Normen
B-VG Art10 Abs1 Z11
B-VG Art20
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art94
B-VG Art103 Abs4
B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs1 / Gegenstandslosigkeit
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
ASVG §355
ASVG §362 Abs1
ASVG §412
ASVG §413 Abs1 Z1
ASVG §354 ff
B-VG Art10 Abs1 Z11
B-VG Art20
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art94
B-VG Art103 Abs4
B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs1 / Gegenstandslosigkeit
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
ASVG §355
ASVG §362 Abs1
ASVG §412
ASVG §413 Abs1 Z1
ASVG §354 ff
Spruch:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Mit Bescheid vom 23. April 1979 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten einen Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses nach §105a ASVG abgewiesen. Eine Klage hat der Beschwerdeführer nicht erhoben. Am 22. Feber 1980 beantragte er aber neuerlich die Gewährung eines Hilflosenzuschusses. Diesen Antrag wies die Versicherungsanstalt mit Bescheid vom 6. Juni 1980 unter Berufung auf §362 Abs2 ASVG mit dem Hinweis zurück, der Antrag sei vor Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft des Bescheides von 1979 neuerlich eingebracht worden, ohne daß eine wesentliche Sachverhaltsänderung bescheinigt worden sei. Gegen die Zurückweisung erhob der Beschwerdeführer Einspruch. Den Einspruch wies der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 12. September 1980 mit der Begründung, es handle sich um eine Leistungssache, wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit zurück.
Gegen diesen Bescheid des Landeshauptmannes wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gerügt und §362 ASVG insofern als verfassungswidrig bekämpft wird, als er Rechtsmittel an die staatliche Verwaltung ausschließt, obwohl es sich um eine Angelegenheit des übertragenen Wirkungsbereiches handle.
Auf Grund eines am 11. Juni 1980 beim Versicherungsträger neuerlich eingebrachten Antrages wurde dem Beschwerdeführer nach Einbringung der Verfassungsgerichtshofbeschwerde mit Bescheid vom 24. April 1981 Hilflosenzuschuß gewährt.
II. Die Beschwerde ist zulässig.
Sofern ein Instanzenzug in Betracht kommt, kann die Beschwerde nach Art144 B-VG erst nach dessen Erschöpfung erhoben werden. Der angefochtene Bescheid enthält nun zwar die Belehrung, daß dagegen Berufung eingebracht werden könne, diese Belehrung ist aber unrichtig. Nach §415 ASVG steht die Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes in den Fällen des §413 Abs1 Z1 - also gegen Entscheidungen über die bei ihm nach §412 eingebrachten Einsprüche - nur zu, wenn über die Versicherungspflicht oder die Berechtigung zur Weiter- und Selbstversicherung entschieden worden ist. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Selbst wenn man im angefochtenen Bescheid keine Entscheidung über einen Einspruch nach §412 ASVG sehen wollte, weil über den Einspruch nicht in der Sache selbst entschieden worden sei oder weil Einsprüche nur gegen Bescheide der Sozialversicherungsträger in Verwaltungssachen zulässig seien, folgt daraus entgegen der Auffassung der belangten Behörde in der Gegenschrift nicht die Zulässigkeit der Berufung. Da nämlich auch kein anderer Tatbestand in Betracht kommt, fehlt es an einer Bestimmung, die den Instanzenzug gegen die Rechtsmittelentscheidung des Landeshauptmannes an den Bundesminister iS des Art103 Abs4 B-VG ausnahmsweise zulassen würde. Der Instanzenzug ist daher erschöpft.
Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen sind gegeben. Insbesondere ist die Beschwer trotz späterer Zuerkennung des Hilflosenzuschusses nicht weggefallen, weil die Zuerkennung erst ab dem Tag der neuerlichen Antragstellung erfolgte (vgl. VfGH 21. 6. 1982 B51/80).
III. Die Beschwerde ist aber nicht begründet.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter unter anderem verletzt, wenn die Behörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980), etwa, indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (vgl. zB VfSlg. 9105/1981 und VfGH 21. 6. 1982 B51/80). Es ist daher zu prüfen, ob der Landeshauptmann den Einspruch zu Recht zurückgewiesen hat.
§362 ASVG lautet in den hier wesentlichen Teilen (Abs2 letzter Satz idF der 9. Nov., BGBl. 13/1962):
"(1) Ist die Zuerkennung des Anspruchs auf eine Versehrtenrente ... mangels einer entsprechenden Einbuße an Erwerbsfähigkeit
abgewiesen ... worden und wird vor Ablauf eines Jahres nach
Rechtskraft der Entscheidung der Antrag auf Zuerkennung ... der Versehrtenrente neuerlich eingebracht, ohne daß eine wesentliche Änderung der zuletzt festgestellten Unfallsfolgen glaubhaft bescheinigt ist oder innerhalb einer vom Versicherungsträger gesetzten angemessenen Frist bescheinigt wird, so ist der Antrag zurückzuweisen. Gegen die Zurückweisung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.
(2) Abs1 ist entsprechend anzuwenden, wenn mangels entsprechender Minderung der Arbeitsfähigkeit ein Antrag auf Zuerkennung einer ...
pension abgelehnt ... worden ist. Das gleiche gilt, wenn ein Antrag
auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses abgelehnt ... worden ist."
Nach §412 Abs1 ASVG können Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen binnen einem Monat nach der Zustellung durch Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann angefochten werden. Angelegenheiten, in denen es sich um die Feststellung des Bestandes eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung handelt, sind allerdings Leistungssachen (§354 Z1 ASVG). Hat der Versicherungsträger in einer Leistungssache über den Anspruch mit Bescheid entschieden oder binnen einer im Gesetz näher bestimmten Frist den beantragten Bescheid nicht erlassen, so kann Klage vor dem Schiedsgericht erhoben werden (§383 Abs2 ASVG).
2. Im vorliegenden Fall hat der Sozialversicherungsträger einen Antrag auf Zuerkennung einer Versicherungsleistung unter Berufung auf §362 ASVG zurückgewiesen. Gleichwohl hat der Landeshauptmann die (Sach-)Entscheidung über den Einspruch gegen diesen Bescheid nicht im Hinblick auf den Ausschluß eines Rechtsmittels durch den letzten Satz des §362 Abs1, sondern deshalb abgelehnt, weil er in Leistungssachen überhaupt nicht zuständig sei. Er folgt damit offenbar der Auffassung, die das Oberlandesgericht Wien als letzte Instanz in Sozialversicherungssachen in den Entscheidungen SSV 4/103 = SV 14.952 = JBl. 1965, 100 und SSV 10/17.069 = SV 23.637 = ZAS 1977/16 vertreten hat (vgl. auch Fürböck - Teschner, ASVG jetzt Anm 2 zu §362). Danach schließt der letzte Satz des §362 Abs1 ASVG entgegen seinem Wortlaut (der nur historisch zu verstehen sei) nicht etwa administrative Rechtsmittel aus - die in Leistungssachen gar nicht vorgesehen seien -, sondern die Klage beim Schiedsgericht.
Diese Auffassung ist von der Lehre allerdings abgelehnt worden. Es wurde darauf hingewiesen, daß das Schiedsgericht nur angerufen werden könne, wenn es sich um die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung handle, und daß es den Versicherungsträger nicht zur Durchführung eines Verwaltungsverfahrens verurteilen könne, weshalb ein Streit um die Durchführung des Verwaltungsverfahrens als bloß verfahrensrechtliche Frage eine Verwaltungssache sei (Walter, Entscheidungsbesprechung, JBl. 1965, 100 f; seine Auffassung teilen Mayer, Entscheidungsbesprechung, ZAS 1977/16 und Oberndorfer bei Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, 6.2.2.2.3., S 621 FN 3).
Der VfGH hat zu einer ähnlichen Frage bereits in VfSlg. 4998/1965 Stellung genommen. In diesem Verfahren über einen negativen Kompetenzkonflikt ging es um die Frage, ob gegen den Bescheid eines Sozialversicherungsträgers, mit dem dieser in Anwendung der §§69 und 70 AVG (iVm §357 ASVG) einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens über die Gewährung einer Witwenrente abgewiesen hat, Berufung an den Landeshauptmann oder Klage beim Schiedsgericht zulässig ist. Der Gerichtshof sprach aus, der Landeshauptmann sei zur Entscheidung über den Einspruch zuständig gewesen; die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers habe sich auf die Frage der Wiederaufnahme beschränkt und §70 Abs1 AVG müsse im Zusammenhang mit den Bestimmungen des ASVG über die Zuständigkeit der Schiedsgerichte dahin ausgelegt werden, daß der Landeshauptmann als Einspruchsinstanz in keinem Fall einen Leistungsbescheid erlassen dürfe.
Überträgt man den Gedankengang dieses Erk. - auf das zur Vermeidung von Wiederholungen generell verwiesen wird - auf das vorliegende Problem, so zeigt sich, daß die Auffassung der belangten Behörde, der Einspruch scheitere schon an der fehlenden sachlichen Zuständigkeit, nicht stichhältig ist. Daß ein Schiedsgericht dem Versicherungsträger eine Entscheidung über den neuerlichen Antrag auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses aufträgt, ist im Hinblick auf die notwendige Trennung von Justiz und Verwaltung von vornherein ausgeschlossen. Es widerspräche aber dem System des Sozialversicherungsrechtes auch, wenn das Gericht angerufen werden könnte, obwohl der Versicherungsträger weder über das Leistungsbegehren entschieden hat noch mit der Entscheidung säumig geworden ist (weil er die Entscheidung iS des §362 ASVG abgelehnt hat). Die vom Oberlandesgericht Wien entwickelte Auffassung unterstellt nämlich, daß eine Entscheidung des Schiedsgerichts ohne vorherige Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens des Versicherungsträgers überhaupt möglich sei. Die Einrichtung der sukzessiven Zuständigkeit stünde dem zwar nicht entgegen, das mit der Vorschaltung des Versicherungsträgers vom Gesetzgeber erkennbar verfolgte Ziel allerdings, die Schiedsgerichte erst heranzuziehen, wenn der Sachverhalt auf Verwaltungsebene geprüft wurde, würde diese Auslegung verfehlen. Die Voraussetzungen, von denen das Gesetz die Zuständigkeit der Schiedsgerichte abhängig macht (§383 Abs2), und die Art, wie es den Ausschluß eines Rechtsmittels gegen den zurückweisenden Bescheid des Versicherungsträgers formuliert (§362 Abs1), zwingt daher ungeachtet der Bedeutung früherer gleichartiger Bestimmungen zur Annahme, daß ein sonst zulässiges Rechtsmittel, also der Einspruch an den Landeshauptmann gegen einen Bescheid in Verwaltungssachen iS des §412 ASVG ausgeschlossen werden soll. Allerdings ist es nicht der Umstand, daß ein Rechtsmittel ausgeschlossen ist, der der Angelegenheit die Eigenschaft als Leistungssache nimmt (wie der VwGH, 27. 6. 1980 Z 1171/79, ZfVB 1981/1081 meint), sondern bereits die Art der Erledigung des Antrages durch den Versicherungsträger: indem das Gesetz ihn ermächtigt, eine (neuerliche) Sachentscheidung förmlich abzulehnen, kommt es nicht zu jener - positiven oder negativen - Entscheidung über den Anspruch, die (abgesehen vom Fall der Säumnis) eine Voraussetzung der gerichtlichen Klage darstellt. Was aber nicht als Leistungssache gelten kann, ist Verwaltungssache (§355 ASVG).
Der angefochtene Bescheid wird also nicht durch die zu seiner Begründung herangezogenen §§354 ff ASVG gestützt, sondern nur - aber doch immerhin - durch den letzten Satz des §362 Abs1 ASVG.
3. Den letzten Satz des §362 Abs1 ASVG hält die Beschwerde nun deshalb für verfassungswidrig, weil das Sozialversicherungswesen Bundessache sei und daher nach Art20 B-VG nur unter der Leitung der obersten Organe des Bundes vollzogen werden dürfe, sodaß wegen der Weisungsfreiheit der Sozialversicherungsträger zumindest ein Rechtsmittel an den den Weisungen des obersten Bundesorganes unterworfenen Landeshauptmann vorgesehen sein müßte.
Es ist einzuräumen, daß der VfGH in mehreren Entscheidungen ausgesprochen hat, in dem vom Land übertragenen Wirkungsbereich müsse ein Instanzenzug bis zur Landesregierung eröffnet sein (VfSlg. 2072/1950: Tierzuchtförderung durch oö.
Landwirtschaftskammern, 2332/1952: Sportförderung durch tir. Landessportrat, 3054/1956: stmk. Grundverkehrslandeskommission). Die Beschwerde irrt aber, wenn sie aus der Zuweisung der Vollziehung des Sozialversicherungswesens an den Bund ableitet, daß es sich um eine Angelegenheit des übertragenen Wirkungsbereiches des Sozialversicherungsträgers handeln müsse. Ausnahmslos jede Angelegenheit der Hoheitsverwaltung ist dem Bund oder den Ländern zugeordnet. Es ist Sache des zuständigen Gesetzgebers, sie dem selbständigen (autonomen, eigenen) oder übertragenen Wirkungsbereich zuzuweisen. Kraft Zuweisung an den Sozialversicherungsträger ist die vorliegende Angelegenheit offenkundig weisungsfrei zu besorgen. Der weisungsfreien Besorgung dürfen zwar nur Angelegenheiten übertragen werden, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der zum Selbstverwaltungskörper zusammengefaßten Personen gelegen und geeignet sind, durch diese Gemeinschaft besorgt zu werden (VfSlg. 8215/1977). Daß aber die in Rede stehende Angelegenheit diesen Rahmen überschritte, kann der VfGH nicht finden.
Der Gesetzgeber war also schon deshalb nicht verhalten, gegen die Ablehnung einer neuen Entscheidung kurze Zeit nach rechtskräftigem Abspruch über einen Leistungsantrag ein Rechtsmittel vorzusehen. Es erübrigt sich daher, näher darauf einzugehen, ob im übertragenen Wirkungsbereich Rechtsmittel an staatliche Organe unter allen Umständen zugelassen werden müssen. Auch Art103 Abs4 B-VG steht dem Ausschluß von Rechtsmitteln gegen erstinstanzliche Bescheide nicht entgegen.
Die belangte Behörde hat den Einspruch auf Grund einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Vorschrift im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen, sodaß der Beschwerdeführer im geltend gemachten Grundrecht nicht verletzt wurde und es überdies ausgeschlossen ist, daß er in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde (vgl. zB VfSlg. 8741/1980).
Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
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