VfGH B55/77

VfGHB55/7717.10.1980

BAO, fruchtloser Mängelbehebungsauftrag nach §275; kein Entzug des gesetzlichen Richters durch Abweisung der Berufung

Normen

B-VG Art83 Abs2
BAO §245 Abs3
BAO §275
B-VG Art83 Abs2
BAO §245 Abs3
BAO §275

 

Spruch:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Auf Grund der Ergebnisse einer Prüfung im Betrieb des Beschwerdeführers (einer Färberei) nahm das Finanzamt für den 12., 13., 14. und 23. Bezirk mit Bescheid vom 12. Feber 1975 gemäß §303 Abs4 BAO das Verfahren betreffend die Veranlagung zur Einkommensteuer und Gewerbesteuer für 1970 sowie zur Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer für 1971 und 1972 wieder auf und setzte die genannten Steuern für die betreffenden Jahre neu fest. Mit einem zweiten Bescheid vom 12. Feber 1975 schrieb das Finanzamt dem Beschwerdeführer die Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für 1973 vor.

Die Wiederaufnahme des Veranlagungsverfahrens erfolgte - soweit dies für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist - deshalb, weil der Beschwerdeführer nach den Feststellungen des Betriebsprüfers in den Jahren 1971 und 1972 privat Grundstücksankäufe getätigt hatte, zu deren Finanzierung die erklärten Einnahmen aus dem Betriebsvermögen und das erklärte Vermögen des Beschwerdeführers nicht ausreichten. Der Beschwerdeführer behauptete, die Mittel zu den Grundstücksankäufen von seinem in Italien lebenden Schwager in Form eines Darlehens zur Verfügung gestellt erhalten zu haben. Zum Nachweis dessen legte der Beschwerdeführer eine mit 18. Oktober 1974 datierte Bestätigung seines Schwagers vor, wonach dieser dem Beschwerdeführer im Feber 1971 ein zinsenloses Darlehen in der Höhe von 100.000,- S und im Feber 1972 ein ebensolches in der Höhe von 180.000,- S zugezählt hat. Das Finanzamt wertete diese Bestätigung als Gefälligkeitsbestätigung und nahm für die Jahre 1971 und 1972 Zuschätzungen zu Umsatz und Gewinn vor, wodurch der Verlust des Jahres 1972 nicht (mehr) vortragsfähig wurde.

Der Beschwerdeführer brachte durch seinen Steuerberater gegen die beiden oben genannten Bescheide (sowie gegen einen - in den Verwaltungsakten nicht enthaltenen - Bescheid vom 12. Feber 1975 über den Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Jänner 1974) am 12. März 1975 einen als Berufung bezeichneten Schriftsatz ein. In der Berufung wurde ausgeführt, diese richte sich konkret gegen Tz. 8 des Betriebsprüfungsberichtes (Mängel der Buchführung und der damit verbundenen Auswirkungen, insbesondere die Aberkennung des Verlustvortrages 1972), gegen Tz. 25 (Umsatzzuschätzung 1971 und 1972) sowie gegen Tz. 34 (Zuschätzung des ungeklärten Vermögenszuwachses 1971 und 1972). Hinsichtlich der Berufungsbegründung ersuchte der Steuerberater gemäß §245 Abs3 BAO um eine Nachfrist bis "vorsichtshalber" 30. April 1975 und begründete dies mit seiner Arbeitsüberlastung. Gleichzeitig stellte er den Antrag auf mündliche Berufungsverhandlung bei der Abgabenbehörde II. Instanz.

Mit Bescheid vom 21. März 1975 trug das Finanzamt dem Beschwerdeführer gemäß §275 BAO unter Setzung einer Frist bis zum 30. April 1975 die Behebung folgender Mängel betreffend die Berufung gegen den "u., E. u. Gew. St. B. u. EW. B. 1. 1. 74" auf: Es fehle

a) die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden;

b) eine Begründung.

Mit Schreiben vom 28. April 1975 (beim Finanzamt eingelangt am 30. April 1975) ergänzte der Steuerberater die Berufung dahin, daß der Antrag auf Anerkennung des Verlustvortrages 1972, ferner auf Stornierung der Umsatzzuschätzung 1971 und 1972 sowie auf Stornierung der Zuschätzung des ungeklärten Vermögenszuwachses 1971 und 1972 gestellt werde. Hinsichtlich der Begründung der Berufung ersuchte er wegen Arbeitsüberlastung gemäß §245 Abs3 BAO um eine weitere Nachfrist bis 31. Mai 1975.

Mit "Verfügung" vom 5. Mai 1975 wies das Finanzamt den Antrag "um Verlängerung der mit Bescheid vom 21. März 1975 gestellten Frist zur Mängelbehebung für die Berufung vom 12. März 1975" ab und begründete dies damit, daß die Ergebnisse der Betriebsprüfung bereits seit Dezember 1974 bekannt seien; für eine Begründung der Rechtsmittel wäre daher genügend Zeit zur Verfügung gestanden.

Mit Bescheid vom 5. Mai 1975 erklärte das Finanzamt die Berufung vom 12. März 1975 gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens für die Jahre 1971 und 1972 (richtig wohl auch gegen die Sachbescheide betreffend diese Kalenderjahre), den Einkommen- und Gewerbesteuerbescheid 1973 und den Einheitswertbescheid per 1. Jänner 1974 gemäß §275 BAO als zurückgenommen, weil dem Mängelbehebungsauftrag vom 21. März 1975 innerhalb der gesetzten Frist nicht vollinhaltlich entsprochen worden sei.

Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. mit Bescheid vom 6. Mai 1976 ab. Der Bescheid der Finanzlandesdirektion wurde mit Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 15. Juli 1976 gemäß §299 Abs1 litb BAO aufgehoben, weil die Finanzlandesdirektion nicht beachtet habe, daß der dem Bescheid vom 5. Mai 1975 zugrundeliegende Sachverhalt hinsichtlich der Berufung gegen den Bescheid auf Wiederaufnahme des Verfahrens der Jahre 1971 und 1972 mit der Aktenlage nicht im Einklang stehe; hinsichtlich der Berufung gegen die Wiederaufnahme sei nämlich im Bescheid vom 21. März 1975 kein Mängelbehebungsauftrag ergangen.

Die Finanzlandesdirektion (§260 Abs1 BAO), hat auf Grund dessen im fortgesetzten Verfahren mit Bescheid vom 19. November 1976 der Berufung teilweise Folge gegeben, weil der vom Finanzamt erlassene Mängelbehebungsauftrag nur hinsichtlich der Berufung gegen die gleichzeitig mit der Wiederaufnahme des Verfahrens erlassenen Sachbescheide und den Einheitswertbescheid Mängel festgestellt und deren Behebung aufgetragen habe. Bezüglich der Berufung gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens sei jedoch ein derartiger Auftrag nicht ergangen, weshalb diese Berufung auch nicht als zurückgenommen anzusehen sei.

2. Gegen diesen Bescheid der Finanzlandesdirektion, soweit mit ihm der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Finanzamtes vom 5. Mai 1975 nicht stattgegeben wurde (was aus dem Spruch zwar nicht zu entnehmen ist, jedoch bilden Spruch und Begründung des Bescheides eine Einheit), richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt erachtet.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gemäß §245 Abs3 BAO kann die Berufungsfrist aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erforderlichenfalls auch wiederholt, verlängert werden. Durch einen Antrag auf Fristverlängerung wird der Lauf der Berufungsfrist gehemmt.

Nach §250 Abs1 BAO muß die Berufung ua. enthalten: Die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden (litc) und eine Begründung (litd).

Nach §275 BAO hat die Abgabenbehörde erster Instanz, wenn eine Berufung nicht den in §250 umschriebenen Erfordernissen entspricht, dem Berufungswerber die Behebung dieser inhaltlichen Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, daß die Berufung nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt.

2. Der Beschwerdeführer erachtet sich unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung des VfGH deshalb im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, weil die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf Grund wesentlicher Rechtsirrtümer die Berufung in Wahrheit zurückgewiesen habe. Die belangte Behörde habe die Berufung im Widerspruch zum Gesetz zurückgewiesen, statt eine Sachentscheidung zu fällen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 7834/1976 und die dort angeführte Vorjudikatur) wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter unter anderem dann verletzt, wenn die belangte Behörde eine Sachentscheidung gesetzwidrigerweise verweigert, zB wenn eine Berufungsbehörde eine Berufung im Widerspruch zum Gesetz zurückweist, statt eine Sachentscheidung zu fällen.

Im vorliegenden Fall hat die Berufungsbehörde über einen verfahrensrechtlichen Bescheid der ersten Instanz meritorisch entschieden.

Der VfGH hat daher zu prüfen, ob die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Finanzamtes vom 5. Mai 1975 zu Recht abgewiesen hat, ob also die Auffassung der belangten Behörde zutrifft, daß das Finanzamt die Berufung gegen den Bescheid vom 12. Feber 1975 (im Umfang des Mängelbehebungsauftrages) mit Recht gemäß §275 BAO als zurückgenommen ansehen konnte.

Zunächst ist festzuhalten, daß die Behörde den als Berufung bezeichneten Schriftsatz des Steuerberaters des Beschwerdeführers vom 12. März 1975 zutreffend als Berufung gewertet hat; der Schriftsatz ist ausdrücklich als eine innerhalb offener Berufungsfrist erhobene Berufung bezeichnet und enthält den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung bei der Abgabenbehörde II. Instanz. Das in der Berufung enthaltene Begehren um Gewährung einer Nachfrist gemäß §245 Abs3 BAO hinsichtlich der Berufungsbegründung konnte bei dieser Sachlage als Anregung aufgefaßt werden, die Behörde wolle dem Steuerberater diesbezüglich eine nach §275 BAO zu bestimmende Frist bemessen.

Die Behörde hat auf Grund dessen am 21. März 1975 zulässigerweise einen Mängelbehebungsauftrag nach §275 BAO unter Setzung einer Frist bis zum 30. April 1975 erteilt.

Mit dem Schreiben vom 28. April 1975 ist der Steuerberater nur dem Pkt. a des Mängelbehebungsauftrages (Erklärung, welche Änderungen beantragt werden) nachgekommen, nicht aber dem Pkt. b (Berufungsbegründung). Das Schreiben vom 28. April 1975 enthält nämlich überhaupt keine Begründung für die Berufung, sondern nur einen neuerlichen Antrag auf Setzung einer weiteren Nachfrist gemäß §245 Abs3 BAO.

Auf Grund dieser Sachlage konnte die Behörde im Bescheid vom 5. Mai 1975 mit Recht davon ausgehen, daß dem Mängelbehebungsauftrag innerhalb der gesetzten Frist hinsichtlich des Punktes b (Berufungsbegründung) nicht nachgekommen worden war und daß infolgedessen die Berufung vom 12. März 1975 (im Umfang des Mängelbehebungsauftrages) gemäß §275 BAO als zurückgenommen anzusehen war.

Da die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid des Finanzamtes somit zu Recht abgewiesen hat, ist der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden.

3. Bei diesem Ergebnis ist es ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.

Im Verfahren ist auch nicht hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden ist.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

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