Normen
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
B-VG Art140 Abs5
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
ASVG §413 Abs1 Z1
ASVG §415
GSVG §2 Abs1 Z1
GSVG §25 Abs1
GSVG §194
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
B-VG Art140 Abs5
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
ASVG §413 Abs1 Z1
ASVG §415
GSVG §2 Abs1 Z1
GSVG §25 Abs1
GSVG §194
Spruch:
Die Worte "auf eine vorzeitige Abschreibung," in §25 Abs1 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (GSVG), BGBl. 560/1978, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1984 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim VfGH ist ein Verfahren gegen einen Bescheid des Landeshauptmanns von Wien anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Die Bf. betrieb aufgrund einer ihr ausgestellten Konzession bis 7. Mai 1980 das Platzfuhrwerksgewerbe und war als Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien gemäß §2 Abs1 Z1 GSVG pflichtversichert.
Im Jahre 1977 nahm sie bei der Veranlagung zur Einkommensteuer von den Anschaffungskosten eines für den Betrieb angeschafften Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens (und zwar Ersatz ihres Taxifahrzeuges nach Totalschaden des bisherigen Fahrzeuges) neben der nach §7 EStG 1972 zulässigen AfA eine vorzeitige Abschreibung gemäß §8 Abs1 EStG 1972 in Höhe von 114750 S in Anspruch.
Mit Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 25. April 1980 wurde die Höhe der monatlichen Beitragsgrundlage für das Kalenderjahr 1980 gemäß §25 Abs1 GSVG ausgehend von den für die Bemessung der Einkommensteuer herangezogenen Einkünften der Bf. laut Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1977 in Höhe von 10923 S unter Hinzurechnung der im Jahre 1977 vorgenommenen vorzeitigen Abschreibung ermittelt.
Dem von der Bf. gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch gab der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 29. April 1980 keine Folge. Gegen diesen Bescheid des Landeshauptmanns richtet sich die erwähnte, unter B240/80 protokollierte Beschwerde an den VfGH.
2. Bei der Beratung über diese Beschwerde sind beim VfGH Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Worte "auf eine vorzeitige Abschreibung," in §25 Abs1 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (GSVG), BGBl. 560/1978, entstanden. Der Gerichtshof hat daher beschlossen, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der genannten Worte einzuleiten (Beschluß vom 21. Oktober 1981, B240/80-18).
3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung verteidigt und beantragt, diese nicht als verfassungswidrig aufzuheben, in eventu für das Außerkrafttreten eine Frist von 1 Jahr zu bestimmen. In einer über Aufforderung des VfGH erstellten ergänzenden Äußerung hat die Bundesregierung ihre Argumente teilweise näher ausgeführt und die Auswirkungen der in Prüfung gezogenen Bestimmung quantifiziert.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Die in Prüfung gezogenen Worte "auf eine vorzeitige Abschreibung," in §25 Abs1 GSVG stehen im folgenden Zusammenhang:
Gemäß §24 GSVG sind die Mittel der Kranken- und Pensionsversicherung durch Beiträge der Versicherten, in der Pensionsversicherung auch durch einen Beitrag des Bundes aufzubringen. Nach §27 Abs1 leg. cit. haben die Pflichtversicherten für die Dauer der Pflichtversicherung als Beitrag einen bestimmten Hundertsatz der Beitragsgrundlage zu leisten. Diese ist nach §25 leg. cit. zu ermitteln, der folgenden Wortlaut hat (§25 Abs2 und 4 GSVG stehen idF der Nov. BGBl. 531/1979, Abs8 idF BGBl. 591/1983, die übrigen Teile dieser Bestimmung in der im Spruch zitierten Stammfassung in Geltung; die in Prüfung gezogenen Worte sind hervorgehoben):
"§25. (1) Für die Ermittlung der Beitragsgrundlage für Pflichtversicherte gemäß §2 Abs1 und gemäß §3 Abs3 ist, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, ein Zwölftel der Einkünfte aus einer die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz begründenden Erwerbstätigkeit in dem dem Kalenderjahr, in das der Beitragsmonat (Abs10) fällt, drittvorangegangenen Kalenderjahr heranzuziehen; hiebei sind die für die Bemessung der Einkommensteuer herangezogenen Einkünfte des Pflichtversicherten zuzüglich der auf eine vorzeitige Abschreibung, auf eine Investitionsrücklage, auf einen Investitionsfreibetrag und auf einen nichtentnommenen Gewinn entfallenden Beträge zugrunde zu legen. Bei den gemäß §2 Abs1 Z3 Pflichtversicherten sowie den Pflichtversicherten, die zu Geschäftsführern einer der Kammer der Wirtschaftstreuhänder angehörenden Gesellschaft mit beschränkter Haftung bestellt sind, gelten als Einkünfte aus einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit die Einkünfte als Geschäftsführer und die Einkünfte als Gesellschafter der Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
(2) Beitragsgrundlage ist der gemäß Abs1 ermittelte Betrag, vervielfacht mit dem Produkt aus der Richtzahl (§47) des Kalenderjahres, in das der Beitragsmonat (Abs10) fällt, und aus den Richtzahlen der beiden vorangegangenen Kalenderjahre, gerundet auf volle Schilling.
(3) Hat der Pflichtversicherte Einkünfte aus mehreren die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz begründenden Erwerbstätigkeiten, so ist die Summe der Einkünfte aus diesen Erwerbstätigkeiten für die Ermittlung der Beitragsgrundlage heranzuziehen.
(4) Den Einkünften im Sinne des Abs1 und Abs3 sind gleichzuhalten:
1. im Falle der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung bei Verpächtern von Betrieben die Einkünfte aus der Verpachtung;
2. im Falle der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung bei Witwen (Witwern), die den Betrieb des versicherten Ehegatten (der versicherten Ehegattin) fortführen bzw. die gemäß §115 Abs4 Beiträge zur Pflichtversicherung entrichten, die Einkünfte, die der verstorbene Ehegatte (die verstorbene Ehegattin) erzielt hat.
(5) Die Beitragsgrundlage gemäß Abs2 beträgt,
1. wenn Einkünfte bei Beginn der Versicherung und in den folgenden zwei Kalenderjahren mangels Vorliegens der hiefür notwendigen Nachweise (§27 Abs4 und 5 und §36) nicht festgestellt werden können, 4000 S monatlich;
2. in allen übrigen Fällen mindestens 5000 S monatlich (Mindestbeitragsgrundlage).
An die Stelle des in Z1 genannten Betrages von 4000 S und des in Z2 genannten Betrages von 5000 S treten ab 1. Jänner eines jeden Jahres die unter Bedachtnahme auf §51 mit der jeweiligen Richtzahl (§47) vervielfachten Beträge.
(6) Die Beitragsgrundlage darf die Höchstbeitragsgrundlage nicht überschreiten. Höchstbeitragsgrundlage ist
1. in der Krankenversicherung das 35fache der jeweiligen Höchstbeitragsgrundlage gemäß §45 Abs1 lita des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes;
2. in der Pensionsversicherung der gemäß §48 jeweils festgesetzte Betrag.
(Die Abs7 bis 10 betreffen im vorliegenden Zusammenhang nicht relevante Sonderfragen der Ermittlung der Beitragsgrundlage.)
2. a) Der VfGH nahm in dem dieses Gesetzesprüfungsverfahren einleitenden Beschluß an, daß die Beschwerde zulässig ist und daß er die in Prüfung gezogenen Worte bei der Behandlung der Beschwerde anzuwenden hat. Diesen Annahmen des Gerichtshofs ist im Verfahren nicht entgegengetreten worden; auch im Gerichtshof selbst sind Zweifel an den vorläufigen Annahmen nicht aufgetreten.
b) Gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien ist gemäß §413 Abs1 Z1 und §415 ASVG iVm. §194 GSVG ein weiteres Rechtsmittel nicht zulässig. Der Instanzenzug ist daher erschöpft. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.
c) Die Bf. war gemäß §2 Abs1 Z1 GSVG pflichtversichert. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Höhe der monatlichen Beitragsgrundlage für das Kalenderjahr 1980 festgesetzt. Bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides waren die in Prüfung gezogenen Worte des §25 Abs1 GSVG über die Ermittlung der Beitragsgrundlage von der Behörde anzuwenden und wurden auch angewendet. Auch der VfGH hat bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung des Bescheides diese Worte anzuwenden; sie sind daher präjudiziell.
d) Das Gesetzesprüfungsverfahren ist somit zulässig.
3. Gemäß §25 Abs1 GSVG ist für die Ermittlung der Beitragsgrundlage für Pflichtversicherte nach §2 Abs1 und nach §3 Abs3 - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Sonderfällen - ein Zwölftel der Einkünfte aus einer die Pflichtversicherung nach dem GSVG begründenden Erwerbstätigkeit in dem dem Kalenderjahr, in das der Beitragsmonat fällt, drittvorangegangenen Kalenderjahrheranzuziehen. Hiebei sind die für die Bemessung der Einkommensteuer herangezogenen Einkünfte des Pflichtversicherten zugrunde zu legen. Diesem so ermittelten Betrag sind verschiedene im Einkommensteuergesetz vorgesehene Investitionsbegünstigungen, darunter auch die vorzeitige Abschreibung gemäß §8 EStG 1972, hinzuzurechnen.
Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, ist gemäß §7 EStG 1972 jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten bei der Gewinnermittlung abzusetzen, der bei Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt (AfA), wobei sich die Absetzung nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsgutes bemißt. Nach §8 EStG 1972 kann jedoch bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen neben der nach §7 zulässigen AfA eine vorzeitige Abschreibung vorgenommen werden. Dies bewirkt, daß im Jahre der Anschaffung oder Herstellung eines abnutzbaren Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens neben der entsprechend der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer zulässigen AfA die vorzeitige Abschreibung gewinnmindernd verbucht werden kann. Der der AfA zugängliche Teil der gesamten Anschaffungs- oder Herstellungskosten wird auf diese Weise um den Betrag der vorzeitigen Abschreibung vermindert. In den dem Jahr der Anschaffung oder Herstellung folgenden Jahren kann sodann die restliche AfA geltend gemacht werden.
Die Vornahme der AfA und der vorzeitigen Abschreibung wirken sich gewinnmindernd aus. Dies findet bei der Bemessung der Einkommensteuer seinen Niederschlag.
Durch die Bestimmung in §25 Abs1 GSVG, wonach bei der Ermittlung der monatlichen Beitragsgrundlage zur Kranken- und Pensionsversicherung die für die Bemessung der Einkommensteuer herangezogenen Einkünfte des Pflichtversicherten im drittvorangegangenen Kalenderjahr zuzüglich der auf eine vorzeitige Abschreibung entfallenden Beträge zugrunde zu legen sind, ist ein System begründet worden, in dem die Versicherten im Bereich des Beitragsrechts unterschiedlich behandelt werden:
Bei denjenigen Pflichtversicherten, die bei der Bemessung der Einkommensteuer die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines abnutzbaren Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens nur im Wege der AfA gewinnmindernd verbuchen, wirken sich die gesamten Anschaffungs- oder Herstellungskosten - verteilt auf die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des Wirtschaftsgutes - letztlich auch bei der Ermittlung der Beitragsgrundlage mindernd aus.
Hingegen wird für Pflichtversicherte dann, wenn sie einen Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten vorzeitig abschreiben, dieser Teil bei der Ermittlung der Beitragsgrundlage überhaupt nicht berücksichtigt. Die auf eine vorzeitige Abschreibung entfallenden Beträge erhöhen nämlich im Jahr der Anschaffung oder Herstellung des betreffenden Wirtschaftsgutes die Beitragsgrundlage, ohne daß diese Beiträge aber in den folgenden Kalenderjahren zu einer Verminderung der Beitragsgrundlage führen können.
b) Wie der VfGH in seinem Erk. G120, 121/81 vom heutigen Tage zu der das Vorbild für die den Prüfungsgegenstand in diesem verfassungsgerichtlichen Verfahren bildende gleiche Regelung der bereits außer Kraft getretenen §§17 Abs1 GSPVG und 18 Abs1 GSKVG 1971 entschieden hat, ist diese Differenzierung in der Beitragsleistungspflicht für den Bereich der Pensionsversicherung sachlich gerechtfertigt, da der höheren Beitragspflicht der einen Gruppe von Pflichtversicherten eine durchaus ins Gewicht fallende höhere Pensionserwartung gegenüber steht. Hingegen läßt sich im Bereich der Krankenversicherung keine sachliche Rechtfertigung für die Mehrbelastung jener Pflichtversicherten, die von der einkommensteuerrechtlichen Möglichkeit einer vorzeitigen Abschreibung Gebrauch machen, feststellen; eine solche ergibt sich für die Krankenversicherung insbesondere auch nicht aus dem sozialversicherungsrechtlichen Leistungsrecht, da die höheren Beitragsleistungen der einen Gruppe von Pflichtversicherten hier zu keinen höheren Leistungserwartungen führen.
Im einzelnen sei zur Begründung dieses Ergebnisses auf das genannte Erk., von dem dieser Entscheidung eine Ausfertigung beigeschlossen ist, verwiesen.
c) Infolge der Zusammenfassung des Pensionsversicherungsrechts und des Krankenversicherungsrechts gewerblich selbständig Erwerbstätiger in dem seit 1. Jänner 1979 geltenden GSVG bewirkt die in Prüfung gezogene Regelung im Kontext des GSVG für jene Pflichtversicherten, die von der einkommensteuerrechtlichen Möglichkeit der vorzeitigen Abschreibung Gebrauch machen, eine sowohl für die Berechnung der Krankenversicherungsbeiträge als auch für die Berechnung der Pensionsversicherungsbeiträge relevante höhere Beitragsgrundlage, als sie sich für jene Pflichtversicherten ergibt, die von der Möglichkeit einer vorzeitigen Abschreibung keinen Gebrauch machen. Da auch nach dem GSVG wohl im Bereich der Pensionsversicherung, nicht aber - sieht man von der Möglichkeit einer Zusatzversicherung nach §9 GSVG ab - im Bereich der Krankenversicherung den höheren Beitragsleistungen auch eine höhere Leistungserwartung gegenübersteht, die in Prüfung gezogene Regelung aber auch für den Bereich der Krankenversicherung anzuwenden ist und da weiters eine Trennung der in Prüfung gezogenen Regelung in einen die Krankenversicherung und einen die Pensionsversicherung betreffenden Teil aus gesetzestechnischen Gründen nicht möglich ist, schlägt die Verfassungswidrigkeit der Regelung im Krankenversicherungsbereich auf die gesamte Regelung durch. Die in Prüfung gezogenen Worte waren daher als gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz verstoßend aufzuheben.
d) Die vom VfGH verfügte Fristsetzung für das Außerkrafttreten stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG. Die Frist für das Außerkrafttreten wurde mit 31. Dezember 1984 bestimmt, um zu vermeiden, daß eine Regelung, die die Grundlage für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge verändert, zu einem anderen Zeitpunkt als zu Jahresbeginn in Kraft tritt.
Der Ausspruch, daß frühere gesetzlich Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 B-VG; die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung erfließt aus Art140 Abs5 B-VG.
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