Normen
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall
Spruch:
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Beschwerde des Beschwerdeführers liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Mit Verordnung vom 20. November 2012, ZP1/43991/2012, (im Folgenden: Platzverbotsverordnung) verhängte die Landespolizeidirektion Steiermark (im Folgenden: LPD Stmk.) gemäß §36 Abs1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz), BGBl 566/1991, (im Folgenden: SPG) ein Platzverbot.
Diese Verordnung lautet wörtlich wie folgt:
"1) Gemäß §36 Abs1 Sicherheitspolizeigesetz […] erlässt die Landespolizeidirektion Steiermark ein
Platzverbot
für folgenden Gefahrenbereich: der gesamte Freiheitsplatz, im Westen begrenzt bis zur Höhe des Hauses Nr 1, der angrenzenden Hartiggasse bis zur Einmündung in den Karmeliterplatz und der Ballhausgasse bis zur Einmündung in die Sporgasse.
2) Aufgrund bestimmter Tatsachen ist anzunehmen, dass an der vorhin beschriebenen Örtlichkeit eine allgemeine Gefahr für Leben und Gesundheit mehrerer Menschen entstehen wird, sodass von der Landespolizeidirektion Steiermark als Sicherheitsbehörde gemäß §36 Abs1 SPG das Betreten des Gefahrenbereiches und der Aufenthalt in ihm verboten und die Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung erklärt wird.
3) Im Gefahrenbereich dürfen sich folgende Personen weiterhin aufhalten:
- Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
- Angehörige der Rettung
- Angehörige der Feuerwehr
- Personen mit ausdrücklicher Erlaubnis der Landespolizeidirektion Steiermark
4) Diese Verordnung
tritt am 23.11.2012, 13.00 Uhr, in Kraft.
Die Verordnung wird aufgehoben, sobald eine Gefährdung nicht mehr zu befürchten ist. Drei Monate nach ihrem Wirksamwerden tritt sie jedenfalls außer Kraft.
5) Diese Verordnung wird kundgemacht durch Anschlag rund um den Gefahrenbereich und Verlautbarung in den Medien." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
1.2. In Vollziehung dieses Platzverbotes wurde dem Beschwerdeführer die Erlaubnis, sich im Gefahrenbereich aufzuhalten bzw. diesen zu betreten, von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes verweigert. Nach dem vom belangten Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark (im Folgenden: UVS Stmk.) festgestellten Sachverhalt sei die Erlaubnis zum Betreten des Gefahrenbereiches von den Sicherheitsorganen – in Entsprechung einer Weisung – nur Personen erteilt worden, "die FPÖ[-]Sympathisanten sind und von Vertrauensleuten der FPÖ als solche erkannt würden".
Der Beschwerdeführer, zum Zeitpunkt der hier interessierenden Wahlveranstaltung eine "Rastafari-Locken-Frisur" tragend, sei am Zutritt zum Gefahrenbereich gehindert worden. Dieser Vorgang wurde von der belangten Behörde – wörtlich – wie folgt beschrieben:
"Zuvor hat der einschreitende Polizist durch ein nonverbales Verhalten (verneinendes Kopfschütteln) des Vertreters des Veranstalters offensichtlich ein Zeichen bekommen[,] den Beschwerdeführer nicht in den Gefahrenbereich zu lassen."
1.3. Dagegen brachte der Beschwerdeführer eine Beschwerde gemäß §5 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinien-Verordnung), BGBl 266/1993, idF BGBl II 155/2012 (im Folgenden: RLV) ein, die von der LPD Stmk. mit näherer Begründung abgewiesen wurde.
1.4. Nach Anrufung des UVS Stmk. stellte dieser mit Bescheid vom 22. Juli 2013 vorerst – zusammengefasst – fest, dass er in einem Verfahren gemäß §89 SPG die Rechtmäßigkeit eines Platzverbotes nicht prüfen könne. Hiezu führte der UVS Stmk. wörtlich wie folgt aus:
"Gegenstand der Richtlinienbeschwerde ist somit nicht das Recht des Beschwerdeführers in dem vom Platzverbot umfassten Bereich die Wahlkampfveranstaltung beobachten zu können, sondern ob bei der Verweigerung des Einlasses in den Bereich eine Richtlinienverletzung im Sinne des §5 RL-VO vorliegt. Unter dem Gesichtspunkt des Prüfungsmaßstabes ist auch die Anregung in der Beschwerde zu sehen, die Verordnung vom 20. November 2012 mit der gemäß §36 SPG ein Platzverbot für den Grazer Freiheitsplatz erlassen wurde, dem Verfassungsgerichtshof zur Überprüfung vorzulegen. Die Rechtmäßigkeit des Platzverbotes ist keinesfalls im Verfahren nach §89 SPG zu prüfen, sondern wäre eventuell bei einer Beschwerde gemäß §88 SPG in Betracht zu ziehen […]."
Der dem Beschwerdeführer verweigerte Zutritt zum Gefahrenbereich auf Grund der Kontaktaufnahme eines Sicherheitsorgans mit einem Vertreter des Veranstalters sei, so der UVS Stmk. in seinem Bescheid, überdies weder als Missachtung der Menschenwürde noch als Diskriminierung im Sinne des §5 Abs1 RLV anzusehen, weshalb die Beschwerde abzuweisen sei.
1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art7 B‑VG, Art4 und 12 StGG sowie Art10 und 11 EMRK sowie in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
1.6. Der UVS Stmk. hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
2. Bei der Behandlung dieser Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Platzverbotsverordnung entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 7. Oktober 2014 beschlossen, diese Verordnung gemäß Art139 Abs1 B‑VG von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen. In seinem Prüfungsbeschluss führt der Verfassungsgerichtshof insbesondere aus:
"Anders als der UVS Stmk. ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass der Sachverhalt, auf den sich die Beschwerde bezieht, jedenfalls rechtlich nicht beurteilt werden kann, wenn dabei nicht auch die für das handelnde Organ maßgebliche Platzverbotsverordnung, insoweit sie den Gefahrenbereich und die Aufgaben der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes umschreibt, angewendet wird. Nur in diesem rechtlichen Kontext lässt sich, wenngleich im Vorfeld zum eigentlichen Gegenstand der Beschwerde, das Verhalten der Sicherheitsorgane an den rechtlichen Vorgaben, insbesondere des §5 Abs1 RLV, messen.
[…] Daraus ergibt sich, dass die Platzverbotsverordnung im rechtlichen Sinn sowohl vom UVS Stmk. als auch bei Überprüfung der angefochtenen Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof anzuwenden ist."
3. Mit Erkenntnis vom 18. Juni 2015, V105/2014, hat der Verfassungsgerichtshof mit näherer Begründung ausgesprochen, dass die Platzverbotsverordnung wegen eines Verstoßes gegen §36 Abs1 SPG gesetzwidrig war.
II. Erwägungen
4. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
5. Der UVS Stmk. hat eine gesetzwidrige Verordnung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.
III. Ergebnis
6. Der Beschwerdeführer wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985).
7. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.
8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
9. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.
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