückgewiesen, weil es nicht den Bestimmungen der Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen vom 29. Jänner 1980, mit der die Eichvorschriften für Fahrpreisanzeiger in Taxifahrzeugen erlassen werden, Amtsblatt für das Eichwesen 1980, 82 f., entspreche.

1.2. Mit dem genannten Individualantrag begehrte der Antragsteller, die Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen vom 29. Jänner 1980, mit der die Eichvorschriften für Fahrpreisanzeiger in Taxifahrzeugen erlassen werden, Amtsblatt für das Eichwesen 1980, 82 f., in eventu die Wortfolge "zur Abrechnung des Fahrers mit dem Besitzer" in deren §3 Abs9, erster Satz, bzw. deren §3 Abs11 Z1, 2 und Abs12 sowie deren §6 Abs4 Z2 als gesetzwidrig aufzuheben.

Zur Antragslegitimation brachte der Einschreiter vor, daß über die Zurückweisung des Meßgerätes am 6. November 1991 gemäß §56 Abs5 des Maß- und Eichgesetzes, BGBl. 152/1950, - diese Regelung blieb durch die folgenden Novellierungen unberührt - (im folgenden: MEG) kein Bescheid zu erlassen sei. Da das Eichamt Salzburg bei der Eichung von Fahrpreisanzeigern die genannte Verordnung anzuwenden habe und die Zurückweisung unter Hinweis auf deren §3 Abs11 Z1 erfolgt sei, greife sie unmittelbar und aktuell in seine Rechtssphäre ein. Die Bestimmungen der bekämpften Verordnung wirkten daher direkt wider seine Person, ohne daß die Erlangung einer gerichtlichen Entscheidung oder die Erlassung eines Bescheides möglich wäre. Ebenso habe er keine andere Möglichkeit, Rechtsschutz gegen die Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen vom 29. Jänner 1980 zu erhalten. Die Provozierung eines Verwaltungsstrafverfahrens gemäß §63 MEG sei ihm nicht zumutbar, und er habe keinen Anspruch auf Erlassung eines Feststellungsbescheides. Einen diesbezüglichen Antrag vom 7. November 1991 habe das Eichamt Salzburg mit Schreiben vom 14. November 1991 sinngemäß abgelehnt und ihm lediglich einen neuerlichen Termin zur Eichung des Fahrpreisanzeigers angeboten.

Sodann wurden die Bedenken gegen die angegriffene Verordnung, welche eingehende Regelungen über die Zulässigkeit von Fahrpreisanzeigern, über deren technische Beschaffenheit usw. enthält, im einzelnen dargelegt.

2. Der Verfassungsgerichtshof beschloß am 25. Juni 1992, aus Anlaß dieses Individualantrages gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der im Spruch näher zitierten Wortfolge in §56 Abs5 MEG einzuleiten.

Er nahm im Rahmen einer vorläufigen Beurteilung an, daß die erwähnte Bestimmung durch die von Art11 Abs2 B-VG gezogene Grenze einer zulässigen abweichenden Regelung im Bereich des Verwaltungsverfahrens überschreite und die abweichende Regelung nicht erforderlich sein dürfte.

Des weiteren hegte er das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge mit dem der österreichischen Bundesverfassung innewohnenden rechtsstaatlichen Prinzip nicht vereinbar sei.

3. Die Bundesregierung teilte mit, daß sie in ihrer Sitzung vom 18. August 1992 beschlossen habe, in diesem Gesetzesprüfungsverfahren im Hinblick auf die Vorjudikatur des Verfassungsgerichtshofes von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen.

II. §56 MEG - die in Prüfung genommene Wortfolge in Abs5 ist hervorgehoben -, der durch die MEG-Novellen BGBl. 213 und 468/1992 unverändert geblieben ist, lautet:

"§56. (1) Das Verfahren der Eichbehörden regelt, soweit sie behördliche Aufgaben nach diesem Bundesgesetz besorgen und nicht anders bestimmt ist, das Bundesgesetz vom 21. Juli 1925, BGBl. Nr. 274, über das Allgemeine Verwaltungsverfahren (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz - AVG.).

(2) Der Antrag auf Eichung eines Meßgerätes kann bei jedem Eichamt oder beim Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen gestellt werden.

(3) Das Eichamt hat die technische Prüfung nach §36 dieses Bundesgesetzes vorzunehmen oder, wenn es nach der gemäß §32 Abs4 erlassenen Verordnung fachlich hiezu nicht befugt ist, den Antrag an die zuständige Eichbehörde weiterzuleiten.

(4) Entspricht das Meßgerät den Eichvorschriften, so ist es durch Aufbringung des Eichstempels als geeicht zu kennzeichnen. Der Eichstempel besteht aus dem Eichzeichen und dem Jahreszeichen, denen in besonderen Fällen das Präzisionszeichen beigefügt wird. Entspricht das Meßgerät nicht den Eichvorschriften, so ist es zurückzuweisen.

(5) Über die Eichung, über die Zurückweisung und über die Prüfung der Verkehrsfähigkeit eines Meßgerätes ist ein Bescheid nicht zu erlassen."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zur Zulässigkeit.

1. In der Zurückweisung eines Meßgerätes durch die Eichbehörde gemäß §56 Abs4 MEG ist die behördliche Entscheidung zu erblicken, daß das Eichgerät nicht den Eichvorschriften entspricht. Damit ist die Rechtsfolge verbunden, daß der Antragsteller sein Kraftfahrzeug nicht bestimmungsgemäß verwenden kann; würde er dies tun, würde er sich der Gefahr eines Verwaltungsstrafverfahrens gemäß §63 Abs1 MEG aussetzen. Dem mit dieser Zurückweisung verbundenen Verbot des Einsatzes eines Kraftfahrzeuges als Taxifahrzeug kommt also rechtserzeugende Wirkung zu. Dennoch darf die Zurückweisung eines Meßgerätes aufgrund der Anordnung des §56 Abs5 MEG nicht in die Erlassung eines Bescheides münden. Sie stellt sich aber auch nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar, weil dabei weder Zwang ausgeübt noch (für den Fall der Nichtbefolgung) angedroht wird (vgl. VfSlg. 10956/1986). Gleichwohl greift das Verhalten der Behörde infolge seiner rechtserzeugenden Wirkung in die Rechtssphäre des Betroffenen ein (vgl. im einzelnen auch B. Davy, Rechtsfragen im Eichwesen, ZfV 1982, 139 ff.).

2. Der Verfassungsgerichtshof hat bei Beurteilung der Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsantrages (ua.) die in Prüfung genommene Wortfolge anzuwenden. Bestünde nämlich der in dieser Rechtsvorschrift angeordnete Ausschluß einer Bescheiderlassung im Fall der Zurückweisung eines Meßgerätes nicht, würde sich der Antrag als unzulässig erweisen. Denn diesfalls wäre ein Bescheid zu erlassen, den der Antragsteller bis zu den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bekämpfen könnte, womit ihm ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteter Weise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung stünde.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

B. In der Sache.

Die im Einleitungsbeschluß enthaltenen Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Wortfolge in §56 Abs5 MEG treffen zu:

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß unter Hinweis auf seine Rechtsprechung betont hat (VfSlg. 8279/1978 mit Bezugnahme auf VfSlg. 2929/1955; s. auch VfSlg. 2455/1952), gipfelt der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips darin, daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet, daß nur Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden (vgl. auch VfSlg. 11196/1986, VfGH 13.3.1991, G199/90).

Diesem Erfordernis widerspricht die in Prüfung gezogene Regelung, weil trotz Eingriffes in die Rechtssphäre der Betroffenen keinerlei Möglichkeit besteht, die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung eines Meßgerätes von der Eichung zu bekämpfen und letztlich durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts überprüfen zu lassen. Denn diesfalls ist es der Eichbehörde durch §56 Abs5 MEG ausdrücklich verwehrt, selbst dann einen überprüfbaren Bescheid zu erlassen, wenn dies vom Betroffenen verlangt wird. Diese "Zurückweisung des Meßgerätes" ist aber auch nicht als Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen (s.o. Pkt. III. A. 1.). Dennoch werden dadurch Rechtsverhältnisse von Personen verbindlich gestaltet, ohne daß dies allerdings in den durch das Rechtsschutzsystem geforderten - bekämpfbaren - Rechtssatzformen erfolgte. Wenn dies zwar im Fall einer positiven Erledigung eines Antrages auf Eichung eines Meßgerätes durch dessen Eichung unbedenklich ist, gilt gleiches keinesfalls für die - eine im Ergebnis negative Erledigung darstellende - Zurückweisung des Meßgerätes. Vielmehr ist es von Verfassungs wegen verpönt, daß staatliche Entscheidungen - hier: die Verweigerung der Eichung eines Meßgerätes mangels Erfüllung der gesetzlich normierten Voraussetzungen - der zwingend vorgesehenen Rechtskontrolle dadurch entzogen werden, daß die Erlassung der verfassungsgesetzlich vorgesehenen Rechtssatzform des Bescheides ausgeschlossen wird. Wie schon in der bisherigen Rechtsprechung zum Ausdruck kam, muß die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes der Bevölkerung als das letzte Mittel, ihre verfassungsmäßigen Rechte geltend zu machen, gewahrt sein (vgl. VfSlg. 1524/1946, 1542/1946, 8888/1980).

Durch die in Prüfung gezogene Regelung wird daher in verfassungswidriger Weise für den hier maßgeblichen Bereich das verfassungsgesetzlich zwingend vorgesehene Rechtsschutzsystem suspendiert und der Rechtsunterworfene seiner Rechtsschutzmöglichkeiten beraubt.

Die genannte Wortfolge in §56 MEG war deshalb als verfassungswidrig aufzuheben, ohne daß auf das weitere Bedenken, ob die Bestimmung durch die von Art11 Abs2 B-VG gezogene Grenze einer zulässigen abweichenden Regelung im Bereich des Verwaltungsverfahrens überschritten wird und die abweichende Regelung erforderlich ist, einzugehen war.

IV. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6, erster Satz, B-VG.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Regelung gründet sich auf Art140 Abs5, dritter und vierter Satz, B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5, erster Satz, B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

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