VfGH B58/02

VfGHB58/022.3.2002

Zurückweisung der Beschwerde mangels Bescheidqualität einer Verständigung über die (nicht vorgenommene) Pensionsanpassung eines Notars und Einhebung eines Solidaritätsbeitrags; keine Instanzenzugserschöpfung hinsichtlich der Einhebung des Solidaritätsbeitrags; Zurückweisung des hilfsweise gestellten Antrags auf Aufhebung einer Bestimmung des Notarversicherungsgesetzes 1972 über den Solidaritätsbeitrag infolge Zumutbarkeit der Erwirkung eines Bescheides

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
ASVG §355
ASVG §367 Abs3
ASVG §412 ff
NotarversicherungsG 1972 §65
NotarversicherungsG 1972 §10a idF BGBl I 139/2000
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
ASVG §355
ASVG §367 Abs3
ASVG §412 ff
NotarversicherungsG 1972 §65
NotarversicherungsG 1972 §10a idF BGBl I 139/2000

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der hilfsweise gestellte Antrag auf Aufhebung des §10a des Notarversicherungsgesetzes 1972 (NVG 1972), BGBl. Nr. 66/1972, idF der 9. Novelle zum NVG 1972, BGBl. I Nr. 139/2000, Z7, als verfassungswidrig wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Der Beschwerdeführer ist Notar in Ruhe. Mit Wirkung vom 1.2.1998 wurde ihm von der Versicherungsanstalt des österreichischen Notariates (künftig: Versicherungsanstalt) eine Alterspension zuerkannt.

2. Im Rahmen der 9. Novelle zum Notarversicherungsgesetz 1972, BGBl. I Nr. 139/2000, wurde ein sog. "Solidaritätsbeitrag" eingeführt, der von den nach dem NVG 1972 auszuzahlenden Pensionen einzubehalten ist.

Gemäß §10a Abs1 NVG 1972 idF 9. Novelle ist die Höhe des Solidaritätsbeitrags von der Hauptversammlung der Versicherungsanstalt festzusetzen. Der Beitrag darf jedoch 2,3 vH der zustehenden Leistung nicht überschreiten.

§10a Abs2 NVG 1972 (idF 9. Novelle) bestimmt, daß der Beitrag nur insoweit zu entrichten ist, als damit der jeweils geltende Mindestbetrag der Berufsunfähigkeitspension nicht unterschritten wird.

3. Mit Schreiben der Versicherungsanstalt vom 17.12.2001 wurde dem Beschwerdeführer eröffnet, daß im Kalenderjahr 2002 keine Pensionsanpassung vorgenommen und von der dem Beschwerdeführer zustehenden Alterspension ein Solidaritätsbeitrag in Höhe von 0,8 vH einbehalten werde.

Dieses Schreiben lautet auszugsweise wie folgt:

"Sehr geehrter Herr Notar!

Auf Grund der gegenwärtigen finanziellen Situation der Versicherungsanstalt hat die Hauptversammlung beschlossen,

im Jahr 2002

keine Pensionsanpassung vorzunehmen und einen Solidaritätsbeitrag (§10a NVG 1972) in der Höhe von 0,80% einzuheben.

(Es folgt eine Aufgliederung des dem Beschwerdeführer im Kalenderjahr 2002 zustehenden Pensionsbezugs.)

Zu den bevorstehenden Feiertagen und für das neue Jahr die besten Wünsche!

Mit vorzüglicher Hochachtung

Der Direktor:

Dr. S"

4. Gegen dieses - vom Beschwerdeführer als Bescheid gewertete - Schreiben richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die kostenpflichtige Aufhebung des "Bescheides" beantragt wird.

Inhaltlich wendet sich die Beschwerde gegen §10a NVG 1972 idF 9. Novelle, dessen Verfassungswidrigkeit behauptet wird.

5. Die Beschwerde ist unzulässig.

5.1. Gemäß Art144 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden nach Erschöpfung des Instanzenzuges.

5.2. Hinsichtlich des Verfahrens zur Durchführung des NVG 1972 sind die Vorschriften des Siebenten Teils des ASVG - es sind dies die §§352 ff ASVG - anzuwenden (§65 NVG 1972). Ein Schreiben, mit dem der Pensionsberechtigte amtswegig über die Pensionsanpassung verständigt wird, ist gemäß §65 NVG 1972 iVm §367 Abs3 ASVG kein Bescheid.

5.3. Es kann im übrigen dahinstehen, ob die bekämpfte Erledigung einen Inhalt hat, der über den in §367 Abs3 ASVG genannten hinausgeht und ob sie allenfalls insoweit als ein Bescheid gedeutet werden könnte, weil ein Bescheid, mit dem eine Leistungspflicht iS des §10a NVG 1972 auferlegt wird, im Verfahren der Versicherungsanstalt in Verwaltungssachen (§65 NVG 1972 iVm §355 Z3 ASVG) zu erlassen ist und daher gemäß §412 Abs1 ASVG binnen einem Monat nach Zustellung durch Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann bekämpft werden kann. Der sonach angerufene Landeshauptmann hat über den bei ihm eingebrachten Einspruch mit - ausgenommen in den Fällen des §415 ASVG - letztinstanzlichem Bescheid zu entscheiden (vgl. §§413 ff ASVG).

5.4. Da somit gegen Bescheide des Versicherungsträgers in Verwaltungssachen das Rechtsmittel des Einspruchs an den Landeshauptmann zur Verfügung steht, ist eine unmittelbare Anrufung des Verfassungsgerichtshofs gegen Bescheide des Versicherungsträgers mangels Erschöpfung des Instanzenzuges (Art144 Abs1 letzter Satz B-VG) jedenfalls ausgeschlossen, sodaß sich die Beschwerde auch aus diesem Grund als unzulässig erweist.

6. Der Beschwerdeführer erhebt überdies, "sofern der Verfassungsgerichtshof vom Nichtvorliegen eines Bescheides im gegenständlichen Falle ausgehen sollte", "Beschwerde" gemäß Art140 B-VG "mit dem Antrag" auf Aufhebung des §10a NVG 1972.

Der Verfassungsgerichtshof wertet dieses hilfsweise gestellte Begehren als - bedingt gestellten - Antrag eines einzelnen auf Aufhebung einer Gesetzesbestimmung (Art140 Abs1 letzter Satz B-VG).

Dieser Antrag ist schon deshalb unzulässig, weil der Antragsteller bei der Versicherungsanstalt die bescheidmäßige Feststellung seiner Pflicht, Solidaritätsbeiträge zu leisten, erwirken (§65 NVG 1972 iVm §410 Abs1 Z7 ASVG) und den sodann ergangenen Bescheid im administrativen Instanzenzug anfechten kann (s. oben Pkt. 5.4.), ihm somit ein - ihm auch zumutbarer - Weg zur Verfügung steht, das von ihm erhobene Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §10a NVG 1972 anders als im Weg eines Gesetzesprüfungsantrags an den Gerichtshof heranzutragen (vgl. VfSlg. 12.779/1991).

7. Aus den vorstehenden Erwägungen waren die Beschwerde sowie der hilfsweise gestellte Gesetzesprüfungsantrag wegen offenbarer Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs (§19 Abs3 Z2 lita VfGG) bzw. mangels Legitimation des Einschreiters (§19 Abs3 Z2 lite VfGG) ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.

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